177555.fb2 Totentanz f?r Dr. Siri - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 18

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17DIE OBDUKTION DER ROSA ORCHIDEE

Die Leute aus Vientiane hatten sich bereits in Vieng Xai eingefunden, um Vorbereitungen für das Konzert zu treffen. Morgen würden die Unterhaltungskünstler aus Hanoi einfliegen. Ein Tag war für die Proben angesetzt, und dann, am Sonntagvormittag, würden die Delegierten und Parteibonzen eintreffen. Deshalb bestand Genosse Khong nachdrücklich darauf, dass Dr. Siri die Leiche auf der Stelle aus der Küche der Konzerthalle entfernte.

Genosse Khong war ein strenger Mann mit breiter Brust und bedrohlichem Blick. Kein Erdbeben, keine Invasion und schon gar keine Obduktion würden seiner sorgfältigen Planung des Konzerts für Freundschaft und Zusammenarbeit im Wege stehen. Die Hausangestellten empörten sich über die Einzelteile der Mumie im Konferenzzimmer des Präsidenten. Auch sie mussten verschwinden. Da sie im Gästehaus Nr. 1, das einem gründlichen Frühjahrsputz unterzogen wurde, alles andere als willkommen waren, wurden die beiden Kubaner zum Schauplatz des ersten Akts zurückgebracht, ins Krankenhaus bei Kilometer 8.

Lit hatte die ganze Nacht über seinem ausführlichen Bericht gebrütet. Es fehlte nur noch der Schlussabsatz mit dem Befund der letzten noch ausstehenden Obduktion, der von Hong Lan, der rosa Orchidee. Jetzt saß er auf der Bank vor demselben Mittelschulklassenzimmer, in dem Siri die Nacht mit den Büffeln verbracht hatte. Die Patienten in den anderen Häusern, die ihn von ihren Fenstern aus beobachteten, konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum er eine Gasmaske trug.

Dazu hätten sie schon neben ihm sitzen müssen. Im Klassenzimmer beugten Siri und Dtui sich schwitzend und verwirrt über das Skelett, das einst ein bildschönes vietnamesisches Mädchen gewesen war. Sie trugen je drei OP-Masken über Mund und Nase. Die mittlere Maske hatten sie großzügig mit duftendem Tigerbalsam bestrichen. Doch nichts konnte den schrecklichen Gestank vertreiben, der das Zimmer und alles darin durchdrang. Sie hatten den Genossen Lit ausgelacht, als er mit Gasmaske erschienen war. Ihre Nasen seien den Geruch des Todes gewohnt, hatten sie gesagt. Aber wären die Gläser nicht so hinderlich gewesen, hätten sie die beiden Masken, die er ihnen mitgebracht hatte, wohl nicht verschmäht. Seit sie in der Pathologie arbeiteten, hatten sie so etwas noch nie gerochen.

Eine Mumie, eine Wachsleiche, die sich an der frischen Luft zersetzte, und eine tote Frau, die in einem Leichensack aus Plastik verscharrt worden und dem Wüten der Bakterien ausgesetzt gewesen war – sie alle faulten vor sich hin, die eine langsamer, die andere schneller, und verströmten jede ihr ganz eigenes Aroma. Die Kombination war unerträglich, doch der Doktor hatte sie zusammen aufbahren lassen, um sich Anregungen holen und Vergleiche anstellen zu können. Bei der Obduktion Hong Lans stießen sie auf die erste Gemeinsamkeit. Wie bei Isandro legten die Überreste des Zwerchfells den Schluss nahe, dass es durchtrennt worden war. Der Leichensack hatte den Zerfallsprozess so weit verlangsamt, dass sie eine Reihe von Anhaltspunkten fanden, die andernfalls von Ungeziefer vernichtet worden wären. Obwohl die Täter dem Leichnam sämtliche Organe entnommen hatten, deuteten Kerben an der Innenseite des Brustkorbs auf einen laienhaften operativen Eingriff hin. Was wiederum dafür sprach, dass auch Hong Lan das Herz aus dem Leib geschnitten worden war.

Sehnen und Bänder hatten der Zersetzung bislang standgehalten, und auch der Uterus war noch teilweise intakt.

»Meine Güte, sehen Sie sich das an«, sagte Siri zu Dtui.

»Was ist das?«

»Erklären Sie es mir.«

»Sieht aus wie Fibrome, aber sie war doch erst – wie alt? – achtzehn?«

»Ungewöhnlich, nicht? Ich frage mich, ob sie deswegen ins Krankenhaus eingewiesen wurde.«

»Ich dachte, Fibrome seien gutartig.«

»Nicht unbedingt. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass sie womöglich auch Zysten hatte. Aber selbst wenn, wäre das jetzt nicht mehr nachzuweisen.«

»Lässt sich das denn nicht irgendwie feststellen?«

Siri schob den Gebärmutterhals beiseite und nahm die Wirbelsäule in Augenschein. »Oje.«

»Was ist?«

»Sehen Sie das?«

»O Gott. Was ist denn mit ihrer Wirbelsäule passiert?«

»Sie ist zerfressen, Dtui. Der Krebs hat vom Uterus aus gestreut, das Knochenmark befallen und ihr Rückgrat angegriffen. Sie muss zum Schluss furchtbare Schmerzen gehabt haben.«

»Könnte sie daran gestorben sein?«

»Wenn nicht, wäre ihr wohl nicht mehr viel Zeit geblieben.«

»Und was hat das alles zu bedeuten?«

Siri streifte seine Masken ab. Er brauchte die Luft dringender als den Schutz vor dem Gestank. Er nahm ein paar tiefe Atemzüge und schluckte die Übelkeit in seiner Kehle hinunter.

»Dass sie in den letzten Monaten ihres Lebens gelitten hat. Wir können nur hoffen, dass die Entführer ihr Schmerzmittel gegeben haben.« Er musste an die Opiumbonbons in der Präsidentenhöhle denken.

»Sie können unmöglich so herzlos gewesen sein …«

»Wissen Sie was? Ich glaube …« Den zweiten Galleschwall konnte er nicht mehr herunterwürgen, und Dtui beobachtete amüsiert, wie er herumwirbelte und sich erbrach. Sie hatte länger durchgehalten als der große Chirurg.

Eine halbe Stunde später präsentierten sie Lit ihre Befunde. Obwohl sie das Klassenzimmer längst verlassen hatten und im Schatten der Felswand hinter dem Krankenhaus saßen, wurden sie den Geruch nicht los. Sie hatten nicht mit Sicherheit feststellen können, ob Hong Lan an ihrem Krebsleiden gestorben war. Um an ihr Zwerchfell zu gelangen, hätte der Täter zunächst das Abdomen aufschneiden müssen. Dabei wäre das Mädchen wahrscheinlich verblutet, aber auch das ließ sich weder beweisen noch widerlegen. Und wie schon bei Isandro hatten sie keinerlei Anhaltspunkte für eine andere Todesursache gefunden. Zufrieden notierte Genosse Lit, dass »in beiden Fällen Hinweise auf ein Verbrechen« vorlägen, und schloss seinen Bericht mit den Worten: »Beiden Leichen wurde das Herz entnommen, und da sich zum fraglichen Zeitpunkt nur ein weiterer Verdächtiger am Tatort aufhielt, darf davon ausgegangen werden, dass Odon beide Morde verübte.«

Da Lits eigentlicher Fall – die Leiche in Beton – gelöst war, bereitete es ihm umso größere Genugtuung, dass die anderen beiden Morde ungeklärt blieben. Seine Vorgesetzten konnten wohl kaum von ihm verlangen, einen toten Tatverdächtigen zu befragen. Er wusste, dass die Armee selbst über das Strafmaß für Giap und die anderen Mitglieder des Lynchmobs befinden musste. Angesichts der Schwere des Verbrechens, für das die Soldaten Rache genommen hatten, rechnete er eher mit einem Tadel und einer Degradierung als mit standrechtlicher Erschießung. Aber das brauchte ihn nun nicht mehr zu kümmern. Er war aus dem Schneider.

Bevor er den Bericht einreichte, erklärte er Dtui, er werde beizeiten zurück sein, um die »Vereinigungsformalitäten« abzuschließen. Womit er offenbar die Hochzeit meinte, und es wunderte Dtui nicht im Geringsten, dass er über eine Verlobung sprach wie über eine Firmenfusion. Sie wanderte mit Siri am Fuß des Berges entlang und atmete den Duft des wilden Wasserschlauches, der dort üppig gedieh. Inzwischen hielten sie sich an die ausgetretenen Pfade. Dtui bezweifelte, dass sie je wieder den Mut zu einem Spaziergang über nicht markierte Felder oder durch jungfräuliche Wälder aufbringen würde.

Sie war ebenso besorgt wie ihr Chef, und seit Lit gegangen war, hatten sie kein Wort mehr gesprochen. Der Mann war trunken gewesen vor Glück. Als habe er die letzte Hürde auf dem Weg zu seiner nächsten Beförderung genommen. Siri bemerkte Dtuis mürrische Miene.

»Überlegen Sie, was Sie dem Genossen Lit sagen sollen?«

»Nein. Eigentlich nicht. Das wird sich schon irgendwie regeln.«

»Was dann?«

Sie blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich habe ein ungutes Gefühl, was diesen Fall angeht.«

»Ich auch.«

»Gut. Sie zuerst. Was bereitet Ihnen Kopfzerbrechen?«

»Wahrscheinlich mehr oder weniger dasselbe, was Ihnen Kopfzerbrechen bereitet. Gehen wir alles noch einmal durch.« Sie setzten sich nebeneinander auf einen schattigen Felsblock. »Ich weiß, es sieht ganz danach aus, als sei die Geschichte hiermit zu Ende, aber ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass uns ein wesentlicher Teil der Handlung entgangen ist.«

»Mir geht’s genauso. Meine weibliche Intuition piesackt mich schon seit geraumer Zeit. Vor allem die Mutter macht mir Sorgen. Ihre Tochter ist verschwunden, aber sie zieht in aller Seelenruhe nach Vietnam, als wäre nichts gewesen. Und als die Leiche schließlich gefunden wird, kommt sie noch nicht mal zur Beerdigung. Zur Beerdigung ihrer einzigen Tochter. Das klingt mir nicht nach einem besonders herzlichen Mutter-Tochter-Verhältnis.«

»Vielleicht hat sie den Tod ihres Mannes nicht verkraftet.«

»Aber gerade das schweißt die Hinterbliebenen doch besonders eng zusammen. Nein. Zwischen den beiden ist irgendetwas vorgefallen. Da habe ich nicht den geringsten Zweifel. Steckt Odon eigentlich immer noch in Ihnen?«

Die Frage überraschte Siri. Er hatte den aufsässigen Geist völlig vergessen. »Ich glaube kaum. Ich weiß es nicht. Ich habe nichts mehr gespürt, seit wir die Leiche gefunden haben. Ich habe in den vergangenen vierundzwanzig Stunden nicht ein einziges Mal mit den Fingern geschnippt. Ich war ohnehin nie wirklich besessen, ich habe lediglich seine Gegenwart gefühlt – seinen Einfluss. Und auch das will mir irgendwie nicht recht einleuchten. Wenn Odon und Isandro tatsächlich so böse waren, wie ständig behauptet wird, warum habe ich davon dann nichts gemerkt? Warum habe ich ihre Macht nicht ein einziges Mal gespürt? Ich weiß auch nicht. Ich frage mich …«

»Was?«

»Ich frage mich, ob wir vielleicht nur das sehen, was wir sehen sollen.«

»Und was machen wir jetzt?«

»Wir könnten nach Vientiane zurückfahren und feierlich verkünden, dass Inspektor Maigret und seine rechte Hand erneut ein heimtückisches Verbrechen geklärt haben, obwohl wir insgeheim wissen, dass dem nicht so ist …«

»Ich bin für die zweite Alternative.«

»Das dachte ich mir.«

Dr. Sounsak – der junge Arzt, der das vietnamesische Hausmädchen angeblich von einem Affenfötus entbunden hatte – war als einer von wenigen Laoten in die zwielichtigen Machenschaften der Kubaner verwickelt gewesen. Während man ihn in ein Krankenhaus in der Provinz Savannakhet versetzt hatte, lebte Fräulein Bong, die junge Dame, mit der er damals liiert gewesen war, noch immer in dem Dorf bei Kilometer 8, wie das Küchenpersonal des Gästehauses begeistert kolportierte.

Siri und Dtui hatten eine Theorie entwickelt – ein alternatives Szenario für die rätselhaften Vorgänge des vergangenen Jahres. An dieser Hypothese hangelten sie sich nun entlang, ließen die Ereignisse Revue passieren und klopften sie auf ihre Wahrscheinlichkeit hin ab. Fräulein Bong war eine stämmige, sonnengegerbte Frau, der die jahrzehntelange Feldarbeit einen krummen Rücken beschert hatte. Sie trafen sie auf dem Reisfeld an, wo sie Schösslinge pflanzte. Sie ließ sich nur widerwillig auf ein Gespräch ein. Ihr war bei diesem Thema offensichtlich nicht ganz wohl.

Dtui ging es ähnlich. »Ist dieses Feld auch sicher?«, fragte sie.

»Nicht mehr und nicht weniger als jedes andere, Tantchen«, erwiderte Fräulein Bong. Prompt explodierte Dtui. Die Fetzen flogen nach allen Seiten. »Tantchen?« Die Frau war mindestens zehn Jahre älter als sie. War sie im Lauf der letzten Woche so sehr gealtert? Nachdem sie sich einigermaßen gesammelt hatte, musste sie feststellen, dass weder Siri noch die Frau überhaupt bemerkt hatten, dass sie in die Luft gegangen war. Sie versuchte es mit Fassung zu tragen.

»Könnten Sie vielleicht einen Moment Pause machen und mit uns sprechen?«, sagte Siri. »Ich bekomme langsam einen steifen Hals.«

»Wir müssen fertig werden, bevor der große Regen kommt«, sagte Fräulein Bong. »Da habe ich für sinnloses Geschwätz keine Zeit.« Sie hoffte wohl, sich die Großstädter mit derlei Unhöflichkeiten vom Hals halten zu können.

»Na schön.« Siri ließ sich auf einem Erdwall nieder. »Dann erzählen Sie uns doch einfach vom Genossen Sounsak.«

»Da gibt’s nichts zu erzählen.«

»Sie hatten ein Verhältnis mit ihm, als …«

»Wir waren verlobt«, fiel sie ihm ins Wort.

»Verzeihung. Sie waren mit dem Genossen Sounsak verlobt, als er im Krankenhaus ein seltsames und wenig erfreuliches Erlebnis hatte.«

»Ach ja? Was denn für eins?«

»Es hatte mit einem Affenfötus zu tun.«

Sie starrte Siri an, wie man eine Eidechse anstarren würde, die mit bloßen Zehen eine Dose Corned Beef zu öffnen versucht. »Hä?«

»Hat er Ihnen nichts davon erzählt?«

»Wir haben nur selten über Affen gesprochen.«

»Eine schwangere Vietnamesin hatte ein totes Affenbaby zur Welt gebracht. Hat er das Ihnen gegenüber nicht erwähnt?«

Die Frau sah Dtui an. »Hat Ihr Großvater sie noch alle?«

Dtui seufzte und sprach ganz langsam, denn die Frau war anscheinend nicht besonders helle. »Es gab da ein vietnamesisches Hausmädchen«, sagte sie. »Sie kochte für die Ingenieure, die am Bau des Krankenhauses beteiligt waren.« Die Frau rammte die armen kleinen Schösslinge jetzt buchstäblich in den Boden. »Kannten Sie sie?«

Die Körperhaltung der Frau sagte Ja. »Was wissen Sie über sie?«

Genosse Sounsaks ehemalige Verlobte hob den Kopf und funkelte die ungebetenen Besucher wütend an. »Was ich über sie weiß? Ich weiß, dass sie eine Hure war, die anderen Frauen die Männer reihenweise ausgespannt hat, eine Hure und ein Teufel. Genügt Ihnen das?«

Siri warf Dtui einen Blick zu, der sie förmlich aufzufordern schien, die nächste Frage zu stellen. Sie tat ihm den Gefallen.

»Was hat die Schlampe Ihnen angetan?«, fragte sie.

Fräulein Bong kehrte Siri den Rücken zu und richtete ihre giftsprühenden Augen auf Dtui. »Sie hat regelrecht Jagd auf sie gemacht – Männer, die in einer glücklichen, liebevollen Beziehung lebten. Sie hat ihnen ihre vietnamesischen Hängetitten gezeigt, ein paarmal mit ihrem fetten Arsch gewackelt, und schon war es um sie geschehen.«

»Diese Hure«, bekräftigte Dtui. »Und Ihr Verlobter …?«

»Den hat sie sich genauso geangelt. Und als sie schwanger wurde, wer war da wohl so dumm, sich hinzustellen und die Vaterschaft anzuerkennen? Sie war das Tintenfass auf dem Schreibtisch des Zahlmeisters. Es dauerte keine vier Wochen, und sämtliche Männer im Dorf hatten ihren Federkiel in ihr versenkt, aber nur mein Sounsak war so dämlich, es auch zuzugeben.«

»Und?«

»Sie hat das Blag bekommen. Er hat es sogar eigenhändig zur Welt gebracht.«

»Lebend?«, fragte Siri.

»Leider.«

»Was ist aus den beiden geworden?«

»Sie sind noch in derselben Nacht durchgebrannt. Als wären sie unsterblich verliebt. Ich hab ihn nie wieder gesehen.« Ihre Augen schimmerten feucht.

»Wie schrecklich«, sagte Siri und nickte, obwohl aus seiner Miene vor allem Faszination zu sprechen schien. »Wissen Sie, ob zwischen ihr und den beiden Kubanern etwas vorgefallen ist?«

»Aber ja. Sie konnte die beiden auf den Tod nicht ausstehen.«

»Weil sie etwas gegen Schwarze hatte?«

»Ach, sie hätte es auch mit denen getrieben. Aber die beiden waren als Einzige schlau genug, dem Teufel aus dem Weg zu gehen. Sie probierte es mit allen Tricks, kriegte die beiden Jungs aber ums Verrecken nicht in ihr Bett. Sie hat immer wieder damit geprahlt, dass sie den Großen über kurz oder lang zwischen ihre Schenkel bekommen würde. Als ihr ganzes Pogewackel nicht zum gewünschten Erfolg führte, versuchte sie es mit dem Kleineren, aber auch der wollte nichts von ihr. Also erzählte sie überall herum, sie wäre – Sie wissen schon – mit ihm zusammen.«

»Das hat sie gesagt?«, fragte Siri.

»Sie gehörte zu der Sorte Frau, die davon überzeugt ist, dass ihr ein richtiger Mann nicht widerstehen kann.«

Auf der Fahrt zurück ins Gästehaus musterte Dtui ihren Chef. Er hatte diesen glasigen Blick, der ihr schon des Öfteren aufgefallen war. »Meinen Sie, wir sind der Wahrheit ein Stück näher gekommen?«

»Das wird sich weisen, teure Assistentin.«

»Vielleicht hat sie gelogen.«

»Schon möglich.«

»Oder ihr Verlobter hat ihr nicht erzählt, was wirklich passiert ist. Vielleicht wollte er sie schonen.«

»Auch das wäre denkbar. Aber es gibt da, glaube ich, noch eine andere Möglichkeit.«

»Gut, wenn ich den Schock überwunden habe, über Nacht steinalt geworden zu sein, komme vielleicht auch ich dahinter. Was machen wir jetzt?«

»Schlafen. Wir sollten uns aufs Ohr hauen. Ich muss noch rasch mit Vientiane telefonieren, und dann hoffe ich auf den einen oder anderen Traum. Ihr Verlobter wird um diese Zeit wohl nicht mehr auf uns warten. Morgen früh machen wir eine kleine Spritztour. Wenn sich die Dinge so entwickeln, wie ich es mir vorstelle, müsste der Fall spätestens morgen Abend geklärt sein. Eigentlich könnten wir auch noch einen Tag länger bleiben und uns das Konzert anhören, ohne uns allzu große Vorwürfe machen zu müssen, weil wir Herrn Geung so lange allein gelassen haben. Ich wette, der arme Kerl langweilt sich in der Pathologie zu Tode.«

»Hallo?«

»Hallo?«

»Civilai?«

»Ja, wer ist da?«

»Die Kaiserinwitwe von China.«

»Siri? Bist du’s? Die Leitung ist erbärmlich. Gott, du hörst dich an, als würdest du in einem Schmalzbottich stehen.«

»Ja. Das ist mein neuestes Steckenpferd. Habe ich dir gefehlt?«

»Warum? Bist du verreist?«

»Ich bin in Houaphan.«

»Im Ernst? Dann sehen wir uns übermorgen. Ich komme zum Konzert.«

»Du wirst doch hoffentlich nicht singen.«

»Nein. Ich führe nur meinen exotischen Tanz auf. Du weißt schon, den mit der Federboa?«

»Dann werde ich vorher tunlichst nichts Fettiges zu mir nehmen. Pass auf, du musst mir einen Gefallen tun.«

»Öfter mal was Neues.«

»Kennst du jemanden, der Spanisch spricht?«

»Ja, warum?«

»Wie spät ist es in Kuba?«

Die Krähe und die Spätzin lagen in dem matschigen Reisfeld und atmeten nur noch schwach. Ihre Augen waren glasig. Zwei Männer beugten sich über sie: der Lehrer und der Schüler. Hinter ihnen stand ein älteres Paar, schwärzer als die Nacht ringsum. Die Frau legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. Der Lehrer nickte, und der dunkelhäutige Novize hob die Vögel behutsam auf und legte die Hände wie zum Gebet aneinander. Nun presste er die Handflächen zusammen, sachte erst, und dann, als die beiden Vögel eins wurden, verschränkte er die Finger und drückte zu, bis ihnen ein Rauchfetzen entstieg und gen Himmel waberte. Er öffnete die Hände, und die Vögel, das Paar und der Lehrer waren verschwunden. Nur der Novize blieb zurück. Er lächelte dem Träumenden zu und machte sich dann daran, Siri langsam, ohne Worte zu erklären, was er soeben mit angesehen hatte. Als die Morgensonne aufging, sah der Doktor vieles klarer.