177535.fb2 Tod in der K?nigsburg - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

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Kapitel 7

Mit einem Stoßgebet lenkte Eadulf seinen Rotfuchs in den Fluß und trieb ihn in seiner Erregung zu schnell an. Die Hinterbeine glitten aus, und Eadulf glaubte sich schon abgeworfen. Er klammerte sich fest, und schnaubend und keuchend fand das Pferd wieder Halt auf dem felsigen Boden. Eadulf ließ die Zügel los, saß mit geschlossenen Augen im Sattel und wünschte sich heil auf dem anderen Ufer.

Ab und zu rüttelte ihn das Pferd durch, wenn es auf dem Felsboden ins Stolpern kam. Dann umspülte ihm das eiskalte Wasser des Flusses erst die Füße, danach die Knie. Plötzlich umschäumte es ihn bis zum Gürtel, und er rang nach Atem und klammerte sich am Sattelknopf fest. Schließlich arbeitete sich das Pferd aus der tiefsten Stelle heraus, und als er die Augen öffnete, sah er das jenseitige Ufer wenige Meter vor sich. Fidelma hielt schon dort, leicht im Sattel vorgebeugt, und erwartete ihn.

Mit einer letzten Anstrengung kletterte sein Pferd die Uferböschung hinauf und kam neben ihr zum Stehen.

Dankbar tätschelte Eadulf ihm den Hals.

»Deo gratias«, betete er erleichtert.

»Wir bringen am besten schnell einige Entfernung zwischen uns und diesen Ort«, meinte Fidelma. »Je eher wir Imleach erreichen, desto besser.«

»Können wir uns nicht einen Moment trocknen? Ich bin vom Gürtel ab naß«, wandte Eadulf ein.

»Mach dir nichts draus, vielleicht müssen wir noch einmal ins Wasser. Wir haben noch einen kleineren Fluß zu überqueren, den Fidhaghta. Wenn die Ui Fid-gente auch noch Krieger am Brunnen von Ara stationiert haben, an der Hauptfurt über den Fluß, haben wir wieder ein Problem.«

Eadulf stöhnte hörbar.

»Wie weit ist es bis zum Brunnen von Ara?«

»Höchstens sieben Meilen. Wir sind bald da.«

Sie wendete ihr Pferd und ritt in den Wald hinein, in genau westlicher Richtung. Ohne sich umzusehen, rief sie über die Schulter zurück: »Hier wird der Weg breiter, und wir können ein Stück weit traben.«

Sie grub ihrem Pferd die Hacken in die Seiten, und die mächtige weiße Stute reagierte so kraftvoll, daß Fidelma sie zügeln mußte, damit sie in einen stetigen leichten Trab fiel.

Eadulf folgte ihr auf den Fersen. In seiner nassen Kleidung fühlte er sich elender und unbehaglicher als je in seinem Leben.

Ihm schien es eine Ewigkeit, bis sie über einen kleinen Hügel ritten, hinter dem sich der Weg senkte und auf einen anderen größeren Fluß zulief, der dort, wo an seinem Ufer eine Gruppe von Gebäuden stand, eine fast rechtwinklige Biegung machte. Der Fluß kam anscheinend von Westen und bog hier nach Süden ab.

»Das ist der Brunnen von Ara.« Fidelma lächelte zufrieden. »Hier ist der Übergang, und Imleach liegt nur ein paar Meilen weiter. Wir können dem Nordufer des Flusses noch eine Weile folgen. Hier sehe ich keine Krieger Giongas.«

Eadulf schnaufte mißbilligend. »Hier gibt es Häuser und Rauch. Können wir nicht ausruhen und uns trocknen?«

Fidelma sah zum Himmel. »Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen vor dem Dunkelwerden in Imleach sein. Wenn sich hier keine Krieger der Ui Fidgente herumtreiben, kannst du dich in der Herberge am Übergang umziehen und deine Kleidung trocknen.«

Ohne weitere Worte ritt sie auf eine Gruppe von Gebäuden zu, die sich über beide Ufer verteilten. Auch hier floß das Wasser über Schnellen, doch bei weitem nicht so wild und gefährlich wie bei der Furt durch den Suir.

Ein paar Jungen saßen am Flußufer und hatten ihre Angeln ausgeworfen. Als Fidelma sich ihnen näherte, holte einer von ihnen gerade triumphierend eine braune Bachforelle aus dem Wasser.

»Ein guter Fang«, rief ihm Fidelma anerkennend zu und hielt an.

Der Junge, nicht älter als elf, lächelte unbeeindruckt. »Ich hab schon bessere gemacht, Schwester«, antwortete er mit Respekt vor ihrer Kutte.

»Das glaube ich dir«, erwiderte sie. »Wohnst du hier?«

»Wo sonst?« fragte er großspurig.

»Sind Fremde in eurem Dorf?«

»Gestern abend waren Fremde hier. Der Fürst der Ui Fidgente, sagt mein Vater. Er und seine Leute. Aber heute morgen sind sie fort, als der große König von Cashel sie abholte.«

»Sind jetzt keine Fremden mehr im Dorf?«

»Nein, sie sind alle nach Cashel.«

»Gut. Wir danken dir.«

Fidelma wendete ihr Pferd und ritt zum Fluß, Ea-dulf folgte ihr. Hier reichte das Wasser den Pferden gerade bis zu den Fesseln, als sie den Ara durchquerten. Die Herberge war nicht zu verfehlen, sie stand direkt an der Furt, und ihr Zeichen hing über der Tür.

Dankbar glitt Eadulf aus dem Sattel und band das Pferd an einem Pfosten an. Er nahm die Satteltasche ab, in der sich seine Kleidung zum Wechseln befand, und hoffte auf eine Gelegenheit, sich umzuziehen.

Die Tür der Herberge öffnete sich, und ein älterer Mann trat heraus.

»Seid mir gegrüßt, Reisende, ich heiße euch ...« Er brach ab, als er Fidelma erblickte. Ein freudiges Lächeln breitete sich über sein Gesicht, und er eilte hinzu, um ihr vom Pferd zu helfen.

»Es ist schön, dich wiederzusehen, Lady. Erst heute morgen war ja dein Bruder hier, um .«

»Um sich mit Donennach von den Ui Fidgente zu treffen«, ergänzte Fidelma und begrüßte den Mann mit einem freundlichen Lächeln. »Ich weiß, mein lieber Aona. Wir haben uns lange nicht gesehen.«

Der Mann strahlte vor Freude darüber, daß sie sich an seinen Namen erinnerte. »Ich habe dich nicht mehr gesehen, seit du das Erreichen des Alters der Wahl gefeiert hast. Das muß mindestens zwölf Jahre her sein.«

»Es ist lange her, Aona.«

»Sehr lange, und doch hast du meinen Namen behalten.«

»Du warst immer ein treuer Gefolgsmann meiner Familie. Nur ein schlechtes Mitglied der Eoghanacht würde den Namen Aonas vergessen, des einstigen Kommandeurs der Leibwache von Cashel. Ich hatte gehört, daß du in den Ruhestand getreten warst und eine Herberge übernommen hattest, aber ich wußte nicht, daß es diese hier war.«

»Du ...«, sagte er und ergänzte nach einem raschen Blick auf Eadulf, seine Kleidung und seine römische Tonsur, »du und dein angelsächsischer Begleiter, ihr seid mir höchst willkommene Gäste.«

»Ich muß mich umziehen und mich trocknen«, murmelte Eadulf beinahe im Beschwerdeton.

»Bist du vom Pferd in den Fluß gefallen?« fragte Aona.

»Nein«, fauchte Eadulf ohne weitere Erklärung.

»Drinnen brennt ein Feuer«, meinte Aona. »Kommt rein, kommt beide rein.« Er schob die Tür auf und trat beiseite, um sie einzulassen.

»Leider können wir nicht lange bleiben. Ich muß vor Dunkelheit in Imleach sein«, erläuterte ihm Fi-delma.

Eadulf ging geradewegs zu dem lodernden Feuer, das von mächtigen Scheiten genährt wurde.

»Aber für eine Mahlzeit könnt ihr doch bleiben?«

Eadulf wollte schon bejahen, doch Fidelma schüttelte mit Bestimmtheit den Kopf. »Dazu reicht die Zeit nicht. Wir wärmen uns auf, trinken etwas, Bruder Eadulf zieht sich um, und dann müssen wir weiter.«

In Aonas Gesicht spiegelte sich Enttäuschung.

Fidelma berührte seinen Arm. »Wir wollen hoffen, daß wir auf unserer Reise bald hierher zurückkommen, und dann werden wir deine Gastfreundschaft richtig genießen. Aber es geht um eine dringende Angelegenheit, die für die Sicherheit unseres Königreichs wichtig ist, es ist keine bloße Laune.«

Aona richtete sich straff auf. »Wenn das Königreich in Gefahr ist, Lady, wie kann ich ihm am besten dienen?«

Fidelma wandte sich Eadulf zu, der unglücklich vor dem Feuer stand und aus dessen nasser Kleidung Dampf aufstieg.

»Hast du ein Zimmer, in dem Bruder Eadulf sich umziehen kann?«

Aona wies auf eine Seitentür.

»Dort hinein, Bruder. Bring deine nassen Sachen raus, wir trocknen sie vor dem Feuer.«

»Die Zeit drängt«, erklärte Fidelma zur Entschuldigung für ihre kurz angebundene Art.

Als Eadulf mit seiner Satteltasche verschwunden war und Aona zwei Becher mit corma, einem kräftigen Ale, gefüllt hatte, setzte sich Fidelma auf einen Stuhl und hielt den Saum ihrer Kutte ans Feuer.

»Wie haben sich die Ui Fidgente benommen, während sie auf meinen Bruder warteten?« fragte sie den Herbergswirt.

Aona runzelte die Stirn. »Benommen?«

»Ja. Waren sie freundlich oder bösartig und unhöflich? Wie war’s?«

»Sie benahmen sich ganz anständig, meine ich. Warum fragst du?«

»Hast du Gerüchte gehört, daß es Unzufriedenheit unter ihnen gab? Anzeichen dafür beobachtet, daß sie eine Verschwörung anzettelten?«

Der alte Wirt schüttelte verneinend den Kopf und reichte Fidelma einen Becher.

Sie nippte zerstreut daran und fragte: »Und alle Mitglieder von Donennachs Gefolge sind mit ihm nach Cashel gegangen? Sie haben sich hier mit niemand anderem getroffen?«

»Davon habe ich nichts gesehen. Was hat das zu bedeuten?«

»Es gab einen Mordanschlag auf meinen Bruder und Donennach, gleich als sie in Cashel einritten.«

Der Alte fuhr vor Schreck zusammen. »Wurde der König . wurde er schwer verwundet?«

»Beide haben nur Fleischwunden«, beruhigte ihn Fidelma. »Die Wunden sind schlimm genug, aber sie werden bald heilen. Doch einige Krieger der Ui Fid-gente beschuldigen Cashel der Hinterlist und behaupten, mein Bruder stecke hinter dem Anschlag, obgleich er selbst verwundet wurde.«

Eadulf kam in trockener Kleidung wieder und trug die nassen Sachen über dem Arm.

Der Wirt nahm sie ihm sofort ab und hängte sie an einen Pfosten vor dem Feuer. »Sie sind bald trocken«, erklärte er und reichte Eadulf den anderen Becher mit Ale. Dann wandte er sich wieder an Fidelma. »Die Ui Fidgente müssen verrückt sein, so etwas zu behaupten ... falls es nicht zu ihrem Plan gehört.«

Eadulf leerte seinen Krug auf einen Zug und fing an zu husten, als er die Wirkung des starken Getränks verspürte.

Aona bedachte ihn mit einem trüben Lächeln. »Mein corma trinkt man nicht wie Wasser, Angelsachse«, tadelte er ihn. »Möchtest du etwas Wasser hinterher?«

Eadulf nickte und japste.

Aona füllte den Becher mit Wasser aus einem Krug, und Eadulf trank ihn sofort aus.

Fidelma hatte nicht auf ihren Begleiter geachtet und gedankenverloren ins Feuer gestarrt. Nun sah sie den Alten an.

»Bist du sicher, Aona, daß du nichts Ungewöhnliches, nichts Seltsames beobachtet hast?«

»Gar nichts, Lady, darauf gebe ich dir mein Wort«, versicherte ihr der alte Krieger. »Donennach und sein Gefolge kamen gestern abend hier an. Der Fürst der Ui Fidgente und seine persönlichen Bediensteten schliefen in der Herberge. Seine Krieger kampierten auf dem Feld am Ufer. Sie benahmen sich ordentlich. Heute morgen kam dein Bruder an, und alle zusammen brachen nach Cashel auf. Weiter weiß ich nichts.«

»Folgte ihnen niemand? Zum Beispiel ein großer Mann, ein Bogenschütze, oder ein kleiner, dicker Mann?«

Aona schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Solche Leute habe ich nicht gesehen, Lady.«

»Nun gut, Aona. Aber paß gut auf in den nächsten Tagen. Ich traue den Ui Fidgente nicht.«

»Und wenn ich etwas bemerke?«

»Kennst du Capa?«

Aona lachte vergnügt. »Alles, was der Bursche weiß, hat er von mir gelernt. Er war noch ein halber Knabe, als er in die Leibwache des Königs von Cashel eintrat. Er verstand nicht mehr vom Kriegführen als .«

Fidelma unterbrach ihn sanft in seinen Erinnerungen. »Dein Schüler ist jetzt Kommandeur der Leibwache des Königs, so wie du es einst warst, Aona. Wenn du etwas über Bewegungen der Ui Fidgente erfährst, schick Nachricht an Capa in Cashel. Hast du mich verstanden?«

Aona nickte. »Das habe ich, Lady. Was kann ich sonst noch für dich tun?«

Eadulf hüstelte höflich. »Vielleicht noch etwas von dem Getränk, das du corma nennst. Diesmal werde ich es mit Respekt behandeln.«

Aona ging zu einem Eichenfaß und füllte Eadulfs Becher nach. Als er zurückkam, sah er aus, als sei ihm etwas eingefallen.

Fidelma bemerkte es sofort und fragte: »Ist etwas, Aona?«

Der Herbergswirt kratzte sich den Kopf. »Ich versuche mich an etwas zu erinnern. Du hast nach einem großen Bogenschützen und einem kleinen Mann gefragt?«

»Sind sie hier durchgekommen? Man kann sie kaum vergessen, wenn man sie zusammen gesehen hat. Nebeneinander wirken sie ziemlich komisch.«

»Ich hab sie gesehen«, bestätigte der Herbergswirt.

Fidelma setzte eine triumphierende Miene auf. »Wirklich? Als ich vorhin fragte, sagtest du, du wärst sicher, daß sie nicht hier waren.«

Aona schüttelte den Kopf. »Das kam, weil du mich gefragt hast, ob sie gestern mit den Ui Fidgente hier waren. Das Paar hab ich vor einer Woche gesehen.«

»Vor einer Woche?« warf Eadulf enttäuscht ein. »Dann sind es wohl nicht die Schurken, die wir suchen.«

»Kannst du die beiden beschreiben?« forschte Fi-delma.

Aona rieb sich das Kinn, als helfe das seinem Gedächtnis nach. »Also der kleine dicke Mann sah so aus wie er.« Mit dem Daumen zeigte er auf Eadulf.

Eadulf stand vor Empörung der Mund offen. »Willst du damit sagen, daß ich klein und dick bin?« fragte er. »Also ...«

Fidelma hob ungeduldig die Hand.

»Das mußt du erklären, Aona«, sagte sie ruhig. »Da mein Begleiter weder klein noch dick ist, erhebt sich die Frage, wie der Mann, den du beschreibst, nun wirklich gebaut war.«

Aona verzog das Gesicht. »Ich meinte nicht, daß er in der Statur oder im Aussehen dem Angelsachsen ähnelte, sondern daß er ein Mönch war und sein Haar ebenso geschnitten war, anders als die Tonsur unserer irischen Mönche. Das fiel mir besonders auf.«

Fidelma kniff die Augen zusammen.

»Du meinst, er trug eine Tonsur von derselben Art wie die meines Begleiters?«

»Hab ich das nicht gesagt?« erwiderte der Wirt. »Was mir besonders ins Auge fiel und mir merkwürdig vorkam, war, daß sie nicht mehr ausrasiert war, sondern aussah, als habe er das Haar wieder wachsen lassen, um die Tonsur zu verdecken.«

»Was kannst du uns sonst noch über den kleinen Mann sagen?«

»Daß er klein und beleibt war und sein Haar sonst grau und lockig. Er stand im mittleren Alter und trug keine Mönchskleidung, benahm sich aber wie ein Mönch.«

Eadulf blickte zu Fidelma. »Das hört sich nach dem einen Attentäter an.« Er fragte den Wirt: »Und was ist mit dem anderen?«

Aona überlegte einen Moment. »Ich denke, der andere war blond. Das Haar trug er hinten lang, aber da bin ich nicht sicher, denn er hatte eine Mütze auf und ein Lederwams an. Er hatte Köcher und Bogen bei sich, und deshalb hielt ich ihn für einen berufsmäßigen Bogenschützen.«

Fidelma war zufrieden. »Das trifft’s ziemlich gut, meine ich. Und du sagst, die beiden waren vor einer Woche hier in dieser Herberge?«

»Soweit ich mich erinnere. Ich hab sie deshalb noch so deutlich vor Augen, weil sie so unterschiedlich gebaut waren. Grad so, wie du gesagt hast.«

»Du weißt nicht, wo sie herkamen oder wo sie hinwollten?«

»Nein«, erwiderte der Wirt.

Eadulf zog ein langes Gesicht. »Das heißt, wir sind auch nicht klüger als zuvor.«

Fidelma preßte enttäuscht die Lippen zusammen.

Plötzlich ging die Tür auf, und der Junge, mit dem Fidelma beim Angeln gesprochen hatte, kam herein.

Aona winkte ihn heran. »Mein Enkel Adag kann euch vielleicht weiterhelfen. Er hat sie bedient, während ich mich um ihre Pferde kümmerte.«

Bevor Fidelma etwas sagen konnte, fragte ihn Aona: »Adag, erinnerst du dich noch an die beiden Männer, über die du dich so lustig gemacht hast, als sie vor einer Woche hier einkehrten?«

Der Junge legte Angel und Fischnetz auf den Tisch und sah Fidelma und Eadulf unruhig an. Er antwortete nicht.

»Komm schon, Adag, du brauchst keine Angst zu haben. Du erinnerst dich doch, daß du es so komisch fandst, weil der eine lang und dürr und der andere klein und dick war und sie so ein merkwürdiges Paar abgaben.«

Widerwillig nickte der Knabe.

»Kannst du uns sonst noch was über sie sagen, Adag«, fragte Fidelma. »Abgesehen von ihrer Erscheinung.«

»Bloß, daß der eine dick war und der andere ein Bogenschütze.«

»Na, das wissen wir schon. Aber was weiter?«

Adag zuckte gleichmütig die Achseln. »Weiter nichts. Ich hab sie bedient, während mein Großvater ihre Pferde versorgte.«

»Also kamen sie zu Pferde«, triumphierte Eadulf. Zu Fidelma gewandt, setzte er hinzu: »Ungewöhnlich, daß ein Mönch zu Pferde reist.«

Der Junge sah ihn neugierig an. »Na, du und die Schwester, ihr reist doch auch zu Pferde.«

»Das ist, weil ...«, wollte Eadulf erklären, doch Adags Großvater unterbrach ihn.

»Das mußt du noch lernen, mein Junge, daß manche Mönche und Nonnen nicht mehr an die allgemeine Regel, die ihnen Reiten untersagt, gebunden sind, wenn sie einen gewissen Rang besitzen. Das erkläre ich dir später. Jetzt beantworte die Fragen der Lady.«

Adag zuckte die Achseln. »Ich erinnere mich, daß der Dicke dem Bogenschützen einen Lederbeutel gab, während sie zusammen tranken. Das ist alles.«

»Weiter nichts?«

»Bloß, daß der Dicke ein Fremder war.«

»Ein Ausländer?«

»Nein, aus Eireann war er wohl, aber nicht aus dem Süden, glaube ich, das hörte man an seinem Akzent. Der Bogenschütze war aus dem Süden, das weiß ich, aber nicht der Mönch.«

»Hast du nicht verstanden, worüber sie sich unterhalten haben?«

Der Junge schüttelte den Kopf.

»Hat jemand gesehen, aus welcher Richtung sie kamen?«

»Nein, aber der Dicke kam zuerst«, ergänzte Aona.

»Ach? Sie kamen also nicht zusammen an?«

»Nein, daran erinnere ich mich jetzt. Der Dicke tauchte als erster auf, und sein Pferd mußte versorgt werden. Nur ich und mein Enkel waren hier. Also kümmerte ich mich um das Pferd, und Adag setzte dem Mönch Essen vor. Danach traf der Bogenschütze ein. Ich sah nicht, aus welcher Richtung, weil ich im Stall war.«

»Und an den Pferden fiel euch nichts auf?« bohrte Fidelma weiter.

Aona schüttelte den Kopf, doch dann leuchtete es in seinen Augen auf. »Das Pferd des Bogenschützen hatte Narben. Es war ein Schlachtroß, ein Brauner, schon ziemlich alt, mit mehreren verheilten Wunden. Dem Sattel nach ein Kriegerpferd. Am Sattel hing ein zweiter Köcher. Sonst trug er alle seine Waffen bei sich. Das Pferd des Dicken war in gutem Stande, Geschirr und Sattel von guter Qualität, so wie man sie eher bei einem Kaufmann erwartet. Mehr weiß ich nicht.«

Fidelma erhob sich, nahm eine Münze aus ihrem marsupium und reichte sie Aona.

»Ich denke, deine Kleidung ist jetzt trocken, Ea-dulf«, sagte sie bestimmt.

Aona bedankte sich bei Fidelma, während Eadulf seine Kutte vom Pfosten nahm und in seiner Satteltasche verstaute.

»Soll ich also nach diesen beiden Fremden Ausschau halten, Lady?« fragte Aona. »Soll ich Capa von ihnen Nachricht geben?«

Fidelma lächelte trocken. »Wenn du diese beiden Fremden siehst, Aona, dann brauchst du eher einen Priester als Capa. Sie wurden heute morgen getötet, nachdem sie versucht hatten, meinen Bruder und Fürst Donennach zu ermorden.«

Sie hob die Hand zum Gruß und wandte sich zur Tür, gefolgt von Eadulf.

Als sie aufgesessen waren, sahen sie Aona und seinen Enkel in der Tür stehen und ihnen nachblicken.

»Seid wachsam!« rief sie ihnen zu und lenkte ihr Pferd aus dem Hof heraus auf den Weg nach Imleach.

Eine Weile ritten sie schweigend weiter. Der Weg führte am Nordufer des Ara entlang, und der Himmel verfinsterte sich merklich. Südlich von ihnen zeichnete sich der lange Höhenzug des Slievenamuck gegen den helleren Horizont ab, und vor ihnen versank die Sonne im Westen. Der Weg war gut und verlief fast gerade durch das höhere Gelände hinter der Niederung um den Brunnen von Ara. Nördlich von ihnen erhob sich einige Meilen entfernt ein anderer Höhenzug. Als Eadulf nach seinem Namen fragte, erklärte ihm Fidelma, das seien die Slieve-Felim-Berge, ein rauhes, unwirtliches Gebiet, hinter dem das Land der Ui Fidgente lag.

Die meiste Zeit ritten sie schweigend dahin, denn Eadulf sah, daß Fidelma in Nachdenken versunken war, und er wußte, daß man sie dabei lieber nicht störte. Sicherlich überdachte sie das, was sie erfahren hatten.

Nach ungefähr acht Meilen hob Fidelma plötzlich den Kopf. Die Umgebung kam ihr vertraut vor.

»Ach, jetzt ist es nicht mehr weit. Wir sind gleich da«, erklärte sie zufrieden.

Kurz darauf kamen sie aus dem Wald auf ein offenes, hügliges Gelände hinaus. Eadulf erkannte das große, von einer Steinmauer umgebene Gebäude als die Abtei St. Ailbe. Sie dominierte die kleine Stadt, die sich vor ihr ausbreitete, allerdings in einigem Abstand von den Abteimauern. Umgeben waren Abtei und Stadt von Weideland, das von Eibenwäldern gesäumt wurde. Es waren aber Eiben der irischen Art, deren gebogene Nadeln sie von den Eiben unterschieden, die es in seiner Heimat gab. Die Bäume waren hoch und trugen runde Wipfel. Einige schienen aus mehreren alten verflochtenen Stämmen emporzuwachsen.

»Dies ist Imleach Iubhair«, seufzte Fidelma, »das >Grenzland der Eibenbäume<. Hier herrscht mein Vetter Finguine von Cnoc Äine.«

Die Stadt lag still da. Sie war viel kleiner als Cashel, und sie als Stadt zu bezeichnen schien geschmeichelt.

Doch Fidelma wußte, daß durch die Abtei und ihre Kirche hier ein blühender Markt entstanden war. Der Ort schien verlassen, und sie vermutete, daß alle beim Abendessen saßen. Die Zeit für das Verspergebet war bereits vorüber.

Der Marktplatz war offensichtlich das freie Gelände direkt vor den Toren der Abtei. Auf der entgegengesetzten Seite sah man eine Reihe von Gebäuden, die wohl die Stadt bildeten. Die beiden anderen Seiten waren spärlich bebaut, deshalb schien der Marktplatz zu groß. In der Mitte des freien Platzes stand eine mächtige Eibe, über zwanzig Meter hoch, deren dunkelbraunes Holz und grüne gebogene Nadeln wie eine ehrwürdige Skulptur wirkten. Sie überragte selbst die grauen Mauern der Abtei.

»Na, das ist ein Baum, vor dem man Respekt haben muß«, meinte Eadulf, der sein Pferd gezügelt hatte und ihn betrachtete.

Fidelma wandte sich im Sattel um und lächelte ihrem Begleiter zu. »Weshalb sagst du das, Eadulf? Kennst du diesen Baum?«

»Kennen? Nein, ich sage das nur wegen seiner Größe und seines Alters.«

»Das ist der heilige Totembaum der Eoghanacht. Davon habe ich dir in Cashel erzählt.«

»Ein Totembaum! Was für eine alberne heidnische Vorstellung.«

»Was ist denn das Kruzifix anderes als ein Totem? Jeder Clan und jede Sippe besitzen einen heiligen Baum des Lebens, wie wir ihn nennen. Dies hier ist unserer. Wenn ein neuer König der Eoghanacht in sein Amt eingeführt wird, muß er hierherkommen und unter der großen Eibe den Eid ablegen.«

»Der Baum muß bestimmt ein paar hundert Jahre alt sein.«

»Über tausend Jahre«, erklärte Fidelma stolz. »Er soll von Eber Fionn, dem Sohn des Milesius, von dem die Eoghanacht abstammen, mit eigener Hand gepflanzt worden sein.«

Die Dunkelheit brach herein, und sie hörten das ferne Geheul der Wölfe und das Bellen und Winseln der Wachhunde, die für die Nacht hinausgelassen wurden, und ritten weiter zum Tor der Abtei.

Fidelma parierte ihre Stute und zog an dem Seil, das neben dem Tor hing. Innen erklang das dumpfe Anschlagen einer Glocke.

Eine Holzplatte hinter dem Metallgitter in einem der Torflügel wurde geräuschvoll zurückgeschoben. Ein Stimme rief: »Wer läutet zu dieser Stunde die Glocke der Abtei?«

»Fidelma von Cashel begehrt Einlaß.«

Sofort schien eine lebhafte Geschäftigkeit hinter dem Tor einzusetzen. Die Holzplatte flog mit einem Knall zu. Riegel wurden lärmend zurückgezogen, ihr Metall quietschte. Dann schwangen die hohen hölzernen Torflügel langsam nach innen.

Bevor Fidelma oder Eadulf sich in Bewegung setzen konnten, kam eine weißhaarige Gestalt auf sie zugerannt.

Eadulf hatte Abt Segdae schon ein paarmal gesehen.

Aus Cashel hatte er den Prälaten als einen hochgewachsenen, würdevollen Mann von ruhiger Autorität in Erinnerung. Doch der Mann, der jetzt zur Begrüßung auf sie zueilte, schien zerzaust und wie von Sinnen. Seine sonst so heiteren, scharfgeschnittenen Züge wirkten ausgezehrt. Er bleib an Fidelmas Sattel stehen und starrte zu ihr empor wie ein Gläubiger, der an einem Schrein Trost sucht.

»Gott sei Dank! Du bist die Antwort auf unsere Gebete, Fidelma! Gott sei dafür gedankt, daß du gekommen bist!«