177535.fb2 Tod in der K?nigsburg - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

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Kapitel 17

Im Innern der Kapelle konnte man sich nirgends verstecken. Der Boden war mit Steinplatten ausgelegt, und es gab nur einen kleinen Altartisch mit einem holzgeschnitzten Kreuz darauf. Links und rechts des Kreuzes stand je eine Talgkerze in einem Metallhalter, vor dem Kreuz eine Vase mit vertrockneten Blumen.

Das Bethaus war offensichtlich verlassen. Eadulf bemühte sich, seine Befriedigung zu unterdrücken, als er sagte: »Er muß sich herausgeschlichen haben, ohne daß du ihn sahst.«

»Ich hatte den Eingang die ganze Zeit im Auge. Er ging hinein, kam aber nicht wieder heraus«, entgegne-te Fidelma mit Bestimmtheit und musterte ungläubig den Raum.

»Aller Anschein spricht dagegen.«

Ihr Blick funkelte zornig. »Im Gegensatz zu dir habe ich die Augen nicht zugemacht.«

Eadulf gestattete sich ein überlegenes Lächeln, sagte aber nichts.

Fidelma war sichtlich verwirrt. Als einzige Erklärung bot sich an, daß Bruder Bardan das Bethaus auf einem anderen Wege als durch die Tür verlassen hatte. Es gab aber keinen anderen Ausgang.

Mit einem Seufzer ließ sie davon ab, das Unergründliche ergründen zu wollen.

»Gehen wir zurück zur Abtei. Dieses Problem läßt sich nicht mit leerem Magen lösen«, schlug Eadulf vor.

Die Sonnenstrahlen fielen nun stärker auf den Tau, und stellenweise erhob sich ein leichter Nebel. Bald waren sie über das Feld zur Abtei zurückgekehrt. Die kleine Holztür zum Kräutergarten stand noch offen.

Fidelma blieb nachdenklich stehen und besah sich den Riegel.

»Nun, das beweist jedenfalls eines.«

Eadulf blickte sie fragend an und musterte dann Riegel und Tür. »Ist mir etwas entgangen?«

»Die Tatsache, daß der Riegel nicht vorgeschoben wurde, beweist, daß Bruder Bardan nicht auf diesem Wege zurückgekommen ist.«

»Woher weißt du das?«

»Weil Bruder Bardan durch diese Tür hinausgegangen ist und sie aufgeriegelt hat. Natürlich konnte er den Riegel nicht von außen vorschieben. Wäre er aber durch diese Tür zurückgekehrt, hätte er sie von innen verriegelt. Bruder Bardan ist noch da draußen.« Sie nickte in Richtung des Bethauses. »Doch ich verstehe nicht, wie er uns entwischt ist.«

Eadulf hatte keine Antwort darauf.

Sie gingen durch den Kräutergarten, über den Hof und in den Kreuzgang. Die Abtei erwachte zum Leben.

Mit düsterem Falkengesicht tauchte Abt Segdae vor ihnen auf.

»Ihr wart nicht beim Morgengebet«, begrüßte er sie. In seiner Stimme schwang ein leichter Tadel mit.

»Nein«, bestätigte Fidelma eilig. »Wir hatten viel zu tun. Kannst du uns sagen, wo sich Bruder Bardan aufhält? Ich wollte mit ihm sprechen, aber anscheinend ist er nicht in der Abtei.«

Abt Segdae schien nicht überrascht davon. »Er geht oft früh hinaus und sammelt Heilkräuter. Wahrscheinlich ist er deshalb schon unterwegs.«

»Dann ist es also ganz normal, daß Bruder Bardan so früh die Abtei verläßt?«

»Ja.«

»Neulich fiel mir eine kleine Kapelle auf, die ein Stück entfernt von der Abtei steht und die ich noch nie gesehen hatte«, bemerkte Fidelma, während sie neben Segdae durch den Kreuzgang ging.

Eadulf folgte ihnen widerwillig. Ihn zog es zum Speisesaal, er wollte endlich etwas essen und trinken.

»Ach, du meinst die kleine Kapelle des heiligen Ail-be?«

»Ein altes Bethaus aus Trockenmauern?«

»Das ist es. Es steht in einem Heidefeld«, bestätigte Segdae. »Das ist merkwürdig.«

»Was ist merkwürdig?« fragte Eadulf.

»Der dalaigh von den Ui Fidgente ... Wie heißt er doch gleich? Solam? Solam erkundigte sich gerade nach derselben Kapelle.«

»Solam?« fragte Fidelma aufgeregt, doch Segdae schien es nicht zu merken.

»Der Ort heißt Gort na Cille«, antwortete er.

»>Kirchenfeld< ist wohl ein passender Name«, meinte Fidelma. Sie hatte sich wieder gefangen. »Warum fragte Solam danach?«

»Das weiß ich nicht. Manche Leute glauben, man fände Heilung, wenn man sich mit dem Wasser von dort wäscht; man muß es vor Tagesanbruch holen«, erwiderte der Abt.

Eadulf stöhnte. Hätte er gewußt, daß es dort einen Bach gab, brauchte er jetzt nicht so zu leiden. Er konnte sich aber an keinen Bach erinnern.

»Von wo holen, Pater Abt?« fragte er harmlos. »Ich habe dort keinen Bach entdeckt.«

Abt Segdae schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen Bach, nur einen Brunnen. Er heißt Tobar na Cille, der Kirchenbrunnen, weil die Kapelle darüber errichtet wurde. Der Brunnen befindet sich im Bethaus selbst.«

Fidelma blieb plötzlich stehen.

»Meinst du damit, es gibt einen Brunnen unter den Bodenplatten der Kapelle?« fragte sie langsam.

Segdae sah sie belustigt an.

»Aber ja. Eine der Platten hat ein Scharnier und läßt sich hochklappen. Sie befindet sich hinter dem Altartisch.«

Sie hatten die Tür zu seinen Zimmern erreicht. Mehrere Mönche erwarteten ihn und wollten ihn sprechen.

»Weißt du, wo sich der Anwalt von den Ui Fidgen-te jetzt aufhält?« fragte Fidelma.

»Vor einer Viertelstunde sah ich ihn vom Morgengottesdienst kommen, aber ich weiß nicht, wo er hingegangen ist.«

Fidelmas bedankte sich beim Abt und eilte mit entschlossener Miene davon. Eadulf folgte ihr.

»Hier geht es aber nicht zum Speisesaal, Fidelma«, protestierte er atemlos.

Sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Begreifst du denn nicht?« fragte sie.

Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Was soll ich begreifen?«

»Das Rätsel von Bruder Bardans Verschwinden ist gelöst.«

Er überlegte einen Moment, dann wurde ihm klar, was sie meinte.

»Willst du damit sagen, daß sich Bruder Bardan vor uns in einem Brunnenschacht versteckte?«

»Vielleicht erfüllt der Brunnenschacht noch einen anderen Zweck. Wir müssen sofort hin und ihn uns genauer ansehen. Es gefällt mir nicht, daß sich auch Solam nach dem Bethaus erkundigt hat. Was weiß er darüber?«

Eadulf blieb plötzlich mit trotziger Miene stehen.

»Ich gehe nicht wieder dorthin, ohne Essen und Trinken mitzunehmen.«

Also ließ sich Fidelma zum Speisesaal mitziehen. Die langen Tische waren fast leer, denn die Gemeinschaft hatte schon gefrühstückt und ging nun ihrer täglichen Arbeit nach.

»Wir können uns etwas zu essen mitnehmen«, schlug Fidelma vor. »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Solam hat irgendwas vor, dessen bin ich mir sicher.«

Eadulf griff sich zwei frische, noch warme Brotlaibe und ein paar Scheiben kaltes Fleisch, Käse und Obst. Er stopfte alles in einen Beutel, den er von der Wand holte. Fidelma fand ein Wassergefäß, füllte es und reichte es ihm.

»Jetzt auf nach Gort na Cille«, sagte sie, als er zu erkennen gab, daß er fertig sei.

Im Hinausgehen konnte Eadulf der Versuchung nicht widerstehen, er langte sich noch ein Stück Brot und Fleisch und steckte es in den Mund. Ach, das tat gut!

Es war schon recht warm geworden, als sie das kleine Bethaus wieder erreichten. Sie hatten die Abtei erneut durch die Tür zum Kräutergarten verlassen und waren, so schien es ihnen, von niemandem beobachtet worden. Eadulf hatte einen beträchtlichen Teil seiner Portion aus dem Beutel verzehrt. Fidelma hingegen hatte sich mit einem Schluck Wasser begnügt.

Das Bethaus lag düster und verlassen da.

Eadulf zündete eine der Kerzen auf dem Altartisch an, damit sie die Steinplatte finden konnten, die den Brunnenschacht abdeckte. Sie war leicht zu erkennen, wenn man wußte, was man suchte. An der Platte befand sich ein kleiner eiserner Ring. Eadulf beugte sich nieder und zog daran. Er fiel beinahe auf den Rücken, denn die Platte war auf Zapfen gelagert und ließ sich mit wenig Mühe anheben.

Darunter erblickten sie ein großes schwarzes Loch.

Eadulf hielt die Kerze darüber. Das half wenig, denn sie erhellte nur ein kleines Stück.

»Völlig dunkel«, murmelte er. »Da drin kann sich niemand verstecken.«

»Schau dir mal deine Kerze an«, riet ihm Fidelma.

Eadulf verstand sie nicht. »Meine Kerze ...? Was meinst du damit?«

»Deine Kerze flackert, wenn du sie über die Öffnung hältst. Was sagt dir das?«

Eadulf betrachtete still die tropfende Kerze. Dann sah er zur Tür. Jetzt begriff er, worauf sie ihn hinauswollte.

»In dem Schacht kommt Luft hoch. Das heißt, daß da unten nicht nur Wasser ist?«

Fidelma zeigte auf den Schacht. »Es kommt noch eins dazu. Siehst du dort an der Seite die Holzleiter? Warum führt eine Leiter in einen Brunnenschacht?«

Eadulf spähte zweifelnd hinunter. »Es ist dunkel dort unten. Ich steige lieber hinab und sehe nach.«

Er hielt Fidelma die Kerze hin, doch sie schüttelte den Kopf.

»Ich bin leichter als du. Wir wissen nicht, wie stabil die Leiter ist.«

Bevor er protestieren konnte, hatte sie sich über den Rand geschwungen und kletterte hinunter in das Dunkel.

»Sie scheint ziemlich stabil zu sein«, rief sie kurz danach hinauf.

Eadulf verlor sie aus den Augen.

»Du brauchst die Kerze, damit du etwas siehst«, rief er ihr nach.

Sie gab keine Antwort.

»Fidelma!« schrie Eadulf besorgt.

Diesmal ließ sie sich sofort hören.

»Alles in Ordnung. Ich habe einen unterirdischen Gang gefunden. In dem scheint ein schwaches Licht.«

»Ich komme herunter«, erwiderte Eadulf, schwang sich den Beutel auf den Rücken und stieg in den Brunnenschacht hinein, in der einen Hand die Kerze und mit der anderen Hand sich an der Leiter festhaltend.

Nach etwa drei Metern erblickte er die Öffnung, die Fidelma entdeckt hatte. Sie war schon von der Leiter in den Gang gekrochen und hielt ihm die Hand entgegen, um ihm die Kerze abzunehmen, damit er leichter in den Eingang gelangte. Er reichte sie ihr.

»Der Gang ist weit genug«, versicherte sie ihm.

Sie hatte recht. Er war fast einen Meter breit und anderthalben Meter hoch, so daß Eadulf sich nur ein wenig zu bücken brauchte und aufpassen mußte, daß er nicht mit dem Kopf gegen die Felsdecke stieß. Der geheimnisvolle Tunnel schien sich vielfach zu winden, weil er einer natürlichen Aushöhlung des Kalksteins durch das Wasser folgte. Es war sehr feucht hier, und die Luft war abgestanden. Wie Fidelma bemerkte auch er, daß weiter hinten ein schwaches Licht glomm, das keine natürliche Quelle zu haben schien.

»Was ist das?« flüsterte er.

»Ich habe so etwas schon einmal gesehen. Es ist ein Stoff, der im Dunklen leuchtet, eine merkwürdige wachsartige Masse, mit der manche Handwerker Feuer machen. Sie ist brennbar. Ich glaube, die Griechen benannten sie nach dem Morgenstern.«

Wortlos folgten sie weiter dem Gang. Nach einiger Zeit hörte Eadulf einen unterdrückten Ausruf Fidel-mas, die plötzlich gemerkt hatte, daß sie sich aufrichten konnte. Der Gang mündete in eine leidlich große Höhle, ungefähr drei Meter hoch, rund und mit einem Durchmesser von sechs oder acht Metern.

»Hier ist niemand«, murmelte Eadulf überflüssigerweise beim Anblick der leeren Höhle.

Wie der Gang war auch die Höhle sehr feucht, in der Mitte stand eine kleine Pfütze, in die es ständig von der Decke tropfte. Echos vervielfältigten dieses Geräusch, das Eadulf auf die Dauer unerträglich vorkam.

»Hier würde niemand bleiben wollen«, meinte Fi-delma, die seine Gedanken erraten hatte. Dann wies sie auf zwei schwarze Löcher auf der anderen Seite, die Eingänge zu anderen Tunnels erkennen ließen.

»Zwei Eingänge. Welchen nehmen wir?« fragte sie.

»Den rechten«, erwiderte Eadulf, ohne nachzudenken.

Fidelma schaute ihn an, doch das unsichere Licht verbarg ihre Miene.

»Warum den rechten?« Sie hörte sich belustigt an.

Eadulf zuckte die Achseln. »Warum nicht?«

Sie schritten über den Höhlenboden, der von Flechten und Moosen glitschig war, und betraten den Gang.

Bald weitete er sich zu einer größeren Kammer. Sie war trocken und staubig. Eadulf spürte beim Einatmen den Staub im Mund und in der Luftröhre. Er mußte husten.

Staub und Steinbrocken bedeckten den Boden. Fi-delma blieb stehen und hob ihre Kerze so hoch wie möglich.

»An der Felswand wurde gearbeitet«, stellte Eadulf fest. »Wo sind wir hier gelandet? In einem Bergwerk?«

Fidelma wollte erwidern, das sei doch offensichtlich, doch sie hielt sich zurück. Sie kannte ihre scharfe Zunge. Eadulf hatte es nicht verdient, daß er sie so oft zu spüren bekam. Sie hatte in letzter Zeit oft über ihr Verhältnis zu Eadulf nachgedacht. Seine Schwächen gingen ihr zunehmend auf die Nerven. Seit neun Monaten waren sie nun zusammen unterwegs und hatten gemeinsam viele Gefahren bestanden. Dennoch war sie mit ihrer Freundschaft unzufrieden und wußte doch nicht, warum. Sie schien ständig darauf zu warten, daß er einen Fehler machte. Wie lautete der alte Spruch? Das Aufrechnen ist das Ende der Freundschaft?

Ihre Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück.

»Der Felsen hier besteht mehr aus Granit als aus Kalkstein. Ungewöhnlich. Sieh mal, diese Adern im Granit, das ist Silberglanz.«

Stirnrunzelnd schaute ihr Eadulf über die Schulter.

»Silber? Ist das ein richtiges Silberbergwerk?«

»Jemand hat hier gearbeitet, und zwar erst kürzlich.«

Sie wies auf ein kaputtes Werkzeug am Boden. Nach der frischen Bruchstelle des Stils der Spitzhacke zu urteilen, lag sie nicht länger als ein paar Tage hier.

Inzwischen hatte Eadulf einen Gesteinsklumpen aufgehoben und rieb daran. Im Licht der Kerze erkannten sie die Adern weißen Erzes.

»Gehen wir weiter«, bestimmte Fidelma. »Vielleicht erfahren wir dort vorn mehr.«

Der Gang war wieder so eng, daß sie nur hintereinander gehen konnten. Bald kamen sie nur noch in gebückter Haltung vorwärts. Nach einer Weile hörten sie Wasser rauschen.

»Da vorn ist Licht zu sehen«, sagte Fidelma plötzlich. »Diesmal ist es Tageslicht. Wir sind fast am Ausgang.«

Nur auf Händen und Knien gelangten sie nach draußen. Als sie sich erhoben, standen sie unter einem überhängenden Kalksteinfelsen und sahen einen Teich, der von Wasser gespeist wurde, das rauschend aus dem Felsen hervorsprudelte.

»Eine Quelle«, erklärte Fidelma laut, um sich in diesem Lärm verständlich zu machen.

Sie sahen sich um. Sie hatten anscheinend einen Halbkreis beschrieben, denn das Bethaus und sein Brunnen lagen nördlich von der Abtei, und jetzt waren sie auf ihrer Südseite herausgekommen. Fidelma schätzte, daß es nur vierhundert Meter bis zur Abtei waren. Ihre Mauern wurden von einem Kiefernwäldchen verdeckt. Nur die Türme waren zu sehen.

»Hätte Bruder Bardan diesen ganzen Weg zurückgelegt, wo er doch leicht die Abtei verlassen und über die Felder hierher laufen könnte?« fragte Eadulf. »Und wozu? Meinst du, es gibt da eine Verbindung zu dem Silberabbau?«

Fidelma schwieg. Vermutungen waren zwecklos.

Da erblickte Eadulf etwas auf dem Boden dicht am Ausgang. Er hob es auf.

Es war ein abgerissenes Stück brauner Stoff mit frischen Blutflecken darauf.

»Stammt das vielleicht von Samradans Kutscher? Könnten es die Wölfe hergeschleppt haben?«

Bei der Erinnerung an ihr Zusammentreffen mit den Wölfen lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Er schaute sich rasch um, ob der Höhleneingang Spuren eines Wolfslagers erkennen ließe.

Fidelma nahm ihm das Stück Stoff ab und betrachtete es. Mit düsterer Miene schüttelte sie den Kopf.

»Samradans Kutscher trug keine Kleidung dieser Art. Solchen Stoff tragen gewöhnlich Mönche und Nonnen.«

Sie schaute sich um. Vom Höhleneingang her fiel der Boden leicht ab. Das Gras war von weidenden Tieren kurz gehalten. Fidelma zeigte nach unten.

»Der Erdboden ist weich und morastig. Hier haben kürzlich viele Pferde und schwere Wagen gestanden. Sieh dir die tiefen Spuren an.«

»Woher weißt du, daß es erst kürzlich war?« fragte Eadulf.

»Die Spuren bleiben auf solchem Boden nicht länger als vierundzwanzig Stunden sichtbar ...« Sie ließ sich rasch auf ein Knie nieder. »Schau dir diesen Blutfleck an, er ist noch nicht trocken. Es dürfte dasselbe Blut sein wie auf dem Stoff.«

Eadulf bestätigte das mit einem Kopfnicken.

»Nicht älter als ein paar Stunden. Das schließt Sam-radans Kutscher aus.«

»Und die Leute aus dem Städtchen, die bei dem Überfall getötet wurden«, ergänzte Fidelma. »Anscheinend haben Reiter oder die Kutscher der schweren Wagen hier einen Mann in Mönchskleidung aufgenommen. Es gibt keine Fußspuren, also ist er mit ihnen fort. Ich bezweifle, daß er ihnen freiwillig folgte.«

»Sprechen wir von Bruder Mochta?«

»Oder von unserem Freund, dem Apotheker, der so beharrlich behauptete, Bruder Mochta wäre schon tot.«

Fidelma prüfte den Boden eine Weile, in der Hoffnung, Antworten auf die Fragen zu finden, die sie bewegten. Feststellen konnte sie nur die Spuren von mehr als einem Wagen und mehreren Pferden. Dann erkannte sie, daß die Spuren beschlagener Pferde die Wagenspuren überlagerten. Gut beschlagene Pferde deuteten meist auf Krieger hin, denn sonst ritt kaum jemand in Gruppen und hatte so sorgfältig gepflegte Pferde.

»Nachdem die Wagen hier waren«, meinte sie langsam, »muß noch eine Gruppe Reiter vorbeigekommen sein.«

Eadulf rieb sich nachdenklich das Kinn. »Also sind wir mit unseren Nachforschungen in eine Sackgasse geraten?«

»Nicht unbedingt.« Fidelma wickelte das blutbefleckte Stück Stoff vorsichtig ein und verstaute es in ihrem Tragebeutel. »Ich meine, wir sollten in die Höhle zurückgehen und sehen, wohin der andere Gang führt, bevor wir aufgeben.«

Eadulf war nicht gerade begeistert davon. »Ich habe befürchtet, daß du das sagen würdest. Ist das nicht reine Zeitverschwendung? Was auch geschehen ist, es muß hier gewesen sein.«

Fidelma schenkte ihm eins ihrer spöttischen Lächeln.

»Nach rechts gehen bedeutet nicht immer recht gehen. Wir probieren den linken Gang, bevor wir in die Abtei zurückkehren«, erklärte sie mit Bestimmtheit und verschwand wieder in dem Felsen.

Nach kurzer Zeit hatten sie wieder die große feuchte Höhle erreicht, wo das Wasser so ekelhaft in die Pfütze tropfte. Sie stiegen nun in den anderen Gang ein. Er ähnelte sehr dem ersten, den sie in dem Bethaus entdeckt hatten. Sie kamen in ihm schneller voran als in dem, der zu dem Silberbergwerk geführt hatte. Eadulf fiel auf, daß sich der Boden merklich hob wie zu einem steilen Anstieg. Es war ziemlich anstrengend, und sie legten wie auf Verabredung eine Pause ein, hockten sich auf den jetzt trockenen, staubigen Boden, der aus Schiefer zu bestehen schien.

»Wieso können wir so lange aufwärts gehen?« überlegte Eadulf laut. »So tief unter der Erdoberfläche waren wir doch gar nicht.«

»Ich nehme an, dieser Gang führt in einen der Berge rings um die Abtei. Es gibt in der Nähe einen hohen Berg namens Hill of the Cairn.« Plötzlich schnippte sie mit den Fingern. »Das ist es. Ich hatte es nur vergessen. Was sagte Bruder Tomar, als die Abtei angegriffen wurde? Er hätte von einem geheimen Gang gehört, der zum Hill of the Cairn führt.« Sie überlegte angestrengt. »Genau. Er hatte es von Abt Segdae. Er meinte, auf diese Weise könnten die Frauen in der Abtei den Angreifern entkommen.«

»Das müßte dann dieser Geheimgang sein?«

»Anscheinend ja. Falls die Berge nicht von mehreren solcher Gänge durchzogen sind. Das wäre allerdings möglich. Es soll verschiedene Höhlensysteme in dieser Gegend geben, mit unterirdischen Flüssen und Seen.«

»Heißt das, wir gehen in einen Berg hinein?« fragte Eadulf beunruhigt. Er wollte möglichst schnell wieder ans Tageslicht. »Wir haben nur noch einen Kerzenstummel, der uns bis zum Ausgang leuchten soll. Wollen wir hoffen, daß der Gang überhaupt ins Freie führt.«

Fidelma blickte auf die flackernde Kerze in ihrer Hand. Sie war kaum noch drei Zentimeter lang. In ihrem Eifer hatte sie vergessen, weitere Kerzen mitzunehmen.

»Gehen wir so schnell weiter, wie wir können«, erwiderte sie. »Mir ist aufgefallen, daß es hier diesen merkwürdigen leuchtenden Stoff nicht gibt.«

Die Vorstellung, sie könnten sich in völliger Dunkelheit unter der Erde bewegen müssen, beschleunigte ihr Tempo. Der ungleichmäßige Verlauf des Gangs bestärkte Fidelma in der Annahme, er sei früher ein unterirdischer Wasserlauf gewesen, der vom Berg herabkam und Brunnen im Tal speiste, von denen die meisten nicht mehr existierten oder deren Wasser jetzt aus anderen Quellen kam.

Plötzlich flackerte die Kerze in ihrer Hand hell auf und erlosch. Nachtschwarzes Dunkel umgab sie.

Eadulf erschauerte und blieb stehen. Er hoffte, seine Augen würden sich an die Dunkelheit gewöhnen, doch dem war nicht so.

»Eadulf«, kam Fidelmas Stimme von irgendwoher, »streck die Hand aus.«

Er tat es. Etwas streifte sie, dann spürte er den warmen Druck ihrer Hand.

»Gut. Wir dürfen uns nicht loslassen. Ich gehe langsam voran.«

»Wie willst du sehen, wohin du gehst?«

»Ich fühle es mit einer Hand. Ich kann die Decke erreichen und mich vorwärtstasten.«

Vorsichtig schoben sie sich durch die Schwärze weiter.

»Na, eins ist sicher«, meinte Fidelma fröhlich.

»Was nämlich?«

»Zurück können wir auf diesem Wege nicht - es sei denn, wir finden am anderen Ende eine Laterne.«

Es war ein schwacher Versuch, den Humor zu bewahren, und beide schwiegen wieder. Ein oder zweimal schrammte Fidelma mit dem Arm an der Felswand entlang, und Eadulf stolperte über Gesteinsbrocken. Sie kamen langsam voran, immer noch allmählich aufwärts. Dann blieb Fidelma stehen.

»Was ist?« fragte Eadulf.

»Siehst du es nicht?« flüsterte sie erregt.

Eadulf kniff die Augen zusammen und erkannte es dann auch.

»Da vorn wird es hell«, bestätigte sie. »Es ist Tageslicht. Aber da ist noch etwas anderes.«

Sie gingen ein Stückchen weiter, um eine Biegung des Ganges herum. Das Licht wurde heller, ein düsteres graues Licht, das in den Tunnel drang. In der Stille vernahmen sie das Knistern eines Feuers.

Fidelma brachte den Kopf dicht an Eadulfs Ohr. Er spürte, wie ihre Lippen seine Wange berührten.

»Keinen Ton«, flüsterte sie. »In der Höhle vor uns ist jemand.«

Fast lautlos bewegte sie sich vorwärts. Nach einer Weile wurde das Licht stärker, sie blieb stehen und ließ seine Hand los, denn jetzt konnten sie einander deutlich sehen. Vor ihnen öffnete sich eine ziemlich große Höhle, deren Eingang von einer Holzbarriere versperrt wurde, über der man ein Stück blauen Himmel erblickte. Sonnenlicht erfüllte die Höhle.

Sie war groß und trocken, nur an einer Seite lief ein kleiner Bach entlang. In der Mitte prasselte ein Feuer. Verschiedene Gegenstände lagen verstreut herum. Nahe dem Feuer ruhte auf einem Strohsack ein älterer, fülliger Mann in Mönchskleidung. Sein linker Arm und sein linker Fuß waren verbunden. Ein Stab neben ihm diente ihm offensichtlich als Krücke. Weiter befand sich niemand in der Höhle.

Mit wachsendem Erstaunen betrachteten Eadulf und Fidelma den Mann.

Eadulf betrat als erster die Höhle, und der Mann fuhr auf, stützte sich auf einen Ellbogen und langte nach dem Stab, als wolle er sich damit verteidigen. Als er Eadulfs Kutte erkannte, hielt er inne.

»Wer seid ihr?« rief er mit vor Furcht brüchiger Stimme.

Verblüfft blieb Eadulf stehen.

Fidelma schob sich an Eadulf vorbei und fand mühsam die Sprache wieder. »Hab keine Angst, Bruder Mochta. Ich bin Fidelma von Cashel.«

Der rundliche Mönch sank mit einem Seufzer auf seinen Strohsack zurück.

Eadulf blickte immer noch mit furchtsamem Staunen auf die liegende Gestalt. »Aber du bist doch tot!« entfuhr es ihm.

Der rundgesichtige Mann stützte sich wieder auf einen Ellbogen. In seinem Gesicht spiegelten sich Schmerzen, aber auch Belustigung wider.

»Da bin ich anderer Meinung, mein angelsächsischer Bruder«, entgegnete er. »Aber wenn du es beweisen kannst, unterwerfe ich mich deinem Urteil. Bei Gott, ich fühle mich dem Tode so nahe, daß ich mich nicht mit dir streiten möchte.«

Eadulf trat vor und schaute ihm prüfend ins Gesicht.

Es gab keinen Zweifel. Der Mann, der auf einen Ellbogen gestützt vor ihm lag und ihn angrinste, war derselbe mondgesichtige Mönch, den er zuletzt tot in der Leichenkammer von Cashel gesehen hatte. Es war genau derselbe Mann, bis hin zu der Vogeltätowierung, die Eadulf jetzt auf dem linken Unterarm erkannte.