177535.fb2 Tod in der K?nigsburg - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

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Kapitel 8

Bruder Eadulf streckte sich behaglich in seinem Sessel vor dem wärmenden Feuer im persönlichen Zimmer des Abts von Imleach. Er fühlte sich immer noch müde und steif. Eadulf liebte anstrengende Reisen nicht, und wenn auch der Ritt von Cashel nach Imleach verhältnismäßig kurz gewesen war, so war er doch beschwerlich gewesen. Mit Genuß nippte er an dem Becher roten Glühwein, den Abt Segdae angeboten hatte. Dankbar sog er den Duft ein. Wer auch den Wein für die Abtei einkaufen mochte, er verstand etwas davon.

Ihm gegenüber an der anderen Seite des großen Kamins saß Fidelma. Sie hatte ihren Wein noch nicht angerührt, beugte sich etwas im Sessel vor, die Hände im Schoß, und starrte tief in Gedanken auf die funkensprühenden Scheite. Der Abt saß zwischen ihnen direkt vor dem Feuer.

»Ich betete um ein Wunder, Fidelma, und dann hörte ich, daß du vor dem Tor der Abtei standest.«

Fidelma riß sich von ihrem Nachdenken los.

»Ich habe volles Verständnis für deine Notlage, Segdae«, sagte sie schließlich. Es war ihre erste Äußerung, seit Abt Segdae ihr und Eadulf erklärt hatte, daß die Reliquien des heiligen Ailbe samt ihrem Bewahrer, Bruder Mochta, verschwunden waren. Sie hatte zwar diese Reliquien nie gesehen, kannte aber natürlich ihre Bedeutung. »Doch in erster Linie muß ich die Frage der Schuld an dem Mordversuch in Cashel klären. Dafür stehen mir nur neun Tage zur Verfügung.«

Abt Segdaes Gesicht zog sich vor Entsetzen in die Länge. Fidelma hatte ihm bereits berichtet, wie die Dinge in Cashel lagen. Es gab keine Schranken der Konvention zwischen dem Abt und der Schwester des Königs. Segdae hatte als Priester im Dienst ihres Vaters gestanden und kannte Fidelma von ihrer Kindheit an.

»Das hast du mir erzählt. Aber, Fidelma, du weißt genausogut wie ich, daß der Verlust der Reliquien des heiligen Ailbe unser ganzes Volk in Furcht versetzen wird. Ihr Verschwinden kündigt den Untergang des Königreichs Muman an. Wir haben Feinde genug, die sich dieses Unglück zunutze machen werden.«

»Diese Feinde haben schon versucht, meinen Bruder und den Fürsten der Ui Fidgente zu ermorden. Sobald ich das geklärt habe, Segdae, das verspreche ich dir, werde ich mich um diese Angelegenheit kümmern. Es ist mir vielleicht mehr als anderen bewußt, welche Bedeutung die Reliquien des heiligen Ailbe besitzen.«

Eadulf setzte seinen Becher ab.

»Du meinst also nicht, daß diese beiden Ereignisse irgendwie in Verbindung stehen?« fragte er nachdenklich.

Fidelma sah ihn überrascht an.

Gelegentlich war Eadulf dazu fähig, das Nächstliegende festzustellen, das die anderen übersahen.

»Eine Verbindung zwischen dem Verlust der heiligen Reliquien und dem Mordversuch an meinem Bruder ...?« Sie verzog das Gesicht und überlegte. Es war richtig, was der Abt gesagt hatte, daß nämlich das Volk von Muman glaubte, die Reliquien des heiligen Ailbe beschützten das Wohl des Königreichs. Ihr Verlust würde zu Beunruhigung und Verzweiflung führen. Sollte der gleichzeitige Mordversuch ein bloßer Zufall sein? »Es könnte eine Verbindung bestehen«, gab sie zu. »Wie könnte man ein Königreich leichter stürzen, als wenn man gleich zu Anfang das Volk entmutigt und den König ermordet?«

»Und vergiß nicht, daß einer der Attentäter ein früherer Mönch war«, erinnerte sie Eadulf. »Er könnte von der Bedeutung der Reliquien gewußt haben.«

Abt Segdae fuhr auf, denn davon hörte er zum erstenmal.

»Willst du damit sagen, daß ein Geistlicher die Waffe gegen den König erhob? Wie könnte das geschehen? Daß ein Mann des Glaubens zum Mörder würde ... Das ist unvorstellbar!« Ihm schienen die Worte zu fehlen.

Eadulf antwortete mit einer gelassenen Geste. »Es wäre nicht das erste Mal, wie man weiß.«

»Aber nicht in Muman«, betonte Segdae. »Wer war dieser Sproß des Satans?«

»Er stammte zweifellos nicht aus unserem Königreich«, erwiderte Fidelma und kostete zum erstenmal von ihrem Wein. »Aona, der Herbergswirt am Brunnen von Ara, meint, er habe mit nördlichem Akzent gesprochen.«

Eadulf stimmte ihr zu. »Wir können mit Sicherheit annehmen, daß er aus dem Norden kam. Selbst die merkwürdige Vogeltätowierung auf seinem Unterarm wird nur an der Nordostküste vorgenommen und ist im Süden ganz unbekannt. Also stammt der Mönch nicht aus dieser Gegend.«

Abt Segdae schien plötzlich in seinem Sessel erstarrt. Er war sichtlich blaß geworden und wirkte noch hagerer als sonst. Er sah Fidelma mit beinahe entsetzter Miene an. Mehrmals setzte er zum Sprechen an, ehe die Worte aus seiner trockenen Kehle kamen.

»Hast du gesagt, der Attentäter hatte einen Vogel auf dem Unterarm eintätowiert? Und er sprach mit nördlichem Akzent?«

Fidelma bestätigte das und wunderte sich, was in den alten Abt gefahren war.

»Kannst du den Attentäter beschreiben?« fragte Segdae.

»Ein rundes Gesicht, klein, mit dichtem lockigem grauem Haar. Ein fülliger Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Die Tätowierung hatte er auf dem linken Unterarm. Der Vogel war ein Bussard.«

Abt Segdae schlug plötzlich die Hände vors Gesicht und beugte sich stöhnend vor.

Fidelma erhob sich und trat unsicheren Schritts auf den zusammengesunkenen alten Mann zu.

»Was ist?« fragte sie. »Bist du krank?«

Nach einigen Augenblicken hatte der Abt die Fassung wiedererlangt.

»Die Person, die du beschreibst, ist Bruder Mochta, unser Bewahrer der heiligen Reliquien. Der Mönch, der aus der Abtei verschwunden ist.«

Eine Weile herrschte Schweigen.

»Bist du sicher?« fragte Eadulf und kam sich selber dumm vor dabei, denn die Beschreibung ließ keinen Zweifel zu. Es konnte keine zwei Menschen geben, auf die sie paßte.

»Mochta stammt aus dem Clan Brasil in Ulaidh«, begann Segdae zögernd.

»Einem nördlichen Königreich«, ergänzte Fidelma für Eadulf.

»Er hatte dieselbe unverwechselbare Tätowierung auf seinem linken Unterarm.«

Fidelma dachte einen Moment nach.

»Dann wird die Sache nur noch rätselhafter, Segdae«, meinte sie schließlich. Ohne auf seinen verständnislosen Blick zu achten, fragte sie: »Wann hast du Bruder Mochta zuletzt gesehen?«

»Gestern abend beim Vespergebet.«

Das war das Gebet zur sechsten Stunde des kirchlichen Tages, es fand bei Aufgang des Abendsterns statt.

»Hat er die Abtei oft verlassen?« wollte Fidelma wissen.

Segdae schüttelte den Kopf. »Soviel ich weiß, hat er sie kaum je verlassen, seit er vor zehn Jahren als scrip-tor herkam.«

Eadulf zog die Brauen hoch und schaute Fidelma bedeutungsvoll an. »Sagtest du, er war euer scriptor?« fragte er rasch.

Segdae bejahte mit einer Geste. »Er kam her, um unsere Annalen zu führen, und wurde dann Bewahrer der heiligen Reliquien.«

»In Anbetracht des Wertes und der Bedeutung dieser Reliquien«, forschte Eadulf, »war es doch eigenartig, daß ein Mann aus einem anderen Königreich zu ihrem Bewahrer bestellt wurde?«

»Bruder Mochta war ein frommer und gewissenhafter Mann, der seine religiösen Pflichten gut und ohne Rücksicht auf regionale Interessen erfüllte. Er war der Abtei und seiner neuen Heimat treu.«

»Bis jetzt«, ergänzte Eadulf trocken.

»Er ist seit zehn Jahren bei uns, sechs davon als Bewahrer der Reliquien. Willst du behaupten, daß er die Reliquien stahl und gestern abend nach Cashel ging, um König Colgü zu ermorden? Das ist nicht zu glauben.«

»Aber wenn er so aussah, wie auch du ihn beschreibst, bis hin zu der Tätowierung des Bussards auf seinem linken Unterarm, dann liegt er jetzt als Leiche in Cashel und wurde erschlagen, als er vom Schauplatz des Überfalls flüchten wollte«, erwiderte Eadulf.

Abt Segdae ließ die Schultern hängen. »Doch wie erklärt sich dann seine blutverschmierte und verwüstete Zelle? Bruder Madagan, mein Verwalter, und ich nahmen an, daß Mochta von demjenigen, der die Reliquien stahl, angegriffen und verwundet wurde.«

Fidelma schaute nachdenklich drein. »Das ist ein Rätsel, das wir lösen müssen. Anscheinend haben wir damit wenigstens den Namen eines der toten Attentäter in Cashel.«

»Aber ein noch größeres Rätsel als vorher«, seufzte Eadulf. »Wenn dieser Bruder Mochta die Reliquien gestohlen hat und ...«

Fidelma unterbrach ihn, langte in ihr marsupium, den kleinen Lederbeutel an ihrem Gürtel, und reichte dem Abt ein Stück Papier. »Sieh mal, ob du das erkennst, Segdae.« Es war die Zeichnung, um die sie Bruder Conchobar gebeten hatte. Sie glättete das Papier für den Abt.

Aufgeregt nahm er es entgegen.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte er nach einem flüchtigen Blick.

»Erkennst du es?« forschte Fidelma.

»Natürlich.«

»Dann sag uns, was auf der Zeichnung ist.«

»Es ist eine der Reliquien des heiligen Ailbe. Er wurde in Rom zum Bischof geweiht, heißt es. Der Bischof von Rom, Zosimus der Grieche, soll ihm dieses Kruzifix geschenkt haben, das von den besten Künstlern Konstantinopels angefertigt wurde. Es ist aus Silber und mit fünf großen Smaragden besetzt. Wer hat diese Zeichnung gemacht und warum?«

Sorgfältig faltete Fidelma das Papier zusammen und steckte es wieder in ihr marsupium. »Dieses Kreuz wurde bei der Leiche des rundlichen Attentäters gefunden, nachdem Gionga, der Kommandeur der Leibwache der Ui Fidgente, ihn erschlagen hatte.«

Eadulf klopfte sich befriedigt auf den Schenkel. »Nun, damit ist ein Rätsel gelöst. Euer Bruder Mochta stahl die Reliquien und versuchte danach, Colgü und Donennach umzubringen.«

»Ist das Kruzifix in Sicherheit?« erkundigte sich Segdae besorgt.

»Es wird in Cashel verwahrt als Beweismaterial für die kommende Verhandlung.«

Abt Segdae seufzte tief. »Dann ist wenigstens ein Stück der heiligen Reliquien geborgen. Aber wo sind die anderen? Habt ihr sie gefunden?«

»Nein.«

»Wo mögen sie dann sein?« Der Abt jammerte beinahe in seiner Verzweiflung.

»Das müssen wir noch herausbekommen«, erklärte Fidelma. Sie leerte ihren Becher und stand entschlossen auf. »Sehen wir uns jetzt Mochtas Zelle an. Ich nehme an, ihr habt nichts darin verändert, seit ihr sie heute morgen untersucht habt?«

Der Abt schüttelte den Kopf.

»Es ist alles noch so, wie wir es vorgefunden haben«, versicherte er und erhob sich ebenfalls. »Aber ich bin entsetzt und verwundert, daß ein Mann wie Bruder Mochta so etwas getan haben soll. Er war ein so ruhiger Mensch, der nicht viel sprach, nicht einmal in eigener Sache.«

»Altissima quaeque flumina minimo sono labi«, zitierte Eadulf.

Fidelma verzog das Gesicht. »Vielleicht hast du recht. Die tiefsten Flüsse strömen mit dem geringsten Geräusch. Allerdings hinterlassen sie dabei doch Spuren, und die müssen wir entdecken. Führe uns zu Bruder Mochtas Zelle, Segdae.«

Der Abt nahm eine Lampe und ging ihnen voran. Als sie die Gänge durchschritten, hörten sie leise Töne in der Ferne.

»Die Brüder sind beim clais-cetul«, erklärte Abt Segdae, als Eadulf stehenblieb und lauschte.

Der Ausdruck war Eadulf neu.

»Sie singen im Chor«, erläuterte Segdae. »Der Begriff bedeutet Harmonie der Stimmen. Wir singen hier die Psalmen in der Art der Gallier, mit denen wir verwandt sind, und nicht in der Art der römischen classis

Eadulf bemerkte einen seltsamen akustischen Effekt in diesem Winkel der Abtei. Die Stimmen der singenden Mönche drangen klar aus der Kapelle auf der anderen Seite des Kreuzgangs herüber. Er konnte selbst die Worte unterscheiden.

Regem regum rogamus in nostris sermonibus, anacht Noe a luchtlach Diluvii temporibus ...

»In unseren beiden Sprachen«, übersetzte Fidelma nachdenklich, »beten wir zum König der Könige, der Noah und die Seinen in den Zeiten der Sintflut beschützte .«

»So etwas habe ich noch nie gehört«, gestand Ea-dulf. »Dieses Nebeneinander von Latein und Irisch in einer Strophe ist ganz seltsam.«

»Es ist eins der Lieder von Colman moccu Cluasaif, dem Lektor von Cork. Er komponierte es vor zwei Jahren, als wir unter der schrecklichen Gelben Pest litten«, erklärte Segdae.

Sie blieben einen Moment stehen und horchten, denn es lag etwas Hypnotisches in dem Steigen und Fallen des Gesangs.

»Es beruht, glaube ich, auf dem Gebet im Brevier für die Seelenmesse«, vermutete Fidelma.

»Genau so ist es, Fidelma«, bestätigte Segdae anerkennend. »Es freut mich, daß du deine religiösen Studien nicht vernachlässigst, trotz deines wachsenden Rufs als dalaigh.«

»Was uns auf den Zweck unseres Besuches zurückbringt, Segdae«, erwiderte Fidelma.

Der Abt führte sie weiter durch die dunklen Gänge der Abtei. Fackeln entlang der Steinmauern verbreiteten ein unsicheres, flackerndes Licht. Von dieser täuschenden und stark riechenden Beleuchtung abgesehen, lag die Abtei in Dunkelheit gehüllt.

»Vielleicht wäre es klüger gewesen, bis morgen zu warten«, murmelte Eadulf, nachdem er sich umgesehen hatte. »Ich glaube nicht, daß wir bei diesem Licht viel erkennen können.«

»Vielleicht«, gab Fidelma zu. »Es stimmt, daß künstliches Licht trügerisch sein kann, aber ich möchte doch einen ersten Blick in die Zelle werfen, denn je länger die Dinge sich selbst überlassen bleiben, desto eher kann etwas verändert werden.«

Schweigend schritten sie durch die hallenden Gänge der Abtei und durch den Kreuzgang.

»Der Wind kommt wieder aus Südwest«, murmelte der Abt, als die Fackeln besonders stark flackerten. Er blieb vor einer Tür stehen, öffnete sie, trat zur Seite und hob die Lampe hoch.

Das Licht fiel in die durchwühlte Zelle.

»Es ist alles noch so, wie Bruder Madagan und ich es heute früh vorfanden. Übrigens« - Segdae wandte sich entschuldigend an Eadulf - »wollte ich dich noch fragen, ob du diese Nacht mit in Madagans Zelle schlafen würdest, denn unser Gästehaus ist überbelegt. Nur die eine Nacht, wohlgemerkt. Eine Schar Pilger auf dem Weg zur Küste übernachtet hier. Sie wollen sich dort einschiffen für die Fahrt zum Schrein des heiligen Jakob von dem Sternenfeld.«

»Ich habe nichts dagegen, das Zimmer mit Bruder Madagan zu teilen«, antwortete Eadulf.

»Gut. Morgen wird unser Gästehaus wieder nahezu leer sein.«

»Soll ich heute auch bei jemandem übernachten?« fragte Fidelma zerstreut, während sie sich in der Zelle umschaute.

»Nein, dir habe ich ein eigenes Zimmer reservieren lassen, Fidelma«, versicherte ihr Segdae.

Fidelma betrachtete das Chaos. Sie gab es ungern zu, aber Eadulf hatte vollkommen recht. Bei dem künstlichen Licht war kaum etwas festzustellen.

Wichtige Gegenstände konnten im Schatten verborgen bleiben. Sie seufzte und wandte sich um.

»Wir sehen uns wohl den Raum am besten im Morgenlicht an«, meinte sie, ohne Eadulf dabei anzublik-ken.

»Sehr gut«, stimmte ihr der Abt zu. »Ich sorge dafür, daß niemand etwas anrührt.«

Während er die Zelle verschloß, fragte Fidelma: »Du sagtest, daß die Pilger euer Gästehaus belegen. Halten sich auch andere Reisende dort auf?«

»Nur die Pilger.«

»Niemand anderes?«

»Nein. Ach doch, der Kaufmann Samradan. Den müßtest du kennen. Er kommt aus Cashel.«

»Ich kenne ihn nicht, habe aber gehört, daß mein Vetter Donndubhain ihn kennt. Was kannst du mir über ihn sagen?«

»Ziemlich wenig«, meinte der Abt achselzuckend. »Er treibt Handel mit der Abtei, seit ungefähr zwei Jahren. Ich weiß nur, daß er aus Cashel stammt und oft mit seinen Wagen herkommt. Er ist dann unser Gast.«

Fidelma nickte nachdenklich. »Wagen, sagst du? Wer fährt sie?«

»Er hat drei Gehilfen, aber die bleiben lieber in der Herberge der Stadt außerhalb der Abtei.« Der Abt rümpfte mißbilligend die Nase. »Nicht das beste Haus, es steht in keinem guten Ruf. Es ist keine rechtmäßige Herberge, denn sie hat keine Lizenz vom bo-aire, dem Ortsvorsteher. Ich mußte schon ein- oder zweimal ge-gen die Herbergswirtin vorgehen, eine Frau namens Cred, wegen ihrer lockeren Moral ...«

Fidelma war nicht an der Moral von Frau Cred interessiert und unterbrach ihn: »Seit wann hält sich Samradan diesmal schon bei euch auf?«

Segdae rieb sich die Nase, als helfe dies seinem Gedächtnis nach. »Du scheinst sehr interessiert an diesem Samradan. Steht er irgendwie unter Verdacht?«

Fidelma machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein. Aber ich kenne die meisten Einwohner von Cashel, Samradan jedoch kenne ich nicht. Seit wann ist er in der Abtei, sagst du?«

»Seit ein paar Tagen. Nein, eher wohl seit einer Woche. Du siehst ihn sicher morgen beim Frühstück. Vielleicht sagt er dir, was du wissen mußt. Sollte ich euch jetzt eure Nachtquartiere zeigen?«

Eadulf lächelte erfreut. »Ein guter Vorschlag, Lord Abt. Ich bin erschöpft. Es war ein langer Tag voller Anstrengungen.«

»Nachdem ihr euch erfrischt habt«, fuhr der Abt fort, »werdet ihr euch sicher den Brüdern zum Mitternachtsgottesdienst anschließen wollen.«

Ihm fiel die Leidensmiene des Angelsachsen nicht auf, als er sie weiter einen Gang entlang und über den Hof mit dem Kreuzgang führte.

»Dies ist unser Gästehaus«, sagte er, wies auf eine Tür und klopfte an.

Die kleine, schattenhafte Gestalt, die auf der Schwelle erschien, war an ihrer Silhouette deutlich als weiblich auszumachen.

»Hier ist unsere domina, Schwester Scothnat.«

Eadulf wurde erst jetzt klar, daß die Abtei Imleach ein conhospitae war, ein gemischtes Haus, in dem Mönche und Nonnen gemeinsam wohnten und arbeiteten. Solche »Doppelhäuser« waren bei seinem Volk selten, doch er wußte, daß bei den religiösen Gemeinschaften der Briten und Iren solches Zusammenleben üblich war.

»Dies ist Schwester Fidelma, Scothnat.«

Schwester Scothnat knickste aufgeregt, denn sie wußte, daß Fidelma die Schwester des Königs war.

»Ich habe dein Zimmer fertig, Lady«, verkündete sie atemlos. »Als mir der Abt deine Ankunft mitteilte, habe ich es gleich vorbereitet.«

Fidelma legte Schwester Scothnat leicht die Hand auf den Arm. Normalerweise machte sie unter Nonnen keinen Gebrauch von ihrer Verwandtschaft mit dem König von Muman. Nur wenn sie besondere Autorität benötigte, griff sie darauf zurück.

»Ich heiße Fidelma. Schließlich sind wir alle Schwestern im Glauben, Scothnat.« Sie wandte sich an Segdae und Eadulf. »Dann also bis zum Mitternachtsgottesdienst. Dominus vobiscum.«

»Dominus tecum«, antwortete Segdae feierlich.

Der Abt ging mit Eadulf wieder zurück über den Hof zu einem Gang auf der anderen Seite, wo sie ein hochgewachsener Mönch begrüßte.

»Madagan«, stellte der Abt ihn vor. »Das trifft sich gut, wir suchten dich gerade. Dies ist Bruder Eadulf. Weil diese Nacht die Pilger das Gästehaus belegen, schlage ich vor, daß du ihn in deiner Zelle aufnimmst, denn du hast ja noch ein zweites Bett.«

Bruder Madagan maß Eadulf mit einem forschenden Blick, als wolle er ihn abschätzen. Seine Augen waren kalt, und von seinem Lächeln ging keine Wärme aus.

»Du bist höchst willkommen, Bruder.«

»Gut.« Das Wort paßte nicht zu Segdaes unglücklichem Ton. »Dann sehe ich dich beim Mitternachtsgottesdienst, Bruder Eadulf.« Mit niedergeschlagener Miene verschwand der Abt.

»Ich bin der Verwalter der Abtei«, erklärte Mada-gan vertraulich und führte Eadulf zu einer Tür auf dem Gang. »Meine Zelle ist größer als die meisten anderen, ich hoffe, du findest sie auch bequem.«

Sie enthielt zwei kleine Betten, zwei Tische und einen Stuhl. Auf dem Tisch stand eine Kerze, sonst lag darauf nur ein kleines ledergebundenes Buch. Auf einem zweiten Tisch hinter der Tür befanden sich ein Wasserkrug, eine Schüssel und ein paar Handtücher. Alles war sehr sauber und ordentlich.

Bruder Madagan wies auf eins der Betten: »Das ist dein Lager, Bruder . entschuldige, ich kann deinen angelsächsischen Namen nicht aussprechen, er ist zu schwer für mich.«

»E-a-dulf«, wiederholte Eadulf geduldig.

»Hat er eine Bedeutung?«

»Er bedeutet >edler Wolf<«, erklärte Eadulf nicht ohne Stolz.

Bruder Madagan rieb sich nachdenklich das Kinn.

»Ich überlege, wie man das in unsere Sprache übersetzen könnte - vielleicht Conri, König der Wölfe?«

Eadulf schnaufte mißbilligend. »Der Name eines Menschen braucht nicht übersetzt zu werden. Er ist, wie er ist.«

»Da hast du wohl recht«, gab der Verwalter zu. »Darf ich dir sagen, daß du unsere Sprache gut sprichst?«

Eadulf hatte sich zur Probe auf das Bett gesetzt. »Ich habe in Durrow und Tuaim Brecain studiert.«

Madagan war überrascht. »Trotzdem trägst du die Tonsur eines Ausländers?«

»Ich trage die Tonsur des heiligen Petrus«, verbesserte ihn Eadulf mit Bestimmtheit, »so wie sie zum Gedenken an die Dornenkrone unseres Heilands geschnitten wird.«

»Aber das ist nicht die Tonsur, die wir in den fünf Königreichen tragen oder die Briten oder die Männer von Alba und Armorica.«

»Es ist die Tonsur aller derer, die der Regel Roms folgen.«

Bruder Madagan zog eine säuerliche Miene. »Du bist stolz auf deine Tonsur, Edler Wolf der Angelsachsen«, bemerkte er.

»Ich möchte keine andere tragen.«

»Natürlich nicht. Nur wirkt sie auf die Brüder hier absonderlich.«

Eadulf wollte das Gespräch schon abbrechen, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. »Aber du mußt sie doch schon oft gesehen haben«, entgegnete er langsam.

Bruder Madagan goß gerade Wasser zum Händewaschen in eine Schüssel. Er wandte sich zu Eadulf um und schüttelte den Kopf. »Die Tonsur des heiligen Petrus? Das kann ich nicht sagen. Ich habe Im-leach kaum jemals verlassen, bin hier in der Nähe am Hang des Cnoc Loinge geboren, im Süden von hier. Sie nennen ihn den Schiffsberg, weil er die Form hat.«

»Wenn du sie noch nie gesehen hast, wie würdest du dann die Tonsur Bruder Mochtas beschreiben?« wollte Eadulf wissen.

Bruder Madagan zuckte verwundert die Achseln. »Wie ich die beschreiben würde?« wiederholte er langsam. »Ich verstehe dich nicht.«

Eadulf stampfte beinahe mit dem Fuß auf vor Ärger. »Wenn meine Tonsur dir seltsam vorkommt, dann könntest du doch sicher etwas dazu sagen, daß Bruder Mochta dieselbe Tonsur trug, bis er vor kurzem sein Haar wieder wachsen ließ?«

Nun war Bruder Madagan völlig verwirrt. »Aber Bruder Mochta trug doch keine Tonsur wie deine, Bruder Edler Wolf.«

Eadulf bezwang seinen aufsteigenden Zorn und erklärte: »Bruder Mochta trug, soviel ich weiß, die Tonsur des heiligen Petrus bis vor ein paar Wochen.«

»Da irrst du dich, Edler Wolf. Bruder Mochta trug die Tonsur des heiligen Johannes, die wir hier alle tragen, den Kopf rasiert bis zu einer Linie von Ohr zu Ohr, damit man die Dornenkrone sehen kann, wenn man einen Bruder anblickt.«

Nun war die Reihe an Eadulf, völlig verwirrt zu sein. Er setzte sich auf sein Bett.

»Damit ich dich ganz richtig verstehe, Bruder Ma-dagan. Willst du mir sagen, daß Bruder Mochta nicht so eine Tonsur trug wie ich?«

»Ganz bestimmt nicht«, bekräftigte Bruder Mada-gan.

»Und er ließ auch nicht sein Haar wachsen, um sie zu verdecken?«

»Noch viel weniger. Jedenfalls war es so, als ich ihn gestern abend beim Vespergebet sah. Er trug die Tonsur des heiligen Johannes.«

Eadulf saß da und starrte ihn an, während ihm aufging, was der Mann da sagte.

Wer der erschlagene Mönch in Cashel auch sein mochte, trotz der passenden Beschreibung bis hin zur Tätowierung konnte er nicht Bruder Mochta von Im-leach sein. Er konnte es wirklich nicht sein. Aber wie war so etwas möglich?