177532.fb2 Tod bei Vollmond - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 15

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Kapitel 13

Nicht nur Accobrans Beschreibung führte Eadulf zu Mochtas Werkstatt, auch der stechendes Geruch, den die Farbstoffe verbreiteten, wies ihm den Weg.

Wie war nur die irische Bezeichnung für die Pflanze, die er suchte? Er meinte, daß sie brachlais oder so ähnlich heißen mußte. Im Angelsächsischen nannte man sie einfach Kraut - und die Christen kannten sie als Johanniskraut, nach Johannes dem Täufer, weil sie im Juni blühte, in dem die Geburt des Apostels gefeiert wurde. Diese Pflanze konnte - den alten Heilkundigen von Tuam Brecain nach - solche Zustände lindern, in denen sich Fidelma jetzt vermutlich befand. Sie wurde allerdings nur in den Sommermonaten gesammelt, sonst hätte er sie selbst in der üppigen Pflanzenwelt der Gegend suchen können. Er wußte aber, daß man in den restlichen Monaten des Jahres außer im Laden des Apothekers noch woanders Johanniskraut fand. Man benutzte es nämlich auch zum Färben.

Mochta, der Färbermeister, begrüßte ihn freundlich.

»Willkommen, sächsischer Bruder. Ich weiß, wer du bist und was dich in diese Gegend geführt hat. Ich habe dich und die Schwester des Königs neulich gesehen. Was willst du von mir?«

Eadulf erklärte ihm sein Anliegen.

»Johanniskraut?« Mochta überlegte. »Das verwende ich schon. Natürlich verwende ich es. Aus den Blüten gewinne ich Purpur, aus dem grünen Kraut Gelb. Eine sehr nützliche Pflanze für einen dathatoir. Wozu brauchst du sie?«

»Gib dich damit zufrieden, daß ich Verwendung dafür habe, mein Freund. Wenn du mir ein paar Stengel davon verkaufst, was müßte ich dafür bezahlen?«

Mochta rieb sich das Kinn.

»Wofür könntest du wohl Johanniskraut verwenden?« fragte er wieder. »Du willst doch am Ende keine Farbstoffe damit herstellen?«

Eadulf lachte. »Nein, ganz bestimmt nicht, Färbermeister. Über das Färben hinaus sind Pflanzen auch sonst sehr nützlich.«

»Ah, ich verstehe. Dann bist du so eine Art Heilkundiger, nicht wahr?«

»Ich habe Medizin studiert, aber ich bin eher ein Botaniker, als daß ich mich mit besonderen medizinischen Fähigkeiten brüsten könnte.«

Mochta strich sich mit dem Zeigefinger über die Nase, während er nachdachte. »Ich kann dir für einen screpall ein Bund Johanniskraut verkaufen, aber nicht mehr.«

»Ein Bund genügt mir schon«, erklärte Eadulf.

Am Abend war das Angelusläuten gerade verklungen, als sich die Leute in Beccs Halle versammelten. Eadulf setzte sich unauffällig auf einen der hinteren Plätze. Die meisten, die gekommen waren, hatte er am Vormittag auf Lesrens Beerdigung gesehen. Auch einige Brüder aus der Abtei waren erschienen.

Bebhail und Tomma hatte man genau gegenüber dem Amtssessel des Fürsten in die erste Reihe gesetzt. Unmittelbar hinter ihnen hatten Bebhails Verwandte Platz genommen, um ihr Beistand zu leisten. Zu beiden Seiten des Amtssessels standen weitere Stühle.

Nun trat Accobran mit einem Amtsstab ein, mit dem er dreimal auf den Boden klopfte, um für Ruhe zu sorgen. Ihm folgten Becc und anschließend Fidelma und Abt Brogan. Der Fürst nahm seinen Sessel ein, und Fidelma setzte sich zu seiner Rechten, der Abt zu seiner Linken. Accobran ließ sich neben dem Abt nieder.

Becc sah Fidelma an und gab ihr das Zeichen, mit der Verhandlung zu beginnen.

»Es geht hier um einen traurigen Fall«, fing Fidelma ruhig an. »Erfreulicherweise liegt er einfach. Bebhail hat gestanden, ihren Mann Lesren, den Gerber, getötet zu haben. Tomma wiederum hat gestanden, durch seine Falschaussage das Gesetz behindert zu haben. Bebhail und Tomma haben die Umstände des Verbrechens aus ihrer Sicht erläutert. Euer Fürst und ich haben diese Angelegenheit im Beisein des Abts und des Tanist besprochen. Wir haben gemeinsam einen Beschluß gefaßt.«

Sie machte ein Pause und blickte zu Bebhail und Tomma, die mit blassen Gesichtern zu Boden sahen.

»Die Taten wurden gestanden. So bleibt uns nur, das Strafmaß zu verkünden. Möchte einer von euch beiden vielleicht noch etwas äußern, was die Strafen mindern könnte?«

Lesrens Witwe schüttelte den Kopf, doch Tomma schaute auf. Offenbar wollte er gerade zu reden anfangen, da legte ihm Bebhail die Hand auf den Arm, woraufhin er die Augen wieder auf den Boden heftete.

»Nun gut. Bei dem Verbrechen des fingal, das Bebhail vorgeworfen wird, haben wir die Umstände der Tat in Betracht gezogen. Im Cairde-Gesetzestext steht, wie ich schon den beiden Tatgeständigen erklärt habe, daß es gestattet ist, jemanden aus Notwehr zu töten. Und in dem Text heißt es klar und deutlich, daß jede Art von Verletzung des Angreifenden nicht verfolgt wird. Bebhail wurde in einen Zustand getrieben, in dem sie nicht in vollem Umfang für ihre Taten verantwortlich gemacht werden kann, und in diesem Zustand hat sie Lesren getötet. Was die Tat selbst betrifft, so wird das Gericht sie nicht ahnden. Doch«, fuhr Fidelma rasch fort, denn in der Halle erhob sich lautes Gemurmel, »für das verspätete Geständnis erheben wir eine minimale Geldstrafe, denn dadurch wurden unsere Untersuchungen auf gefährliche Weise behindert. Dafür muß Bebhail ihrem Fürsten zwei screpall zahlen.«

Bebhail weinte, doch durch die Tränen schimmerte ein Lächeln. Eine Gerberwitwe konnte diese Geld-strafe leicht aufbringen; auch ihre Verwandten waren zufrieden. Fidelma bat um Ruhe.

Dann wandte sie sich an Tomma, der ganz offensichtlich überrascht war über Bebhails geringes Strafmaß.

»Tomma, ich fürchte, daß von den Vergehen, über die heute hier geurteilt wird, deines schwerer wiegt. Ich habe dir bereits erklärt, daß eine Falschaussage von Gott nicht verziehen wird. Hier gilt nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Für deine Falschaussage hast du die Konsequenzen zu tragen.«

Jetzt umklammerte Bebhail die Hand ihres Gefährten und blickte mit ihrem verheulten Gesicht Fidelma an. »Aber er hat es um meinetwillen getan, um mich zu beschützen, Lady. Er hat für mich gelogen. Kannst du nicht Gnade walten lassen ... Kannst du nicht ...«

Fidelma betrachtete sie kühl, so daß sie schließlich schwieg.

»Das Gesetz kennt keine Rechtfertigung für Lügen«, erwiderte sie entschlossen. »Doch als Richter und Auslegende des Rechts haben wir auch die Tatumstände in Betracht gezogen, so ist es unsere Pflicht. Dennoch verlangt das Gesetz einen Preis für falsche Rede.«

Tomma tätschelte beruhigend Bebhails Hand.

»Ich bin bereit, meine Strafe anzunehmen, Lady.«

»Du wirst für ein Jahr und einen Tag deinen Sühnepreis verlieren. Als Pfand dafür wirst du eine Geldstrafe in Höhe deines Sühnepreises leisten.«

In der Halle herrschte eisiges Schweigen, die Anwesenden versuchten sich klarzumachen, was dieses Urteil bedeutete. Fidelma lächelte düster in die erstaunten Gesichter.

»Tomma, ich nehme an, daß du zu jenen gehörst, die kein Land besitzen, das ihnen von ihren Vorfahren vererbt wurde. Du gehörst zu den Fer Midbad.«

Langsam nickte der Gerber.

»Und das bist du schon seit vierzehn Jahren, nicht wahr?«

»So ist es.«

»Dann entspricht dein Sühnepreis gemäß dem Gesetz dem Wert einer einjährigen Kuh, das sind umgerechnet vier screpall. Kannst du diese Summe zahlen?«

Tomma mußte schlucken, so erleichtert war er auf einmal. »Das kann ich, Lady.«

»In einem Jahr wird dir dein Sühnepreis wieder zurückgegeben, vorausgesetzt, daß du nicht noch einmal gegen das Gesetz verstoßen hast.«

Unter jenen, die Lesren nicht hatten leiden können und Mitgefühl mit Bebhail empfanden, wurden leise Sympathiebekundungen laut. Die Familienangehörigen lehnten sich vor und gratulierten beiden. Niemand meinte, das Urteil sei zu streng ausgefallen. Und niemand nahm Rücksicht auf Accobran, der Ruhe verlangte. Becc blickte zu Fidelma, lachte und zuckte mit den Schultern.

»So können alle erst einmal aufatmen«, meinte Fidelma und stand auf. »In ihrer Erleichterung haben sie ganz vergessen, daß wir noch drei Morde aufklären müssen.«

Am nächsten Morgen machten Fidelma und Eadulf am Rand des Hügels halt, um den Pferden eine Pause zu gönnen. Sie blickten auf die Straße hinab, an der die Hütte des Jägers stand.

Eadulf war ein wenig verärgert darüber, daß alle seine Bemühungen, Fidelma zu einem Schluck Johanniskrauttee zu überreden, gescheitert waren. Sie hatte gemeint, er solle das Zeug weggießen, nichts könne sie dazu bringen, es zu kosten. »Pure Zeitverschwendung«, hatte sie mürrisch erklärt.

»Ich habe noch nie erlebt, daß du dich in einem Fall allein auf dein Gefühl und nicht auf logische Schlußfolgerungen aus bewiesenen Fakten verlassen hast«, meinte Eadulf jetzt verstimmt. »Allerdings sind es ja meist Dinge, die mir entgangen sind, aus denen du deine Schlußfolgerungen ziehst.«

Fidelma schüttelte sofort heftig den Kopf.

»Ich weiß auch nicht mehr als du«, erwiderte sie mit Entschiedenheit.

»Gut. Du kannst mich nicht überzeugen. Ich kenne dich zu gut. Wir wollen Menma aufsuchen und dann das Eberdickicht genauer erkunden, egal, was uns dort erwartet. Offenbar wirst du mir das Ganze erklären, wenn du es für richtig hältst.«

Bald hatten sie Menmas Blockhütte erreicht. Noch ehe sie absitzen konnten, trat eine hübsche junge Frau mit schulterlangem weizenblondem Haar aus der Tür. Sie wischte sich die Hände an einem Tuch ab und musterte nacheinander die beiden Besucher. Dann lachte sie auf einmal.

»Du mußt Lady Fidelma sein, und das ist dein Gefährte. Mein Mann hat mir gestern von euch erzählt. Wollt ihr zu ihm?«

Fidelma beugte sich über den Hals des Pferdes. »So ist es. Bist du Menmas Frau?«

»Ja. Ich heiße Suanach, Lady.«

»Ist der Zeitpunkt ungünstig?«

»Nein, ganz und gar nicht, Lady. Ich werde ihn rufen.«

Sie schritt zu einem Holzbalken beim Eingang, wo an einem Nagel ein Horn am Lederriemen hing, nahm es ab, holte ein paarmal probeweise Luft, setzte es an die Lippen und blies hinein. Dann hängte sie es wieder zurück und lauschte. Eadulf wollte schon etwas sagen, da legte sie einen Finger an den Mund. Kurz darauf hörte man die Antwort von einem anderen Horn aus dem Wald.

Suanach lächelte. »Er ist nicht weit weg. Gleich wird er hier sein. Wollt ihr absitzen und ein wenig Met trinken?«

Eadulf wollte das Angebot schon ablehnen, doch Fidelma willigte sofort ein. Da wurde ihm bewußt, daß er beinahe eine der wichtigsten Regeln des menschlichen Zusammenlebens verletzt hatte. Wenn einem jemand seine Gastfreundschaft anbot, mußte man sie annehmen, und sei es nur symbolisch.

Sie saßen in der Hütte am Tisch, der Met war eingeschenkt, da öffnete sich die Tür, und Luchoc kam als erster hereingestürzt. Er winselte und beschnüffelte sie mißtrauisch. Dann trat Menma ein und begrüßte sie.

»Ich habe eure Pferde draußen erkannt. Sitz, Luchoc! Sitz!«

»Wir wollten dich fragen, ob ...«, fing Fidelma an.

»Ob ich euch die Höhlen im Eberdickicht zeige?« Menma lächelte. »Gewiß führe ich euch hin. Wann seid ihr zum Aufbruch bereit?«

»Natürlich sofort ...«, meinte Eadulf, doch da traf ihn unter dem Tisch Fidelmas Fuß.

»Wir sind bereit, nachdem wir Suanachs ausgezeichneten Met genossen haben«, führte sie seinen Satz zu Ende. »Wir sollten mit der Höhle oben auf dem Hügel beginnen, die du erwähnt hast.«

Als sie sich für die Gastlichkeit gebührend bedankt hatten, folgten Fidelma und Eadulf dem Jäger und seinem Hund zu Pferd den bewaldeten Hügel hinauf. Menma zog es vor, zu Fuß zu gehen. Er lief so behende und ausdauernd, daß er den vor Anstrengung schnaubenden Pferden immer ein Stück voraus war. Bald bemerkte auch Fidelma, daß es ein Fehler war zu reiten. Als sie eine Lichtung erreichten, stieg sie vom Pferd. Eadulf folgte ihr mit einem kleinen Dankgebet auf den Lippen.

»Es ist vermutlich das beste, die Pferde hier anzubinden und zu Fuß weiterzugehen«, sagte sie zu Menma.

Der Jäger nickte.

»Das Gelände ist für Pferde nicht gerade geeignet«, bestätigte er. Er zeigte auf die Hügelkuppe, die unter Bäumen versteckt lag. »Dort ist das, wonach ihr sucht. Der Eingang der alten Mine befindet sich da oben.«

»Warum nennt man diesen Ort hier Eberdickicht?« wollte Eadulf wissen, als sie zu Fuß weiter bergan stiegen. Nachdenklich blickte er auf die Eichen und Erlen zu beiden Seiten des Pfades.

»Hast du nicht die Geschichte von Orc-Triath, dem König der Wildschweine, gehört?« fragte Menma lächelnd.

Eadulf verneinte.

»Der Eber gehörte einst zu den Fruchtbarkeitssymbolen der keltischen Muttergöttin Brigid, Tochter von Dagda, dem Vater der alten Götter und Göttinnen von Eireann.«

»In der alten Legende heißt es, daß der Eber ein mächtiges Wesen aus dem Jenseits war und für Raub und Zerstörung stand«, erklärte Fidelma.

»Viele Jäger sind ihm schon im Wald begegnet, haben sich aber nicht getraut, es zu erzählen«, fügte Menma auf einmal ernst hinzu.

Eadulf zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Glaubst du das wirklich?«

»Es geht dabei nicht um Glauben, sondern um Wissen, sächsischer Bruder«, erwiderte der Jäger. »Der Legende nach war hier das Gebiet, in dem Orc-Triath sein Unwesen trieb.«

»Was ist das dort oben?« fragte Fidelma und deutete auf ein paar graue Kalkfelsen zu ihrer Rechten, die unter den Bäumen wie eine merkwürdige Festung wirkten. Sie wollte nicht weiter in alten Legenden herumstöbern, sondern sich auf den Zweck ihrer Unternehmung konzentrieren.

»Die Stelle dort genau oberhalb des Steinkreises der Wildschweine? Die nannte man früher Derc Crosda.«

Neugierig betrachtete Fidelma die Kalkfelsengruppe.

»Der verbotene Ort der Dunkelheit?« übersetzte sie den Namen. »Das bedeutet wohl Höhle, schätze ich.«

»Ich muß dich warnen, denn die Gänge befinden sich wahrscheinlich in schlechtem Zustand und sind gefährlich. Das Bergwerk ist vor langer Zeit stillgelegt worden«, sagte Menma.

»Wir werden vorsichtig sein. Wir wollen uns die Höhle mal anschauen.«

Menma rief seinen Hund, und sie bahnten sich einen Weg durch das Dickicht.

»Danach hast du gesucht, Lady«, erklärte der Jäger und deutete auf den Höhleneingang.

Die Öffnung war recht groß. Man konnte leicht erkennen, daß hier einst viele Menschen ein und aus gegangen waren. Der Eingang war sogar erweitert worden; Äxte und Hämmer hatten an den Wänden ihre Spuren hinterlassen.

Drinnen konnte man im einfallenden Licht sehen, daß das Geröll am Boden bald in Sand überging.

»Das ist der Tanzplatz der Siog«, erläuterte Menma mit gedämpfter Stimme.

»Der was?« fragte Eadulf.

»Der Feen«, antwortete der Jäger. »Die Legende berichtet, daß hier die Feen tanzen. Wenn du einen Stein auf den Boden wirfst, wird er nicht lange liegen-bleiben, denn die Feen säubern den Boden, damit sie dort tanzen können.«

Eadulf rümpfte abschätzig die Nase. »Sieht so aus, als sei der ganze Hügel von Legenden umwoben.«

»Gewiß doch, sächsischer Bruder. Jeder Spalt, jede Ritze dieses Landes ist erfüllt von tausend Jahren Leben und Erfahrung. Gibt es in deinem Volk nicht auch alte Sagen?«

»Können wir von irgendwoher Fackeln auftreiben?« fragte Fidelma ungeduldig. »Ich möchte mir die Höhle näher anschauen. Wir hätten welche mitbringen sollen.«

»Ich werde mein Bestes tun, Lady. Ein paar Laternen oder eine Kerze täten es sicher auch. Ich habe nicht daran gedacht.«

Bald darauf kehrte Menma mit zwei großen Brandfackeln wieder, die er selbst zurechtgeschnitten und mit trockenem Gras umwickelt hatte.

Die Höhle erwies sich als recht groß. Vor langer Zeit hatte man hier gearbeitet; die Reste eines alten Schmiedeofens und ein zerfallener Blasebalg in einer Ecke deuteten darauf hin.

»Diese Mine ist bereits vor vielen Generationen aufgegeben worden«, erklärte Menma. »Man hat mir erzählt, daß es hier einst reiche Goldvorkommen gab.«

Fidelma blickte sich aufmerksam um. In einer Ecke ragte ein Stalagmit mit hohler Spitze vom Boden auf. An der Decke über ihr hing ein Tropfstein, von dem es in ein kleines Becken darunter tropfte. Hinter ein paar Steinblöcken entdeckte sie einen Spalt in der Höhlenwand. Fidelma wollte sofort herausfinden, ob er irgendwohin führte.

»Vorsichtig, Lady«, rief Menma besorgt. »Es gibt hier viele lose Steine.«

Fidelma erwiderte nichts. Sie quetschte sich durch den Spalt.

»Fidelma!« rief Eadulf aufgeschreckt. »Um Himmels willen, sei vorsichtig!«

»Hier geht es weiter«, erscholl ihre Stimme, und sie und die Fackel waren verschwunden. »Kommt schon.«

Eadulf und Menma, der die zweite Fackel hielt, sahen sich kurz an. Dann winkte der Jäger Eadulf zu, daß er zuerst gehen sollte. Eadulf biß die Zähne zusammen, tauchte ins Dunkel und schob sich mit angehaltenem Atem durch den schmalen Spalt. Schon befand er sich in einem anderen Raum. Er war so groß wie die Festhalle eines wohlhabenden Fürsten. Es gab hier viele außergewöhnliche Tropfsteine, Stalagmiten auf dem Boden und an den Decken Stalaktiten.

Fidelma hatte den Raum schon fast durchquert, als Menma zu ihnen stieß.

»Hier entlang!« rief sie und verschwand in einem anderen Gang.

Die beiden Männer waren gezwungen, ihr zu folgen.

Der Gang war nicht so eng wie der Spalt, und er war hoch genug, um darin aufrecht laufen zu können, doch er führte in die Tiefe. Eadulf spürte, wie es immer weiter bergab ging. Dieser Gang war offenbar von Menschenhand geschaffen, denn er war rechtek-kig und gerade, die Seitenwände waren so glatt wie der Boden.

»Ich hoffe, daß wir genug Licht haben, um den Spalt wiederzufinden, der uns zum Ausgang zurückbringt«, murmelte er besorgt.

Menma, der ihm folgte, antwortete nicht darauf, doch das Gebet, das er vor sich hin murmelte, verriet, daß auch er nicht so glücklich über Fidelmas forsches Vorauspreschen war.

Plötzlich endete der Gang in einem hohen, runden Raum, in dessen Mitte sich ein schwarzes Wasserbek-ken befand, das offensichtlich sehr tief war. Der Raum war wunderschön, Stalaktiten hingen von der Decke, Stalagmiten wuchsen an verschiedenen Stellen aus dem Boden bis zu fast sechs Metern in die Höhe. Noch atemberaubender waren die kristallinen Ablagerungen, mit denen die Stalagmiten und die Felsblöcke überzogen waren und die kleinen Trauben glichen.

»Dort drüben gibt es mehrere Gänge, die von hier fortführen«, erklärte Fidelma.

Menma hielt sie mit der Hand am Arm fest. »Verzeih mir, Lady, weiter darfst du dich jetzt nicht vorwagen. Dazu fehlt uns die richtige Ausrüstung. Die Fackeln werden nur noch kurze Zeit brennen.«

Fidelma gefiel das nicht, doch Menma hatte wohl recht.

»In diesem Höhlenteil hat man anscheinend nicht nach Edelmetallen gesucht«, sagte sie und blickte sich noch einmal um.

»Durchaus möglich«, stimmte ihr Eadulf zu. »Es wurde vor allem oben in der Haupthöhle gearbeitet. Niemand scheint so wagemutig gewesen zu sein wie wir und hat sich durch den Spalt gequetscht.«

»Es ist Zeit, wieder ans Tageslicht zurückzukehren«, warnte Menma jetzt eindringlich. »Die Fackeln ...«

Ehe sie begriffen, was geschah, hatte Fidelma mehrere Schritte nach vorn getan, sich über das dunkle Wasserbecken gebeugt, war ausgeglitten und in das schwarze Naß gefallen. Ihre Fackel war sofort erloschen, nun blieb nur noch das Licht von Menmas Fackel.

»Rasch!« rief der Jäger. »Zieh sie raus. Das Wasser hier unten ist eiskalt.«

Für Eadulf wäre diese Aufforderung nicht nötig gewesen. Kaum war Fidelma ins Wasser gerutscht, stand er schon am Wasserbecken.

»Sei vorsichtig!« beschwor Menma ihn.

Eadulf mußte auf den glatten Steinen sehr aufpassen, daß er nicht auch ausrutschte. Er bemerkte, wie Fidelma vergeblich nach einem Halt suchte, und hörte, wie sie in der Eiseskälte nach Luft japste. Er kniete sich hin und streckte einen Arm aus. Das Wasser war so kalt, daß es fast gefror. Fidelmas Gesicht war totenblaß in dem düsteren Licht. Dann konnte Eadulf ihre aufgeregt suchende Hand packen und sie herausziehen. Es kam ihm wie eine Unendlichkeit vor, bis er Fidelma aus dem dunklen Wasser hatte.

»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, rief Menma. »Rasch, wir müssen zur Haupthöhle zurück, wo mehr Licht und Wärme ist.«

Eadulf folgte dem Jäger. Fidelma mußte er tragen. Sie eilten den schmalen Gang hinauf in den hallenartigen Höhlenraum und auf den Spalt zu.

An dieser Stelle zischte Menmas Fackel und verlosch. Nun war es ringsum stockdunkel.

Eadulf mit seiner fast bewußtlosen Gefährtin blieb stehen. Er war sich nicht sicher, ob er weitergehen sollte. Da hörte er Menmas Stimme nicht weit von sich.

»Ich bin jetzt an dem Spalt. Folge meiner Stimme.«

Eadulf zögerte, doch er hatte keine andere Wahl. »Ich werde es versuchen. Sprich weiter.«

»Also hier entlang. Ich kann die Öffnung spüren, die zur Haupthöhle führt. Schaffst du es?«

Eadulf tastete sich Schritt für Schritt vor, langsam, sehr langsam ... Menma redete die ganze Zeit über, doch nach einer Weile stieß Eadulf gegen ein Hindernis. Nun kam Menmas Stimme von rechts.

»Ich glaube, du bist gegen die Wand gelaufen. Bewege dich auf mich zu.«

Kurz darauf spürte er die ausgestreckte Hand des Jägers. Er trug die nun bewußtlose Fidelma auf der Schulter und ertastete sich den Weg zum Spalt.

»Gott sei Dank!« sagte Menma. »Ich quetsche mich zuerst durch, du schiebst sie hinterher und kommst nach. Dann schleppen wir sie zum Höhleneingang.«

Das war leichter gesagt als getan. Es schien Eadulf eine Ewigkeit zu dauern, bis ein schwacher grauer Lichtschein das Dunkel ersetzte und sie auf einmal in der Haupthöhle waren. Vom fernen Eingang her fiel ein wenig Tageslicht ein. Fidelma war immer noch bewußtlos. Beide Männer trugen sie nun zwischen sich. So gelangten sie hinaus in den trüben Herbsttag.

»Sie muß sofort die nassen Kleider ablegen, und sie braucht Wärme«, meinte Menma. »Von dem kalten Höhlenwasser kann man Erfrierungen davontragen. Die Sonne war noch nicht durchgedrungen. Bringen wir sie so rasch wie möglich zu meiner Hütte.«

»Schaffen wir sie zu den Pferden«, schlug Eadulf vor. »Ich reite zusammen mit ihr, und du kannst mein Pferd nehmen.«

Sie liefen den Hügel hinab bis zur Lichtung, wo die Pferde standen. Eadulf taten inzwischen sämtliche Muskeln weh. Menma hievte Fidelma aufs Pferd, nachdem Eadulf aufgestiegen war. Dann galoppierten sie los. Luchoc bellte aufgeregt, sobald sie sich der Hütte näherten.

Als sie von den Pferden absaßen, war Fidelma immer noch nicht wieder bei Bewußtsein. Suanach empfing sie mit sorgenvoller Miene. Menma erzählte ihr knapp, was vorgefallen war. Suanach bat die beiden Männer, Fidelma in den zweiten Raum der Hütte zu tragen, der als Schlafkammer diente. Dort legten sie sie aufs Bett. Suanach schickte Eadulf und Menma aus dem Raum und zog Fidelma rasch aus. Dann hüllte sie sie in Wolldecken und rieb ihre kalten Glieder warm. Menma hatte sie beauftragt, corma, ein heißes Starkbier, zu bringen und ein heißes Bad zu richten. Endlich durfte Eadulf wieder in die Schlafkammer.

Zu seiner Erleichterung saß Fidelma inzwischen auf dem Bett, und ihre Wangen hatten wieder Farbe bekommen. Sie lächelte ein wenig reumütig.

»Es sieht aus, als verdanke ich dir und Menma mein Leben.«

Eadulf setzte sich neben sie.

»Was hat dich nur dazu getrieben, in dieses Wasserbecken hineinzugreifen?« fragte er, wobei er seine Sorge mit einem gestrengen Ton zu überspielen versuchte.

»Ich hatte nicht die Absicht, hineinzufallen«, erwiderte sie trocken. »Die Steine waren rutschig. Wie dem auch sei« - sie streckte ihre Hand vor -, »das hier habe ich dabei entdeckt. Als ich in das Becken fiel, muß ich danach gegriffen haben. Ich habe es die ganze Zeit über in der Hand gehalten.«

Eadulf nahm ihr den Gegenstand ab. »Ein Stück von einer Silberkette? Warum setzt du dafür dein Leben aufs Spiel?«

»Betrachte es genau«, forderte sie ihn auf.

Er untersuchte das schön gearbeitete Schmuckstück gründlich und zuckte mit den Schultern.

»Was soll ich da erkennen?« fragte er.

»Hast du jemals in diesem Land so einen Schmuck gesehen?« fragte Fidelma.

Eadulf verzog den Mund.

»Ich bin kein Experte, was Schmuck betrifft«, erwiderte er.

»Ich denke, ich bin auf der richtigen Fährte«, stellte Fidelma fest. »Ich muß in die Höhle zurück.«

Eadulf starrte sie an. »Ich hätte gedacht, du hast von Höhlen erst mal genug. Du bist dort beinahe zu Tode gekommen.«

»Ich lebe ja noch, also ist dein Kommentar überflüssig.«

»Nun, zumindest heute solltest du dich ein wenig ausruhen«, sagte Eadulf entschlossen. »Weißt du eigentlich, wie lange du bewußtlos warst?«

Streitsüchtig erwiderte sie: »Hier steht das Leben vieler auf dem Spiel, Eadulf. Daran muß ich dich doch nicht erinnern, oder?«

»Nein, das mußt du gewiß nicht. Du mußt mich auch nicht daran erinnern, daß dein Leben auf dem Spiel steht. Es ist meine Pflicht zu verhindern, daß du dich in Gefahr begibst.«

Eadulfs Dickköpfigkeit glich der Fidelmas, wenn er glaubte, daß er recht hatte. Sie blickte ihn einen Moment lang finster an, dann wurde ihr jedoch klar, daß es stimmte, was er sagte. In ihrem Zustand konnte sie heute unmöglich noch einmal in die Höhle zurückkehren. Trotz ihres Drangs, die Spur weiterzuverfolgen, würde sie damit warten müssen.

Es klopfte leise an die Tür. Suanach trat mit einer Schale dampfender Brühe ein.

»Du solltest ein wenig von dieser Suppe zu dir nehmen und dich dann ausruhen, Lady«, sagte sie und blickte Eadulf vorwurfsvoll an.

Eadulf stand sofort auf. »Das sehe ich auch so. Bleib hier und ruh dich aus.« Er schaute Suanach an. »Ist euch das auch recht?«

»Natürlich, die Lady muß hierbleiben, bis sie sich wieder erholt hat. Zumindest über Nacht. Sie hat Schlimmes durchgemacht.«

Eadulf lächelte zufrieden. »Ich werde zur Festung zurückreiten und Becc von deinen Absichten in Kenntnis setzen. Morgen vormittag bin ich wieder zurück.«

Fidelma sah ihn mißtrauisch an. »Eadulf . Du wirst zur Festung zurückkehren und . Nun gut, du wirst doch nicht auf eigene Faust losziehen und etwas Unvernünftiges tun? Ich glaube, wir stehen da einer bösen Macht gegenüber, die gefährlicher ist, als wir meinen. Du darfst nichts ohne mich unternehmen.«

Eadulf beruhigte sie. »Trink die Brühe und ruh dich aus. Ich werde morgen vormittag wieder hier sein.«

Vor der Hütte stieß er auf Menma, der die Pferde abrieb.

»Wie geht es ihr?« erkundigte sich der Jäger besorgt.

»Recht gut inzwischen«, teilte ihm Eadulf mit. »Ich reite nach Rath Raithlen und sage dort Bescheid, daß Fidelma heute hier übernachtet.«

»Natürlich, Lady Fidelma wird unser Gast sein.«

Eadulf schaute zur Sonne auf, die sich jetzt zeigte. Es war kurz nach Mittag. Der ganze Nachmittag würde ungenutzt verstreichen.

»Morgen möchte sie wieder zu dem alten Stollen«, fügte er leise hinzu.

Menma wirkte erstaunt.

»Die Lady ist ziemlich hartnäckig«, erwiderte er. »Was verspricht sie sich davon?«

Eadulf gab keine Antwort, denn ihm kam da ein Gedanke. »Bis zum Einbruch der Dunkelheit sind es noch ein paar Stunden. Ich frage mich .«

Menma sah ihn erwartungsvoll an und erriet sein Vorhaben. »Du willst doch nicht allein zur Höhle, Bruder Eadulf?«

»Wenn wir nur richtige Lampen hätten .«

»Die habe ich. Wann willst du los?«

»Man soll nichts auf morgen verschieben«, entgeg-nete Eadulf in Hochstimmung.

»Dann sattle die Pferde. Wir können bis zu der Stelle reiten, wo ihr sie angebunden habt. Das spart Zeit. Ich werde die Lampen holen und starke Seile, falls du tiefer hinab in die Höhle willst.«

Kurze Zeit später näherten sie sich dem vertrauten Felseingang der Derc Crosda. Menma hatte Öllampen und zwei lange, feste Stricke mitgebracht. Seinen kleinen Hund hatte er zu Hause gelassen, denn er würde bei der bevorstehenden Höhlenerkundung nur hinderlich sein.

»Was versprichst du dir davon, Bruder Eadulf?« fragte Menma erneut, als sie den dunklen Eingang erreichten. Eadulf mußte gestehen, daß er es nicht wußte und eigentlich nur Fidelma zuvorkommen wollte.

Menma zündete die Lampen an, und sie begaben sich in die Haupthöhle. Diesmal liefen Eadulf und sein Gefährte zügig zu dem Spalt, der in den nächsten Raum führte, und weiter den schmalen Gang entlang zur zweiten Höhle mit dem Wasserbecken. Eadulf trat an dessen Rand und starrte auf die Stelle, an der Fidelma hineingeglitten war. Wie oft hatte er sich schon gewünscht, Fidelma möge ihn bei ihren Nachforschungen mehr beteiligen. Welches Geheimnis umgab wohl diese Silberkette?

Menma stand schweigend hinter ihm und wartete geduldig.

Während Eadulf um das dunkle Becken lief, entdeckte er, daß mehrere Gänge von diesem Raum ab führten. Er hob die Lampe hoch, um besser sehen zu können. Auch die schienen wieder von Menschenhand gemacht.

»Wann wurden diese Stollen angelegt, Menma?« fragte er.

»Ungefähr zu meines Großvaters Zeiten. Es muß eine recht ertragreiche Mine gewesen sein, doch irgendwann waren die Vorkommen erschöpft.«

Eadulf versuchte sich daran zu erinnern, was ihm Fidelma über den Bergbau in dieser Gegend erzählt hatte. Er betrachtete die Gänge genauer.

»Ich würde meinen, dieser Stollen hier wurde erst vor kurzem herausgeschlagen«, sagte er und zeigte auf die Spuren an den Wänden.

Menma trat näher.

»Der sieht wirklich neu aus«, gab er zu. »Auch wenn ich mir vorstellen kann, daß hier unten alles besser erhalten ist als über der Erde.«

»Mag sein«, erwiderte Eadulf, wenig überzeugt. Er beugte sich vor und hielt seine Lampe dicht an die Wand. »Diesen Gang sollten wir uns vornehmen«, schlug er vor und lief voran, ohne auf Menmas Zustimmung zu warten.

Der Stollen wirkte ungewöhnlich trocken. Er führte leicht nach oben, wurde immer schmaler und niedriger, so daß sie schließlich auf allen vieren kriechen mußten.

»Wir werden sicher zu einer Stelle gelangen, wo Erz abgebaut wurde«, sagte Menma. »Der Stollen wird sich einfach als Sackgasse erweisen.«

Eadulf war entschlossen, bis ans Ende vorzudringen, auch wenn Menma überzeugt war, daß es nur Zeitverschwendung war.

Sie gelangten in eine niedrige Ausbuchtung von etwa ein Meter achtzig Breite und zweieinhalb Meter Länge. Dort lagen Werkzeuge und Lampen herum. Selbst Menma mußte sich bei diesem Anblick die Augen reiben.

»Hier muß erst vor kurzem jemand gewesen sein«, erklärte Eadulf unnötigerweise. »Da hat gerade noch jemand gearbeitet.«

Etwas im Gestein glitzerte. Er ging darauf zu und hielt die Lampe hoch. Dann nahm er sein Messer vom Gürtel und kratzte daran.

»Eisenkies?« fragte er.

Menma, dicht neben ihm, schüttelte den Kopf.

»Ich schwöre, daß es sich um echtes Gold handelt«, sagte er. »Hier hat mein Großvater vermutlich seinerzeit geschürft, ehe der Stollen stillgelegt wurde. Ich kenne mich damit aus.«

Er streckte eine Hand aus, um das Metall zu berühren. Zu Eadulfs Überraschung rieb er mit dem Finger auf der glänzenden Oberfläche herum und leckte daran. Schließlich nickte er.

»Das ist ein Geschmack, den du nicht so leicht vergißt, Bruder Eadulf«, seufzte der Jäger. »Es ist echt. Du hast recht. Es sieht aus, als ob hier jemand kürzlich zugange gewesen ist.«

Eadulf grübelte.

Hatte der Junge, wie war noch sein Name - Sioda? -, hatte der Junge das Gold hier gefunden? Aber Gob-nuid hatte Fidelma erklärt, daß es nicht echt war, was sie allerdings bezweifelte. Und was hatte das mit den drei toten Mädchen zu tun? Das ging über seinen Horizont. Er sah da keinen Zusammenhang.

»Hat Lady Fidelma das gesucht?« fragte Menma.

»Ich glaube schon«, erwiderte Eadulf. Doch warum, dachte er bei sich. Welche Verbindung bestand zwischen dem Goldabbau und den drei Morden?

»Bist du dir ganz sicher, daß das Gold echt ist?« fragte er Menma noch einmal.

Nun griff der Jäger nach einem Werkzeug, das an der Seite stand.

»Das kann ich dir ganz leicht zeigen«, sagte er. »Wir werden etwas davon mitnehmen und es einem Schmied vorlegen. Ich bin mir sicher, daß es echt ist.«

Er machte sich daran, an der glitzernden Schicht herumzuklopfen, und hatte schnell einen kleinen runden Klumpen abgeschlagen. Er reichte ihn Eadulf. Dieser beäugte das Stück prüfend und steckte es in sein marsupium.

Bald darauf erblickten sie wieder das herbstlich trübe Sonnenlicht.

Sie liefen gerade den Hang hinab, als Menma plötzlich stehenblieb und Eadulf am Arm zog. Dann legte er einen Finger an die Lippen.

»Was ist los?« flüsterte Eadulf.

»Ein Geräusch, da fällt ein Stein ...«, flüsterte Menma zurück. Er drehte sich um, als hielte er Ausschau, und zeigte auf eine Baum- und Sträuchergrup-pe. Er eilte dorthin, Eadulf stürzte ihm hinterher. Im sicheren Unterholz ließen sich beide auf den Boden fallen.

Menma neigte den Kopf zur Seite und lauschte. »Da kommt jemand auf der anderen Seite den Hügel hinauf, von der Abtei her. Ich dachte, dir wäre es recht, wenn wir erst einmal schauen, wer das ist.«

Eadulf wollte gerade etwas antworten, als am Felsvorsprung eine Gestalt in ihr Blickfeld geriet. Sie bewegte sich rasch vorwärts und spähte dabei ständig nach hinten, als würde man sie verfolgen. Bei dem offenen Gelände vor der Höhle zögerte die Gestalt und wandte sich um. Es handelte sich um einen Mann. Erschrocken dachte Eadulf, daß er genau auf das Unterholz zulief, in dem sie sich versteckt hielten. Doch dann schien er es sich anders zu überlegen, denn er eilte auf eine Felsgruppe seitlich des Höhleneingangs zu, um sich dort zu verbergen. Nun erkannte Eadulf den Mann.

Es war Goll, der Holzfäller, Gabrans Vater.

Eadulf blickte Menma fragend an, doch der Jäger legte wieder einen Finger an die Lippen. Er lag immer noch flach am Boden und blickte konzentriert in die Richtung, aus der Goll gekommen war.

Plötzlich hörte Eadulf neue Geräusche.

Ein junger Mann tauchte auf. Es handelte sich um Gabran. Der Vater beobachtete also seinen eigenen Sohn aus einem Versteck. Eadulf sah wieder zu Men-ma und zuckte mit der Schulter. Gabran schien die Höhle überhaupt nicht zu beachten. Geschwind ging er weiter und verschwand in dem dichten Wald aus Eichen und Erlen. Sie sahen, wie Goll sich aus seinem Versteck erhob und gleich darauf wieder hinter den Steinen abtauchte.

Eadulf wollte etwas sagen, doch erneut hieß ihn Menma mit einer Geste, sich still zu verhalten.

Nun erschien ein großer Mann, der genau auf den Höhleneingang zusteuerte, aus dem Eadulf und Menma vor kurzem gekommen waren.

Es gab keinen Zweifel, daß es einer der Fremden aus dem Kloster war. Die hochgewachsene Gestalt, die so zielsicher und würdig daherschritt, war Bruder Dangila. Über der Schulter trug er einen Beutel mit Werkzeugen.

Ohne Zögern ging er auf den Eingang zu. Ehe er eintrat, zündete er eine Lampe an.

Als er verschwunden war, blickte Eadulf wieder zu Goll hinüber. Der regte sich nicht. Er drehte sich zu Menma um, denn er wußte nicht, was sie tun sollten. Fidelma würde unbedingt wissen wollen, was hier vor sich ging, doch weder Goll noch der Fremde würden ihm ihre Geheimnisse verraten, soviel war sicher. Also konnte er nur an Ort und Stelle ausharren.

Sie mußten nicht lange warten, bis wieder etwas Unerwartetes geschah. Es war nicht zu überhören, daß derjenige, der sich nun eilig näherte, nicht die Absicht hatte, sich zu verbergen. Selbst Eadulf vernahm, wie Lederschuhe schwer auf Felsen und Äste traten.

Und wieder zeigte sich eine vertraute Gestalt.

»Es ist Gobnuid, der Schmied aus Rath Raithlen«, flüsterte Menma, und auch Eadulf erkannte ihn sofort an seiner stämmigen Figur.