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überwiesen.«

»Etwas lauter, Gil.« Die Bitte kam vom anderen Ende des Tisches.

Bartlett hob seine Stimme etwas. »Ich will es versuchen. Aber vielleicht gehen Sie nachher mal zu Dr. McEwan.« Ein Gelächter lief um den Tisch, dem sich der Hals-, Nasen- und Ohren-Mann anschloß.

Lucy beneidete alle, die bei diesen Sitzungen unbefangen sein konnten. Sie war es nie, besonders dann nicht, wenn einer ihrer eigenen Fälle besprochen wurde. Es war für jeden eine Belastung, seine Diagnose darzulegen und die Behandlung eines Patienten zu schildern, der gestorben war, anschließend die Meinungen anderer und schließlich den Obduktionsbefund des Pathologen anzuhören. Und Joe Pearson schonte niemals jemanden.

Es gab ehrliche Fehler, die jedem Mediziner unterlaufen konnten - selbst wenn es mitunter Fehler waren, die dem Patienten das Leben kosteten. Nur wenige Ärzte konnten im Laufe ihrer Tätigkeit diesen Fehlern völlig entgehen. Das wichtigste war, daraus zu lernen und den gleichen Fehler nicht zu wiederholen. Das war der Grund, weshalb diese Konferenzen über die Sterbefälle abgehalten wurden: damit jeder, der daran teilnahm, daraus lernte.

Gelegentlich waren die Fehler unentschuldbar, und man konnte es immer spüren, wenn ein derartiger Fall bei den monatlichen Zusammenkünften zur Sprache kam. Dann herrschte ein unbehagliches Schweigen, und man vermied, einander anzusehen. Selten kam es zu offener Kritik, weil sie überflüssig war, und ferner, weil keiner wissen konnte, wann er selbst ihr einmal unterworfen werden würde.

Lucy erinnerte sich an einen Vorfall, der einen angesehenen Chirurgen an einem anderen Krankenhaus betraf, in dem sie früher tätig gewesen war. Der Chirurg operierte einen Patienten im Unterleib, weil er den Verdacht auf Krebs an den Verdauungsorganen hegte. Als er das erkrankte Gebiet erreichte, kam er zu der Ansicht, daß der Fall nicht mehr zu operieren sei, und statt zu versuchen, die Geschwulst zu entfernen, stellte er eine neue Verbindung des Dünndarms zum Dickdarm her, um die Geschwulst zu umgehen. Drei Tage später war der Patient tot, und bei der Obduktion zeigte sich, daß überhaupt kein Krebs vorlag. Der Blinddarmfortsatz des Patienten war durchgebrochen und hatte einen Abszeß verursacht. Der Chirurg hatte das nicht erkannt und dadurch den Mann zum Tode verurteilt. Lucy würde nie die entsetzte Totenstille vergessen, mit der der Bericht des Pathologen aufgenommen worden war.

Über Fälle dieser Art dringt natürlich nie etwas an die Öffentlichkeit. Das sind Augenblicke, in denen sich die Mediziner fest zusammenschließen. Aber in guten Krankenhäusern ist es damit nicht getan. Im Three Counties Hospital führte O'Donnell jetzt mit jedem, der sich derartiges zuschulden kommen ließ, ein Gespräch unter vier Augen, und wenn es ein böser Fall war, wurde der Schuldige für einige Zeit streng kontrolliert. Lucy selbst hatte nie ein derartiges Gespräch führen müssen, aber sie hatte gehört, daß der Chef der Chirurgie hinter verschlossenen Türen außerordentlich scharf werden konnte.

Gil Bartlett berichtete weiter: »Der Fall wurde mir von Dr. Cymbalist überwiesen.« Lucy wußte, daß Cymbalist ein praktischer Arzt in Burlington war, der selbst nicht zum Three Counties Hospital gehörte. Auch ihr selbst waren von ihm schon Patienten überwiesen worden.

»Dr. Cymbalist rief mich zu Hause an«, sagte Bartlett, »und teilte mir mit, er vermute ein durchgebrochenes Magengeschwür. Die von ihm beschriebenen Symptome schienen seine Diagnose zu bestätigen. Inzwischen befand sich der Patient in einem Krankenwagen auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich rief den diensthabenden Assistenzarzt in der Chirurgie an und benachrichtigte ihn von dem Eintreffen des Patienten.«

Dr. Bartlett sah in seine Notizen. »Ich selbst sah den Patienten ungefähr eine halbe Stunde später. Er hatte starke Schmerzen im Oberbauch und befand sich im Schockzustand. Sein Blutdruck war siebzig über vierzig. Er war aschgrau und von kaltem Schweiß bedeckt. Ich verordnete eine Transfusion, um dem Schock entgegenzuwirken, und Morphium. Bei der Untersuchung erwies sich der Leib als hart und als schmerzempfindlich bei Druck.«

Bill Rufus fragte: »Haben Sie eine Durchleuchtung des Brustkorbes vorgenommen?«

»Nein. Der Patient erschien mir zu krank, um ihn erst noch in die Röntgenabteilung zu schaffen. Ich stimmte mit Dr. Cymbalists Diagnose auf ein durchgebrochenes Magengeschwür überein und entschloß mich, sofort zu operieren.«

»Überhaupt keine Zweifel, Doktor?« Diesmal kam die Zwischenfrage von Pearson. Bisher hatte der Pathologe in seine Papiere gesehen. Jetzt wandte er sein Gesicht Bartlett zu.

Einen Augenblick zögerte Bartlett, und Lucy dachte: Etwas ist hier falsch. Die Diagnose war ein Irrtum, und Joe Pearson wartet darauf, eine Falle zuschlagen zu lassen. Dann fiel ihr ein, daß alles, was Pearson wußte, inzwischen auch Bartlett wissen mußte, es ihn also nicht mehr überraschen konnte. Auf jeden Fall hatte Bartlett vermutlich der Obduktion beigewohnt. Das taten die meisten gewissenhaften Chirurgen, wenn einer ihrer Patienten starb. Nach der kurzen Pause fuhr der Chirurg unbeirrt fort:

»Man hat in diesen dringenden Notfällen immer Zweifel, Dr. Pearson. Aber ich kam zu der Überzeugung, daß alle Symptome eine sofortige Probelaparatomie rechtfertigten.« Bartlett machte eine Pause. »Allerdings war kein aufgebrochenes Geschwür vorhanden, und der Patient wurde anschließend in ein Krankenzimmer gebracht. Ich zog Dr. Toynbee zu einer Konsultation hinzu, aber noch ehe er eintraf, starb der Patient.«

Gil Bartlett schloß sein Notizbuch und sah sich an dem Tisch um.

Die Diagnose war also falsch gewesen, und trotz Bartletts äußerlich ruhigem Auftreten wußte Lucy, daß er innerlich wahrscheinlich unter quälenden Selbstvorwürfen litt. Auf Grund der vorliegenden Symptome konnte allerdings zweifellos gesagt werden, daß die Operation gerechtfertigt war.

Jetzt wandte sich O'Donnell an Joe Pearson. Höflich bat er: »Wollen Sie uns jetzt bitte den Obduktionsbefund mitteilen.« Lucy überlegte, daß der Chef der Chirurgie zweifellos schon wußte, was kam. Automatisch sahen die Abteilungsleiter Obduktionsberichte vor sich, die ihre eigenen Mitarbeiter betrafen.

Pearson blätterte in seinen Papieren, zog dann eines hervor. Seine Blicke schossen um den Tisch herum. »Wie Dr. Bartlett Ihnen mitteilte, lag kein durchgebrochenes Magengeschwür vor. Tatsache ist, daß der Leib völlig normal war.« Wie um der dramatischen Wirkung willen machte er eine Pause, ehe er fortfuhr: »Dagegen lag im Brustraum eine Lungenentzündung im frühen Stadium vor. Zweifellos hatte sie heftige Schmerzen am Rippenfell verursacht.«

Das war es also. Lucy überdachte noch einmal alle angeführten Symptome. Es stimmte. Äußerlich mußten sie in beiden Fällen identisch sein. O'Donnell fragte: »Wünscht jemand das Wort?«

Es folgte ein unbehagliches Schweigen. Ein Fehler war unterlaufen, aber er konnte nicht als fahrlässig bezeichnet werden. Den meisten in dem Raum war in bedrückender Weise bewußt, daß ihnen das gleiche widerfahren konnte. Bill Rufus sprach es aus. »Bei den beschriebenen Symptomen würde ich sagen, daß die Probelaparatomie gerechtfertigt war.«

Darauf hatte Pearson gewartet. Er begann nachdenklich: »Nun, ich weiß nicht recht.« Dann warf er fast beiläufig ohne jede Warnung wie eine Handgranate die Worte hin: »Es ist uns allen gut bekannt, daß Dr. Bartlett selten über die Bauchhöhle hinaussieht.« Dann schoß er in dem drückenden Schweigen direkt auf Bartlett die Frage ab: »Haben Sie die Brust überhaupt untersucht?«

Seine Bemerkung und seine Frage waren eine Ungeheuerlichkeit. Selbst wenn Bartlett ein Vorwurf gemacht werden konnte, war das O'Donnells Aufgabe, aber nicht Pearsons, und außerdem hatte es unter vier Augen zu geschehen. Bartlett stand keineswegs im Ruf der Sorglosigkeit. Alle, die mit ihm gearbeitet hatten, kannten ihn als gründlich, und wenn überhaupt etwas an ihm auszusetzen war, dann, daß er zu übertriebener Vorsicht neigte. In diesem Fall hatte er offensichtlich vor der Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung gestanden.

Bartlett sprang auf. Sein Stuhl scharrte, als er ihn zurückstieß, sein Gesicht war dunkelrot. »Selbstverständlich habe ich die Brust untersucht.« Er bellte die Worte heraus, mit auf- und abwippendem Bart. »Ich habe bereits erklärt, daß der Patient in einem Zustand war, der eine Brustdurchleuchtung nicht erlaubte. Und selbst wenn das der Fall gewesen wäre.«

»Meine Herren, meine Herren!« Das war O'Donnell. Aber Bartlett ließ sich nicht unterbrechen.

»Es ist sehr leicht, es nachher besser zu wissen, und Dr. Pearson versäumt keine Gelegenheit, uns das zu zeigen.«

Von der anderen Seite des Tisches winkte Charlie Dornberger mit seiner Pfeife. »Ich glaube nicht, daß Dr. Pearson beabsichtigte.«

Wütend unterbrach Bartlett ihn: »Natürlich glauben Sie das nicht. Sie sind ja auch sein Freund. Und außerdem: die Geburtshelfer verfolgt er nicht mit seiner Blutrache.«

»Meine Herren, das kann ich nicht zulassen.« O'Donnell stand jetzt auch und schlug hart auf den Tisch. Er hatte die Schultern zurückgenommen, und seine athletische Gestalt ragte über die Sitzenden an dem Tisch hoch hinaus. Lucy dachte, er ist ein richtiger Mann. »Dr. Bartlett, würden Sie die Güte haben, sich wieder zu setzen.« Er wartete stehend, bis Bartlett seinen Platz wieder eingenommen hatte.

O'Donnells äußere Erregung ließ seinen Zorn erkennen. Joe Pearson hatte kein Recht, die Konferenz in dieser Weise zu gefährden. O'Donnell wußte, daß die Diskussion jetzt nicht mehr ruhig und sachlich geführt werden konnte; er mußte sie abbrechen. Es kostete ihn große Überwindung, seinem Ärger über Joe Pearson nicht sofort Luft zu machen, aber ihm war bewußt, daß er die Lage dadurch nur verschärfen würde.

O'Donnell teilte nicht Bill Rufus' Ansicht, daß Gil Bartlett für den Todesfall kein Vorwurf gemacht werden konnte. Er neigte zu einer kritischeren Haltung. Der Schlüsselfaktor des Falles lag in dem Versäumnis, die Brust des Patienten zu röntgen. Wenn Bartlett bei der Einlieferung eine Röntgenaufnahme angeordnet hätte, bestand die Möglichkeit, nach Anzeichen für eine Gasbildung oberhalb der Leber und unter dem Zwerchfell zu suchen. Das waren eindeutige Hinweise auf ein durchgebrochenes Geschwür. Ihr Fehlen wäre Bartlett zweifellos nicht entgangen. Ferner hätte das Röntgenbild auch eine Verschattung der Lungenbasis gezeigt und auf die Lungenentzündung hingewiesen, die Joe Pearson später bei der Obduktion feststellte. Der eine oder der andere dieser Faktoren hätte Bartlett leicht dazu veranlassen können, seine Diagnose zu berichtigen, und damit wären die Aussichten des Patienten, am Leben zu bleiben, gestiegen.

Gewiß, überlegte O'Donnell, Bartlett hatte behauptet, der Patient sei für die Durchleuchtung zu krank gewesen. Wenn der Mann aber tatsächlich so krank war, durfte Bartlett dann überhaupt die Operation wagen? O'Donnell war der Ansicht, er hätte nicht mehr operieren dürfen.

O'Donnell wußte, daß bei einem durchgebrochenen Geschwür üblicherweise innerhalb von vierundzwanzig Stunden operiert werden muß. Nach dieser Zeit war die Sterblichkeitsrate mit der Operation höher als ohne sie, weil die ersten vierundzwanzig Stunden die gefährlichsten sind. Wenn der Patient sie überlebte, waren die eigenen Abwehrkräfte des Körpers geweckt, um den Durchbruch zu schließen. Nach den von Bartlett geschilderten Symptomen schien es wahrscheinlich, daß der Patient die Vierundzwanzig-Stunden-Grenze fast erreicht oder gar schon überschritten hatte. In diesem Fall hätte O'Donnell selbst den Patienten nicht mehr operiert, in der Absicht, später eine endgültige Diagnose zu stellen. Auf der anderen Seite war sich O'Donnell bewußt, daß es in der Medizin hinterher feicht war, alles besser zu wissen. Man befand sich aber in einer ganz anderen Situation, wenn das Leben des Patienten auf dem Spiele stand und man auf der Stelle eine dringliche Diagnose stellen mußte.

Alles dies hätte der Chef der Chirurgie in der üblichen Weise auf der Sterblichkeitskonferenz vorgebracht, ruhig und objektiv. Er hätte Gil Bartlett veranlaßt, den einen oder anderen Punkt selbst anzuführen. Bartlett war ehrlich und fürchtete sich nicht vor einer kritischen Selbstüberprüfung. Die fraglichen Punkte, auf die es ankam, wären jedem anschaulich geworden. Dazu war nicht erforderlich, daß jemand heftig wurde oder Vorwürfe gemacht wurden. Für Bartlett wäre es selbstverständlich kein Vergnügen gewesen, er wäre aber auch nicht gedemütigt worden. Und noch wichtiger: die Diskussion hätte O'Donnells Zielen gedient, und dem ganzen chirurgischen Stab wäre durch einen praktischen Fall die Notwendigkeit für verschiedene diagnostische Methoden nachdrücklich vor Augen gehalten worden.

Das konnte jetzt nicht mehr geschehen. Brachte O'Donnell in diesem Stadium noch die Punkte vor, die ihm vorschwebten, hätte es den Anschein gehabt, als ob er Pearson unterstütze, und dadurch hätte sich eine noch schärfere Verurteilung Bartletts ergeben. Das durfte um Bartletts eigener Moral wegen nicht geschehen. Selbstverständlich mußte er mit Bartlett privat sprechen, aber die Möglichkeit zu einer wertvollen, offenen Diskussion war verloren. Dieser verdammte Joe Pearson!

Nun hatte sich die Erregung gelegt. O'Donnells Auf-den-Tisch-Klopfen - ein seltenes Ereignis - hatte gewirkt. Bartlett hatte sich wieder gesetzt, sein Gesicht immer noch wütend gerötet. Pearson war anscheinend in seine Papiere vertieft, in denen er blätterte.

»Meine Herren.« O'Donnell wartete. Er wußte, was er zu sagen hatte. Es mußte knapp und präzise sein. »Ich brauche wohl kaum auszusprechen, daß niemand von uns eine Wiederholung dieses Vorfalles zu erleben wünscht. Die Sterblichkeitskonferenz dient zum Erfahrungsaustausch, nicht zu persönlichen Vorwürfen oder erhitzten Auseinandersetzungen. Dr. Pearson, Dr. Bartlett, ich hoffe, mich verständlich ausgedrückt zu haben.« O'Donnell sah beide an und verkündete dann, ohne auf eine Zustimmung oder Antwort zu warten: »Den nächsten Fall, bitte.«

Es standen noch vier weitere Fälle auf der Tagesordnung, aber keiner bot etwas Ungewöhnliches, und die Diskussion verlief ruhig. Das ist ganz gut, dachte Lucy. Auseinandersetzungen, wie die vorangegangene, waren nicht geeignet, die Moral der Ärzte zu fördern. Man kam immer wieder in die Zwangslage, eine dringliche Diagnose zu stellen. Das verlangte Mut. Selbstverständlich rechnete man damit, auch wenn man sich unglücklicherweise geirrt hatte, daß man sich dafür verantworten mußte. Persönliche Angriffe aber waren etwas anderes. Kein Chirurg brauchte es sich bieten zu lassen, wenn er nicht grob fahrlässig handelte oder einfach unfähig war.

Lucy fragte sich nicht zum erstenmal, wie viele von Joe Pearsons Zensuren gelegentlich auf persönlichen Motiven beruhten. Heute war Joe Pearson gegen Gil Bartlett ungehobelter vorgegangen, als sie es je bei einer Sterblichkeitskonferenz erlebt hatte, obwohl es sich weder um ein fahrlässiges Versehen handelte noch Bartlett häufig Irrtümer unterliefen. Er hatte am Three Counties Hospital manche gute Arbeit geleistet, besonders bei verschiedenen Krebsformen, die man noch vor kurzer Zeit für unoperierbar hielt.

Pearson wußte das natürlich auch. Warum also diese Feindschaft? War der Grund, daß Gil Bartlett in der Medizin etwas darstellte, worum Pearson ihn beneidete und was er nie erreicht hatte? Sie sah über den Tisch zu Bartlett hinüber. Seine Züge waren starr; er hatte seine Erregung noch nicht überwunden. Im allgemeinen war er gelassen, umgänglich, liebenswürdig, alles Eigenschaften, die man bei einem erfolgreichen Mann von Anfang Vierzig erwarten konnte. Gil Bartlett und seine Frau waren bekannte Erscheinungen in der Burlingtoner Gesellschaft. Lucy hatte erlebt, wie unbefangen er auf Cocktailpartys und in den Heimen seiner reichen Patienten auftrat. Seine Praxis ging sehr gut. Lucy vermutete, daß sein jährliches Einkommen bei fünfzigtausend Dollars lag.

War das der Punkt, der Joe Pearson stach? Jenen Joe Pearson, der nie neben dem Glanz eines Chirurgen standhalten konnte? Dessen Arbeit wichtig war, aber undramatisch verlief? Der einen Zweig der Medizin gewählt hatte, der selten an das Licht der Öffentlichkeit gelangt? Lucy selbst hatte Leute fragen hören: »Was macht ein Pathologe eigentlich?« Niemand fragte jemals: »Was macht ein Chirurg?« Sie wußte, daß es Leute gab, die einen Pathologen für eine Art medizinischen Assistenten hielten, die nicht wußten, daß ein Pathologe zunächst einmal ein Arzt mit einem vollen, abgeschlossenen medizinischen Studium sein muß, ehe er die zusätzlichen Ausbildungsjahre auf sich nehmen kann, um ein hochqualifizierter Spezialist zu werden.

Auch das Geld war manchmal ein wunder Punkt. Im Stab des Three Counties Hospitals hatte Gil Bartlett die Stellung eines Belegarztes inne, der kein Gehalt von dem Krankenhaus erhielt, sondern von seinen Patienten bezahlt wurde. Lucy selbst und alle anderen Belegärzte waren auf der gleichen Basis Mitglieder des Krankenhausstabes. Aber im Gegensatz dazu war Joe Pearson Angestellter des Krankenhauses, der ein Jahresgehalt von fünfundzwanzigtausend Dollars erhielt, ungefähr die Hälfte dessen, was ein erfolgreicher Chirurg, der viele Jahre jünger war als er, verdienen konnte. Lucy hatte einmal die etwas zynische Zusammenfassung des Unterschiedes zwischen einem Chirurgen und einem Pathologen gelesen:

»Ein Chirurg erhält fünfhundert Dollars dafür, daß er einen Tumor entfernt. Der Pathologe erhält fünf Dollars dafür, daß er den Tumor untersucht, die Diagnose stellt, die Weiterbehandlung empfiehlt und die Zukunft des Patienten voraussagt.«

Lucy selbst kannte in ihrer Zusammenarbeit mit Joe Pearson keine Schwierigkeiten. Aus Gründen, die sie selbst mit Sicherheit nicht nennen konnte, schien er sie zu mögen, und es gab Augenblicke, in denen sie ähnliches empfand und seine Sympathie erwiderte. Das erwies sich manchmal als Hilfe, wenn sie mit ihm über eine Diagnose sprechen mußte.

Nun wurde die Diskussion beendet. O'Donnell schloß die Sitzung. Lucy wendete ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Umgebung zu. Sie hatte während des letzten Falles ihre Gedanken abschweifen lassen. Das war nicht gut. Sie mußte auf sich selbst aufpassen. Alle hatten sich von ihren Plätzen erhoben. Joe Pearson hatte seine Papiere aufgenommen und schlurfte hinaus. O'Donnell hielt ihn an. Sie sah, wie der Chef der Chirurgie den alten Mann auf die Seite zog.

»Kommen Sie einen Augenblick mit hier hinein.« O'Donnell öffnete die Tür zu einem kleinen Büro. Es grenzte an den Sitzungssaal und wurde manchmal für Ausschußsitzungen verwendet. Jetzt war es unbenutzt. Pearson folgte dem Chef der Chirurgie.

O'Donnell sprach vorsätzlich unbetont. »Joe, ich bin der Ansicht, Sie sollten die Kollegen bei diesen Sitzungen nicht in dieser Weise attackieren.«

»Warum?« Pearsons Frage war geradezu.

Nun gut, dachte O'Donnell, wenn Sie es so haben wollen. Laut sagte er: »Weil es zu nichts führt.« Er gab seiner Stimme einen scharfen Ton. Im allgemeinen brachte er den Altersunterschied zum Ausdruck, wenn er mit dem alten Mann sprach, aber in diesem Augenblick mußte er seine eigene Autorität wahren. Wenn O'Donnell auch als Chef der Chirurgie keine unmittelbare Kontrolle über Pearsons Tätigkeit ausübte, so besaß er doch gewisse Vorrechte, wenn sich die Arbeit der Pathologie auf seinen eigenen Bereich bezog.