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Etwas, dachte O'Donnell, während er durch den Korridor ging. Aber was? Er dachte immer noch über dieses Problem nach, als er in die Verwaltungsabteilung kam und die Tür zu Harry Tomasellis Büro öffnete.
O'Donnell bemerkte Tomaselli erst, als ihn der Verwaltungsdirektor anrief. »Hier, Kent.« Tomaselli stand auf der anderen Seite des birkegetäfelten Raumes über einen Tisch gebeugt, statt an seinem Schreibtisch zu sitzen, an dem er den größten Teil seiner Arbeitszeit verbrachte. Vor ihm aufgerollt lagen Baupläne und Zeichnungen. O'Donnell ging über den dicken Teppich zu ihm und blickte gleichfalls auf die Pläne.
»Luftschlö sser, Harry?« Er deutete auf eine der Zeichnungen. »Wissen Sie, ich bin überzeugt, daß wir für Sie da oben eine prächtige Dachwohnung einbauen können, oben auf dem Ostflügel.«
Tomaselli lächelte. »Ich werde mich gern fügen, vorausgesetzt, Sie überzeugen den Ausschuß, daß es notwendig ist.« Er nahm seine randlose Brille ab und begann die Gläser zu polieren. »Hier ist es also - das neue Jerusalem.«
O'Donnell studierte die Silhouette des Three Counties Hospitals mit den prächtigen neuen Erweiterungsbauten, die der Architekt gezeichnet hatte. Die Planung war bereits weitgehend abgeschlossen. Die Neubauten umfaßten einen ganzen Flügel und ein neues Schwesternheim. »Gibt es sonst etwas Neues?« Er wandte sich Tomaselli zu.
Der Verwaltungsdirektor hatte seine Brille wieder aufgesetzt. »Ich habe heute morgen wieder mit Orden gesprochen.« Orden Brown, Präsident des zweitgrößten Stahlwerkes in Burlington, war Vorsitzender des Krankenhausausschusses.
»Ja, und?«
»Er ist überzeugt, daß wir bis Januar mit einem Baufonds von einer halben Million Dollars rechnen können. Das bedeutet, daß wir im März mit dem Ausschachten beginnen können.«
»Und die andere halbe Million? Letzte Woche sagte mir Orden, er glaube, damit würde es bis Dezember dauern.« Selbst das, dachte O'Donnell, halte ich für übertrieben optimistisch seitens des Vorsitzenden.
»Ich weiß«, antwortete Tomaselli. »Aber er bat mich, Ihnen zu sagen, daß er seine Ansicht geändert habe. Gestern hatte er wieder eine Besprechung mit dem Bürgermeister. Sie sind überzeugt, daß sie die zweite halbe Million im nächsten Sommer zusammenbekommen und die Sammelaktion im Herbst abschließen können.«
»Das ist eine gute Nachricht.« O'Donnell entschloß sich, seine bisherigen Vorbehalte aufzugeben. Wenn Orden Brown sich in dieser Weise festlegte, schaffte er es zweifellos auch.
»Ja. Und außerdem«, fuhr Tomaselli mit gespielter Beiläufigkeit fort, »haben Orden Brown und der Bürgermeister am nächsten Mittwoch eine Besprechung mit dem Gouverneur. Es sieht aus, als ob wir schließlich doch noch den höheren Staatszuschuß bekämen.«
»Sonst noch etwas?« fragte O'Donnell den Verwaltungsdirektor mit gespielter Knappheit.
»Ich meine, Sie können damit zufrieden sein«, sagte Tomaselli.
»Mehr als zufrieden«, antwortete O'Donnell. In gewisser Weise konnte man das als den ersten Schritt zur Erfüllung einer Vision bezeichnen. Es war eine Vision, die vor dreieinhalb Jahren bei seiner Ankunft im Three Counties Hospital ihre ersten Umrisse angenommen hatte. Seltsam, wie man sich an einen Ort gewöhnt, dachte O'Donnell. Wenn ihm jemand auf der Harvard Medical School oder später, als er erster chirurgischer Assistent am Columbia Presbyterian Hospital war, vorausgesagt hätte, daß er in einem rückständigen Krankenhaus wie Three Counties Hospital landen würde, hätte er nur spöttisch gelächelt. Und als er dann zu Barts nach London ging, um seine Erfahrungen als Chirurg zu vervollständigen, tat er es in der festen Absicht, nach seiner Rückkehr in den Stab eines der Krankenhäuser mit einem großen Namen wie John Hopkin oder Massachusetts General Hospital einzutreten. Mit dem, was er vorzuweisen hatte, stand ihm die Wahl so gut wie frei. Aber ehe er Zeit fand, sich zu entscheiden, kam Orden Brown zu ihm nach New York und überredete ihn, Burlington und Three Counties Hospital zu besuchen.
Was er dort sah, entsetzte ihn. Das Krankenhaus war heruntergekommen, schlecht organisiert und verwaltet, der medizinische Standard, von wenigen Ausnahmen abgesehen, niedrig. Die Leiter der chirurgischen und der inneren Abteilungen hatten ihre Positionen seit Jahren inne. O'Donnell hatte gespürt, daß ihr Lebensziel darin bestand, einen für sie angenehmen Status quo zu erhalten. Der Verwaltungsdirektor -die Schlüsselstellung für die Beziehungen zwischen dem Leitungsausschuß des Krankenhauses, der aus Laien bestand, und dem medizinischen Stab - war schwach und unfähig. Das Ausbildungsprogramm des Krankenhauses für Praktikanten und Assistenzärzte war verrufen, für Forschung standen keine Mittel zur Verfügung, die Verhältnisse, unter denen die Schwestern lebten und arbeiteten, waren fast mittelalterlich. Orden Brown hatte ihm alles gezeigt und nichts vorenthalten. Anschließend fuhren sie zusammen in das Haus des Vorsitzenden. O'Donnell nahm die Einladung zum Abendessen an, beabsichtigte aber, ein Nachtflugzeug zurück nach New York zu nehmen. Er war angewidert und wollte Burlington und das Three Counties Hospital nie wieder sehen.
Beim Abendessen in dem stillen Eßzimmer mit den bespannten Wänden in Orden Browns Haus auf einem Berg hoch über Burlington war ihm alles geschildert worden. Die Geschichte war ihm nicht neu oder unbekannt. Three Counties Hospital, das einmal ein fortschrittliches und modernes Krankenhaus gewesen war und in dem Staat ein hohes Ansehen besessen hatte, war der Überheblichkeit und der Trägheit zum Opfer gefallen. Ein alternder Industrieller, der seine Verantwortung meistens auf einen anderen abschob und nur gelegentlich aus gesellschaftlichen Anlässen im Krankenhaus erschien, war Vorsitzender des Leitungsausschusses. Der Mangel an Führung hatte sich nach unten ausgebreitet. Die Abteilungsleiter hatten ihre Stellungen überwiegend seit vielen Jahren inne und waren jedem Wechsel abgeneigt. Die jüngeren Leute unter ihnen hatten zuerst dagegen gemurrt, es dann aufgegeben und waren woandershin abgewandert. Schließlich war der Ruf des Krankenhauses so gesunken, daß junge, hochqualifizierte Ärzte nicht länger versuchten, dort eine Stellung zu finden. Aus diesem Grunde wurden weniger qualifizierte Leute aufgenommen. So lag die Situation zu der Zeit, als O'Donnell auf der Bildfläche erschien.
Der einzige Wechsel war mit der Berufung Orden Browns selbst eingetreten. Drei Monate vorher war der alte Vorsitzende gestorben. Eine Gruppe einflußreicher Bürger hatte Brown überredet, die Nachfolge zu übernehmen. Die Wahl erfolgte nicht einstimmig. Ein Teil der alten Garde im Krankenhausausschuß wünschte den Vorsitz für ihren eigenen Kandidaten, ein altes Ausschußmitglied namens Eustace Swayne. Aber die Mehrheit hatte sich für Brown entschieden, und nun versuchte er, andere Ausschußmitglieder für einige seiner Ideen zur Modernisierung des Three Counties Hospitals zu gewinnen.
Es erwies sich, daß er seinen Kampf nach oben führen mußte.
Zwischen den konservativen Elementen des Ausschusses, für die Eustace Swayne Sprecher war, und einer Gruppe der älteren Ärzte des Krankenhauses bestand eine Allianz. Gemeinsam widersetzten sie sich Veränderungen. Brown mußte vorsichtig vorgehen und diplomatisch handeln.
Eines der Dinge, die er wünschte, war eine Vergrößerung des Krankenhausausschusses, um neue, aktivere Mitglieder hineinzubringen. Er beabsichtigte, einige der jüngeren leitenden Männer aus der Wirtschaft Burlingtons dafür zu gewinnen, aber bisher hatte der Ausschuß in dieser Frage noch keine Einmütigkeit erreicht, und der Plan wurde bis auf weiteres zurückgestellt.
Wenn Orden Brown gewollt hätte, konnte er, wie er O'Donnell offen erklärte, eine entscheidende Auseinandersetzung erzwingen und seine Absichten durchsetzen. Wenn er wünschte, konnte er durch seinen Einfluß einige der Männer der älteren passiven Mitglieder aus dem Ausschuß verdrängen. Aber das wäre kurzsichtig gewesen, weil die meisten wohlhabende Männer und Frauen waren, und das Krankenhaus war auf die Zuwendungen angewiesen, die es im allgemeinen erhielt, wenn einer seiner Förderer starb. Wenn sie jetzt ausgeschaltet wurden, konnten einige der Betroffenen ihre Testamente ändern und das Krankenhaus ausschließen. Eustace Swayne, der einen Warenhauskonzern beherrschte, hatte diese Möglichkeit bereits angedeutet. Daher war Orden Brown gezwungen, behutsam und diplomatisch vorzugehen.
Dennoch waren einige Fortschritte erzielt worden. Und einer der Schritte, die der Vorsitzende mit der Zustimmung der Ausschußmehrheit unternahm, war die Suche nach einem neuen Chef der Chirurgie. Deshalb hatte er sich an O'Donnell gewandt.
Bei dem Abendessen hatte O'Donnell den Kopf geschüttelt. »Ich fürchte, das ist nichts für mich.«
»Vielleicht nicht«, hatte Brown geantwortet. »Aber ich möchte Sie bitten, mich trotzdem zu Ende anzuhören.«
Er sprach überzeugend, dieser Industrielle, der, obwohl er selbst aus einer wohlhabenden Familie stammte, sich den ganzen Weg durch das Stahlwerk, vom Hochofenarbeiter in die Verwaltung und schließlich auf den Präsidentenstuhl, hochgearbeitet hatte. Er besaß auch ein Gefühl für Menschen. Das hatte er sich in den Jahren Schulter an Schulter mit den Arbeitern im Walzwerk erworben. Dies mochte einer der Gründe sein, warum er sich die Last aufbürdete, Three Counties Hospital aus dem Sumpf herauszuziehen, in dem es versackt war. Aber aus welchem Grunde auch immer, selbst in der kurzen Zeit, die O'Donnell mit ihm zusammen war, hatte er die Hingabe des älteren Mannes an seine Aufgabe gespürt. »Falls Sie hierherkommen«, hatte Brown kurz vor Beendigung ihrer Unterhaltung gesagt, »kann ich Ihnen nichts versprechen.
Ich würde Ihnen gern sagen, Sie werden freie Hand haben. Aber ich halte es für wahrscheinlicher, daß Sie sich alles, was Sie wollen, erkämpfen müssen. Sie werden auf Opposition stoßen, auf Widerstände, Hauspolitik, Ablehnung. Es wird Gebiete geben, auf denen ich Ihnen nicht helfen kann und Sie allein stehen.« Brown hatte eine Pause gemacht und dann still hinzugefügt: »Vermutlich ist das einzig Gute, was man über die Situation hier sagen kann, daß sie vom Standpunkt eines Mannes wie Sie eine Herausforderung, eine Aufgabe darstellt. In gewisser Weise die größte Aufgabe, die ein Mann auf sich nehmen kann.«
Das war das letzte Wort, das Orden Brown an diesem Abend über das Krankenhaus sagte. Anschließend sprachen sie von anderen Dingen, von Europa, den bevorstehenden Wahlen, dem Auferstehen des Nationalismus in Mittelost. Brown war weit gereist und gut informiert. Später wurde O'Donnell von seinem Gastgeber zum Flughafen gebracht, und auf dem Flugsteig drückte man sich die Hände. »Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen«, sagte Orden Brown, und O'Donnell erwiderte das Kompliment aufrichtig. Dann stieg er in sein Flugzeug, in der Absicht, Burlington abzuschreiben und an diese Reise nur als an eine weitere nützliche Erfahrung zu denken.
Auf dem Rückflug versuchte er, in einer Zeitschrift zu lesen; einen Artikel über Tennismeisterschaften, der ihn interessierte. Aber sein Verstand nahm die Worte nicht auf. Er dachte weiter über Three Counties Hospital nach, über das, was er dort gesehen hatte und was dort geschehen müßte. Dann begann er plötzlich, zum ersten Mal seit vielen Jahren, seine eigene Einstellung gegenüber der Medizin zu überprüfen. Was bedeutet sie überhaupt? fragte er sich. Was suche ich für mich selbst? Welche Ziele habe ich mir gesetzt? Was habe ich selbst zu geben? Was werde ich am Ende hinterlassen? Er hatte nicht geheiratet, wahrscheinlich würde er es nie. Er hatte Liebeserlebnisse gehabt - im Bett und außerhalb -, aber nichts darunter von Dauer. Wo führt dieser Weg mich hin, fragte er sich, von Harvard über Presbyterian und Barts.? Plötzlich wußte er die Antwort. Er wußte: Es war Burlington und das Three Counties Hospital. Die Entscheidung war gefallen und die Richtung unwiderruflich bestimmt. Bei der Landung auf dem La-Guardia-Flughafen schickte er Orden Brown ein Telegramm. Es lautete einfach: »Ich nehme an.«
Während O'Donnell jetzt auf die Pläne dessen heruntersah, was der Verwaltungsdirektor anzüglich >das neue Jerusalem< nannte, dachte er an die dreieinhalb Jahre, die hinter ihm lagen. Orden Brown hatte recht behalten, als er sagte, sie würden nicht leicht sein. Alle Hindernisse, die der Ausschußvorsitzende vorausgesagt hatte, waren aufgetreten. Nach und nach waren die schwersten Hürden allerdings überwunden worden.
Nach O' Donnells Ankunft war sein Vorgänger als Chef der Chirurgie unauffällig verschwunden. O'Donnell hatte einige der Chirurgen, die bereits zum Stab des Krankenhauses gehörten und sich für eine Steigerung des Standards in dem Krankenhaus einsetzten, für sich gewonnen. Unter sich hatten sie die chirurgischen Richtlinien verschärft und einen energischen Ausschuß eingesetzt, der dafür sorgte, daß sie in den Operationsräumen befolgt würden. Ein anderer Ausschuß, der fast in Vergessenheit geraten war, wurde neu belebt. Seine Aufgabe war zu sichern, daß Fehler bei Operationen, insbesondere die unnötige Entfernung gesunder Organe, nicht wieder vorkamen.
Die weniger befähigten Chirurgen wurden freundlich, aber nachdrücklich gedrängt, sich auf Operationen zu beschränken, die im Rahmen ihrer Fähigkeiten lagen. Ein paar der Metzger, der Blinddarmentferner am laufenden Band, der Unfähigen, wurden vor die Wahl gestellt, sich unauffällig zurückzuziehen oder offiziell ausgeschlossen zu werden. Wenn das für manche auch den Verlust eines Teiles ihres Lebensunterhaltes bedeutete, so zogen die meisten doch vor, stillschweigend zu verschwinden. Darunter befand sich auch ein Chirurg, der tatsächlich einem Kranken eine Niere herausgenommen hatte, ohne sich vorher zu vergewissern, daß seinem Patienten bei einer früheren Operation die andere Niere bereits entfernt worden war. Dieses furchtbare Versehen wurde bei der Obduktion aufgedeckt.
Die Beseitigung dieses Arztes aus dem Stab des Krankenhauses war leicht gewesen. Bei einigen anderen hatte es sich indessen als schwieriger erwiesen. Es war zu Auseinandersetzungen vor dem medizinischen Ausschuß des Counties gekommen, und zwei Chirurgen, die früher zum Krankenhaus gehörten, hatten vor Gericht Klage gegen das Three Counties Hospital erhoben. Das bedeutete, wie O'Donnell wußte, erbitterte gerichtliche Auseinandersetzungen, und er fürchtete die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die dadurch zweifellos erregt wurde.
Aber trotz dieser Probleme hatten sich O'Donnell und die Ärzte, die hinter ihm standen, durchgesetzt, und die entstandenen Lücken des Stabes wurden sorgfältig und mühevoll mit neuen, fähigen Männern geschlossen - darunter mancher Absolvent seiner eigenen Alma mater -, die O'Donnell gedrängt und überredet hatte, sich in Burlington niederzulassen.
Inzwischen hatte auch die innere Abteilung einen neuen Leiter, Dr. Chandler, erhalten, der zwar schon unter dem alten Regime dem Krankenhaus angehörte, sich aber häufig gegen die Mißstände ausgesprochen hatte. Chandler war Internist, und wenn er und O'Donnell in Fragen der Leitung des Krankenhauses manchmal auch verschiedener Meinung waren und O'Donnell den anderen mitunter anmaßend fand, nahm Chandler zumindest, wenn es darum ging, den medizinischen Standard hochzuhalten, eine kompromißlose Haltung ein.
In O'Donnells dreieinhalb Jahren waren auch die Verwaltungsmethoden geändert worden. Ein paar Monate nach seinem eigenen Antritt hatte O'Donnell mit Orden Brown über einen jungen stellvertretenden Verwaltungsdirektor gesprochen, einen der besten Leute, die er in seiner Krankenhauspraxis kennengelernt hatte. Der Vorsitzende hatte sich ins Flugzeug gesetzt und war zwei Tage später mit einem unterschriebenen Vertrag zurückgekehrt. Einen Monat danach wurde der alte Verwaltungsdirektor, erleichtert, eine Last abzulegen, die über seine Kräfte hinausgewachsen war, ehrenvoll pensioniert, und Harry Tomaselli trat an seine Stelle. Jetzt kam in der gesamten Verwaltung des Krankenhauses Tomasellis zielbewußte, aber verbindliche Tüchtigkeit zum Ausdruck.
Vor einem Jahr war O'Donnell zum Präsidenten des medizinischen Ausschusses des Krankenhauses gewählt worden, wodurch er zum leitenden Arzt des Three Counties Hospitals wurde. Seitdem hatten er, Tomaselli und Dr. Chandler erfolgreich das Ausbildungsprogramm des Krankenhauses für Praktikanten und Assistenzärzte erweitert, und die Anträge auf Einstellung nahmen zu.
Noch lag ein weiter Weg vor ihnen. O'Donnell wußte, daß sie in mancher Hinsicht erst am Anfang eines umfangreichen Programmes standen, das die drei Grundsäulen der Medizin umfaßte: Heilung, Ausbildung, Forschung. Er selbst war jetzt zweiundvierzig, wurde in wenigen Monaten dreiundvierzig. Er bezweifelte, ob er in den aktiven Jahren, die ihm noch bevorstanden, die Aufgabe vollenden konnte, die er sich gestellt hatte. Aber der Anfang war gut. Soweit war er zuversichtlich, und er wußte, daß seine Entscheidung vor dreieinhalb Jahren im Flugzeug richtig gewesen war. Natürlich gab es bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge noch schwache Punkte. Das konnte nicht anders sein. Eine so große Aufgabe war weder leicht noch schnell zu lösen. Einige der älteren Mitglieder des Ärztestabes kämpften unvermindert gegen jede Veränderung, und sie übten einen starken Einfluß auf die älteren Ausschußmitglieder aus, von denen einige immer noch im Amt waren - Eustace Swayne, halsstarrig wie immer, an ihrer Spitze. Vielleicht war das sogar gut, dachte O' Donnell, und vielleicht war die Behauptung, daß >junge Männer zu viele Änderungen zu schnell vornehmem, manchmal gerechtfertigt. Aber diese Gruppe und ihr Einfluß erzwangen, daß die Planung in manchen Fällen aus Vorsicht verwässert werden mußte. O'Donnell selbst unterwarf sich dieser Notwendigkeit, hatte aber manchmal Schwierigkeiten, die jüngeren Mitglieder des Ärztestabes davon zu überzeugen.
Es war gerade diese Tatsache, die ihn nach dem Gespräch mit Bill Rufus nachdenklich stimmte. Die Pathologie im Three Counties Hospital war immer noch eine Bastion des alten Regimes. Dr. Joseph Pearson, der die Pathologie wie sein eigenes Reich regierte, gehörte seit zweiunddreißig Jahren zum Krankenhaus. Er kannte die meisten der alten Ausschußmitglieder gut und spielte mit Eustace Swayne häufig Schach. Genaugenommen war Joe Pearson durchaus nicht unfähig. Seine Leistungen und Kenntnisse waren beachtlich. In jüngeren Jahren war er durch seine Forschungsarbeiten bekannt und zeitweise Präsident der State Pathology Association gewesen. Das wirkliche Problem bestand darin, daß die Arbeitslast in der Pathologie so angewachsen war, daß ein Mann allein die Zügel nicht mehr in Händen halten konnte. O'Donnell vermutete auch, daß ein Teil der technischen Verfahren in der Pathologie einer Erneuerung bedurfte. Aber so wünschenswert eine Änderung auch erschien, in diesem Falle würde sie schwierig sein.
Da mußte die Sammelaktion für die Erweiterung des Krankenhauses berücksichtigt werden. Wenn es zu Reibungen zwischen O'Donnell und Joe Pearson kam, wie würde Pearsons Einfluß bei Eustace Swayne sich auf Orden Browns Plan, das ganze Geld bis zum nächsten Herbst aufzubringen, auswirken? Swaynes eigener Beitrag mußte normalerweise hoch sein. Und schon allein dieser Verlust war ernst. Aber ebenso ernst war Swaynes Einfluß auf andere Leute in der Stadt. In gewisser Weise besaß der alte Finanzhai die Macht, ihre nächsten Zukunftspläne gelingen oder scheitern zu lassen.
Weil so viele Dinge in der Schwebe hingen, hatte O'Donnell gehofft, er könne das Problem der Pathologie eine Weile auf sich beruhen lassen. Aber ungeachtet dessen mußte er wegen Bill Rufus' Beschwerde etwas unternehmen, und das bald.
Er wendete sich von den Plänen ab. »Harry«, sagte er zu dem Verwaltungsdirektor, »ich fürchte, wir müssen mit Joe Pearson Krieg anfangen.«
III
Im Gegensatz zu der Hitze und der regen Tätigkeit in den oberen Stockwerken war es in dem weißgekachelten Korridor im Souterrain des Krankenhauses still und kühl. Die Stille wurde auch nicht durch eine kleine Prozession gestört: Schwester Penfield und neben ihr eine fahrbare Trage, die leise auf kugelgelagerten Rollen glitt und von einem Pfleger in einer weißen Pflegeruniform und mit gummibesohlten Schuhen geschoben wurde.
Wie oft hatte sie diesen Weg wohl schon zurückgelegt, überlegte Schwester Penfield, während sie auf die verhüllte Gestalt auf der Trage hinunterblickte. Vielleicht fünfzigmal in den letzten elf Jahren, vielleicht öfter. Das war etwas, worüber man nicht Buch führte, diese letzte Fahrt zwischen dem Krankenzimmer und der Leichenkammer, zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten.
Dieser unauffällig eingefügte letzte Gang mit einem gestorbenen Patienten gehörte zur Tradition. Der Weg führte durch die Hintergänge des Krankenhauses und mit dem Lastenaufzug hinunter, um den Lebenden den dunklen, bedrückenden Anblick des nahen Todes zu ersparen. Es war der letzte Dienst, den die Pflegerin ihrem Pflegling erwies, eine Anerkennung dessen, daß der Patient nicht fallengelassen worden war, wenn auch die Medizin versagt hatte. Der Akt der Pflege, des Dienens, des Heilens wurde wenigstens symbolisch fortgesetzt, obwohl die Schwelle schon überschritten war.
Der weiße Korridor zweigte hier nach zwei Richtungen ab. Aus dem Gang von rechts klang das Surren von Maschinen. Dort befanden sich die Maschinenanlagen des Krankenhauses, die Heizung, die Heißwasseranlagen, die Stromerzeuger, der Notgenerator. In die andere Richtung wies ein einziges Schild:
>Pathologische Abteilung - Leichenkammer <.
Als Weidman, der Pfleger, mit dem Wagen nach links abbog, senkte ein Hausmeister, der entweder eine Pause machte oder sich heimlich von seinem Arbeitsplatz fortgeschlichen hatte, die Cola-Flasche, aus der er gerade trank, und trat zur Seite. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, deutete dann auf den Wagen. »Hat's diesmal nicht mehr geschafft, wie?« Die Frage galt Weidman. Es war ein freundschaftlicher Eröffnungszug eines oft gespielten Spiels.
Auch Weidman war das Spiel vertraut. »Seine Nummer war diesmal wohl dran, Jack.«