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In der Entbindungsstation im vierten Stock konnte nie vorausgesagt werden, zu welcher Stunde des Tages es ruhig sein würde. Babys, dachte Dr. Charles Dornberger, während er sich neben zwei anderen Geburtshelfern die Hände wusch, hatten die lästige Angewohnheit, in Gruppen zu kommen. Es gab Stunden und selbst Tage, während derer alles ordentlich und ruhig verlief und Kinder ordentlich eines nach dem anderen zur Welt gebracht werden konnten. Dann brach plötzlich der Teufel los, und ein halbes Dutzend wartete darauf, gleichzeitig geboren zu werden. Einer dieser Augenblicke war jetzt gekommen.
Seine eigene Patientin, eine dralle, ewig fröhliche Negerin, stand im Begriff, ihr zehntes Kind zur Welt zu bringen. Weil sie spät in das Krankenhaus gekommen war und die Wehen schon weit fortgeschritten waren, hatte man sie von der Notaufnahme auf einem Wagen heraufgebracht. Während Dornberger noch seine Hände bürstete, konnte er einen Teil ihrer Unterhaltung draußen mit dem Medizinalpraktikanten hören, der sie in die Abteilung hinauf begleitet hatte.
Anscheinend hatte der Praktikant den Personenaufzug unten im Erdgeschoß von anderen Fahrgästen frei gemacht, wie es in dringe nden Fällen üblich war.
»Haben Sie wegen mir all die netten Leute aus dem Aufzug geschickt?« fragte sie. »So wichtig bin ich noch nie im Leben genommen worden.« Darauf hörte Dornberger, wie der Praktikant ihr beruhigend zuredete, sie solle sich nicht aufregen. »Ich mich aufregen, mein Sohn?« antwortete sie. »Aber ich bin doch ganz ruhig. Ich bin immer ganz ruhig, wenn ich ein Baby bekomme. Das ist die einzige Zeit, wo ich mal nicht spülen muß, und nicht waschen und kochen. Ich freue mich immer, hierherzukommen. Für mich ist das wie ein Urlaub.« Sie schwieg, als Schmerzen nach ihr griffen, und murmelte dann zwischen zusammengepreßten Zähnen: »Neun Kinder hab' ich schon. Das ist mein zehntes. Der älteste ist so groß wie Sie, mein Sohn. Sie können mit mir auch im nächsten Jahr rechnen. Ich verspreche Ihnen, dann komme ich wieder.« Dornberger hörte ihr Kichern verklingen, nachdem die Schwestern des Kreißsaales sie übernommen hatten, während der Praktikant an seinen Platz in der Notaufnahme zurückkehrte.
Und dann folgte Dr. Dornberger gewaschen, im Operationsanzug, steril, aber vor Hitze schwitzend, seiner Patientin in den Entbindungsraum.
In der Krankenhausküche, wo die Hitze sich weniger drückend auswirkte, weil die Leute, die dort arbeiteten, an sie gewöhnt waren, probierte Hilda Straughan, die Küchenleiterin, ein Stück Rosinenkuchen und nickte dem feisten Konditor anerkennend zu. Sie befürchtete zwar, die Kalorien aus der Kostprobe würden sich zusammen mit anderen in einer Woche auf der Waage in ihrem Badezimmer zeigen, beruhigte ihr Gewissen aber damit, daß sie sich sagte, es gehöre zu ihren Pflichten, von den Speisen der Krankenhausküche so viele wie möglich zu kosten. Außerdem war es für Mrs. Straughan jetzt schon etwas spät, um sich noch wegen der Kalorien und ihres Körpergewichts Sorgen zu machen. Infolge zahlloser früherer Kostproben zeigte ihre Waage gegenwärtig rund zweihundert Pfund, von denen sich ein großer Teil in ihren prächtigen Brüsten befand, Zwillingsvorgebirgen, die im ganzen Krankenhaus berühmt waren und ihrem Gang die Majestät eines Flugzeugträgers, verliehen, dem zwei Schlachtschiffe als Geleit vorauslaufen.
Aber ebensosehr wie das Essen liebte Mrs. Straughan ihre Arbeit. Zufrieden sah sie sich um und überblickte ihr Reich: die schimmernden Stahlherde und Serviertische, die glänzenden Küchengeräte, die schneeweißen Schürzen der Köche und ihrer Helfer. Bei diesem Anblick wurde ihr warm ums Herz.
Es war die arbeitsreichste Zeit in der Küche. Das Mittagessen war die größte Mahlzeit des Tages, weil außer allen Patienten der gesamte Stab des Krankenhauses in der Kantine verpflegt werden mußte. In etwa zwanzig Minuten mußten die Tabletts mit den Speisen in die Krankenstationen hinaufgeschickt werden, und die anschließende Ausgabe des Essens in der Kantine dauerte zwei Stunden. Dann begannen die Köche mit der Vorbereitung des Abendbrots, während das Hilfspersonal das Geschirr spülte und aufräumte.
Der Gedanke an das Geschirr veranlaßte Mrs. Straughan zu einem sorgenvollen Stirnrunzeln, und sie begab sich in den hinteren Teil der Küche, wo zwei große, veraltete Geschirrspülmaschinen standen. Dieser Teil ihres Reiches war weniger glänzend und modern als die anderen, und die Küchenleiterin empfand nicht zum erstenmal, daß sie glücklich wäre, wenn sie auch hier wie in der übrigen Küche eine Modernisierung durchsetzen könnte. Sie sah allerdings ein, daß nicht alles auf einmal geschehen könne, und mußte zugeben, daß sie in den zwei Jahren, die sie ihre Stellung im Three Counties Hospital innehatte, der Krankenhausverwaltung eine ganze Menge kostspieliger neuer Anlagen abgezwungen hatte. Dessen ungeachtet entschloß sie sich, während sie weiterging, um die Wärmplatten im Eßsaal zu kontrollieren, den Verwaltungsdirektor bald wieder wegen ihrer Geschirrspüler anzusprechen.
Die Küchenleiterin war nicht die einzige Person in dem Krankenhaus, die ans Essen dachte. In der Röntgenabteilung, in der zweiten Etage, war ein ambulanter Patient - Mr. James Bladwick, Vizepräsident für Verkauf bei einer der drei führenden Autovertretungen in Burlington - nach seinen eigenen Worten >hungrig wie ein Wolfe.
Das hatte seinen Grund. Auf Anweisung seines Arztes hatte Jim Bladwick seit Mitternacht gefastet und befand sich jetzt im Röntgenraum Nr. 1, bereit zu einer Durchleuchtung der Verdauungsorgane. Die Röntgenstrahlen sollten den Verdacht, daß in Bladwicks Eingeweiden ein Zwölffingerdarmgeschwür wuchere, bestätigen oder widerlegen. Jim Bladwick hoffte, daß der Verdacht unbegründet sei. Tatsächlich hoffte er inbrünstig, daß sich weder ein Geschwür noch etwas anderes verschworen hatte, ihn jetzt zu behindern, grade jetzt, da sein Eifer und seine Opfer der letzten drei Jahre, seine Bereitschaft, angestrengter und länger als jeder andere im Verkaufsstab zu arbeiten, sich endlich bezahlt machten. Gewiß hatte er Sorgen. Wer hätte keine, wenn man jeden Monat die Absatzquote einer Vertretung erfüllen mußte. Aber es durfte einfach kein Geschwür sein. Es mußte etwas anderes sein, etwas Geringfügiges, das schnell in Ordnung gebracht werden konnte. Er war nicht länger als sechs Wochen Vizepräsident für Verkauf, aber trotz des hochtrabenden Titels wußte er besser als jeder andere, daß die Erhaltung dieser Stellung von seiner unverminderten Fähigkeit zu arbeiten abhing. Und um zu arbeiten, mußte er auf der Höhe bleiben: zäh, einsatzbereit, gesund. Kein ärztliches Attest konnte eine sinkende Absatzkurve ausgleichen. Jim Bladwick hatte diesen Augenblick seit einiger Zeit hinausgeschoben. Es war vermutlich zwei Monate her, daß er Unbehagen und unbestimmbare Schmerzen in der Magengegend bemerkt und auch häufiges Aufstoßen, manchmal in den ungeeignetsten Augenblicken, wenn er mit Kunden verhandelte, beobachtet hatte. Eine Zeitlang versuchte er, sich einzureden, es handle sich um nichts Besonderes, aber schließlich hatte er ärztlichen Rat gesucht, und die jetzige morgendliche Verabredung war das Ergebnis. Er hoffte allerdings, daß sie nicht zuviel Zeit in Anspruch nehmen würde. Der Abschluß mit Fowlers für sechs Lastwagen stand kurz bevor, und er brauchte diesen Abschluß dringend. Mein Gott, was hatte er für einen Hunger!
Für Dr. Ralf Bell, den leitenden Röntgenarzt - >Dingdong< nannten ihn die meisten Kollegen am Krankenhaus - bedeutete die Untersuchung nichts anderes als eine weitere Durchleuchtung der Verdauungsorgane, die sich von hunderten anderer in nichts unterschied. Diesmal entschloß er sich aber, >ja< zu tippen und spielte damit mit sich selbst ein Spiel, wie er es manchmal tat. Dieser Patient war der Typ für ein Geschwür. Durch seine Hornbrille mit den dicken Gläsern hatte Bell seinen Patienten unauffällig beobachtet. Der sieht wie einer aus, der sich Sorgen macht, dachte Bell; offensichtlich kocht er jetzt schon. Der Röntgenarzt rückte Bladwick hinter dem Leuchtschirm in die richtige Stellung und reichte ihm ein Glas mit Bariumbrei. »Wenn ich es Ihnen sage, trinken Sie das«, erklärte er.
Als er bereit war, befahl er: »Jetzt.« Bladwick leerte das Glas. Auf dem Leuchtschirm beobachtete Bell den Weg des Bariums, wie es zuerst durch die Speiseröhre, dann in den Magen und von dort in den Zwölffingerdarm lief. Durch den undurchlässigen Brei abgehoben, ließen die Röntgenstrahlen die Umrisse jedes Organs klar erkennen, und bei verschiedenen Stadien drückte Bell auf einen Knopf und hielt das Röntgenbild auf einem Film fest. Nun preßte er auf den Leib des Patienten, um das Barium umherzubewegen. Dann konnte er es sehen: einen Krater im Zwölffingerdarm. Klar und unverkennbar ein Geschwür. Die Wette habe ich wieder mal gewonnen, dachte er. Laut sagte er: »Das ist alles, Mr. Bladwick. Ich danke Ihnen.«
»Nun, Doc, wie lautet Ihr Urteil? Bleibe ich am Leben?«
»Sie bleiben am Leben.« Die meisten wollten wissen, was er auf dem Bildschirm sah. »Zauberspiegel an der Wand, wer ist der Gesündeste im ganzen Land?« Es war allerdings nicht seine Aufgabe, diese Auskunft zu geben. »Ihr behandelnder Arzt erhält morgen die Filme. Ich nehme an, er wird mit Ihnen sprechen.« Pech, mein Freund, dachte er, ich hoffe, Sie genießen gern viel Ruhe und eine Diät aus Milch und weichen Eiern.
Zweihundert Meter vom Hauptgebäude des Krankenhauses entfernt, in einem vernachlässigten Gebäude, das früher einmal eine Möbelfabrik gewesen war und jetzt den Schwestern als Wohnheim diente, hatte die Lernschwester Vivian Loburton Schwierigkeiten mit einem Reißverschluß, der sich nicht reißen lassen wollte.
»Verflucht und zugenäht.« Sie redete den Reißverschluß mit den Worten an, die ihr Vater gern gebrauchte, der durch Holzfällen ein ansehnliches Vermögen erworben hatte, aber darin keinen Grund sah, zu Hause anders zu reden ab in den Wäldern.
Die neunzehnjährige Vivian zeigte manchmal in einem interessanten Kontrast gleichzeitig die Robustheit ihres Vaters und die angeborene neuenglische Zartheit ihrer Mutter, die auch durch das enge Zusammenleben mit den Holzfällern Oregons nicht beeinträchtigt worden war. Während der ersten drei Monate ihrer Ausbildung als Krankenschwester hatte Vivian in ihren Reaktionen auf das Krankenhaus und die Krankenpflege bereits manche Züge ihrer beiden Eltern an sich entdeckt. Gleichzeitig und in gleicher Weise war sie von Ehrfurcht ergriffen und fasziniert, abgestoßen und angewidert. Sie vermutete, daß die erste nahe Begegnung mit Krankheit und Leiden für einen Neuling immer mit einem Schock verbunden sei, aber diese Erkenntnis half nicht viel, wenn sich einem der Magen umdrehen wollte, und es erforderte die ganze Willenskraft, die man besaß, sich nicht abzuwenden und davonzulaufen.
Nach Augenblicken wie diesen fühlte sie die Notwendigkeit eines Tapetenwechsels, eines reinigenden Gegenmittels. Und in gewissem Umfang hatte sie das in einer alten Liebe gefunden: in der Musik. Überraschenderweise besaß Burlington für eine Stadt seiner Größe ein ausgezeichnetes Symphonieorchester, und nachdem Vivian das entdeckt hatte, war sie eine seiner Verehrerinnen geworden. Sie beobachtete, daß der Wechsel im Tempo, die Wohltat guter Musik ihr halfen, fest und ihrer selbst sicher zu werden. Sie bedauerte es, als die Konzerte durch die Sommerpause unterbrochen wurden, und in letzter Zeit hatte es Augenblicke gegeben, in denen sie das Bedürfnis nach etwas empfand, das an deren Stelle treten konnte.
Allerdings war im Augenblick keine Zeit für abschweifende, seltsame Gedanken. Die Pause zwischen dem Vormittagsunterricht und dem Dienstantritt in einem Krankensaal war kurz genug. Und jetzt dieser Reißverschluß!... Sie zerrte wieder, und plötzlich faßten die Zähne, der Reißverschluß schloß sich. Erleichtert lief sie zur Tür, blieb dann stehen, um sich über das Gesicht zu wischen. Himmel, war es heiß. Diese Anstrengung hatte sie in idiotisches Schwitzen versetzt.
So verging dieser Vormittag wie alle anderen Vormittage im ganzen Krankenhaus. In den Kliniken, den Säuglingsstationen, Laboratorien, Operationsräumen; in der Psychiatrie, der Kinderabteilung, der Hautklinik; in der Orthopädie, der Augenklinik, der Frauenklinik, der Urologie, in den Krankensälen der Fürsorge und den Pavillons der Privatpatienten; in den anderen Abteilungen - Verwaltung, Buchhaltung, Einkauf, Haushalt; in den Wartezimmern, Korridoren, Aufzügen. Durch die fünf Stockwerke, das Souterrain und den Keller des Three Counties Hospitals fluteten und ebbten die Wogen und Strömungen der Menschlichkeit und der Medizin.
Es war elf Uhr am fünfzehnten Juli.
II
Zwei Blocks vom Three Counties Hospital entfernt schlug die Uhr vom Turm der Erlöserkirche die volle Stunde, als Kent O'Donnell von der chirurgischen Abteilung zur Verwaltung hinunterging. Die Töne der Glocke, seit eh und je durch einen Fehler bei ihrem lange zurückliegenden Guß verstimmt, drangen durch ein offenes Fenster ins Treppenhaus. Automatisch verglich ODonnell die Zeit auf seiner Armbanduhr und wich einer Gruppe von Praktikanten aus, die eilig an ihm vorbei die Treppe für Angestellte des Krankenhauses heraufdrängten. Ihre Schritte dröhnten laut auf den eisernen Stufen. Die Praktikanten verlangsamten ihr Tempo etwas, als sie den Präsidenten des medizinischen Ausschusses sahen, und grüßten mit einem respektvollen »Guten Morgen, Doktor«, als sie an ihm vorbeikamen. Im Gang auf der zweiten Etage blieb O'Donnell stehen, um eine Schwester mit einem Rollstuhl vorbeizulassen. In ihm saß ein etwa zehnjähriges Mädchen mit einem Verband über einem Auge. Neben ihr ging, schützend hinuntergebeugt, eine Frau, offensichtlich die Mutter.
Die Schwester, der er zulächelte, obwohl er sie nicht wiedererkannte, taxierte ihn verstohlen. Trotz seiner Anfang Vierzig drehten Frauen sich immer noch nach O'Donnell um. Er hatte sich die Form erhalten, dank der er in der Rugbymannschaft seines Colleges ein geschätzter Quarterback gewesen war, seine große, aufrechte Gestalt, mit kräftigen, breiten Schultern und muskulösen Armen. Selbst heute noch hatte er die Eigenart, die Schultern zu heben, wenn er sich bereit machte, eine schwierige Aufgabe anzupacken oder eine Entscheidung zu treffen, als ob er sich unwillkürlich darauf vorbereite, den Angriff eines wild entschlossenen Stürmers abzuwehren. Doch trotz seines Gewichts, vorwiegend Muskeln und Knochen mit kaum einem Pfund überflüssigen Fetts, bewegte er sich leichtfüßig, und regelmäßiger Sport - Tennis im Sommer und Skilaufen im Winter - hatten ihn gesund und elastisch erhalten.
O'Donnell galt nie als schön im adonischen Sinn, sondern besaß kräftige, faltige, unregelmäßige Gesichtszüge (seine Nase zeigte immer noch die Narbe von einer alten Fußballverletzung), die Frauen an Männern unbegreiflicherweise so häufig anziehend finden. Nur sein Haar zeigte erkennbare Spuren seiner Jahre; vor nicht langer Zeit noch pechschwarz, ergraute es jetzt schnell, als ob das Pigment plötzlich kapituliert und den Rückzug angetreten hätte.
Jetzt hörte O'Donnell hinter sich seinen Namen rufen. Er blieb stehen und sah sich um. Es war Bill Rufus, einer der älteren Chirurgen des Krankenhauses.
»Wie geht es, Bill?« O'Donnell hatte Rufus gern. Er war gewissenhaft und zuverlässig, ein guter Chirurg mit einer umfangreichen Praxis. Seine Patienten vertrauten ihm wegen seiner aufrichtigen Zuverlässigkeit, die zum Ausdruck kam, wenn er sprach. Er wurde von seinen Kollegen respektiert, Praktikanten und Assistenzärzte schätzten ihn, weil sie fanden, daß Dr. Rufus eine angenehme, nicht verletzende Art besaß, vernünftige Belehrungen zu erteilen und sie dabei als seinesgleichen zu behandeln, ein Verhalten, das bei anderen Chirurgen nicht immer zu finden war.
Seine einzige Absonderlichkeit, wenn man es so nennen wollte, war die Gewohnheit, unmöglich grelle Krawatten zu tragen. O'Donnell schauderte innerlich, als er die Schöpfung sah, mit der sein Kollege sich heute zur Schau stellte: türkisfarbene Kreise und zinnoberrote Blitze auf einem Grund in Mauve und Zitronengelb. Bill Rufus nahm eine ganze Menge Anzüglichkeiten über seine Krawatten hin. Einer der Psychiater hatte kürzlich behauptet, sie stellten einen Eiterherd eines innerlichen Garens unter einer konserva tiven Oberfläche dar. Aber Rufus hatte nur gut gelaunt gelacht. Heute schien er allerdings in Sorge zu sein.
»Kent, ich möchte mit Ihnen reden«, sagte Rufus.
»Sollen wir in mein Zimmer gehen?« O'Donnell war neugierig. Rufus war nicht der Mann, der zu ihm kam, wenn es sich um etwas Unwichtiges handelte.
»Nein, wir können hier so gut reden wie irgendwo anders. Hören Sie, Kent, es handelt sich um die Befunde der Pathologie.«
Sie traten zu einem Fenster, um dem Hin und Her in dem Gang auszuweichen, und O'Donnell dachte: Das habe ich befürchtet. Zu Rufus sagte er: »Was haben Sie für Sorgen, Bill?«
»Die Berichte brauchen zu lange. Viel zu lange.« O'Donnell kannte das Problem gut. Wie andere Chirurgen, operierte Rufus häufig Patienten mit einem Tumor. Wenn ein Tumor freigelegt war, wurde er zur Überprüfung durch den Pathologen des Hospitals, Dr. Joseph Pearson, entfernt. Der Pathologe nahm zwei Untersuchungen des Gewebes vor. Zuerst ließ er einen kleinen Teil gefrieren und untersuchte das Gewebe unter dem Mikroskop. Das geschah in einem kleinen Labor unmittelbar neben dem Operationsraum, während der Patient noch in der Narkose lag. Diese Untersuchung ergab eines von zwei möglichen Urteilen. Lautete es auf >bösartig<, bedeutete es, daß Krebs vorlag, und wies auf die Notwendigkeit einer weiteren großen Operation des Patienten hin. Das Urteil >gutartig< bedeutete eine Erlösung und besagte im allgemeinen, daß der Patient nach der Entfernung des Tumors keiner weiteren Behandlung bedurfte. Wenn die Untersuchung des Gefrierschnittes die Diagnose >bösartig< ergab, wurde die Operation sofort weitergeführt. Andererseits war das Urteil >gutartig< des Pathologen für den Chirurgen das Signal, den Operationsschnitt zu schließen und den Patienten in den Aufwachraum bringen zu lassen.
»Bei den Gefrierschnitten treten doch keine Verzögerungen auf, oder?« O'Donnell hatte noch keine Klage darüber gehört, aber er wollte Gewißheit haben.
»Nein«, antwortete Rufus, »es gäbe auch ein schönes Geschrei, wenn das der Fall wäre. Aber die Befunde über die Gesamtuntersuchung des Gewebes, die brauchen zu lange.«
»Ich verstehe.« O'Donnell versuchte Zeit zu gewinnen, um zu überlegen. Im Geist überprüfte er das Verfahren. Nach der Untersuchung des Gefrierschnittes wurde der entfernte Tumor in das Labor der Pathologie geschickt, wo ein Laborant verschiedene Gewebeschnitte vorbereitete, wobei er gründlicher und unter günstigeren Bedingungen arbeiten konnte. Später untersuchte der Pathologe die Schnitte und gab sein endgültiges Urteil ab. Manchmal erwies sich ein Tumor, der bei dem Gefrierschnitt als gutartig oder zweifelhaft klassifiziert worden war, bei dieser späteren, genaueren Untersuchung als bösartig, und es galt nicht als ungewöhnlich, wenn der Pathologe nach seiner zweiten Untersuchung sein erstes Urteil revidierte. In diesen Fällen wurde der Patient in den Operationssaal zurückgebracht und die notwendige Operation vorgenommen. Ganz eindeutig war es aber wichtig, daß der Pathologe seinen zweiten Befund schnell abgab. O'Donnell hatte bereits erkannt, daß hierin der Kern von Rufus' Beschwerde lag.
»Wenn es nur einmal passiert wäre«, beklagte sich Rufus, »würde ich nicht davon reden. Ich weiß, daß die Pathologie sehr viel zu tun hat, und ich will auch nichts gegen Joe Pearson sagen, aber es ist eben nicht nur dieser eine Fall, Kent. Es ist dauernd so.«
»Nennen Sie mir ein spezifisches Beispiel, Bill«, forderte O'Donnell knapp. Er bezweifelte allerdings keinen Augenblick, daß Rufus seine Beschwerde durch Tatsachen belegen könnte.
»Also gut. Ich operierte in der vergangenen Woche eine Patientin, eine Mrs. Mason, mit einem Brusttumor. Ich entfernte den Tumor, und nach dem Gefrierschnitt erklärte Joe Pearson: gutartig. Später allerdings, in seinem pathologischen Befund, bezeichnete er ihn als bösartig.« Rufus hob die Schultern. »Dagegen ist nichts einzuwenden. Es ist bei der ersten Untersuchung nicht immer eindeutig zu erkennen.«
»Aber?« Jetzt, nachdem O'Donnell wußte, um was es ging, wollte er die Sache hinter sich bringen.
»Pearson brauchte für den pathologischen Befund acht Tage. Als ich den Bericht endlich erhielt, war die Patientin bereits entlassen.«
»So, so.« Das ist tatsächlich böse, dachte O'Donnell. Das konnte er nicht einfach übergehen.
»Es ist nicht einfach«, fuhr Rufus ruhig fort, »eine Frau zurückzuholen und ihr zu erklären, daß man sich geirrt habe, daß sie doch Krebs habe und daß sie noch einmal operiert werden müsse.«
Nein, das war nicht einfach; O'Donnell wußte es nur zu gut. Einmal, ehe er zum Three Counties Hospital gekommen war, hatte er das gleiche erlebt. Er hoffte, daß er es nie wieder tun mußte.
»Bill, wollen Sie mich die Geschichte auf meine Art in Ordnung bringen lassen?« O'Donnell war froh, daß es Rufus war, der ihm den Fall vortrug. Mit einem der anderen Chirurgen wäre es schwieriger gewesen.
»Gewiß, wenn etwas Definitives geschieht.« Rufus' Hartnäckigkeit war gerechtfertigt. »Verstehen Sie, es handelte sich nicht um einen vereinzelten Fall. Zufällig ist es diesmal ein sehr böser.«
Auch hier wußte O'Donnell, daß das stimmte. Das Schwierige war, daß Rufus verschiedene andere Probleme nicht kannte, die damit in Zusammenhang standen.
»Heute nachmittag noch werde ich mit Joe Pearson reden«, versprach er. »Nach der Konferenz über die Todesfälle in der Chirurgie. Sie kommen doch?«
Rufus nickte. »Gewiß, ich komme.«