174189.fb2 Letzte Diagnose - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

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»Vivian«, sagte er, »du brauchst mir nichts vorzumachen. Wenn du zurück ins Krankenhaus willst, dann sage es nur, ich bringe dich hin.«

»Bitte, glaube mir, Mike.« Sie ergriff seinen Arm. »Es ist mein Knie. Es tut schrecklich weh. Ich muß mich setzen.«

»Komm mit.« Sie erkannte, daß er noch skeptisch war, aber er führte sie unter den Bäumen zurück. In der Nähe stand eine Parkbank; darauf gingen sie zu.

Ab sie sich erholt hatte, sagte Vivian: »Es tut mir leid. Das tat ich nicht absichtlich.«

Zweifelnd fragte er: »Ganz bestimmt?«

Sie griff nach seiner Hand. »Mike - dort drüben - ich wollte es. Aber dann das.« Wieder kam der Schmerz.

Er antwortete: »Verzeihung, Vivian, ich glaubte.«

»Ich weiß, was du glaubst«, sagte sie. »Aber das war es nicht. Wirklich nicht.«

»Also gut, dann sage mir, wo du Schmerzen hast.« Jetzt war er Arzt. Die Küsse unter den Bäumen waren vergessen.

»Es ist mein Knie. Es kam ganz plötzlich. Ein furchtbarer Schmerz.«

»Laß mich sehen.« E" kauerte vor ihr nieder. »Welches ist es?«

Sie zog ihren Rock hoch und deutete auf das linke Knie. Er betastete es sorgfältig, der Griff seiner Hände war zart. Im Augenblick schob Mike Seddons den Gedanken beiseite, daß er dieses Mädchen noch vor kaum zwei Minuten im Arm gehalten und umworben hatte. Jetzt war er nüchtern; sachlich untersuchte er. Wie er es gelernt hatte, überlegte er methodisch die Möglichkeiten.

Er stellte fest, daß Vivians Nylonstrümpfe seinen Tastsinn beeinträchtigten.

»Ziehe deinen Strumpf hinunter, Vivian!« Sie tat es, und seine untersuchenden Finger betasteten wieder behutsam ihr Knie. Während sie ihn beobachtete, dachte sie: er ist gut, er wird ein guter Arzt. Menschen werden zu ihm kommen, damit er ihnen hilft, und er wird freundlich zu ihnen sein und alles für sie tun, was er kann. Sich selbst sagte sie: das ist lächerlich. Wir kennen uns kaum. Dann kehrte einen Augenblick der Schmerz zurück, und sie stöhnte.

Mike fragte: »Ist das schon einmal aufgetreten?« Einen Augenblick lang überkam sie die Lächerlichkeit der Situation, und sie kicherte.

»Was gibt es denn, Vivian?« Mike war überrascht.

»Ich mußte nur denken, vor ein oder zwei Minuten noch. Und jetzt benimmst du dich wie ein Arzt in seinem Sprechzimmer.«

»Hör zu, Kind.« Er war ernst. »Ist das schon einmal aufgetreten?«

Sie antwortete: »Ja, einmal. Es war aber nicht so schlimm wie jetzt.«

»Wie lange ist das her?«

Sie überlegte. »Etwa einen Monat.«

»Bist du damit bei einem Arzt gewesen?« Jetzt war sein Ton ganz sachlich.

»Nein. Hätte ich das tun sollen?«

Ohne sich festzulegen, antwortete er: »Vielleicht.« Dann fügte er hinzu: »Morgen wirst du es aber auf jeden Fall tun. Am besten gehst du zu Dr. Grainger.«

»Mike, fehlt mir etwas?« Jetzt ergriff sie plötzlich eine unbestimmte Unruhe.

»Wahrscheinlich nicht«, sagte er aufmunternd. »Aber du hast da eine kleine Schwellung, die nicht da sein sollte. Doch darüber soll Lucy Grainger entscheiden. Ich werde morgen früh mit ihr sprechen. Nun müssen wir dich nach Hause schaffen.«

Die vorherige Stimmung war verflogen. Sie konnten sie nicht wiederfinden, jedenfalls nicht heute nacht, und beide wußten es.

Mike half ihr auf. Als er den Arm um sie legte, empfand er plötzlich den Wunsch, ihr zu helfen und sie zu beschützen. Er fragte: »Glaubst du, daß du gehen kannst?« Vivian antwortete: »Ja, der Schmerz ist jetzt verschwunden.«

»Wir gehen nur bis zum Tor«, sagte er. »Dort können wir ein Taxi bekommen.« Weil sie bedrückt war, fügte er dann fröhlich hinzu: »Mein Patient ist ein knauseriger Filz. Nicht einmal das Geld für ein Taxi hat er geschickt.«

IX

»Schildern Sie mir die Einzelheiten.«

Über ein binokulares Mikroskop gebeugt, grunzte Dr. Joseph Pearson die Worte Roger McNeil fast zu.

Der Assistenzarzt der Pathologie sah in seine Aufzeichnungen. »Der Patient war ein vierzigjähriger Mann, der mit Blinddarmentzündung bei uns aufgenommen wurde.« McNeil saß Pearson an dem Schreibtisch im Arbeitszimmer der Pathologen gegenüber.

Pearson zog den Objektträger mit dem Schnitt, den er untersucht hatte, aus dem Mikroskop und ersetzte ihn durch einen anderen. Er fragte: »Was hat die Untersuchung des Gewebes beim Kolloquium ergeben?«

McNeil, der das Kolloquium allein durchgeführt hatte, nachdem der entfernte Appendix aus dem Operationsraum heruntergekommen war, antwortete: »Im großen ganzen erschien es mir völlig normal.«

»Hm.« Pearson schob den Schnitt unter dem Mikroskop hin und her. »Einen Augenblick«, sagte er, »hier ist etwas.« Nach einer Pause zog er den zweiten Objektträger heraus und untersuchte einen dritten. »Ja, hier ist es deutlich, eine akute Appendizitis. Sie beginnt gerade hier in diesem Schnitt. Wer war der Chirurg?«

»Dr. Bartlett«, antwortete McNeil.

Pearson nickte. »Er hat die Entzündung richtig und frühzeitig erkannt. Sehen Sie es sich an.« Er räumte den Platz vor dem Mikroskop für McNeil.

Wie es das Lehrprogramm des Krankenhauses von ihm verlangte, arbeitete Pearson mit dem Assistenzarzt zusammen und bemühte sich gleichzeitig, mit den pathologischen Befunden für die Chirurgie auf dem laufenden zu bleiben. Trotz aller Anstrengungen war beiden allerdings bewußt, daß sie mit ihrer Arbeit weit im Rückstand lagen. Die Schnitte, die sie jetzt untersuchten, stammten von einem Patienten, der vor mehreren Wochen schon operiert worden war. Der Patient war inzwischen längst entlassen, und im vorliegenden Fall konnte der Befund lediglich die ursprüngliche Diagnose des Chirurgen bestätigen oder widerlegen. Hier hatte Gil Bartlett völlig recht gehabt, sich tatsächlich sogar Anerkennung verdient, da er die Erkrankung im Anfangsstadium erkannte, noch ehe der Patient viel zu leiden hatte.

»Also weiter.« Pearson setzte sich wieder vor das Mikroskop, und McNeil kehrte an die andere Seite des Schreibtisches zurück.

Der Assistent schob einen Behälter mit Objektträgern vor Pearson, und während der Pathologe ihn öffnete, nahm McNeil sich ein neues Blatt mit Notizen vor. Während sie arbeiteten, kam Bannister leise in das Zimmer. Nach einem flüchtigen Blick auf die beiden begann er, hinter ihnen in einem Aktenschrank Papiere abzulegen.

»Der Fall befindet sich noch in Behandlung«, erklärte McNeil. »Die Probe kam vor fünf Tagen zu uns herunter, und sie warten oben auf unseren Befund.«

»Es wäre besser, wenn Sie mir diese Fälle zuerst vorlegten« sagte Pearson mürrisch, »sonst blöken sie da oben wieder über uns.«

McNeil war im Begriff zu antworten, daß er vor mehreren Wochen schon vorgeschlagen habe, das Arbeitsverfahren in diesem Sinne zu ändern, Pearson aber darauf bestanden hatte, alle Proben in der Reihenfolge zu untersuchen, wie sie in der Pathologie eintrafen. Der Assistenzarzt unterdrückte diese Bemerkung jedoch. Was geht es mich an, dachte er. Er erklärte: »Eine fünfundsechzigjährige Frau. Die Probe stammt von einer Hautwucherung. Äußerlich erschien sie wie ein Leberfleck. Die Frage lautet: Ist es ein bösartiges Melanom?«

Pearson schob den ersten Schnitt unter das Mikroskop und bewegte ihn hin und her. Dann stellte er das Mikroskop auf die stärkste Vergrößerung um und drehte am Okular. »Könnte sein.« Er nahm den zweiten Schnitt, dann zwei weitere. Danach lehnte er sich nachdrücklich zurück. »Andererseits besteht die Möglichkeit eines Naevus coeruleus. Was halten Sie davon?«

McNeil setzte sich vor das Mikroskop. Die Wichtigkeit dieses Falles war ihm klar. Ein bösartiges Melanom ist eine heimtückische, gefährliche Hautgeschwulst. Ihre Zellen konnten sich schnell und mörderisch im Körper verbreiten. Wenn es aus der kleinen bereits entfernten Probe eindeutig erkannt wurde, bedeutete es eine sofortige schwere Operation für die Patientin. Ein Naevus coeruleus war dagegen ein völlig harmloses Muttermal. Es konnte für den Rest ihres Lebens unbeachtet am Körper der Frau bleiben, ohne ihr zu schaden.

Aus seinen Studien wußte McNeil, daß bösartige Melanome nicht häufig waren, er wußte aber auch, daß ein Muttermal der Gattung Naevus coeruleus äußerst selten auftrat. Mathematisch gesehen bestand die Wahrscheinlichkeit, daß die vorliegende Geschwulst bösartig war. Aber hier ging es nicht um Mathematik, hier ging es um Pathologie in ihrer reinsten Form.

Wie er es gelernt hatte, verglich McNeil im Geist die Merkmale der beiden Geschwulstarten. Sie waren in bedrückender Weise ähnlich. Beide bestanden zum Teil aus Narben, zum Teil aus Zellgewebe und enthielten sehr viel Pigment. Ferner zeigten beide eine sehr klare Zellstruktur. McNeil war auch gelehrt worden, ehrlich zu sein. Nachdem er die Schnitte genau geprüft hatte, sagte er zu Pearson: »Ich weiß es nicht.« Er fügte hinzu: »Wie ist es mit früheren Fällen? Können wir zum Vergleich welche heraussuchen? «

»Es würde Jahre dauern, bis wir sie finden. Ich erinnere mich nicht mehr, wann ich den letzten Naevus coeruleus sah.« Pearson runzelte die Stirn. Seufzend sagte er: »Eines Tages müssen wir uns ein Krankheitsregister anlegen. Wenn wir dann auf zweifelhafte Fälle wie diesen stoßen, können wir die Vergleichsfälle heraussuchen.«

»Das sagen Sie schon seit fünf Jahren«, ließ sich Bannister trocken hinter ihnen vernehmen. Pearson fuhr herum: »Was machen Sie denn da?«

»Ich lege ab«, antwortete der erste Laborant kurz und bündig. »Eine Arbeit für Büropersonal - wenn wir ausreichend Arbeitskräfte hätten.«