173819.fb2 Kein Fall f?r Mr. Holmes - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

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7. Das geheimnisvolle Mädchen

Als Vi und ich am folgenden Morgen die Treppe hinuntergingen, wurden wir von Hogarth empfangen, der uns mühsam entgegenkam.

»Mrs. Warner, Mrs. Hudson«, keuchte er und hielt sich am Geländer fest, um wieder zu Atem zu kommen. »Ich war gerade auf dem Weg zu Ihnen, um Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß sich das Frühstück verzögern wird, bis. «

»Was?« unterbrach ihn Vi. »Ist mit Cook irgend etwas nicht in Ordnung? Und ich hab’ mich so auf Heringe und Würstchen gefreut. Nun, da siehst du’s mal wieder«, sagte sie mit einem Seufzer, »nicht einmal in einem solch vornehmen Haus kann man sicher sein, wann es das nächste Mal etwas zu essen gibt.«

»Mit Cook ist alles in Ordnung, Mrs. Warner«, erwiderte Hogarth. »Ich fürchte, es handelt sich um etwas Ernsteres als das. Die Polizei ist hier.«

»Die Polizei!« riefen wir einstimmig aus.

»Ein Inspektor und ein Constable aus Twillings, Mrs. Hudson.«

Ich erinnerte mich an Twillings als den Namen des Dorfes, in dem ich den Bauern getroffen hatte, der mich zum Gut mitgenommen hatte.

»Worum geht es denn, Hogarth?« fragte ich.

Obwohl er sichtlich mitgenommen war, ermöglichten es dem alten Herrn die langen Jahre der Dienerschaft, ein jeder Situation angemessenes Gefühl für Etikette zu bewahren.

»Sir Charles«, erklärte er mit einem nur kleinen Zittern in der Stimme, »hat sich dem Wunsch des Inspektors gefügt, daß sich die Familie, ebenso wie andere auf dem Gut logierende Personen, außer den Bediensteten, so bald wie möglich im Musikzimmer einfinden möge, Madam.« »Die Bediensteten nicht?«

»Alle anderen wurden, ebenso wie ich, schon befragt, Mrs. Hudson.«

»Zumindest wird endlich etwas unternommen!« rief Violet aus. Dann fügte sie mit einem mißtrauischen Blick in Richtung Hogarth hinzu: »Ah, es geht doch um Ihre Ladyschaft, oder?«

»Ich fürchte, Mrs. Warner«, lautete die zurückhaltende Antwort des alten Herrn, »es wäre unklug meinerseits, wenn ich noch mehr Informationen preisgäbe, als ich es schon getan habe.«

»Aber, Hogarth.« Ich hielt inne, als er seinen Blick von mir abwendete und sich vor aufgestautem Kummer auf die Lippe biß.

Ich hatte das Gefühl, daß er uns eine Menge erzählen könnte, aber er blieb der ewig perfekte Butler. Ich drängte ihn nicht weiter und fragte mich, ob sich tatsächlich jemand zum Ableben der verstorbenen Lady St. Clair geäußert hatte. Und falls ja - wer? Violet, so nahm ich an, gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf, denn wir tauschten verwirrte Blicke aus, während wir die Treppe hinuntergingen und uns ins Musikzimmer begaben.

»Hallo, kommen Sie herein, meine Damen«, sagte Sir Charles, als wir

- kurzfristig zögernd - in der offenen Tür standen. »Das macht die Gesellschaft wohl komplett«, fügte er hinzu und wandte sich dabei an einen kleineren Mann mit einem buschigen Schnauzer, der genau links von uns stand und sowohl einen Mantel als auch eine fest auf dem Kopf sitzende Melone trug. Merkwürdig, dachte ich, waren sie durch die Gegenwart des Herren so eingeschüchtert, daß sie auf die Bitte verzichteten, er möge den Hut abnehmen?

Ich schaute mich im Zimmer um und sah Lady Margaret, die feierlich in schwarzen Brokat gekleidet links vom Piano bei ihrem Mann stand.

Guter Gott, dachte ich, wann muß diese Frau wohl morgens aufstehen, um jetzt schon eine so präsentable Figur abzugeben?

Außer den St. Clairs und dem Mann, der offensichtlich der Inspektor war, von dem Hogarth gesprochen hatte, waren noch drei weitere Herren anwesend. Zwei standen zusammen und unterhielten sich leise, während sich der dritte am Fenster plaziert hatte. Jegliche Taxierung, die ich von den dreien hätte vornehmen können, wurde abrupt von einer fragenden Stimme unterbrochen: »Und Sie sind.?«

»Mrs. Hudson«, stellte ich mich selbst vor. »Und dies ist Mrs. Warner, eine alte Freundin und die ehemalige Gesellschafterin der verstorbenen Lady St. Clair, Inspektor.?«

»Thackeray, Madam. Inspektor Jonas Thackeray von der Polizeistation Twillings. Nun gut, meine Damen«, sagte er mit monotoner Stimme, »wie ich den Anwesenden schon mitteilte.«

Er wurde mitten im Satz von Vi unterbrochen, die eine Entschuldigung für unsere Verspätung vorbringen wollte. »Entschuldigen Sie, Inspektor, wir wär’n ja früher unten gewesen, aber Em, ich mein’ Mrs. Hudson, und ich, wir waren die halbe Nacht wach. Haben geredet bis in die Puppen. Normalerweise bin ich früher. «

Ihr wurde von Augenbrauen Einhalt geboten, die sich langsam aufwärts zum Rand der Melone bewegten, während die kleinen runden Augen unterhalb der Hutkrempe sie wütend anstarrten.

»Wenn Sie gestatten, Madam!«

Während Vi und ich die Gelegenheit nutzten, auf zwei großen und eher unbequemen Stühlen Platz zu nehmen, bemerkte ich, daß die zwei Männer, die zuvor miteinander gesprochen hatten, es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatten.

»Ich werde von neuem beginnen. «

»Inspektor Thackeray!« Lady Margarets Stimme durchschnitt den Raum. »Wenn Sie das Gefühl haben, Ihnen könnte etwas auf den Kopf fallen, dann behalten Sie Ihren Hut um Himmels willen auf, ansonsten.«

Der arme Inspektor, der so in Verlegenheit geriet wie ein Junge beim Damentee, nahm die anstößige Melone vom Kopf und legte sie auf den Tisch.

Nicht schlecht, Lady Margaret, dachte ich.

»Sie müssen mir verzeihen, Mylady«, stammelte er. »Die meiste Zeit merke ich nicht einmal, daß ich ihn aufhabe. Meine Frau«, fuhr er in dem offensichtlichen Bestreben, seine Verlegenheit zu verbergen, fort, »sagt sogar, ich würde damit ins Bett gehen, wenn sie nicht.«

Unruhiges Füßescharren war zu hören. Sir Charles hustete.

In dem Versuch, seine Fassung wiederzuerlangen, holte der Inspektor hastig einen kleinen Notizblock und einen Stift aus der Innentasche seines Mantels hervor.

»Nun, ja, ich fang’ noch mal von vorne an, nicht wahr?«

Er schwieg für einen kurzen Augenblick, während er sich fragend im Zimmer umschaute. Zufrieden darüber, daß er nun wohl ohne weitere Unterbrechungen fortfahren konnte, kam er sofort zur Sache. »Die Leiche einer jungen Frau«, verkündete er, »deren Identität bisher unbekannt ist, wurde heute in den frühen Morgenstunden auf dem Grundstück des Gutes von.« - er warf einen kurzen Blick auf seine Notizen - »einem gewissen Will Tadlock aufgefunden, welcher auf Haddley als Stallbursche angestellt ist. Todesursache war ein starker Schlag von hinten mit einem schweren, stumpfen Gegenstand. Eine vorläufige Untersuchung des Leichnams durch Dr. Morley«, fuhr er fort, »legt den Mord in etwa auf den Zeitraum zwischen elf Uhr gestern abend und ein Uhr heute morgen fest.«

»Ermordet! Eine junge Frau!« Ich schlug die Hand vor den Mund, um einen Aufschrei zu ersticken. Da ich das Gefühl hatte, kurz vor einer Ohnmacht zu stehen, lehnte ich mich gegen Vi und griff haltsuchend nach ihrem Arm. Sie saß fest verwurzelt in ihrem Stuhl, wobei ihre anfängliche Reaktion in Form eines Staunens mit offenem Mund letztendlich einem verzweifelten Ausruf wich.

»Doch nicht Mary!«

Thackeray drehte sich ruckartig zu ihr um. »Mary? Mary wer?«

»Mary O’Connell, Inspektor, ein Stubenmädchen«, sagte der Mann am Fenster, bei dem es sich, wie ich an seinen Gesichtszügen erkennen konnte - vorstehende Nase und das gleiche weiche Kinn - wohl um den Squire St. Clair, den jüngeren Bruder von Sir Charles, handelte.

»Nein, Mrs. Warner, es war nicht Mary«, versicherte er ihr. »Heute morgen fand eine Besichtigung der Leiche statt, und ich kann Ihnen versichern, daß es nicht das Mädchen O’Connell war.«

»Nun, Gott sei Dank«, lautete die erleichterte Antwort meiner Kameradin. »Aber«, befragte sie den Inspektor, »wer ist es dann?«

Die Antwort kam recht verärgert. »Das, Mrs. Warner, versuche ich gerade herauszufinden!«

»Inspektor Thackeray«, meldete ich mich zu Wort, »wollen Sie uns erzählen, daß hier auf dem Gut eine Frau brutal ermordet worden ist, und keiner weiß, wer dieses arme Geschöpf eigentlich ist? Sie haben alle befragt, nehme ich an?«

»Ja, Mrs. Hudson«, lautete die wortkarge Antwort. »Alle - außer Sie und Mrs. Warner.«

Glücklicherweise kam Hogarth gerade in diesem Moment herein und verzögerte für einen Augenblick weitere Äußerungen des guten Inspektors.

»Tee, wie gewünscht, Mylady.«

»Danke, Hogarth. Dort drüben wäre recht«, sagte Lady Margaret und deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Tisch im Queen-Anne-Stil, der vor einem Erkerfenster mit offen drapierten Vorhängen stand.

Während der alte Herr durch das Zimmer schritt, strömte das Sonnenlicht eines frühen Oktobermorgens durch das Fenster, wobei die Strahlen sich in dem runden Silbertablett und dem Teegeschirr spiegelten, welches um ein Sortiment von Feingebäck aufgebaut war.

»Ah, Margaret, unsere Rettung!« lautete Sir Charles’ seltsame Antwort auf das Dargebotene.

»Ich weiß, du hättest etwas Stärkeres vorgezogen, Charles, selbst zu dieser frühen Morgenstunde. Aber versuche bitte, tapfer durchzuhalten, zumindest bis zum Mittag.«

»Ha, du machst unseren Thackeray ja glauben, mein Liebling, ich sei der Säufer in der Familie. Nein wirklich, Sir, ich versichere Ihnen, das ist nicht der Fall. Aber dennoch verstehe ich nicht, was daran falsch sein soll, wenn einem ein oder zwei Whisky dabei helfen, der schrecklichen Realität zu entfliehen. Sehr viel erfreulicher als ein Kartenabend - außerdem auch billiger. Bist du nicht auch meiner Meinung, Henry?«

Der Squire tat die Bemerkung mit einem hohlen Lachen ab.

Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Butler zu, der sich lautlos zurückzog. Als er die Tür erreichte, hielt er kurz inne, bevor er sich umdrehte und mich anschaute. Obwohl kein einziges Wort gesagt wurde, sprachen jene traurigen und müden Augen Bände.

Hogarth, dachte ich, nachdem ich Vi und mir Tee eingeschenkt hatte und wieder an meinen Platz zurückgekehrt war, Sie und ich werden zu einem angemesseneren Zeitpunkt noch einen netten kleinen Plausch abhalten. Einige Augenblicke später bemerkte ich, daß einer der drei sitzenden Herren seinen Sessel verlassen hatte und auf mich zukam.

»Wyndgate, Madam. Colonel Wyndgate. Königliches Regiment North Surrey, im Ruhestand«, stellte er sich vor.

Ein wohlbeleibter Herr mit einem herrlichen weißen Schnauzbart, der zu beiden Seiten seines Kinns herabhing, stand vor mir. Krümel des Gebäcks, welches er in einer fleischigen Hand hielt, fielen auf eine Weste, deren Knöpfe in ein verzweifeltes Tauziehen mit einem überdimensionalen Bauch verwickelt zu sein schienen.

»Colonel«, erwiderte ich grüßend auf seine eher spröde Art des Bekanntmachens.

»Hudson, nicht wahr?«

»Mrs. Hudson, ja.«

»Hudson«, wiederholte er mit einem leeren Blick. »Hatte mal jemanden namens Hudson in meinem Regiment. Hab’ den Kerl nie gemocht. Nicht Ihr Mann, nehme ich an.«

»Mein Gatte«, erwiderte ich kühl, »diente auf See.«

»Auf See, sagen Sie! Marinemann also?«

»Auf einem Handelsschiff«, sagte ich scharf, denn ich begann, mich zu ärgern.

»Ach, diese Kerle. Nun, machen Sie sich nichts draus, wir tun alle nur, was wir können.«

»Wenn Sie mich entschuldigen, Colonel«, sagte ich. »Ich glaube, ich brauche noch eine Tasse Tee.« Die brauchte ich eigentlich nicht, aber es war eine Möglichkeit, um mich seiner Gegenwart zu entziehen.

»Scheußliche Angelegenheit, was?«

Hörte er schlecht oder ignorierte er einfach meinen Versuch, mich taktvoll zurückzuziehen? Ich wandte ihm meine Aufmerksamkeit wieder zu. Auch wenn ich bezweifelte, daß mir dieser aufgeblasene Wichtigtuer etwas erzählen konnte, so war es doch eine Gelegenheit, die ich nicht ungenutzt lassen durfte.

»Die junge Frau, meinen Sie?«

»Ja, genau.«

»Sie selbst wissen nichts über sie?«

Er leckte seine Finger ab, auf die etwas Marmelade von dem Gebäck geraten war, bevor er antwortete. »Ich! Gott im Himmel, nein, Madam! Hab’ das Geschöpf noch nie in meinem Leben gesehen. Ist allerdings ein recht hübsches junges Ding.«

»Sie haben den Leichnam also gesehen?«

»In der Tat, Madam. Wir sind heute morgen nämlich alle wie Soldaten auf einer Parade hinausmarschiert. Alle außer Lady Margaret, natürlich. Es bestand keine Notwendigkeit, daß Ihre Ladyschaft sich so etwas anschauen muß. Ziemt sich nicht, Sie verstehen.«

»Oh, ja«, erwiderte ich mit einem subtilen Sarkasmus, der Violet mit Stolz erfüllt hätte, »die Regeln gesellschaftlicher Etikette haben selbstverständlich sogar Vorrang vor offiziellen Ermittlungen in einem Mordfall.«

»Ja, genauso ist es«, antwortete er und biß in die Überreste seines Blätterteiggebäcks.

Der Inspektor fürchtete offenbar, daß sich seine Befragung zu einem Teekränzchen entwickeln würde, und versuchte, die Kontrolle über die Situation wiederzugewinnen.

»Bitte, meine Damen und Herren«, sagte er mit erhobener Stimme. »Ich weiß, Ihnen steht heute noch das Begräbnis Ihrer Ladyschaft bevor, wenn Sie mir also noch ein wenig Aufmerksamkeit schenken würden, werde ich Sie nicht länger als nötig aufhalten.«

Während das Durcheinander der Stimmen leiser wurde, nahm Violet die Gelegenheit wahr, unsere leeren Tassen auf den Teewagen zurückzustellen, und kehrte zu ihrem Platz zurück.

»Nun, Mrs. Warner«, wandte sich der Inspektor an Violet, »ich denke, das von Ihnen bewohnte Zimmer geht zum hinteren Teil der Gartenanlagen des Gutes hinaus, wo die Leiche gefunden wurde.«

»Ja, das ist richtig«, antwortete Vi. »Wenn sie dort gefunden wurde.«

»In der Tat, Madam. Neben dem Pfad, der zu dem Pavillon führt, um genau zu sein. Und da Sie zuvor erwähnten, daß sowohl Sie als auch Mrs. Hudson letzte Nacht noch lange wach waren, können Sie mir vielleicht sagen, ob einer von ihnen zufällig etwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört hat?«

»Wie hätten wir etwas sehen können? Wir waren im Bett und haben nicht am verflixten Fenster gestanden!«

»Also auch nichts gehört?« Seine Augen rasten zwischen uns hin und her.

»Gehört? Ich nicht. Wobei mein Gehör natürlich nicht mehr so gut wie einst ist. Und du, Em?«

»Etwas gehört?« wiederholte ich fragend. In dem Moment schoß mir die Erinnerung an die vergangene Nacht, an erstickte Stimmen und schmerzvolle Schreie durch den Kopf. Doch die Schreie waren von einem Zimmer innerhalb des Hauses gekommen, dessen war ich mir sicher. Oder nicht? Vielleicht war auch nur eine übermäßige Phantasie im Spiel. Sollte ich es sagen? Und wenn ja, was dann? Ich würde wie eine verrückte alte Frau dastehen. Ich brauchte Zeit, um in Ruhe darüber nachzudenken.

»Nein, nichts«, antwortete ich.

»Ich verstehe.« Der Inspektor tat einen müden Seufzer und steckte dabei seinen Block und den Bleistift wieder in die Tasche. Dann wandte er sich an alle Anwesenden und fragte: »Darf ich davon ausgehen, daß niemand auch nur das geringste über die Verstorbene weiß?«

»Es scheint, Inspektor«, stellte Sir Charles fest, »als sei uns allen die junge Frau vollkommen unbekannt.«

»Zigeunerin, wenn man mich fragt. Hab’ erst letzte Woche einen ihrer Wagen gesehen. Hat sich wahrscheinlich mit ihrer Sippe verkracht, und die haben sie dann fallengelassen. Widerliche Bettler sind das alles«, lautete der Beitrag zum Thema seitens des Colonels.

»Wir werden das natürlich ebenfalls überprüfen«, antwortete Thackeray trocken.

»Guter Mann, guter Mann«, schnaubte der alte Soldat.

»Also vielen Dank, meine Damen und Herren, Sie waren äußerst hilfsbereit«, sagte der Inspektor mit einer geringen oder gar nicht vorhandenen Überzeugung in der Stimme. »Obwohl ich sie vielleicht darauf hinweisen sollte, daß es zu einem späteren Zeitpunkt möglich sein könnte, daß eine weitergehende Befragung notwendig wird. Ich gehe nicht davon aus«, fügte er nachträglich hinzu, »daß jemand vorhat, weitere Reisen zu unternehmen.«

Violet meldete sich zu Wort. »Em, Mrs. Hudson, meine ich, und ich selbst hatten vor, das Gut bis zum Ende der Woche zu verlassen. Obwohl wir jetzt natürlich«, fügte sie mit einem Seitenblick auf die Frau des Baronets hinzu, »vielleicht noch ein wenig länger bleiben sollten. Ich bin sicher, daß es Ihrer Ladyschaft nichts ausmacht. Nicht wahr, Lady Margaret?«

Ein Krokodilslächeln wäre die beste Beschreibung des durchtriebenen Grinsens, welches Violets Frage begleitete.

Die Frau in schwarzem Brokat ignorierte Violet und richtete ihre Antwort an Thackeray. »Ist das wirklich nötig, Inspektor?«

»Wenn sie zumindest noch eine Weile blieben, wäre das tatsächlich günstiger«, antwortete er und fügte hinzu, »denn es handelt sich immerhin um Ermittlungen in einem Mordfall, Mylady.«

Lady Margaret preßte ihre Lippen kaum merklich aufeinander, bevor sich ihr königliches Haupt zu einem zustimmenden Nicken bewegen ließ.

Violet wandte sich mir mit der Spur eines Lächelns in ihren Mundwinkeln zu. Es war für uns eine Art Triumph, egal wie klein er auch schien. Denn hätte man uns die zusätzliche Zeit auf Haddley verwehrt, wären unsere eigenen Ermittlungen praktisch unmöglich gewesen.

»Nun gut«, sagte der Inspektor. Dann bemerkte er eine winkende Geste des Squires und zog sich schnell zurück.

Als er ging, richtete sich meine Aufmerksamkeit auf einen gut gebauten Mann mit einer gesunden Gesichtsfarbe und graumeliertem Haar, welches, wie ich feststellte, einen Schnitt bitter nötig hatte. Er nippte schweigend an seinem Tee, trug einen leicht abgetragenen und zerknitterten Anzug und schien ein Mann zu sein, der nur zufällig in diese elegante Enklave geraten war. Ich konnte erkennen, daß sein Gesicht eine gewisse Sensibilität barg. Kein willensstarker oder energischer Mann, dachte ich, aber dennoch ein angenehmer. Als fühle er, Gegenstand einer schweigenden Begutachtung zu sein, drehte er sich um, begegnete meinem Blick, nickte höflich und kam dann zu mir herüber.

»Ich glaube, wir sind uns noch nicht offiziell vorgestellt worden«, sprach er mich freundlich an, und seine warmen, blauen Augen lächelten. »Ich bin Dr. Morley, Dr. Thomas Morley.«

»Oh«, kam Vi zu Hilfe, »verzeihen Sie, Doktor. Dies«, antwortete sie mit einem warmen Lächeln und tätschelte meinen Arm, »ist meine alte Freundin aus London, Mrs. Hudson.«

»Guten Morgen, Doktor«, lautete meine herzliche Antwort. »Ich fürchte, wir lernen uns unter unglücklichen Umständen kennen.«

»In der Tat, Mrs. Hudson. Besonders mit dem Begräbnis und all dem. Sie werden doch gehen, nehme ich an - zu dem Begräbnis, meine ich.«

»Nein«, antwortete ich. »Ich denke nicht.«

»Du gehst nicht?« rief meine alte Kameradin aus. »Warum denn nur nicht?« »Meine liebe Violet, ich gehöre weder zur Familie, noch kannte ich Ihre Ladyschaft. Außerdem«, fügte ich hinzu, »fühle ich mich von gestern noch immer ein wenig erschöpft, und ein Nachmittagsschläfchen könnte nicht schaden, denke ich.«

Das war gelogen. Aber ich hatte nicht die Absicht, Vi meine Pläne für den Nachmittag in Anwesenheit meiner neuen Bekanntschaft mitzuteilen.

»Oh«, antwortete sie mit einem kindlichen Gejammer, »da bin ich aber enttäuscht. Du gehst nicht mit.«

»Nun dann«, sagte der Doktor, »wir sehen uns zweifellos später noch.«

»Dr. Morley, einen Augenblick, bitte«, sagte ich, wobei ich mich von meinem Stuhl erhob.

»Ja?«

»Als Sie heute morgen die Leiche untersuchten«, fragte ich, als sei dies nichts weiter als ein beiläufiger Gedanke, »schien es Ihnen so, als habe ein Kampf stattgefunden?«

»Nein.«

Das war’s. Sonst nichts. Ich hatte gehofft, er sei etwas mitteilsamer, aber es schien, als gleiche der Versuch, Informationen von ihm zu erhalten, dem Vorhaben, einen Diamanten zu behauen. Dennoch ließ ich mich nicht so leicht abwimmeln. »Sie fanden nichts, was vielleicht darauf hinweisen könnte, daß. ?«

Er versteifte sich etwas, während sein vormals gewinnendes Lächeln langsam in den Mundwinkeln verschwand.

»Was ich herausgefunden habe, Mrs. Hudson«, antwortete er mit Worten, die freundlich und gleichzeitig verärgert klangen, »ist genau das, was Inspektor Thackeray Ihnen schon sagte. Die junge Frau wurde durch einen Schlag mit einem schweren, stumpfen Gegenstand auf den Kopf getötet.«

»Diesmal keine Spur von Chloroform, Doktor?« bemerkte Vi und stand ebenfalls auf. Ich schrie innerlich auf angesichts dieser Unvorsichtigkeit meiner Freundin, die das wenige, was wir wußten, preisgegeben hatte. Ich wartete seine Reaktion nervös ab. Ah, da war sie: Ein kaum erkennbares Anheben einer Augenbraue, oder war es lediglich ein Zucken? Hatte sich ziemlich gut unter Kontrolle, unser Dr. Morley.

»Chloroform? Ich, äh, habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Mrs. Warner.«

»Die Leiche der jungen Frau wies keine anderen Verletzungen auf, Doktor, als die von Ihnen schon beschriebenen?« Ich stellte ihm die Frage in der Hoffnung, sie möge Violets Erwähnung des Chloroforms, zumindest im Augenblick, aus seinem Gedächtnis löschen. Während ich auf eine Antwort wartete, sank die Temperatur der einst so warmen blauen Augen beträchtlich. »Mrs. Hudson«, erwiderte er, indem er meiner Frage geschickt auswich, »ich kann leider Ihr Interesse an all dem nicht nachvollziehen. Haben Sie eine gewisse medizinische Bildung?«

Was sollte ich darauf antworten? Vi kam mir zu Hilfe.

»Ach, kommen Sie, Doktor«, erwiderte sie mit einem unbeschwerten Kichern, »Sie wissen doch, wie wir Frauen sind. Ein kleines bißchen Klatsch und Tratsch würde Em und mir nicht schaden, um nächste Woche beim Frauennähkreis im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.«

Gut gemacht, Vi!

Obwohl das spontane Märchen meiner Freundin uns als zwei dämliche, klatschsüchtige alte Weiber hinstellte, brachte es uns eine Antwort ein.

»Der Leichnam«, antwortete er, wobei er sich im Zimmer umschaute, als suchte er einen Weg, der ihm die Flucht vor diesen schrecklichen alten Frauen ermöglichte, »wird natürlich vom örtlichen Coroner in Twillings im Hinblick auf die Todesursache noch gründlicher untersucht. Ich würde vorschlagen, meine Damen, wenn Sie weitere Informationen benötigen, wenden Sie sich doch am besten an ihn. Wenn Sie mich nun entschuldigen.«

»Nun, Em«, flüsterte Vi, nachdem sich der gute Doktor von uns verabschiedet hatte, »was hältst du von ihm?« »Äußerlich recht sympathisch, würde ich sagen. Bis man ihm zu nahe kommt, dann geht eine Schranke runter, die so abweisend ist wie die chinesische Mauer.«

»Mhm, das stimmt wohl«, antwortete Violet. »Allerdings haben Ärzte es nie so gern, wenn man ihr Urteil in Frage stellt, oder?«

Ich bemerkte, daß der Inspektor, der durch die Palme vor der Glastür teilweise verdeckt war, sein Gespräch mit dem Squire beendet hatte und sich verabschieden wollte.

»Vi«, sagte ich, »es gibt da etwas, worüber ich mit dem Inspektor reden will. Es ist vielleicht besser, wenn ich allein gehe. Macht es dir etwas aus?« Mit ihrer Zustimmung durchquerte ich das Zimmer und ging durch die Glastür zu dem Inspektor, wobei ich mich etwas unsicher fragte, wie mein Anliegen wohl aufgenommen würde.

»Inspektor Thackeray?«

»Ja, Mrs. Hudson?«

Ich führte ihn unauffällig am Arm nach draußen, da ich ihn lieber unter vier Augen sprechen wollte.

»Der Leichnam der jungen Frau, wurde er in der Zwischenzeit fortgeschafft?«

»Ich wollte mich gerade darum kümmern. Warum fragen Sie?«

»Ich würde die Leiche gerne sehen.«

»Eine äußerst makabre Bitte, Mrs. Hudson, wenn ich das sagen darf«, antwortete er und beobachtete mich eingehend. Dann fügte er hinzu: »Gibt es etwas, das Sie mir verschweigen?«

Ich glaubte nun, daß es klüger wäre, offizielle und professionelle Hilfe zu suchen. Mr. Holmes hatte auch in einigen Fällen Gebrauch von der Polizei gemacht, und ich dachte, die Situation erfordere es nun, daß der Inspektor von den Ereignissen - so wie ich sie sah - in Kenntnis gesetzt wurde, zumindest bis zu einem gewissen Grade. Da es mein erster Fall war, entschied ich jedoch, daß es am besten wäre, vorsichtig vorzugehen.

»Ich erkläre es Ihnen draußen ausführlicher«, vertraute ich ihm deshalb an.

Er betrachtete mich einen Augenblick argwöhnisch und antwortete dann: »Also gut, Mrs. Hudson, kommen Sie mit.«