173819.fb2 Kein Fall f?r Mr. Holmes - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 15

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13. Lebewohl, mein Seemann

Nachdem wir uns angekleidet hatten, gingen wir nach unten, um ungestört ein spätes Mittagessen, bestehend aus Suppe, Butterkeksen, Tee und äußerst köstlichen gefüllten Törtchen, zu uns zu nehmen. Ich fühlte mich nun besser und war bereit, mich auf den Weg nach Twillings zu machen.

Da irgendein Beförderungsmittel für meinen Ausflug vonnöten war, begleitete Vi mich in die Ställe, wo ein Berg von einem Mann mit einem Gesicht, so ledern wie die Schürze, die er trug, eifrig mit dem Beschlagen eines Pferdes beschäftigt war.

»Mrs. Warner«, sagte er, als er uns näherkommen sah. »Ist schon ‘ne Weile her, daß Sie hier draußen waren.«

»Dies hier ist Mrs. Hudson, Ben. Sie würde gern ins Dorf fahren. Wir haben uns gefragt, ob vielleicht irgendein Gefährt verfügbar ist.«

Er stand auf und nickte mir zu, während er sich nachdenklich mit der Hand über ein borstiges Kinn fuhr. »Weiß nicht, wer in der Lage ist, Sie zu fahren, gnädige Frau. Bißchen knapp an Leuten, verstehen Sie? Wenn diese Kerle einfach nicht auftauchen.«

»Sie meinen wohl Will«, sagte ich und ärgerte mich noch im gleichen Moment über meine Worte.

»Woher wissen Sie das denn?«

»Er ist im Dorf«, erwiderte ich ausweichend und hoffte, er würde es dabei belassen.

»Ach ja? Hat doch wohl nicht irgendwas mit dem toten Mädchen zu tun, das er gefunden hat, oder?«

»Warum fragen Sie?« wich ich aus.

»Hab’ so was gehört, wie die anderen auch.«

Da ich weder die Zeit noch den Wunsch hatte, den Mann in eine weitergehende Unterhaltung über das, was wir wußten, zu verwickeln, teilte ich ihm lediglich mit, daß einer meiner Gründe für die Fahrt ins Dorf wäre, mit dem Jungen selbst zurückzukehren. Dann wechselte ich taktvoll das Thema, indem ich Ben fragte, was denn nun für meinen Ausflug nach Twillings zur Verfügung stünde, woraufhin ich informiert wurde, daß das beste Transportmittel, welches er mir anbieten konnte, ein kleiner Karren war.

»Sind schon mal gefahren, oder?« fragte er.

»Nicht allzuoft«, gestand ich.

»Aha, nun gut, dann sollten Sie Daisy nehmen.«

»Daisy?«

»Eine ganz sanfte Stute, gnädige Frau, macht keine Dummheiten. Kennt den Weg hin und auch wieder zurück, unsere Daisy.«

Also wurde der Wagen angespannt, den Ohrring hatte ich in der Handtasche, die Marmorstatue lag verpackt und festgebunden hinten drauf, und ich begab mich hinter die Zügel.

»Und du bist sicher, daß ich nicht mitkommen soll?« fragte Vi.

»Ja, wie ich sagte, es ist besser, du bleibst hier und hast ein Auge auf alles Ungewöhnliche.«

»Wie zum Beispiel noch ein oder zwei Morde?« fragte sie halb im Spaß.

»Gott bewahre!«

Die Fahrt nach Twillings war, wenn auch langsam, so zumindest ereignislos. Die Stute, ein frommes Geschöpf, legte ihre eigene Geschwindigkeit fest, und kein gutes Zureden meinerseits konnte den stetigen, schleppenden Schritt ändern. Ich fragte mich schon, wann oder ob überhaupt ich jemals mein Ziel erreichen würde. Ich bin mir ziemlich sicher: Wäre ich nur ein paar Jahre jünger gewesen, hätte ich den Weg in der Hälfte der Zeit zurücklegen können. Aber schließlich kam ich doch an, und nachdem ich mich bei einem Dorfbewohner nach dem Weg erkundigt hatte, fand ich die Polizeistation ohne größere Probleme.

»Mrs. Hudson, tatsächlich!« rief der Inspektor, als ich eintrat. »Das ist ja eine Überraschung. Bitte, kommen Sie herein.«

Ich betrat ein fensterloses Büro mit langweiligen braunen Wänden und nahm auf einem Stuhl vor einem Schreibtisch Platz, der mit den obligatorischen Utensilien bepackt war: Tinte, Füller, Papierstapel, Pfeife und Aschenbecher. Dazu kam noch eine Zeitung, die bei einem halbfertigen Kreuzworträtsel aufgeschlagen war.

»Ich hab’ recht viel zu tun, Sie verstehen«, sagte er mit einem äußerst diensteifrigen Tonfall. »Aber vielleicht kann ich doch ein paar Minuten für Sie erübrigen.«

Ich warf einen Blick auf das Kreuzworträtsel.

Er räusperte sich.

»Ja, nun«, stammelte er, griff rasch nach der Zeitung und legte sie in die unterste Schublade. »McHeath.«

»Bitte?«

»McHeath, Madam. Spezialist für Kreuzworträtsel, unser McHeath. Hab’ ihm gesagt, sie nicht immer herumliegen zu lassen.«

»Ja, sicher, Inspektor.«

Nach einem Augenblick unangenehmen Schweigens, der nur von einem sinnlosen Hin- und Hergeschiebe von Papieren unterbrochen wurde, kam er sofort mit einer Bemerkung zur Sache, deren Art ich hätte erwarten sollen. »Und was«, fragte er mit einem kleinen Kichern, »führt die weibliche Linie der Holmes-und-Hudson-Detektivagentur in mein bescheidenes Büro?«

Würde dieser Mann mich denn nie „ernst nehmen?

»Detektivagentur? Es scheint, Inspektor«, erwiderte ich kühl, »als seien Sie wieder einmal im Besitz von falschen Informationen. Deshalb«, fügte ich rasch hinzu, um ihm in diesem fortwährenden, aber völlig sinnlosen Wortgefecht keine Gelegenheit zu einem zusätzlichen Hieb oder einer Parade zu geben, »dachte ich mir, Sie wären vielleicht hieran interessiert«, sagte ich und legte die verpackte Statue auf seinen Tisch.

»Was ist das?«

»Offnen Sie es.«

Der Inspektor entfernte das braune Paketpapier langsam und systematisch.

»Waren Sie einkaufen, Mrs. Hudson?« fragte er und hielt den Engel in die Höhe. »Ist wohl eine Art Geschenk?«

Ich lächelte. »Ein Geschenk? Ja, ich nehme an, das könnte man sagen. Mein Geschenk an die Polizeistation von Twillings. Was Sie da gerade in Händen halten, ist die bisher fehlende Mordwaffe. Der berüchtigte >stumpfe Gegenstands von dem Sie sprachen.«

»Und warum sollte ich das glauben?« Die Frage wurde barsch gestellt, während er die Statue abrupt wieder auf den Tisch legte wurde.

Ich schüttelte den Kopf in stiller Verzweiflung. »Inspektor Thacke-ray«, sagte ich mit all der Ernsthaftigkeit, die ich aufbringen konnte, »ich möchte nur in jeder mir möglichen Weise zur Beantwortung der vielen Fragen beitragen, die noch unbeantwortet sind. Ich bin überzeugt, es wäre nur zum Wohl der Gerechtigkeit, wenn wir zusammenarbeiten könnten. Und nun, da ich meine kleine Rede gehalten habe«, fuhr ich fort und drehte den kleinen Engel um, so daß er dem Inspektor seinen Rücken zukehrte, »werden Sie, wenn Sie die Statue genaue-stens untersuchen lassen, erkennen, daß diese Flecken dort getrocknetes Blut sind, in dem sich einige Haare verfangen haben. Haare, Inspektor, von denen jedes einzelne mit denen des ermordeten Opfers übereinstimmen wird.«

»Wird es das, Madam?« fragte er zweifelnd, während er mit der Hand langsam die Enden seines Schnurrbartes zwirbelte. »Wird es das tatsächlich?«

Gerade wollte er nach seiner Pfeife langen, als er sich eines Besseren besann, die Hände auf dem Schreibtisch faltete und sich nach vorne beugte, so daß wir uns nun nahe gegenüber saßen.

»Wo haben Sie die Statue gefunden?« fragte er. »Welchen berechtigten Grund haben Sie zu der Annahme, daß es sich um Blut handelt, beziehungsweise sogar um die Mordwaffe selbst? Sehen Sie, Mrs. Hudson«, fuhr er fort und ließ sich in seinen Stuhl zurücksacken, »wenn ich Sie ernstnehmen soll, müssen wir.«

»Ich versichere Ihnen, Inspektor«, warf ich ein, »daß ich all Ihre Fragen zu Ihrer äußersten Zufriedenheit beantworten kann.«

Ein leichtes Lächeln wurde unter jenem Schnurrbart sichtbar, und zum ersten Mal, seit wir uns begegneten, lag ein Funkeln in jenen mauseartigen kleinen Augen. »Bei Gott, Mrs. Hudson«, lachte er gutgelaunt, »ich glaube, das können Sie wirklich! Aber ich warne Sie, Madam«, fügte er hinzu, damit ich ja nicht dachte, daß seine plötzliche Einwilligung zu schnell erlangt wurde, »wenn Sie mich bezüglich ihrer Erkenntnisse nicht überzeugen können, will ich nichts mehr darüber hören, einverstanden?«

»Einverstanden.«

Ich gab ihm dann im Detail - mit Ausnahme von Violets astralen Erscheinungen - die Informationen, die ich in Erfahrung bringen konnte, und erzählte von den Ereignissen, die sich seit meiner Ankunft auf Haddley zugetragen hatten, einschließlich der Geschichte des Ohrringes, den ich ihm übergab, und seiner Entdeckung in dem Schlafzimmer Ihrer Ladyschaft, was meiner Erzählung mehr Gewicht verlieh. Er antwortete nicht unmittelbar, nachdem ich geendet hatte, sondern saß gedankenverloren da und klopfte mit dem Pfeifenstiel gegen den Aschenbecher. Schließlich legte er die Pfeife beiseite und wandte mir seine Aufmerksamkeit zu.

»Der Ohrring ist natürlich das bedeutendste Beweisstück. Ohne ihn, Mrs. Hudson, fürchte ich, wäre Ihre Geschichte lediglich das, nämlich eine Geschichte. Was die Statue betrifft«, fuhr er fort, als er meinen fragenden Blick in Richtung auf den Engel bemerkte, »ob die Flecken Blut sind oder nicht, wird sich zeigen. Aber dies«, fügte er hinzu und nahm den Halbmond, »ist etwas anderes.«

Er glaubte mir! Ich schickte ein stillschweigendes Dankesgebet gen Himmel.

»Und nun, Mrs. Hudson, lassen Sie uns die Umstände, über die sie mir berichtet haben, hinsichtlich des Todes von Lady St. Clair betrachten.«

Da er sah, daß ich ihn unterbrechen wollte, bat mich ein erhobener Finger zu schweigen, während er fortfuhr.

»Sie reden durchaus überzeugend von den Motiven derer, von denen Sie glauben, sie hätten etwas damit zu tun. Wie Sie zu dieser Kenntnis gelangt sind, weiß ich nicht. Und danach sollte ich wohl auch nicht fragen. Dennoch beruht das, was Sie mir präsentieren, Madam, auf nichts anderem als auf belauschten Unterhaltungen. Das sind keine Beweise, die ich vor einem Gericht benutzen könnte. Wenn der Tod aufgrund einer Überdosis Chloroform eintrat, dann ist es - das muß ich leider sagen - zu spät, um etwas zu unternehmen. Wenn wir den Leichnam exhumierten, würden wir nichts finden. Und welche rechtliche Begründung hätten wir überhaupt, um das anzuordnen?«

»Dann kann der Mörder also weiterhin frei herumlaufen?«

»Vielleicht nicht«, erwiderte er, während er mit dem Ohrring spielte.

»Natürlich, der Ohrring!« rief ich. »Wenn die gleiche Person nun beide.«

»Ein Mensch«, unterbrach er mich, um meinen Gedankengang weiterzuführen, »baumelt ebensogut für einen wie für zwei Morde an dem Ende eines Seils.«

»Dann ist es wohl das beste«, sagte ich, »wenn wir unsere Aufmerksamkeit dem zweiten ermordeten Opfer zuwenden, wo wir zumindest einige lose Enden haben, an denen wir ziehen können.«

»Sehr gut formuliert, Mrs. Hudson«, antwortete er. Dann holte er seine Taschenuhr hervor, hielt sie in der Hand, und ich hörte ihn etwas murmeln wie »Eine Minute zu spät«.

»Ihre Uhr?« fragte ich.

Die Antwort erschien in Gestalt des Constable McHeath, der mit einem Tablett das Büro betrat.

»Ihr Tee, Inspektor«, sagte er und stellte es auf dem Schreibtisch ab. »Ich habe mir die Freiheit genommen, auch Ihnen eine Tasse zu bringen, Mrs. Hudson«, fügte er hinzu.

»Wie umsichtig von Ihnen, Constable.« Ich lächelte ihm zu.

»Wäre sonst noch etwas, Inspektor?« fragte er mit einem Seitenblick in meine Richtung.

Offensichtlich hatte er die Teezeit genutzt, um seine Neugier bezüglich des Grundes für meinen Besuch zu befriedigen.

»Eine Sache, McHeath«, antwortete Thackeray, während er den Tee einschenkte. »Tadlock.«

»Sir?«

»Es sind Informationen zutage getreten, die mich zwingen, unsere Haltung hinsichtlich des Verdächtigen zu überdenken.«

Obwohl es allen Anwesenden bewußt war, daß ich die Quelle der Informationen darstellte, schien es, als sollte ich nicht als solche besonders erwähnt werden. Nun gut.

»Dieses Mädchen, O’Connell, ist jetzt gewillt, die Geschichte des Jungen, nämlich daß er in der Nacht des Mordes mit ihr zusammen war, zu bestätigen, das gilt ebenso für ihre Zimmergenossin«, berichtete der Inspektor ausdruckslos.

»Haben ihre Geschichte geändert, wie? Vielleicht«, ergänzte er mit einem allzu offensichtlich anschuldigenden Blick in meine Richtung, »wurden sie dazu gezwungen. Wenn Sie wissen, was ich meine, Inspektor.«

Wie sein Vorgesetzter, so besaß auch der Constable ein bürokratisches Bewußtsein, das automatisch Widerstand leistete, sobald der Versuch unternommen wurde, etwas anzuzweifeln, was bis zu meinem Besuch als abgeschlossener Fall gegolten hatte.

»Es steckt noch mehr als ihr Eingeständnis dahinter«, sagte Thackeray und ignorierte die Schlußfolgerung des Mannes. »Wir sprechen später zu geeigneterer Stunde darüber.«

»Ich verstehe«, lautete die offensichtlich verärgerte, aber dennoch kontrollierte Antwort von Thackerays Untergebenem. »Ist das dann alles, Inspektor?«

»Im Moment ja. Danke, McHeath.«

»Haben Sie irgendwelche Fortschritte hinsichtlich der Identifizierung des Mädchens gemacht?« fragte ich, nachdem der Constable die Tür hinter sich geschlossen hatte.

»Ich denke, wir können die Annahme, sie sei aus Twillings, vernachlässigen. Wir haben bisher keine Berichte über das Verschwinden eines Mädchens, auf das ihre Beschreibung zutrifft. Aber vielleicht hören wir doch noch etwas.«

»Dann weiß man also nicht mehr als zuvor?« fragte ich, während der Inspektor mit einer gewissen Zeremonie einen Hafermehlkeks in seinen Tee tunkte.

»Nun, doch, eine Sache«, berichtete er, nachdem er den Keks gierig verschlungen hatte.

»Aha«, sagte ich und beugte mich vor, »und was ist das?«

»Es scheint«, antwortete er, wobei sein Blick den meinen mied, »als trug sie, wie Sie vielleicht sagen würden, ein Kind unter ihrem Herzen.«

»Sie war schwanger?«

Inspektor Thackeray rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Das ist ein Wort, welches ich in Anwesenheit einer Dame nicht gewählt hätte, Mrs. Hudson. Aber ja, das war sie.«

In Anwesenheit einer Dame! Ich blickte gen Himmel. In aller Offenheit mit mir über Mord und all seine schmutzigen Begleiterscheinungen zu reden, war für den guten Inspektor zu akzeptieren, aber indem ich das Wort aussprach, das sich auf einen fortwährenden Prozeß des Lebens bezieht, beging ich anscheinend den bedauerlichsten aller gesellschaftlichen Fehler. Ich konnte nur hoffen, daß das neue Jahrhundert, welches nur noch wenig länger als ein Jahr entfernt war, einen akzeptableren Sittenkodex mit sich bringen würde. So wie es aussah, mußte ich mich aber nicht nur mit der Gegenwart, sondern auch mit dem Inspektor zurechtfinden. Und da ich seine Dienste noch in Anspruch nehmen wollte, hielt ich es für das beste, meine Ansichten für mich zu behalten.

»Vergeben Sie mir, Inspektor«, entschuldigte ich mich also sittsam. »Die Aufregung des Augenblicks, Sie verstehen.«

Meine Entschuldigung wurde wortlos angenommen und nur mit der Frage entgegnet, ob ich noch mehr Tee wünschte.

»Tee? Danke, nein, Inspektor«, antwortete ich und stand auf. »Ich glaube wirklich, ich sollte jetzt gehen.«

»Dann danke ich Ihnen, daß Sie vorbeigekommen sind, Mrs. Hudson«, erwiderte er und erhob sich ebenfalls langsam. »Sobald ich die Ergebnisse der Blutuntersuchung habe, werde ich Haddley einen Besuch abstatten. Wahrscheinlich irgendwann morgen nachmittag. Bis dahin«, ergänzte er, während er um den Tisch herumging, um mich zur Tür zu geleiten, »werde ich eine Reihe von Fragen haben, auf die ich direkte Antworten verlange, und ich kann Ihnen versichern, die kommen diesmal nicht so leicht davon.«

Gerade als ich mich zum Gehen wandte, stieß ich einen entsetzten Laut aus.

»Aber was ist denn los, Mrs. Hudson?«

»Ich habe den armen Will vollkommen vergessen!«

»Tadlock?«

»Ja. Inspektor, es gibt doch sicher keinen Grund mehr, ihn hinter Schloß und Riegel zu behalten.«

»Hm, das ist wohl wahr«, lautete die zustimmende, aber widerwillig erteilte Antwort. »Sie nehmen ihn also mit zurück?«

»Ja, und ich freue mich über die Gesellschaft. Lassen sie ihn mich unten am Mietstall treffen, Inspektor. Ich habe dort eine Stute vom Gut untergestellt.«

»Gott segne Sie, Mrs. Hudson! Ich wußte, Sie schaffen es!«

»Du bewahrst dir deinen Dank besser für eine gewisse Mary O’Connell auf«, informierte ich meinen jungen Freund, als wir uns auf den Rückweg machten.

»Ich wußte, daß Mary es sich überlegt, wenn Sie ihr erst mal alles erklärt haben.« Er grinste und knallte recht professionell mit den Zügeln.

Obwohl ich nun als Passagier neben ihm saß, fühlte ich mich verpflichtet, meine Meinung zu äußern bezüglich der Sinnlosigkeit, das Pferd zu irgendeiner anderen Geschwindigkeit als seiner eigenen anzutreiben.

»Hab’ nicht versucht, ihren Gang zu beschleunigen, gnädige Frau«, belehrte mich der junge Mann, »wollte nur dafür sorgen, daß sie nicht einschläft. Wenn man älter wird, so wie die alte Daisy hier«, erklärte er, »dann wird man schneller müde.«

»Ach wirklich?« erwiderte ich und versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. »Das muß ich mir merken.«

Wir fuhren durch die ländliche Gegend zurück, während der Junge fröhlich über nichts von größerer Tragweite dahinplapperte. Dennoch verschaffte mir sein Geplauder eine nötige Atempause von den Unterhaltungen düsterer Art, denen ich in den letzten Tagen ausgesetzt war.

»Gefällt Ihnen das Singen, Mrs. Hudson?« wurde ich plötzlich gefragt.

»Singen?« wiederholte ich. »Oh, ich nehme an, jedem gefällt ein schönes Lied, nicht wahr, Will? Ich bin da wohl keine Ausnahme.«

»Ich meine, gefällt es Ihnen zu singen?«

»Ich? Selbst? Nun ja, manchmal«, gab ich zu. »Wenn ich gerade in Stimmung bin.«

»Ich singe die ganze Zeit, wirklich. Geht die Zeit schneller rum. Denk’ ich jedenfalls. Ben hält allerdings nicht so viel davon. Immer, wenn ich meine Arbeit erledige, sagt er, ich hör’ mich an wie ein kranker Bulle.«

»Tatsächlich!« rief ich aus. »Nun, Ben ist ja nicht hier, oder? Also sing nur, Will Tadlock, wenn dir danach ist.«

Von da an wurde ich frohgemut mit einer Reihe von Volksliedern unterhalten, die von Heim und Heimat sangen, wobei er gelegentlich eine unzüchtige Ballade dazwischenschob, die er auf eine so offene, unschuldige Art sang, daß ich ebenso herzlich lachte wie er.

»Will«, verkündete ich, »du hast eine schöne Stimme. Und das kannst du auch Ben von mir ausrichten.«

»Das mach’ ich, Mrs. Hudson«, grinste er, während er noch einmal mit den Zügeln knallte. »Nun sind Sie dran.« »Ich bin dran?«

»Ein Lied zu singen.«

»Ich? Oh nein.« Ich lachte etwas verlegen. »Das könnte ich nicht. Außerdem fällt mir auch gar keines ein.«

»An irgendeins müssen Sie sich doch erinnern«, drängte er mich mit einem aufmunternden Lächeln.

»Nein«, wiederholte ich, »wirklich nicht. Oh, doch, da kommt mir gerade eines in den Sinn. Ist das nicht merkwürdig? Aber ich weiß nicht, ob ich mich noch an den ganzen Text erinnere.«

Der junge Kerl drängte mich weiter.

Es schien, als käme ich nicht so leicht davon.

Schließlich, nachdem ich tief Luft geholt hatte, legte ich los, mit Vibrato und allem, was dazu gehört.

»Lebe wohl, mein Seemann.

Herzallerliebst, adieu...

Ich bete jeden Tag

Für deine heile Wiederkehr.

Glaube mir, wenn ich dir sag’,

Bist du auch draußen auf dem Meer,

Meine Gedanken sind stets bei dir.

Nun, lebe wohl, mein Seemann,

Lebe wohl. «

»Himmel, Mrs. Hudson«, rief er aus, als ich zum Ende gekommen war, »das war richtig gut! Sie müssen mir das unbedingt. Aber, gnädige Frau, was ist denn? Was ist denn los?«

Ich fürchte, ich konnte nichts sagen oder tun außer mit ausdruckslosem Blick ins Leere zu starren, während meine Gedanken zurück an einen gänzlich anderen Ort als diese staubige Landstraße rasten. Ich sah ein lärmendes, verrauchtes Londoner Varietetheater vor mir, ebenso wie ein Publikum, zu dem auch ich gehörte. Ich konnte dieses Lied hören und die Sängerin sehen. Die Szene war mir so deutlich vor Augen, als schaute ich durch ein tragbares Stereoskop.

»Will«, stieß ich mühevoll hervor, »wir müssen zurück! « »Zurück? Wohin zurück?«

»Nach Twillings! Zum Inspektor! Sofort!«

»Aber gnädige Frau, warum denn nur?«

»Will, bitte!«