173815.fb2 Kater Brown und die Klostermorde - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

Kater Brown und die Klostermorde - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

7. Kapitel

»Du willst also Detektiv spielen!« Tobias grinste. »Und wie willst du das anstellen? Du kannst Pallenberg doch nicht ernsthaft einem Verhör unterziehen wollen.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Alexandra. »Er muss ja auch gar nicht der Täter sein! Aber von seiner Person einmal abgesehen, können wir die Leute im Hotel doch befragen. Vielleicht hat jemand etwas Verdächtiges gehört oder gesehen, das uns weiterhelfen kann.«

»Äh … kurze Zwischenfrage«, sagte er ein wenig irritiert. »Hast du gerade bewusst von wir gesprochen? Oder war das nur so dahingesagt?«

Sie sah ihn lange schweigend an. Tatsächlich war das ein Reflex gewesen, denn auch wenn sie sich nicht als Teil eines Zweierteams sah, hatte sie Tobias automatisch in ihr Vorhaben einbezogen. Bestimmt lag es nur daran, dass er der Einzige war, den sie hier kannte. Eine andere vernünftige Erklärung gab es dafür nicht. »Willst du mir etwa weismachen, du kümmerst dich weiter um deine Reisereportage, wenn es hier möglicherweise einen Mord aufzuklären gibt? Oder hältst du meine Überlegungen etwa für völlig abwegig?«

»Deine Theorie ist nicht abwegig«, stellte er klar, »auch wenn ich, wie gesagt, prinzipiell Schwierigkeiten damit habe, mir Pallenberg als Mörder vorzustellen. Aber wenn ich andererseits sehe, wie sich Wilden jedem gegenüber aufgeführt hat, dann möchte ich nicht ausschließen, dass irgendjemand ihn in den Brunnen gestoßen hat. Was ich nur nicht verstehe … Wieso möchtest du jetzt mit mir zusammenarbeiten, Alexandra?«

»Natürlich würde ich mich auch allein auf die Suche nach der Wahrheit begeben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du dir eine solche Story entgehen lassen wirst. Eher fängst du ebenfalls an, zu recherchieren und Leute zu befragen. Und wenn du das machst, sind wir beide angeschmiert. Dann werden die Leute dich auf mich und mich auf dich verweisen. Bestenfalls würde jeder von uns verkürzte Antworten bekommen, die ein falsches Bild ergeben. Wir würden beide auf der Stelle treten und den Fall nicht lösen oder uns ständig zusammensetzen und unsere Informationen austauschen müssen.« Sie hob ein wenig frustriert die Schultern. »Da können wir auch gleich zusammen losziehen und gemeinsam die Leute befragen. Auf diese Weise kommen wir am besten voran.«

Er kratzte sich am Kopf. »Ich hätte nicht gedacht, dass dich so was begeistern könnte.«

»So was?«

»Na, in einem möglichen Mordfall zu ermitteln, meine ich.«

»Ach, das.« Sie machte eine abwehrende Handbewegung. »So was hat mich schon immer gereizt.«

Alexandra stand auf. Der Kater gab ein missbilligendes Miauen von sich und setzte sich so abrupt auf, dass Tobias ein wenig erschrocken zurückwich. Doch Kater Brown schien nicht nach ihm schlagen zu wollen, sondern sprang in einem großen Satz von der Bank. Miauend strich er um Alexandras Beine.

»Was hast du denn, mein Süßer? Ich laufe nicht weg.« Sie ging in die Hocke, und Kater Brown rieb nachdrücklich den Kopf an ihrem Knie. »Danke, dass du mir den Toten gezeigt hast. Ich werde versuchen herauszufinden, was dem Mann zugestoßen ist, okay?«

Kater Brown schnurrte, als wollte er sagen: Gute Idee! Dabei drückte er sich weiter an Alexandras Knie.

»Das kannst du doch nicht wirklich glauben!« Tobias lachte leise. »Du meinst im Ernst, Kater Brown hat dir die Leiche zeigen wollen!«

»Ja, davon bin ich überzeugt. Darum ist er die ganze Zeit auf dem Brunnenrand hin und her gelaufen: Damit ich einen Blick in den Schacht werfe. Er hat gewusst, dass da unten was ist. Und er wollte mich darauf aufmerksam machen …« Als Alexandra sah, wie Tobias zweifelnd die Stirn runzelte, fügte sie hinzu: »Okay, vielleicht nicht ausschließlich mich, aber der Kater wollte jemandem seine Entdeckung im Schacht zeigen.«

Tobias wirkte immer noch nicht überzeugt.

»Du kannst darüber denken, wie du willst, doch Kater Brown wird dir vielleicht noch beweisen, dass er einen sechsten Sinn hat.«

Tobias stand ebenfalls auf und sah sich um. »Und womit willst du jetzt anfangen? Wir können Wilden ja nicht einfach so da liegen lassen.«

»Ich schlage vor, wir sehen ihn uns einmal etwas genauer an.« Ohne auf Tobias’ Zustimmung zu warten, ging Alexandra zurück zu der Leiche, kniete sich hin und schlug die Decke zurück. Kater Brown schlenderte an ihr vorbei und setzte sich in gut einem Meter Abstand hin, um aus dieser Entfernung das weitere Geschehen zu beobachten.

»Ich wusste gar nicht, dass du auch immer davon geträumt hast, als Rechtsmedizinerin zu arbeiten«, neckte Tobias sie und hockte sich neben sie, während sie die Kopfhaltung des Toten studierte.

»Komiker«, brummte sie abgelenkt, dann gab sie einen missmutigen Ton von sich.

»Pass auf, gleich schlägt er die Augen auf und macht ›buh‹«, meinte Tobias leise.

Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich war, dann lauerte tatsächlich irgendwo in ihrem Kopf diese irrationale Angst.

»Da klebt zu viel getrocknetes Blut an seinem Schädel«, murmelte sie. »Es ist nichts zu erkennen.«

Tobias wurde angesichts des Toten schnell wieder ernst. »Wonach suchst du denn?«

»Nach einem Hinweis darauf, dass ihn jemand niedergeschlagen hat, ehe er in den Brunnen geworfen wurde.«

»Da kannst du lange suchen. Wilden ist eindeutig mit dem Kopf auf dem Grund aufgeschlagen. Das war ja an seiner Lage im Brunnen zu erkennen. Etwas anderes kann man vielleicht mit etwas Glück noch bei der Autopsie feststellen. Aber wie kommst du überhaupt darauf, dass er zuvor niedergeschlagen worden ist?«

»Na, überleg mal! Er muss zumindest ohnmächtig gewesen sein, als der Täter ihn in den Brunnen geworfen hat, sonst hätte er geschrien, und das hätte man hören müssen. Du musst bedenken, wie toten … wie mucksmäuschenstill es hier vergangene Nacht war. Jedes Geräusch wird durch die Dunkelheit getragen, und wenn ich in meinem Bett liege und höre Schritte vom anderen Ende des Korridors, dann hätte ein Aufschrei das ganze Klosterhotel aufwecken müssen.« Sie legte nachdenklich den Kopf schräg. »Vielleicht war Wilden vor dem Aufprall sogar schon tot, immerhin konnte der Täter nicht mit Gewissheit sagen, dass Wilden sich bei dem Sturz in den Schacht das Genick brechen würde. Hätte er ihn überlebt und um Hilfe gerufen, wäre man bald auf ihn aufmerksam geworden. Und nach seiner Rettung hätte er den Täter identifizieren können.«

»Ein Aufprall mit dem Schädel auf dem Brunnenboden ist meiner Ansicht nach nichts, was man überleben kann …«

»Wenn die Person genau mit dem Kopf voran aufschlägt, dann sicher nicht«, pflichtete sie ihm bei. »Sie könnte beim Sturz jedoch in eine Schräglage geraten, wenn sie auf einer Seite von der Innenwand abprallt und sich zu drehen beginnt. Nein, Wilden war bestimmt schon tot. Oder so schwer verletzt, dass er gar keine Chance hatte, aus der Ohnmacht zu erwachen.«

Tobias sah sie nachdenklich an. »Liest du eigentlich viele Krimis? Oder hast du wirklich eine so blühende Fantasie?«

»Das hat mit Fantasie wenig zu tun. Wenn du dir die Fakten ansiehst und dann die Möglichkeiten in Erwägung ziehst, die infrage kommen, dann landest du zwangsläufig bei diesen Überlegungen.« Sie lächelte ihn flüchtig an, dann stutzte sie und sprang auf. »Warte hier, ich bin gleich wieder da.« Alexandra lief auf den Feldweg, überquerte den Parkplatz bis zu ihrem Wagen, holte einen kleinen Beutel aus dem Handschuhfach und eilte zurück zum Brunnen. »Hier, zieh die an!«, forderte sie Tobias auf und hielt ihm ein Paar Latexhandschuhe hin, während sie das andere Paar anzog.

»Hey, Augenblick mal, ich packe den Toten nicht an!«

»Red keinen Blödsinn!«, konterte sie. »Ich möchte doch nur seine Taschen durchsuchen. Wenn sie Wilden erst mal in die Kühlkammer des Leichenschauhauses gebracht haben, kommen wir nicht mehr an ihn ran. Ich möchte aber sichergehen, dass er nicht irgendetwas bei sich trägt, das uns einen Hinweis auf den Täter geben könnte.«

»Zum Beispiel ein Zettel mit dem Namen seines Mörders? Oder dessen Visitenkarte?«, fragte Tobias mit einem mitleidigen Lächeln.

Alexandra hielt kurz inne und sah ihn an. »Wenn du vorhast, dich über jede meiner Bemerkungen lustig zu machen, kannst du meinen Vorschlag gleich vergessen. Bin gespannt, wie weit du allein kommst.«

»Hey, hey, ist ja schon gut! Ich hab’s nicht so gemeint.«

»Vielleicht ist da ja irgendetwas, das uns weiterhilft. Ein Zettel mit einer Uhrzeit und einem Treffpunkt oder eins dieser Streichholzheftchen aus einem Lokal hier aus der Gegend. Oder eine Quittung, die uns verrät, wo Wilden war, bevor er gestern Abend zum Kloster zurückgekommen ist. Falls er tatsächlich noch irgendwo anders war.«

Während Tobias hastig die Einweghandschuhe überstreifte, zog Alexandra aus der Hemdtasche einen Zettel, an dem etwas getrocknetes Blut klebte. Sie faltete ihn auseinander. Darauf waren verschiedene Posten addiert. Einige der Zahlen wurden durch einen Buchstaben ergänzt, der alles Mögliche bedeuten konnte.

»Und?«

»Keine Ahnung, was es damit auf sich hat«, antwortete sie. »Wenn ich die Zahlen addiere, komme ich auf ein anderes Ergebnis. Vermutlich stehen die einzelnen Positionen für irgendetwas, und es geht gar nicht um eine Addition …« Sie legte den Zettel zur Seite, dann gab sie Tobias ein Zeichen, ihr erst Wildens rechte und dann die linke Hosentasche aufzuhalten.

Sie förderte eine Geldbörse, eine Brieftasche, zwei verpackte Kondome und ein Päckchen Kaugummi zutage und steckte es in den Plastikbeutel. »Das ist alles«, erklärte sie. »Und wo ist sein Handy?«

»Vielleicht liegt es noch im Wagen«, überlegte er.

»Wer hat inzwischen den Schlüssel? Oder steckt der noch?«

»Nein, ich glaube, den hat Bruder Johannes an sich genommen, damit der Wagen nicht gestohlen wird.«

»Dann fragen wir ihn gleich danach, sobald der Leichenwagen Wilden abgeholt hat«, entschied sie. »Mit Bruder Johannes müssen wir sowieso noch reden. Wir sollten nämlich seine Erlaubnis einholen, bevor wir uns im Klosterhotel umhören.«

In diesem Moment näherte sich auf der Landstraße ein Leichenwagen und bog in die Zufahrt zum Klosterhotel ein. Zwei Männer in dunklen Anzügen stiegen mit ernster Miene aus. Tobias ging ihnen entgegen, unterhielt sich kurz mit ihnen und kam zu Alexandra zurück. »Wir können jetzt gehen, die Herren kümmern sich um alles Nötige. Wann sehen wir uns das an?« Er deutete auf den Plastikbeutel mit Wildens Besitztümern, den Alexandra in der Hand hielt.

»Damit beschäftigen wir uns später.« Sie dachte kurz nach. »Weißt du was? Ich lege die Sachen in meinen Wagen. Da kommt wenigstens kein Unbefugter dran. Wenn ich das in meinem Zimmer deponiere, bekomme ich vielleicht noch ungebetenen Besuch.«

»Meinst du, der Täter hätte nicht sofort dafür gesorgt, etwas Belastendes beiseitezuschaffen?«

»Vielleicht wurde er gestört und hatte dafür keine Zeit mehr. Das würde auch erklären, warum bei Wildens Wagen der Zündschlüssel noch steckte.«

»Hm«, machte Tobias, während er neben ihr her mit zu ihrem Auto ging. »Dann dürfte der Täter die Sache aber nicht von langer Hand geplant haben.«

»Mord im Affekt. Oder er ist mit seinem Plan von falschen Voraussetzungen ausgegangen«, hielt sie dagegen. »Vielleicht ist ihm Wilden an der falschen Stelle über den Weg gelaufen. Er musste daraufhin improvisieren, und anstatt ihn drüben am Brunnen niederzuschlagen, musste er ihm auf den Parkplatz nachlaufen. Und als er dann den bewusstlosen oder womöglich schon toten Wilden beseitigen wollte, näherte sich ihm jemand Drittes. Dann hat der Täter Wilden in aller Eile zum Brunnen geschafft und in den Schacht geworfen und ist danach ins Kloster zurückgekehrt, um nicht gesehen zu werden.«

Sie schloss den Kofferraum auf und versteckte die Habseligkeiten des Toten unter einer Decke.

»Also müssten wir herausfinden, ob sonst noch jemand so spät ins Kloster zurückgekehrt ist, der Gefahr lief, den Täter zu entdecken«, überlegte er. »Vielleicht hat dieser Jemand ja irgendetwas beobachtet.«

Seite an Seite verließen sie den Parkplatz. »Nicht unbedingt. Wenn Wilden sich mit jemandem verabredet hatte, mit dem er sich hier am Kloster treffen wollte, um danach mit ihm irgendwohin zu fahren, dann könnte sich der Täter von Bernd Wildens Bekanntem gestört gefühlt haben. Dieser Unbekannte hätte dann eine Weile auf Wilden gewartet und wäre irgendwann, als Wilden nicht am Treffpunkt erschien, unverrichteter Dinge wieder abgefahren.«

»Ich weiß nicht, Alexandra«, seufzte er. »Ich glaube, du machst da irgendwas verkehrt.«

»Wieso?«

»Na ja, normalerweise versucht der Kommissar bei einem Mordfall, den Täterkreis einzugrenzen. Du dagegen bringst immer noch mehr Leute ins Spiel, die mit Wildens Tod etwas zu tun haben könnten – wobei es ja nach wie vor reine Spekulation ist, dass hier überhaupt ein Verbrechen stattgefunden hat.«

»Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass es ein Verbrechen war«, erwiderte sie. »Da passen einfach zu viele Dinge nicht zusammen.«

»Manchmal ist die simpelste Erklärung auch die richtige«, konterte Tobias. »Wilden ist zu seinem Wagen gegangen und hat gemerkt, dass er etwas vergessen hat. Daraufhin ist er zum Kloster zurückgelaufen, und weil er so in Eile war, ist er gestolpert und dann so unglücklich gefallen, dass er kopfüber in den Brunnenschacht gestürzt ist. Fertig. Unfall. Schluss. Aus.«

Alexandra lachte. »Also weißt du … Gut, dass du keine Krimis schreibst! Bei dir würde der ausgeklügeltste Mord nach zwei Seiten aufgeklärt, beispielsweise weil der Täter dummerweise eine Webcam übersehen hat und bei der Tat gefilmt worden ist. Der Kommissar konfrontiert ihn mit den Aufnahmen, der Täter gesteht. Fertig. Schluss. Aus. Und dann stehst du mit zweihundertachtundneunzig leeren Seiten da.«

»Platz genug für eine ausgiebige Sexszene zwischen dem Kommissar und der attraktiven Täterin.«

Alexandra verdrehte die Augen. »Warum sollten die beiden Sex haben?«

»Braucht man denn dafür einen Grund? Die beiden nutzen einfach die günstige Gelegenheit.«

Alexandra sparte sich jeden Kommentar. Sie nickte den Männern vom Beerdigungsinstitut zu, die den Toten in einen Metallsarg gebettet und in ihren Wagen geladen hatten und soeben abfuhren. Kater Brown lag nun dort, wo sich eben noch Wildens Leiche befunden hatte, und putzte sich ausgiebig, während er sich die Sonne auf den Rücken scheinen ließ.

Bei ihm angekommen, hockte sich Alexandra kurz hin, um den Kater zu streicheln. »Sieh mal«, sagte sie zu Tobias. »Je nachdem, wie die Sonnenstrahlen auf sein Fell fallen, sieht er gar nicht schwarz aus, sondern mehr dunkelbraun. Aber komm, lass uns jetzt zu Bruder Johannes gehen! Vielleicht kann er uns ja den einen oder anderen Tipp geben.«

Sie richtete sich auf, was Kater Brown offenbar als Aufforderung deutete, die Putzstunde zu unterbrechen. Jedenfalls sprang er auf und stellte sich so vor Alexandra hin, dass er sich gegen ihre Schienbeine drücken konnte.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie ihn und bückte sich, um ihm über den Kopf zu streicheln, doch Kater Brown machte bereits einen Satz nach oben, als wollte er ihr ein Stück entgegenkommen. Dann hatte er auch schon die Vorderpfoten um ihren Unterarm geschlungen. »Autsch«, rief sie leise, als sie die Krallen spürte, die sich glücklicherweise nur leicht in ihre Haut drückten. »Du willst wohl getragen werden, wie?«

Tobias schaute interessiert zu, wie Alexandra den Kater hochhob und so gegen sich legte, dass er die Vorderpfoten über ihre Schulter baumeln lassen konnte. Von dieser Warte aus hatte er freie Sicht nach hinten, doch im Moment reckte er den Hals und verdrehte den Kopf nach rechts, wo Tobias stand. Dabei war der weiße Fleck an der Kehle des Tiers deutlich zu sehen, der durch seine längliche Form tatsächlich etwas von dem weißen Kragen eines Geistlichen hatte.

»Jetzt bist du doch da, wo du sein wolltest, du Räuber«, sagte Tobias. »Was guckst du mich also so an?«

»Es könnte nicht schaden, wenn man dabei auch noch gekrault wird.« Alexandra lachte. »Immerhin habe ich jetzt dafür keine Hand mehr frei.«

»Na gut, aber wehe, der kratzt mich!« Er streckte die Hand aus. Kater Brown kam ihm sofort mit dem Kopf entgegen und rieb sich genüsslich an Tobias’ Fingern.

Alexandra betrat mit dem Tier auf dem Arm und Tobias im Schlepptau das Foyer. Am Empfangstresen blieb sie stehen und sah sich um. Die Tür zum Refektorium stand offen. In dem großen Raum hielten sich einige der Leute auf, die zuvor draußen um den Brunnen herumgestanden hatten. Sie unterhielten sich leise miteinander; vermutlich standen sie noch unter Schock.

Aus dem Büro hinter der Empfangstheke kam Bruder Andreas. Er lächelte sie an.

»Normalerweise sollte Bruder Johannes um diese Zeit in der Verwaltung sein«, ließ der Mönch sie wissen, nachdem er sie nach ihren Wünschen gefragt hatte. »Aber heute ist ja alles andere als ein normaler Tag. Dieser schreckliche Unfall …« Der Mann zuckte die muskulösen Schultern und schaute betreten drein. »Einen Moment.« Er ging nach hinten ins Büro und zog dabei ein Handy aus der Tasche.

»Ich wusste gar nicht, dass du auf Schwarzenegger-Klone stehst«, merkte Tobias leise an, als er den Mönch im Nebenraum telefonieren hörte. »Oder habe ich deine interessierten Blicke gerade missverstanden?«

»Unsinn«, wisperte Alexandra. »Ich habe bei seinem Anblick nur überlegt, dass jemand mit solchen Muskelpaketen keine Mühe haben dürfte, einen kleineren Mann niederzuschlagen und ihn dann in den Brunnen zu werfen. Ist doch vorstellbar, dass der Täter im Kreise der …« Sie brach ab, weil Bruder Andreas wieder zu ihnen trat.

»Bruder Johannes kommt Ihnen entgegen. Wenn Sie an der Treppe zum ersten Stock warten möchten …«

»Ah, gut, vielen Dank«, sagte Alexandra und verzog ein wenig das Gesicht, da sich Kater Brown nun etwas fester in ihre Schulter krallte.

»Du, warte mal«, flüsterte Tobias ihr zu. »Was ist eigentlich, wenn Bruder Johannes Wilden ermordet hat? Du erzählst ihm, was du vermutest und was du vorhast, und der Mann ist vorgewarnt. Du bringst dich damit womöglich selbst in Gefahr … und mich gleich mit.«

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Jetzt spinnst du aber wirklich! Ich verstehe dich nicht. Hast du Angst um mich oder um dich?«

»Weder noch. Ich frage mich nur, ob es so klug ist, irgendwelche Reaktionen herauszufordern.«

»Tobias, wir müssen mit unseren Befragungen irgendwo anfangen, und Bruder Johannes ist dafür unsere beste Wahl.« Sie warf einen raschen Blick nach links und rechts, um sicherzugehen, dass niemand sie belauschte. »Wir brauchen seine Erlaubnis, uns hier umzusehen. Außerdem hat er so viel Arbeit und Kraft in dieses Kloster gesteckt, da wird er doch nicht alles aufs Spiel setzen, indem er einen seiner zahlenden Kunden umbringt.«

»Vielleicht hat er ja dessen Nörgeleien nicht mehr ertragen«, gab Tobias nur halb im Ernst zurück.

Alexandra verzog den Mund. »Okay, pass auf, ich sag dir, was wir machen. Wir locken ihn einfach auf eine falsche Fährte, so wie ich das bei Wildens Mitarbeitern auch vorhabe. Das wird funktionieren.«

Tobias sah sie interessiert an. »Eine falsche Fährte? Davon hast du mir noch gar nichts gesagt.«

»Ist mir auch gerade erst eingefallen. Wir werden …«

»Frau Berger? Herr Rombach?«, wurden sie von einer tiefen, etwas rauen Stimme unterbrochen.

Erst jetzt bemerkten sie, dass Bruder Johannes bereits einige Meter entfernt am Fuß der Treppe auf sie wartete.

»Da sind Sie ja«, sagte der Mönch, als sie ihn erreicht hatten. »Was kann ich für Sie tun?«

»Wir wollten uns gern kurz mit Ihnen unterhalten … unter sechs Augen, wenn das möglich ist«, sagte Alexandra.

»Dann kommen Sie doch bitte mit in mein Zimmer, da sind wir auf jeden Fall ungestört.« Bei diesen Worten holte er sein Handy aus der Tasche und schaltete den Klingelton aus.

Sie folgten dem Mönch durch den Korridor, vorbei an den Quartieren seiner Mitbrüder und der Tür, die zum Kräutergarten führte. Der Gang knickte nach links ab und verlief dann quer zum ersten Flur. Schließlich gelangten sie in einen Raum, der mindestens dreimal so groß war wie Alexandras Unterkunft.

Beim Anblick des mächtigen Bücherregals, das die gesamte rechte Wand beanspruchte, entfuhr Alexandra ein Laut des Erstaunens.

»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, erklärte Bruder Johannes schmunzelnd, »aber ganz so ist es nicht. Das hier ist das ehemalige Zimmer von Abt Bruno. Nachdem er uns … verlassen hatte, bestanden meine Brüder darauf, dass ich dieses große Zimmer bekomme – sozusagen als Dankeschön, weil ich mich so für den Erhalt des Klosters engagiert habe. Ich habe zwar versucht, mich dagegen zu sträuben … schließlich habe ich nur getan, was jeder andere auch getan hätte, aber sie haben so lange auf mich eingeredet, bis ich einlenken musste, um sie nicht zu beleidigen.« Er wies mit der Hand auf das ausladende Regal. »Auch bei den Büchern handelt es sich zu einem großen Teil um Abt Brunos private Sammlung, die er zurücklassen musste, als er Hals über Kopf von hier verschwand. Nachdem ich das Zimmer bezogen hatte, habe ich die Reihen gesichtet und einen kleinen Teil nach oben in die Bibliothek und einen anderen, weniger bedeutsamen Teil, in den Keller bringen lassen. Was Sie sehen, ist also zu … bestimmt neunzig Prozent oder mehr das Einzige, was unser Abt uns an Vermögenswerten zurückgelassen hat, als er sich mit dem Geld absetzte. Nur diese drei Reihen da rechts sind meine eigene Sammlung.«

»Ich dachte immer, wenn man in ein Kloster geht, lässt man all seine weltlichen Güter hinter sich zurück«, sagte Tobias. »Außer vielleicht ein Foto von einem lieben Menschen oder so was.«

»Das ist richtig«, bestätigte Bruder Johannes. »Aber wir bekommen ja auch manchmal etwas geschenkt …« Ein schelmisches Lächeln umspielte seine Lippen. »Davon abgesehen, ist es den Mitgliedern unseres Ordens gestattet, in freien Zeit privaten Interessen nachzugehen. Sehen Sie, mein Steckenpferd sind spezielle Kriminalromane.« Voller Stolz zeigte er auf die drei Regalreihen. »Das sind alles Krimis, in denen ein Geistlicher bei einem Verbrechen ermittelt, Originalausgaben und deutsche Übersetzungen …«

Tobias trat näher. »Also Pater Brown und so weiter?«

»Ja, damit hat es angefangen«, sagte der Mönch. »Das ist übrigens sehr interessant, weil die Figur des Pater Brown bei uns das Bild des ermittelnden Geistlichen geprägt hat, vor allem Rühmann in dieser Rolle. Er hat ihn ja auch gut gespielt, dagegen gibt es gar nichts einzuwenden. Aber es ist bei Pater Brown so wie bei vielen oder vielleicht sogar bei den meisten Literaturverfilmungen: Der Film hat mit der Vorlage ziemlich wenig zu tun.«

»Es bleibt nicht aus, dass Nebenhandlungen wegfallen müssen, weil sie alle gar nicht in einen eineinhalbstündigen Film gepackt werden können«, wandte Alexandra ein.

Bruder Johannes nickte. »Das stimmt. Aber es geht auch um viele Details, die unter den Tisch fallen. Da haben die Drehbuchautoren eine gut recherchierte Vorlage, und trotzdem basteln sie sich oft irgendwelchen Unsinn zusammen, weil sich ja leider alles der Dramaturgie und den special effects unterordnen muss. Doch da wir von Pater Brown reden … Man darf die Schuld nicht allein dem Medium Film geben, denn da ist das Übel schon in der Vorlage zu finden.«

»Tatsächlich?«, hakte Alexandra nach, obwohl sie lieber mit ihm über Wildens Tod gesprochen hätte. Es war jedoch sinnvoller, den Mann erst einmal reden zu lassen. Wenn er in Redelaune war, würde er womöglich später ausführlicher auf ihre Fragen antworten. Würde sie ihm dagegen jetzt ins Wort fallen, konnte sie nachher möglicherweise nicht mehr auf seine Kooperation hoffen.

»Ja, Sie müssen dazu wissen, dass Gilbert Chesterton, der Brown erfunden hatte, ein überzeugter Anhänger des katholischen Glaubens war, so sehr sogar, dass Papst Pius XI. ihn nach seinem Tod mit dem Titel ›Verteidiger des Glaubens‹ ehrte. Chesterton benutzte die Kriminalfälle als Aufhänger, um sich für seine religiösen Ansichten einzusetzen. Davon ist in den Rühmann-Filmen nicht viel übrig geblieben …«

»Ich bin mir auch nicht sicher, ob den Filmen mit einer allzu deutlichen religiösen Botschaft gedient gewesen wäre …«, warf Alexandra ein.

»Ganz richtig, Frau Berger«, pflichtete er ihr bei. »Ein unterhaltender Film sollte den Zuschauer nicht belehren, dafür gibt es andere filmische Genres. Obwohl es auch anders geht. Ich weiß nicht, ob Sie je die englische Pater-Brown-Verfilmung mit Sir Alec Guinness gesehen haben, obwohl … damals war er ja noch gar kein Sir. Es heißt, dass das Drehbuch und eine persönliche Begegnung mit Chesterton bei ihm einen so tiefen und bleibenden Eindruck hinterlassen haben, dass er daraufhin zum katholischen Glauben übergetreten ist.«

Alexandra sah zu Tobias. »Wusstest du das?«

»Ich dachte immer, er ist nach Star Wars dem Orden der Jedi-Ritter beigetreten«, kam dessen lapidare Antwort.

Bruder Johannes lachte erheitert auf. »Nein, ernsthaft, wenn Sie Chesterton im Original lesen, dann erwecken die Romane einen völlig anderen Eindruck, sowohl was die Charaktere angeht als auch die Botschaft, die er mit den Geschichten vermitteln wollte. In den ersten deutschen Ausgaben hat man vieles von dem einfach herausgestrichen, wohl weil man das für die deutschen Leser nicht für geeignet hielt. Deswegen hatten die deutschen Filme auch so wenig mit Chestertons Original zu tun.« Der Mönch zuckte mit den Schultern. »Zum Glück gibt es seit ein paar Jahren neue Übersetzungen, und die bleiben wenigstens dicht am Original.«

Ehe Alexandra auf den eigentlichen Grund ihres Kommens überleiten konnte, zog Bruder Johannes ein Taschenbuch aus dem Regal und hielt es ihnen kurz hin. Dann blätterte er darin und redete gleichzeitig weiter: »Was mich auch schon immer fasziniert hat, sind die Krimis von Harry Kemelman. Bestimmt haben Sie schon mal einen seiner Rabbi-Krimis in einer Buchhandlung gesehen.« Als er die fragenden Blicke seiner Gäste bemerkte, fügte er hinzu: »Die haben immer sehr eingängige Titel. Dieser hier zum Beispiel heißt Am Freitag schlief der Rabbi lang. Dadurch sind sie mir damals überhaupt erst aufgefallen, und ich muss sagen, sie sind sogar richtig lehrreich. Wissen Sie, ein Rabbi namens David Small ermittelt in den unterschiedlichsten Fällen, und ganz nebenbei erfährt man unglaublich viel über den jüdischen Glauben. Vor allem bekommt man diese Dinge in einem praktischen Zusammenhang erklärt, ohne dass man sich durch ein trockenes Sachbuch quälen muss.« Er stellte das Buch zurück ins Regal und zeigte auf verschiedene andere Romane. »Ich darf natürlich nicht Bruder Cadfael vergessen, geschaffen von der unvergleichlichen Ellis Peters, Gott sei ihrer Seele gnädig! Ich glaube, als sie diese Krimis schrieb, hatte sie schon Sir Derek Jacobi im Hinterkopf … Er hat später im Fernsehen diesen Benediktinermönch Cadfael gespielt. Er war die ideale Besetzung.« Bruder Johannes lächelte versonnen. »Und die drei Figuren sind nur die bekanntesten Geistlichen, die dem Verbrechen auf der Spur sind. In den beiden unteren Reihen hier stehen noch mal über hundert Krimis mit anderen ›Kollegen‹, die im Namen des Herrn für Recht und Ordnung sorgen. Sie spielen zum Teil an ganz exotischen Schauplätzen, zum Teil aber auch gleich hier um die Ecke. Ich habe einiges zusammengetragen, doch es gibt immer noch Romane, die ich nicht habe … Manchmal natürlich auch deshalb, weil sie nicht als deutsche Ausgabe erschienen sind und ich die jeweilige Originalsprache nicht beherrsche. Aber mein absoluter Favorit ist …« Er unterbrach sich und warf Alexandra und Tobias einen auffordernden Blick zu. »Na, kommen Sie von selbst drauf?«

»Der Name der Rose?«, fragte Alexandra auf gut Glück.

Bruder Johannes lachte. »Ganz richtig. Ich habe sogar ein Exemplar mit einer Widmung von Umberto Eco.« Er seufzte leise. »Ich weiß, ich sollte so etwas eigentlich nicht sagen, weil es ja voraussetzt, dass sich ein Verbrechen ereignet hat, bei dem jemand zu Schaden gekommen ist, aber … ich glaube, ich wäre ein sehr glücklicher Mann, könnte ich einmal so wie William von Baskerville ein Verbrechen aufklären.«

Das ist mein Stichwort, dachte Alexandra. »Ich habe das Gefühl, dass Ihr Wunsch erhört wurde.« Eigentlich hatte sie nicht so mit der Tür ins Haus fallen, sondern Bruder Johannes vorsichtig in die gewünschte Richtung dirigieren wollen, um ihn mit etwas Glück glauben zu machen, dass er ihnen selbst den Vorschlag unterbreitet hatte, sich im »Fall Wilden« einmal im Klosterhotel umzuhören. Aber wenn er ihr schon eine solche Gelegenheit bot, musste sie einfach zugreifen.

Bruder Johannes hatte die dunklen Brauen fragend in die Stirn gezogen. »Wie darf ich Ihre Bemerkung verstehen, Frau Berger?«

»Sie können sich sicherlich denken, dass es um Herrn Wilden geht«, begann Alexandra absichtlich etwas zögerlich, um feststellen zu können, inwieweit sie das Interesse des Mönchs wecken konnte. Davon wollte sie es abhängig machen, wie sehr sie den Mann in ihre Nachforschungen involvieren würde.

»Herr Wilden? Halten Sie seinen Tod denn nicht für einen Unfall?«

»Wir halten es für möglich, dass Bernd Wilden nicht in den Brunnen gestürzt ist. Es könnte sein, dass jemand nachgeholfen hat. Manches scheint darauf hinzuweisen.«

»Aber Polizeiobermeister Pallenberg ist doch der Ansicht, dass es bestimmt ein Unfall war.«

Alexandra musste sich zusammenreißen, um mit ihrer Meinung über den Polizisten hinterm Berg zu halten. »Pallenberg ist kein Rechtsmediziner, das hat er ja sogar selbst erklärt«, sagte sie stattdessen. »Wenn man sich eine Leiche nur kurz ansieht, kann man unmöglich ein Urteil darüber fällen, wie die Person ums Leben gekommen ist.«

»Ja, das stimmt«, räumte Bruder Johannes ein. »Pallenberg hätte ebenso gut gleich zu Hause bleiben können, dann wüssten wir auch nicht weniger als jetzt.«

»Wie dem auch sei«, warf Alexandra ein. »Wenn er keine Zeit oder Lust hat, diesen Todesfall genauer unter die Lupe zu nehmen, sollten andere sich einmal ansehen, welche Umstände zu Wildens Tod geführt haben könnten. Zuerst müssen seine Mitarbeiter befragt werden – bevor die ihre Koffer packen und abreisen.«

Bruder Johannes wurde hellhörig. »Verdächtigen Sie denn schon jemanden?«, fragte er und beugte sich ein wenig vor, wobei das Funkeln in seinen Augen noch etwas intensiver zu werden schien.

»In gewisser Weise ja«, sagte sie und sah dabei kurz zu Tobias hinüber, der sich jedoch glücklicherweise nichts von seiner Überraschung über ihre Lüge anmerken ließ. »Eben hörte ich einen seiner Mitarbeiter im Refektorium sagen: ›Hätte er die Drohung ernst genommen, wäre das nicht passiert.‹ Und irgendjemand erwiderte: ›Tja, er hat sich ja nie was sagen lassen.‹ Der Rest ging leider im Stimmengewirr unter. Ich habe zwar einen flüchtigen Blick in den Saal geworfen, doch es hielt sich niemand in der Nähe der Tür auf. Daher weiß ich nicht, wer sich unterhalten hat.«

Bruder Johannes nickte. »So kurz nach dem Auffinden der Leiche scheinen diese Äußerungen in einem Zusammenhang mit dem Todesfall zu stehen.« Er zog nachdenklich die Brauen zusammen. »Es wäre natürlich hilfreich, wenn man wüsste, wer sich da unterhalten hat.«

»Wir können versuchen, die Leute zu befragen«, äußerte sich Tobias. »Ob sie sich natürlich uns gegenüber äußern wollen, müsste sich erst noch zeigen. Der Täter wird bestimmt gar nichts sagen …«

»Oh, wissen Sie, Herr Rombach, manchmal erfahren wir mehr aus dem, was uns ein Mensch nicht sagt. Die Mimik und Gestik verraten oft mehr als das gesprochene Wort, und in vielen Fällen ist es sogar so, dass sie eine Aussage widerlegen. Meine Jahre im Orden, aber auch viele Gespräche mit Ratsuchenden haben mich das gelehrt. Doch das werden Sie als Journalisten ja wissen.«

»Ja, natürlich«, sagte Alexandra. »Wir werden bei unseren Befragungen diesen Rat beherzigen … Was meinen Sie, sollen wir denn versuchen, etwas Licht in die Sache zu bringen?«

»Meinen Segen haben Sie, schließlich sind Sie beide die neutralsten Personen in unserem Haus«, stimmte Bruder Johannes ihr zu. »Aber ich möchte mich auch nützlich machen«, fügte er sichtlich begeistert hinzu. »Sie wissen ja …«

»Wenn Sie uns bei unseren ›Ermittlungen‹ unterstützen könnten, wäre das natürlich wunderbar. Während wir die Gäste befragen, könnten Sie zum Beispiel …«

»Ein Bewegungsprofil erstellen«, warf Tobias hilfreich ein, als Alexandra für einen Moment ins Stocken geriet. »Jeder Mönch soll Ihnen sagen, wann er sich wo aufgehalten hat, damit …«

»Verdächtigen Sie etwa einen meiner Brüder?«, unterbrach Bruder Johannes ihn und legte erschrocken eine Hand auf seinen Mund.

»Nein, nein, keine Angst«, erwiderte Alexandra, die inzwischen verstanden hatte, was Tobias meinte. »Es geht nur darum, herauszufinden, wann sich welcher ihrer Mitbrüder wo im Haus oder auch außerhalb aufgehalten und wen und was er dabei beobachtet hat. Uns interessiert, wo sich die Gäste an einem bestimmten Zeitpunkt befunden haben. Diese Beobachtungen können wir dann später mit den Aussagen vergleichen, die wir hoffentlich von Wildens Mitarbeitern bekommen. Wenn wir dabei auf Widersprüche stoßen, wissen wir, uns wurde nicht die ganze Wahrheit gesagt. Dann können wir die betreffenden Personen damit konfrontieren und gespannt sein, was sie dazu zu sagen haben.«

»Ah, verstehe.« Der Mönch schüttelte den Kopf. »Für einen Moment dachte ich, Sie verdächtigten meine Mitbrüder.«

Sie winkte lachend ab. »Nein, nein, welchen Grund sollten sie haben?« Sie nickte Tobias zu. »Dann schlage ich vor, dass wir uns schon mal mit den Gästen befassen, während Sie sich mit Ihren Brüdern zusammensetzen, damit die Ihnen die nötigen Informationen geben. Wir …« Sie stutzte, als sie auf einmal ein seltsames Geräusch gleich neben ihrem Ohr wahrnahm. Aus dem Augenwinkel betrachtete sie den Kater, der sich während der Unterhaltung mit dem Mönch noch ein Stück weiter über ihre Schulter gezogen hatte und nun kopfüber dalag. »Kann mir mal bitte jemand verraten, was der Bursche da treibt?«, sagte sie.

Tobias begann zu lachen, und gleich darauf stimmte Bruder Johannes mit ein. »Kater Brown ist auf deiner Schulter eingeschlafen und schnarcht gemütlich vor sich hin. Das ist ein Bild für die Götter.«

»Ich vermute, den Kater werde ich wohl noch eine ganze Weile mit mir herumtragen«, meinte sie kopfschüttelnd. »Dabei ist es eigentlich ein bisschen warm für eine Pelzstola. Aber na ja, Kater Brown hat noch was gut bei mir. Wenn ich bedenke, dass wir ohne ihn vielleicht noch immer nach Wilden suchen würden.«

Bruder Johannes, der Alexandra und Tobias auf den Gang begleitet hatte, sah von einem zum anderen. »Wieso das?« Ein jüngerer Mönch näherte sich ihnen, sah, dass Bruder Johannes Besuch hatte, und nickte den beiden Gästen abwartend zu.

»Na, schließlich hat er mich zu sich an den Brunnen gelockt«, antwortete Alexandra. »Ohne Kater Browns kleinen Aufstand wäre wohl niemand so schnell auf die Idee gekommen, in den Schacht zu sehen.«

Bruder Johannes schmunzelte. »Ach, das, ja. Das war mir schon wieder entfallen. Ja, dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei den Befragungen.« Er wandte den Blick zu seinem Mitbruder. »Bruder Hartmut, du kommst wie gerufen. Wenn du im Augenblick nichts Dringendes zu tun hast, dann würde ich dich gern kurz sprechen. Wir haben gemeinschaftlich eine wichtige Aufgabe zu erledigen.«

»Ja, natürlich.« Der schlaksige, hochgewachsene Mann mit dem etwas wirren Haar und dem buschigen Schnauzbart trat noch näher. »Was gibt es denn?«

»Komm erst mal rein«, forderte der ältere Mönch ihn auf.

Alexandra und Tobias bedankten sich bei Bruder Johannes und gingen in stillem Einvernehmen schweigend über den Korridor davon. Schließlich konnte sich hinter jeder dieser Türen ein Lauscher befinden.

Sie näherten sich gerade dem Quergang, der zu den Gästequartieren im parallel gelegenen Flügel führte, als Kater Brown auf einmal hochschreckte und sich mit den Hinterbeinen kraftvoll abstieß, um kurz darauf hinter Alexandra auf dem Boden zu landen.

»Aua«, rief sie. Beim Sprung hatte er ihr seine Krallen schmerzhaft in die Schulter gebohrt.

»Treffer«, merkte Tobias an und deutete auf Alexandras Rücken, wo sich prompt mehrere kleine rote Punkte im Stoff des TShirts zeigten.

»Was ist denn in dich gefahren?«, schimpfte sie und sah dem Kater nach, wie er nach rechts in die Ecke zu einer Tür schlich, die einen Spaltbreit geöffnet war. Dabei blieb er immer wieder kurz stehen und sah sich nach Alexandra um.

»Bestimmt hat er eine Maus gewittert«, meinte Tobias. »Das ist Instinkt. Er wollte dir sicher nicht wehtun.«

Alexandra folgte dem Kater zur Tür. »Nachdem er schon Wildens Leiche gefunden hat, traue ich dem Tier alles zu, aber nicht, dass es jetzt nur auf Mäusejagd gehen möchte.«

Mit einem leisen »Miau« zwängte sich Kater Brown durch den Spalt. Alexandra, die ihm dicht auf den Fersen war, ergriff die Türklinke und zog die Tür auf.