173815.fb2 Kater Brown und die Klostermorde - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

Kater Brown und die Klostermorde - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

11. Kapitel

»Kannten Sie den Kerl?«, fragte Angelika, die Tobias einen Teller Suppe und Alexandra eine Eisschokolade servierte.

»Bis vorhin noch nicht«, antwortete Alexandra und kraulte den Kater, den sie wieder auf den Stuhl gelegt hatte.

»Bei Ihnen im Kloster ist doch auch der andere Typ, der genauso übel drauf ist wie dieses schrecklich nette Bürschchen gerade.«

Alexandra sah von ihrer Eisschokolade auf. »Sie sprechen offenbar von Bernd Wilden, nicht wahr? Er wurde heute Morgen tot im Brunnen vor dem Kloster aufgefunden.«

»Tot?« Die Frau riss die Augen auf, doch sie fasste sich schnell wieder. »Hat ihn jemand erwürgt, damit er endlich die Klappe hält?« Sie hob entschuldigend die Hände. »Tut mir leid, wenn ich das so sage, aber … wenn ich den Mann länger als einen Tag hätte ertragen müssen, hätte ich auch für nichts garantieren können.« Sie wies mit dem Kopf zur Eingangstür. »War das eben sein Sohn?«

»Nein, sein Assistent«, sagte Tobias. »Aber Sie haben recht: Kurt Assmann könnte durchaus als Wildens Sohn durchgehen, die gleiche nette Art.«

Angelika setzte sich zu ihnen an den Tisch und sagte in vertraulichem Ton: »Ich muss Ihnen das erzählen … Also, dieser Herr Wilden schneite am Donnerstagabend hier rein …«

»Am Donnerstag? Ich dachte, die Reisegruppe wäre erst am Freitagmorgen eingetroffen.« Tobias sah überrascht zu Alexandra, die nickte.

»Nein, ich bin mir ganz sicher. Wilden kam am Donnerstagabend in mein Lokal. Am ersten Donnerstag im Monat setzt sich nämlich eine Gruppe von Leuten aus dem Dorf im Wechsel einmal bei mir und einmal schräg gegenüber bei der Konkurrenz zu einer Gesprächsrunde zusammen. Diese Leute engagieren sich für Lengenich und kümmern sich um alle möglichen Belange, die das Dorf betreffen.« Die Wirtin zwinkerte Alexandra zu. »Da sind übrigens auch Ihre beiden Lieblinge mit von der Partie.«

Alexandra grinste. »Hannes und Karl …«

»Auf jeden Fall kam Herr Wilden am Donnerstagabend ins Lokal und wollte etwas zu essen bestellen. Doch die Küche hatte bereits geschlossen. Wenn die Dörfler hier zusammensitzen, dann wird nur getrunken. Darum bleibt an diesem Abend die Küche immer kalt. Wilden wollte das aber nicht einsehen, sondern beharrte darauf, etwas zu essen zu bekommen.« Angelika lachte. »Er blieb mit seinem Glas Wasser stur auf seinem Platz sitzen, doch ich kümmerte mich nicht weiter um ihn. Dahinten am letzten Tisch hockte er und hörte zwangsläufig die Diskussion der Dörfler mit an. Auf einmal stand er auf und mischte sich lautstark in die Unterhaltung ein. Er warf den Leuten vor, in zu kleinen Maßstäben zu denken, deshalb sei hier in den Dörfern auch überall ›tote Hose‹. Wir müssten über unseren Tellerrand hinaussehen, in größeren Dimensionen denken und so weiter. Dieser Angeber hatte von nichts eine Ahnung, aber redete groß mit! Als ein paar aus der Gruppe von ihm konkrete Beispiele forderten, winkte er nur großspurig ab und titulierte die Leute als ›Eifeler Hohlköppe‹! Die Dörfler wurden wütend und beschimpften ihn. Schließlich griff Pallenberg ein und geleitete Herrn Wilden nach draußen.«

»Ach, der Polizist war auch anwesend?«

»Er nimmt so gut wie immer an diesen Versammlungen teil, denn er will wissen, was im Dorf los ist. Wilden protestierte und drohte Pallenberg, dass das noch Konsequenzen nach sich ziehen würde.«

»Und wie reagierte Polizeiobermeister Pallenberg darauf?«

»Auf seine übliche Art. Er drohte Wilden im Gegenzug noch größeren Ärger an, wenn der nicht sofort einen Abgang machte.«

»Also haben sich die beiden gestritten«, folgerte Alexandra.

»Na ja, ich weiß nicht, ob ich das als ›Streit‹ bezeichnen kann. Sehen Sie, Wilden hat Pallenberg nicht wirklich beschimpft, er war nur laut und äußerst unhöflich, aber so unsanft, wie unser Polizist ihn dann gepackt und nach draußen verfrachtet hat, kam es mir schon ein bisschen so vor, als ließe er seinen persönlichen Frust an ihm aus. Sie müssen wissen, es soll in Pallenbergs Ehe ein paar Schwierigkeiten geben …«

»Hm«, machte Alexandra. »Und wie hat Wilden auf den Rausschmiss reagiert?«

»Er rief irgendetwas von Beschwerde und Vorgesetzten, doch dann hatte Pallenberg ihn auch schon nach draußen geschafft, und die Tür fiel hinter ihnen zu.«

»Hat Pallenberg später noch etwas zu dem Vorfall gesagt?«

Die Wirtin überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Er war nur ziemlich sauer.«

Alexandra notierte sich etwas auf ihrem kleinen Block.

»Augenblick mal«, sagte Angelika. »Sie glauben doch nicht etwa, dass Polizeiobermeister Pallenberg etwas mit dem Todesfall zu tun hat, oder?«

»Sehen Sie«, gab Alexandra zurück. »Nachdem der Tote geborgen war, kam Pallenberg zum Kloster, warf einen flüchtigen Blick auf die Leiche und erklärte das Ganze spontan zu einem Unfall, weil er momentan ganz allein Dienst tut und keine Spurensicherung anfordern kann. Aber die Zweifel an dieser Theorie werden immer größer.«

»Wann ist das denn passiert? Wann ist der Mann zu Tode gekommen?«

»Irgendwann zwischen gestern Abend und heute früh. Wieso?«

»Dann kann ich mir vorstellen, warum Pallenberg heute Morgen so … schnell mit seiner Unfalltheorie war, als er zum Kloster rausgefahren kam.«

»Und wieso?«

»Sie haben ja im Vorbeifahren unser Schullandheim gesehen«, begann Angelika. »Die Abiturienten, die im Moment da untergebracht sind, reisen am Montag wieder ab, und bei diesen Aufenthalten gehört es dazu, dass am letzten Freitag eine Party steigt, die meistens die ganze Nacht durchgeht. Vermutlich hatte Pallenberg erst eine halbe Stunde Schlaf bekommen, als er heute Morgen zum Kloster gerufen wurde.«

»Aber was hat er als Polizist mit der Party zu tun?«, wandte Tobias ein.

»Bevor er zur Polizei gegangen ist, hat er seinen Zivildienst beim Arbeiter-Samariter-Bund gemacht und ist da zum Rettungssanitäter ausgebildet worden. Bei solchen Veranstaltungen muss ein Sanitäter anwesend sein, doch der wird dem Schullandheim natürlich berechnet. Pallenberg hat sich bereit erklärt, von Zeit zu Zeit einzuspringen und für die Dauer der Party anwesend zu sein, damit das Schullandheim Geld sparen kann.« Sie hob die Hände leicht an. »Sie können gern dort nachfragen. Wenden Sie sich an Frau Büchel. Sie ist Leiterin des Schullandheims und für diese Dinge zuständig.«

Alexandra sah zu Tobias, der daraufhin die Schultern hob und sagte: »Machen wir. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich Pallenberg so viel Uneigennützigkeit gar nicht zugetraut hätte …«

Es war gegen Viertel vor vier, als sie in die baumbestandene Zufahrt zum Landschulheim einbogen.

»Schicke Hütte«, staunte Tobias und reckte den Hals.

Alexandra nickte. »Das fand ich auch, als ich das Landschulheim zum ersten Mal sah.« Sie stellte den Wagen auf einer als Besucherparkplatz gekennzeichneten Fläche ab, dann stiegen sie aus. Kater Brown, der es sich im Fußraum vor dem Beifahrersitz gemütlich gemacht hatte, hob den Kopf nur ein wenig an und blinzelte nach draußen, dann rollte er sich wieder zusammen und schlief weiter.

»Da wollen wir uns mal auf die Suche nach Frau Büchel machen«, sagte Alexandra und überzeugte sich davon, dass die Fenster für den Kater einen Spaltbreit geöffnet waren. Auch wenn der Wagen im Schatten stand, wollte sie nicht riskieren, dass Kater Brown einen Hitzschlag bekam. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Tobias in eine andere Richtung schaute. Alexandra folgte seinem Blick und entdeckte in einigen Metern Entfernung drei achtzehn-, neunzehnjährige Mädchen in bunten, recht knappen Bikinis. Sie standen ein wenig abseits von ihren anderen Mitschülern am Rand eines kleinen Schwimmbeckens, kicherten und lächelten zu Tobias hinüber.

Alexandra zog ihn am Ohrläppchen mit sich fort.

»Aua«, protestierte Tobias in gespielter Empörung und rieb sich das Ohr.

»Komm, du könntest ja fast der Vater dieser Gänschen sein! Mach dich nicht lächerlich!«

»Wieso lächerlich?«, widersprach Tobias. »Ich scheine doch genau ihr Typ zu sein …«

»Oje!«, sagte Alexandra und grinste. »Dann möchte ich lieber nicht wissen, wie die Mitschüler dieser Grazien aussehen. Immerhin scheint ihre Not groß zu sein, wenn sie einem alten Mann wie dir schöne Augen machen.«

»Also, ehrlich, alter Mann!« Tobias schüttelte den Kopf, dann blitzte es in seinen Augen plötzlich auf. »Kann es sein, dass du nur eifersüchtig bist?«

Angelika spürte, wie ihr eine leichte Röte in die Wangen stieg, und ärgerte sich über sich selbst. »Ich eifersüchtig? Auf diese Hühnchen? So ein Blödsinn! Und jetzt komm, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«

Tobias begann, fröhlich zu pfeifen – und Alexandra ärgerte sich noch mehr.

Während sich auf dem Platz vor dem zweistöckigen Gebäude die Nachmittagswärme gestaut hatte, war es im Inneren des Hauses angenehm kühl. Im Foyer führte eine breite Treppe nach oben. Die Türen links und rechts davon waren mit Piktogrammen für Damen-und Herrentoiletten gekennzeichnet.

Durch die Eingangstür drang noch die Geräuschkulisse der ausgelassen am Schwimmbecken tobenden Schüler ins Haus, doch dann fiel die Tür hinter Tobias und Alexandra sanft ins Schloss, und sofort umgab sie eine wohltuende Ruhe.

»Hallo?«, rief Alexandra. »Frau Büchel? Sind Sie da?« Als niemand antwortete, ging sie entschlossen auf die Treppe zu. Im ersten Stockwerk kam ihnen eine zierliche Frau um die sechzig entgegen. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie freundlich.

»Ja, wir suchen die Leiterin des Schullandheims«, antwortete Alexandra.

»Da sind Sie fündig geworden«, erklärte die Frau und strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. »Gertrud Büchel mein Name.«

»Alexandra Berger, das ist mein Kollege Tobias Rombach. Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen? Es geht um die Nacht von gestern auf heute, da hat doch die Party der Abiturienten stattgefunden …«

Über das Gesicht der Frau fiel ein Schatten, und sie reckte entschlossen den Kopf. »Sind Sie von dieser Initiative, die uns die Partys verbieten will? Dann können Sie gleich wieder gehen. Sehen Sie sich doch an, wie weit die nächsten Gebäude entfernt sind, und dann verraten Sie mir, wie die Leute aus dem Dorf ernsthaft behaupten können, dass sie nachts kein Auge zubekommen, weil hier die Musik angeblich so unglaublich laut gespielt wird. Ich gehe bei jeder Party regelmäßig in der Nacht nach draußen, um mich davon zu überzeugen, dass die Lautstärke nicht übertrieben ist, sonst …«

Alexandra und Tobias hatten mehrmals versucht, den Redeschwall der Frau zu stoppen, ehe sie endlich auf ihre Zwischenrufe reagierte. »Frau Büchel, wir gehören zu keiner Initiative, und wir wissen auch nicht, wie laut die Party letzte Nacht war«, versicherte Tobias. »Drüben im Klosterhotel haben wir davon jedenfalls nichts mitbekommen.«

»Ach … wegen der Musik sind Sie also nicht hier?« Sie sah die beiden verdutzt an, dann räusperte sie sich. »Nun, entschuldigen Sie bitte meine Reaktion, aber die Nachbarn schicken uns in regelmäßigen Abständen irgendwelche Leute auf den Hals. Mitarbeiter vom Ordnungsamt, vom Jugendamt, von der Schulbehörde. Völlig unbegründet!« Die Frau schaute zwischen Tobias und Alexandra hin und her. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich weiß nicht, ob Sie schon gehört haben, dass es drüben im Klosterhotel einen Toten gegeben hat …«

»Ja, Herr Pallenberg hat mir am Telefon davon erzählt«, erwiderte die Frau. »So ein schrecklicher Unfall!«

»Ja, genau«, bekräftigte Alexandra und überlegte in aller Eile, wie sie ihre Frage so formulieren konnte, dass die Frau nichts von ihren Vorbehalten gegen den Polizeiobermeister erfuhr. Offenbar stand die Leiterin des Schullandheims in regem Kontakt mit Pallenberg und würde ihm brühwarm von Alexandras Verdacht erzählen. In diesem Fall würde Pallenberg ihnen bei ihren Nachforschungen gewiss Schwierigkeiten bereiten. Aus diesem Grund entschloss sich Alexandra zu einer kleinen Notlüge. »Sehen Sie, der Mann, der tot aufgefunden wurde … wurde bereits gestern am späten Abend vermisst, und wir haben vergeblich versucht, Herrn Pallenberg zu erreichen. Auch eben war er nicht ans Telefon zu bekommen. Jemand hat davon gesprochen, dass er wohl in irgendeiner Funktion hier tätig sein soll, und da haben wir uns gedacht, wir finden ihn vielleicht bei Ihnen. Oder vielleicht können Sie uns sagen, wo wir ihn erreichen können.«

»Wo er jetzt ist, weiß ich nicht. Gestern Abend allerdings war er hier. Da feierten die Abiturienten, die sich bei uns aufhalten, ihre Abschlussparty. Das war eine von den Gelegenheiten, bei denen Herr Pallenberg sich als Rettungssanitäter schon mal zur Verfügung stellt. Alle vier bis sechs Wochen hilft er uns auf diese Weise. Sehen Sie, es ist ja noch niemals etwas vorgefallen, bei dem einer der Schüler oder Lehrer Erste Hilfe benötigt hätte …« Sie lächelte. »Herr Pallenberg ist ein wunderbarer Mensch und ein guter Polizist, und er hilft uns gern.« Sie schwieg einen Moment und fügte schließlich hinzu: »Auch gestern hat er die ganze Nacht tapfer durchgehalten, bis zum Morgengrauen – bis auch noch das letzte Paar die Tanzfläche verlassen hatte. Draußen war es tatsächlich schon hell, als er seinen Dienst beenden konnte. Kurz darauf wurde er ja schon zum Kloster gerufen, der Arme! Das hat er mir eben am Telefon erzählt.«

»Es wurde schon wieder hell?«, hakte Alexandra nach. »Dann war die Party wohl ein voller Erfolg, wie?«

»Ja, das kann man sagen! Wir hatten die Achtzigerjahre als Thema.«

»Gut, dann … werden wir noch einmal versuchen, Herrn Pallenberg unter seiner Nummer auf der Wache zu erreichen«, warf Tobias schnell ein, bevor sie weiterreden konnte, und gab Alexandra unauffällig ein Zeichen, damit sie den Rückzug antraten.

»Ja, genau«, bestätigte die Leiterin des Schullandheims. »Oder eben auf dem Handy.«

Alexandra bedankte sich bei Frau Büchel und verabschiedete sich.

Auf der Wiese vor dem Haupteingang tummelten sich inzwischen weitere Mädchen am Rand des Schwimmbeckens. Bei Tobias’ Anblick schienen sie sich irgendwie in Pose zu werfen. Alexandra drehte sich grinsend zu ihm um. »Deine Fangemeinde wächst von Minute zu Minute.« Mit einer flüchtigen Kopfbewegung deutete sie auf die Mädchen.

Er zuckte lässig mit den Schultern. »Sag ich doch! Aber was soll ich mit dem jungen Gemüse? Ich stehe mehr auf reife Schönheiten.«

Bei seinem Grinsen konnte Alexandra sich ein Lachen nicht verkneifen und schlug ihm spielerisch mit dem Block auf den Kopf. »Reife Schönheit? Na, vielen Dank, das merk ich mir.«

»Ja, mach das nur. Bist du ja selbst schuld, wenn du für meine charmanteren Komplimente nicht zu haben bist.«

Sie hatten eben den Wagen erreicht, doch bevor Alexandra etwas auf Tobias’ Bemerkung erwidern konnte, stellte sie entsetzt fest, dass die Beifahrertür offen stand. »Das kann doch nicht wahr sein! Kater Brown ist weg!«, rief sie nach einem Blick ins Wageninnere aufgeregt.

»Bestimmt hat er sich hinter den Sitzen verkrochen, um in Ruhe zu schlafen«, meinte Tobias.

»Nein, da ist er nicht!« Sie bückte sich und schaute unter den Sitzen nach. Als sie wieder auftauchte, hatten sich auf ihren Wangen hektische rote Flecken gebildet. »Er ist ehrlich weg! Was machen wir denn jetzt?«

»Wieso stand eigentlich die Beifahrertür auf?«, wollte er wissen. »Du hast doch eben abgeschlossen …«

Alexandra nickte und sah sich beunruhigt um. »Ganz bestimmt hab ich das. Jemand muss die Tür irgendwie entriegelt haben! Dabei habe ich den Schlüssel hier.« Sie kramte in ihrer Tasche und hielt kurz darauf ihren Schlüsselbund in die Höhe.

»Oh«, murmelte Tobias. »Dann hat jemand deinen Wagen aufgebrochen. Wahrscheinlich hat dieser Jemand den Verriegelungsknopf mit einem Draht hochgezogen. Immerhin hast du das Fenster ein paar Zentimeter offen gelassen, damit es Kater Brown nicht zu warm wird.«

Alexandra sah sich noch einmal suchend um, aber keiner der Schüler verhielt sich verdächtig. »Na, toll! Und jetzt?«

Tobias überlegte kurz, dann erklärte er: »Ich werde mal meinen Charme spielen lassen.« Mit diesen Worten begab er sich zu der Gruppe seiner Bewunderinnen. Seiner ernsten Miene zufolge erzählte er den Mädchen vom Verschwinden des Katers. Zwei der Abiturientinnen rannten los und verschwanden hinter dem Haus. Eine der anderen gestikulierte, als lieferte sie eine Personenbeschreibung.

Kurz darauf kam Tobias zu Alexandra zurück. »Das scheint das Werk der drei Lukasse zu sein.«

»Drei Lukasse?«

»Schulz, Schneider und Deutschmann, alle drei heißen mit Vornamen Lukas.«

Alexandra zog missmutig eine Augenbraue hoch. »Und wo sind die Typen?«

»Die beiden Mädchen, die weggegangen sind, suchen nach ihnen und sagen uns dann Bescheid.« Kaum hatte er ausgesprochen, kamen die Schülerinnen auch schon zurück und berichteten, dass sich die drei Jungen hinter dem Gebäude an einer der Tischtennisplatten aufhielten.

Als Tobias mit Alexandra um das Haus herumging, entdeckte er die drei Schüler sofort. Sie trugen Jeans und T-Shirt und sahen einander recht ähnlich. Vielleicht lag das aber auch nur an der uniformen Kleidung der Jungen. Am besten unterscheiden konnte man sie an ihrer Haarfarbe. Der erste hatte dunkle, fast schwarze Haare, der zweite war blond und der dritte rothaarig.

Tobias ging zielstrebig auf die Schüler zu, die die beiden Fremden mit demonstrativem Desinteresse betrachteten. »Hallo«, sagte er und nickte lächelnd in die Runde. »Wir hätten gern unseren Kater zurück.«

»Echt?«, gab der erste Lukas zurück.

»Ich hab keinen Kater gesehen«, fügte Lukas Nummer zwei hinzu und sah den Dritten im Bunde an. »Du, Luke?«

»Ich weiß nicht mal, wie ein Kater aussieht, nur wie er sich anfühlt.« Dabei grinste er frech.

Tobias trat einen Schritt näher. »Ich will wissen, wo ihr unseren Kater hingebracht habt, sonst gibt es Ärger.«

»Sie können uns nichts tun«, konterte der blonde Junge. »Das wäre nämlich Körperverletzung. Und damit würden Sie sich strafbar machen.«

»Wer sagt denn, dass ich euch was tun werde«, gab Tobias mit gespielter Freundlichkeit zurück. »Handgreiflich werde ich sicher nicht – so dumm bin ich nicht. Aber ich habe einen guten Freund, der jede Website knacken kann. Der wird sich eure Facebook-Seiten und euren Twitter-Account einmal vornehmen und euch drei so zum Gespött der Leute machen, dass ihr euch wünschen werdet, Facebook und Twitter wären nie erfunden worden.«

»Wenn Sie Lügen über uns verbreiten werden, dann …«

»Hey, ganz ruhig, Kleiner! Warum soll ich Lügen über euch verbreiten, wenn ich es so arrangieren kann, dass ihr euch selbst blamiert? Website zum Thema Impotenz? ›Gefällt mir.‹ Website zum Thema ›Wie geht eigentlich Selbstbefriedigung?‹ ›Gefällt mir‹. Das wird eure Freunde sicher interessieren.«

»Blödsinn«, hielt der dritte Lukas dagegen, doch sein cooles Auftreten begann sichtlich zu bröckeln. »Tools kann man löschen. Und Facebook-Einträge auch.«

»Aber nur, wenn das Tool auch gefunden und gelöscht werden will. Und das will dieses Tool garantiert nicht.«

Die drei sahen sich sekundenlang unschlüssig an, dann nickte der erste Lukas. »Okay, ist ja schon gut. Das sollte nur ein kleiner Streich sein.«

»Wo ist der Kater?«, warf Alexandra kühl ein.

»Kommen Sie mit!«, brummte Lukas Nummer drei und stand zusammen mit den beiden anderen auf.

Die Jungen führten sie zu einem Geräteschuppen hinter dem Haus. Der dunkelhaarige Lukas öffnete den Riegel und zog die Tür auf. »Ihr Liebling ist da drin«, erklärte er. Er warf seinen Freunden einen ärgerlichen Blick zu, weil die beiden sich von der Drohung hatten beeindrucken lassen.

Alexandra spähte in den düsteren Raum. »Ich kann ihn nicht sehen.«

»Er muss aber da sein«, meinte der blonde Lukas. »Es sei denn … er ist durch das Fenster da entwischt.« Er zeigte auf eine Öffnung in der seitlichen Wand, durch die nur wenig Licht ins Innere drang.

»Er ist euch entwischt?«, entfuhr es Alexandra erschrocken. »Wie dämlich kann man eigentlich sein?«

»Hey, dahinten ist er ja«, sagte der rothaarige Lukas und zeigte auf den Weg, der auf der anderen Seite am Gebäude entlang verlief.

Alexandra lief aus dem Schuppen, aber da hatte Kater Brown bereits die Flucht ergriffen. Offenbar hatte er Angst.

»Kater Brown!«, rief Alexandra. »Bleib stehen, es ist ja alles gut!« So schnell sie konnte, lief sie hinter ihm her, obwohl ihr klar war, dass sie gar keine Chance haben würde, ihn einzuholen, sollte er wirklich nicht gefangen werden wollen.

Irgendwo hinter ihr war Tobias, der den Jungen befohlen hatte, ihnen bloß nicht zu folgen. Also hatte er auch erkannt, vor wem Kater Brown die Flucht ergriffen hatte.

Kurz bevor er die Ausfahrt zur Landstraße erreicht hatte, blieb der Kater plötzlich stehen und drehte sich zu ihr um.

»Ja, so ist es gut«, sagte sie laut und wurde langsamer, damit er sich nicht noch einmal erschreckte. »Ganz brav«, redete sie auf ihn ein.

Kater Brown setzte sich hin, um abwechselnd Alexandra und die Umgebung hinter ihr zu betrachten. Dabei zuckte sein Schwanz nervös hin und her.

Nur noch ein paar Meter, dachte Alexandra. Dann habe ich ihn erreicht und kann ihn hochnehmen, um ihn zum Wagen zu tragen. Nur noch ein paar Meter …

In diesem Moment kam ein großer Wagen um die Ecke geschossen und hielt geradewegs auf die Einfahrt zu – auf die Einfahrt und auf Kater Brown!