173651.fb2 Im Anfang war der Mord - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 24

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Neumond und Klapperschlangenvon WENDY HORNSBY

Wendy Hornsby (*1947) wurde in Los Angeles geboren und studierte an der UCLA und der California State University in Long Beach. Seit 1975 ist sie Professorin für Geschichte am Long Beach City College. In ihrem ersten Roman No Harm (1987) tritt die Geschichtslehrerin Kate Teague auf, die danach noch in einem Fall vorkommt, bevor sie in Telling Lies (1992) und mehreren darauf folgenden Büchern von der bekannteren Dokumentarfilmerin Maggie MacGowen abgelöst wird.

Obwohl beide Serienheldinnen technisch gesehen Amateurdetektivinnen sind, stellen ihre Verbindungen zu den Gesetzeshütern Hornsbys Bücher in die Kategorie Polizeiroman. Nach möglichen Einflüssen gefragt, zollt Hornsby dem kalifornischen Triumvirat der so genannten» hart gesottenen«-Riege innerhalb der Kriminalliteratur Tribut, also Dashiell Hammett, Raymond Chandler und ROSS MacDonald, nennt als ihr wahres Vorbild jedoch MacDonalds Ehefrau Margaret Millar. Außerhalb der Gattung des Kriminalromans schreibt sie in Deadly Women (1998):»Als Jugendliche habe ich Dickens verschlungen, wirklich ein enormer Einfluss auf einen aufstrebenden ›hart gesottenen‹-Autor, aber auch Mark Twain, den Meister der Charakterbeschreibung, und Ambrose Bierce, weil er so boshaft war.« In jüngster Zeit treten die Unterscheidungen zwischen den Kategorien hart gesotten und beschaulich, zwischen dem männlichen und dem weiblichen Ansatz in der Kriminalliteratur weniger deutlich hervor und sind in den meisten Fällen weniger wichtig als früher. Hornsbys» Neumond und Klapperschlangen «ist eine Geschichte fast in der Tradition des film noir und hätte perfekt hineingepasst in die großartige, in den fünfziger Jahren erschienene Auswahlsammlung Manhunt, eine Zeitschrift, in der nur wenige Autorinnen veröffentlicht wurden.

Auf einem Lastwagenrastplatz außerhalb von Riverside wurde Lise endlich mitgekommen, in einem großen Sattelschlepper, der auf dem Weg nach Phoenix war. Der Fahrer, ein dickbäuchiger, einsamer alter Sack, probierte es bei ihr mit der väterlichen Masche. Sie spielte mit, weil es ihr Zugang zu dem klimatisierten Führerhäuschen seines Lasters verschaffte und sie dadurch viel früher als geplant auf dem Weg Richtung Osten war.

«Ein süßes junges Ding wie Sie sollte nicht per Anhalter fahren«, sagte er und half Lise beim Anschnallen.»Die Wüste kann im Sommer verdammt gefährlich sein.« «Ich kenne die Wüste. Außerdem«— sie legte die Hand auf seine haarige Pfote —»bin ich nicht mehr so jung, und süß ist an mir auch nichts.« Er lachte, musterte sie daraufhin aber etwas genauer.

Und die schwere Handtasche, die sie bei sich hatte, ebenfalls. Nach dem ausführlichen Blick gab er die väterliche Masche auf. Sie war froh darum, viel Zeit für Geplänkel hatte sie nämlich nicht.

Die abgedroschenen alten Witze, die er ihr erzählte, wurden zusehends schneidiger, während er auf der Interstate 10 ostwärts fuhr. Billige neue Siedlungen und rosafarbene stuckverzierte Einkaufszentren wichen allmählich einer Landschaft mit rasiermesserscharfen Yuccapalmen und flirrender Hitze. Auf der ganzen Strecke lachte Lise über seine blöden Witze, bloß damit er wusste, dass sie bei der Stange blieb.

Die steile Anhöhe durch Beaumont und Banning und Cabazon hinauf lachte sie aufs Stichwort, beobachtete ihn beim Schalten und überlegte, ob sie den Laster auch ohne ihn fahren konnte. Oder nicht. Zweimal, um die Sache etwas zu beschleunigen, erzählte sie ihm Witze, die seinen kahlen Kopf flammend rot werden ließen.

Vor der Abzweigung nach Palm Springs schlug er vor, auf ein paar kühle Drinks und ein paar Spiele in einem indianischen Bingo-Palast Halt zu machen. Während sie zusah, wie die Sache funktionierte, verirrte sich seine Hand immer wieder hinten in ihr eng anliegendes Stretchtop.

Beim Gefühl, ihn so dicht auf der Pelle zu haben, seinen anzüglichen Blicken, seinem Geruch und dem verrauchten Gestank des Etablissements wurde ihr ganz feuchtkalt und klebrig zumute. Doch sie hielt sich wacker, würgte nicht, als sich ihr der Magen umdrehte. Übung hatte sie, fünf Jahre lang hatte sie sich wacker gehalten und dadurch überlebt. Um zehn, sprach sie sich Mut zu, sähe die Sache schon ganz anders aus.

Dem Bingo folgte eine Stunde Rumgeschmuse auf dem Vordersitz, und dann ging es den Highway hinunter zu einem Motel 6 — alle Zimmer zu $ 29.95, jedes mit Kabel-TV und Telefon. Er sagte ihr, was er wollte; sie bat sich aus, dass er vorher duschte.

In Riverside hatte er noch behauptet, er hieße Jack. Doch der Name auf dem in Louisiana ausgestellten Führerschein, den sie in seiner Brieftasche fand, lautete Henry LeBeau. Er stand singend unter der Dusche, als sie diese Entdeckung machte. Lise probierte ein paar Mal auf dem Hotelbriefpapier, seinen Namen zu schreiben, während sie vom Zimmertelefon aus ein Gespräch anmeldete. Mrs. Henry LeBeau, Lise LeBeau … Sie schrieb es, bis jemand abhob.

«Ich bin draußen«, sagte Lise.

«Du lügst.« «Ich doch nicht«, sagte sie.»Die Strafe fürs Lügen ist zu hoch.« «Ich hab meinen besten Mann bei dir gelassen. Der hätte mich angerufen.« «Wenn er könnte. Vielleicht ist dein bester Mann nicht so gut, wie du dachtest. Vielleicht bin ich besser.« Während sie darauf wartete, dass am anderen Ende der Leitung etwas gesagt wurde, schrieb sie noch ein paar Mal LeBeaus Namen, schrieb ihn, bis er sich ganz natürlich anfühlte.

Endlich drang mehr als nur schweres Keuchen aus dem Hörer.

«Wo bist du, Lise?« «Ziemlich weit weg und ganz woanders. Spar dir die Mühe, mich zu suchen, denn diesmal findest du mich nicht.« «Klar finde ich dich.« Sie legte auf.

Jack/Henry stellte die Dusche ab. Bevor er aus dem Badezimmer kam, frisch und sauber und auf Liebe hoffend, war Lise bereits weg aus dem Motel und unterwegs. Seine Brieftasche hatte sie eingesteckt.

Die Hitze draußen war nach dem kühlen, abgedunkelten Zimmer wie ein Frontalangriff: vierundvierzig Grad Celsius bei null Prozent Luftfeuchtigkeit, laut Anzeigetafel. Die Nachmittagssonne fiel Lise direkt in die Augen, und die Luft roch nach Lastwagentreibstoff und heißem Straßenpflaster, aber immer noch besser als der zwei Tage alte Schweiß, der ihnen aus dem Sattelschlepper ins Motel gefolgt war. Um diesen Gestank loszuwerden, musste sie ein Dutzend Mal heiße Luft holen.

Das Motel lag mitten in der Pampa an einer Ausfahrt auf halber Strecke zwischen L.A. und Phoenix: ein paar Tankstellen mit Garage und ein Minimarkt, und im Umkreis von hundert Meilen nur windzerzauste Kakteen und scharfkantige Felsen als Nachbarn. Die Augen abschirmend, lief Lise auf die Schnellstraße zu, schon unterwegs auf der Suche nach Möglichkeiten, bevor sie die Straße in Richtung Texaco-Tankstelle überquerte.

Das Treffen, an dem sie teilnehmen musste, würde in Palm Springs stattfinden, sie musste irgendwie dorthin gelangen. Sie wusste todsicher, dass sie nicht noch einmal in einen Lastwagen einsteigen würde, aber draußen konnte sie auch nicht bleiben.

Die Hitze knallte vom Himmel, prallte vom Straßenpflaster ab und nahm sie von zwei Seiten in die Zange. Lise bekam Panik. Wenn sie die nächsten fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten in der Sonne blieb, wäre sie mit Sicherheit gar gekocht. Doch es war nicht die Hitze, die sie unter das schützende Dach der Rastanlage trieb. Nachdem sie so lange eingesperrt gewesen war, fürchtete sie sich manchmal vor freien Plätzen.

In der Texaco-Tankstelle und dem angeschlossenen Minimarkt tummelte sich das übliche gemischte Publikum: schlecht gelaunte Familien in Minibussen, stämmige Lastwagenfahrer, Großstadtpflanzen im Wüstenoutfit mit übertrieben viel glänzendem Schmuck, alle darauf erpicht, möglichst schnell voll zu tanken, die Mücken von der Windschutzscheibe zu kratzen und wieder loszufahren, damit sie die Klimaanlage vor der erbarmungslosen Hitze bewahrte.

Als sie an den Zapfsäulen vorbeiging und auf eine günstige Gelegenheit wartete, glitt ein alter weißhaariger Kerl in einem großen neuen Cadillac an ihr vorbei und fuhr am Minimarkt seitlich heran. Ein sehr ordentlich wirkender Mann, dachte sie, einer von der Sorte, die nicht gern heiß und zerknittert wird. Wie ihr Vater. Als er aus dem Wagen stieg, um in den Minimarkt zu gehen, ließ der Armleuchter seinen Motor laufen und die Klimaanlage weiterblasen, damit es im Wageninneren schön kühl blieb.

Lise sah, wie der Mann im Laden drinnen einen Ständer mit Straßenkarten drehte, während sie in sein Auto stieg und davonfuhr.

Als sie an die Auffahrt kam, um wieder zurück Richtung Westen zu fahren, sah sie Mr.

Henry LeBeau halb angezogen und schwitzend wie einen abgehalfterten Ringer vor dem Motel stehen und aufgeregt um sich blicken, als ob er etwas verloren hätte.

«Bye, bye, Mr. LeBeau. «Lise lächelte der winzigen Gestalt zu, die in ihrem Rückspiegel verschwand.»Danke fürs Mitnehmen.« Dann blickte sie sich suchend um, rechnete fast damit, einen Verfolger auszumachen, eine Flotte von langen, glänzend schwarzen Wagen, die dazu abkommandiert waren, sie zu finden, zu umzingeln und wieder nach Hause zu bringen. So leicht konnte sie doch nicht entkommen.

Das einzig Glänzende, was sie sah, waren jedoch die Luftspiegelungen, die wie silberne Pfützen über die Schnellstraße verteilt waren. Sie wurde etwas gelöster, machte es sich auf dem Ledersitz bequem, richtete die Luftventile auf ihr Gesicht und schaltete den Radiosender des Cadillac von Geigengedudel auf Chopin um.

Ihre Verwandlung von der Rastplatzpuppe zur Einkaufszentrum-Matrone dauerte keine fünf Minuten. Sie wischte sich die üppige Schminke ab, die sie in Riverside aufgetragen hatte, bedeckte das knappe, ärmellose Oberteil mit einer Bluse aus ihrer Tasche, rollte die Aufschläge ihrer Jeansshorts herunter, bis ihre muskulösen Schenkel von acht weiteren Zentimetern Stoff bedeckt waren, tauschte die handgearbeiteten Stiefel gegen zierliche Ledersandalen aus und band ihr windzerzaustes Haar im Nacken zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammen.

Als sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtete, blickte ihr eine ganz normale Dame entgegen, wie sie an der Kasse Schlange standen.

Lise nahm die Ausfahrt Bob Hope Drive und stieß einen glücklichen Seufzer aus, als die versengte, öde, unberührte Wüste auf einmal üppigen grünen Golfplätzen wich, unzähligen schicken Mehrfamilienhäusern, Palmen, Springbrunnen und eleganten Restaurants, deren Parkplätze mit Jaguars, Cadillacs und Mercedes-Limousinen dekoriert waren.

Auf einen dieser Parkplätze bog sie ein und nahm sich bei laufendem Motor etwas Zeit, um zu überprüfen, was sie vor sich hatte. Eine American-Express-Karte, unterschrieben mit H.G. Le-Beau. Eine MasterCard, unterschrieben mit Henry LeBeau. Vierhundert Dollar in bar. In der Brieftasche befanden sich auch einige Benzinkreditkarten, zwei alte Kondome, das Foto einer hässlichen Ehefrau und ein Zettel mit einer vierstelligen Zahl. Ach, der gute Henry, dachte sie lächelnd: Er hatte ihr auch noch die Geheimzahl überlassen und somit den Umfang ihrer Möglichkeiten vergrößert.

Lise prägte sich die vier Zahlen ein, steckte die Kreditkarten und das Bargeld ein und trat dann in die sengende Hitze hinaus, um die Brieftasche in einen Abfalleimer zu stopfen, bevor sie zum Einkaufszentrum von Palm Desert weiterfuhr.

Als anständiger Mensch ließ Lise den Cadillac so auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums stehen, wie sie ihn vorgefunden hatte, mit laufendem Motor, unverriegelten Türen und dem Schlüssel im Schloss. Ohne sich noch einmal umzudrehen, steuerte sie direkt auf I. Magnin zu.

Eine Basisgarderobe und ein wunderschöner Leder-Brokat-Koffer dafür waren in einer knappen Stunde gekauft. Als es ans Bezahlen ging, unterschrieb sie je nach Kreditkarte abwechselnd als Mrs. Henry LeBeau oder H.G. LeBeau. Sie fühlte sich ziemlich sicher, bei I.

Magnin wagten sie nie, nach dem Ausweis zu fragen.

Ein Problem war die Zeit, ein weiteres war ausreichend Bargeld für die nächsten paar Tage, bis sie ohne Risiko auf andere Mittel zurückgreifen konnte.

Sobald Henry sich wieder gefangen hatte, würde er den Verlust seiner Karten melden, das wusste sie. Weil sie aber auch wusste, dass er nicht den Mumm haben würde einzugestehen, unter welchen Umständen ihm die Karten abhanden gekommen waren, machte sie sich wegen der Polizei keine Sorgen. Doch sobald die Karten gemeldet waren, wären sie nutzlos. Sie fragte sich, wie lange er wohl noch brauchte.

An einem Bankautomaten hob sie die zweihundert Dollar Bargeld vom Verfügungsrahmen der MasterCard ab und benutzte die Karte dann noch ein letztes Mal, um anzurufen.

«Du machst dir Sorgen«, sagte sie in den Hörer.»Heute Abend ist dein Treffen, und jetzt habe ich dich abgelenkt.

Du hast ein Problem, denn wenn ich nicht da bin, um die Abschlusspapiere zu unterzeichnen, fällt alles durch. Jetzt bist du in der Zwickmühle. Weder kannst du den Kongressabgeordneten versetzen, noch mich entwischen lassen, aber an zwei Orten gleichzeitig kannst du auch nicht sein. Was machst du jetzt?« «Das ist doch Wahnsinn. «Diesmal schwang die alte Wut in seiner Stimme mit.»Wo bist du?« «Geh nicht aus dem Haus. Schlag dir das aus dem Kopf.

Ich würde es erfahren. Ich kann die Lüge in deinem Blick erkennen. Ich rieche es an jedem gelogenen Wort, das aus deinem Mund kommt. «Es war leicht, die Worte sprudelten einfach so heraus, wie wenn man ein altes, vertrautes Tonband abspielt. Trotzdem hörte es sich seltsam an, die Worte aus ihrem eigenen Mund zu hören.

Sie fragte sich, wie er sich solchen Mist eigentlich ausdenken konnte und — was noch wichtiger war — wie er ihr all die Jahre hatte einreden können, der Tod könnte noch schlimmer sein, als unter seiner dreckigen Fuchtel zu leben.

Was sie an dem Telefongespräch mit ihm am meisten genoss, war die Tatsache, dass sie es in der Hand hatte, ihn abzuschalten. Sie legte auf, atmete tief durch und pustete den Klang seiner Stimme einfach heraus.

In einen Blumenkübel neben der Reihe von Telefonen grub sie ein kleines Grab für die Kreditkarte und deckte sie mit der weichen Erde zu.

Nach einem späten Mittagessen, begleitet von einer halben Flasche sehr kaltem Champagner, ließ Lise sich die Haare richten, sie in ihre ursprüngliche dunkle Farbe tönen und kurz schneiden.

Die Empfangsdame im Kosmetiksalon kam ihr sehr entgegen, rundete die American-Express-Rechnung um hundert Dollar auf und händigte Lise den Differenzbetrag in bar aus.

Lise war relativ überrascht gewesen, dass die Karte reibungslos akzeptiert wurde, riskierte es aber nun ein letztes Mal damit. In einem Feinkostladen erstand sie noch eine weitere Grundausstattung: ein paar Flaschen guten Wein, einen Obstkorb und eine Auswahl an teuren kleinen Snacks. Beim Hinausgehen ließ sie die American-Express-Karte unauffällig in ein Glas mit grünen Kaubonbons fallen.

Jede Transaktion erhöhte ihr Selbstvertrauen, bestärkte sie in ihrem Mut, den Plan durchzuziehen, der sie für immer befreien sollte. Als ihre Besorgungen schließlich alle erledigt waren, konnte sie die angesammelten Einkaufstüten kaum mehr tragen. Sie war völlig erschöpft, fühlte sich aber so gut wie schon lange nicht mehr.

Als sie auf einen Ausgang zusteuerte, durch den sie das Einkaufszentrum auf einer anderen Seite verließ als der, wo sie Mr. Saubermanns Wagen gelassen hatte, war sich Lise eigentlich gar nicht sicher, was jetzt als Nächstes passieren würde. Sie hatte immer noch düstere Vorahnungen, blickte immer noch ängstlich über die Schulter zurück und musterte in jedem Schaufenster, an dem sie vorbeikam, die Spiegelbilder der Passanten. Die Vernunft sagte ihr, dass sie in Sicherheit war; ihre Erfahrungen ließen sie unruhig bleiben, immer in Bewegung.

Ein Auto bei laufendem Motor zu entführen hatte schon einmal so gut funktioniert, dass sie beschloss, es noch mal zu versuchen. Ihr stand eine reiche Palette zur Auswahl.

Am überdachten Eislaufplatz — bizarrerweise hatte man von dort einen Ausblick über einen riesigen Kakteengarten — und am benachbarten Kinokomplex warteten Eltern an der Bordsteinkante auf ihre Kinder. Unter den zahlreichen Autos zählte Lise drei, bei denen der Motor lief, die Klimaanlage surrte und weit und breit kein Fahrer zu sehen war.

Lise begutachtete die Auswahl: ein Volvo-Kombi, ein kleiner BMW und ein silberblauer Jaguar. Sie zählte ab:

«Ene, mene, muh«, obwohl sie sich den Jag schon ausgeguckt hatte, der der erste in der Reihe war.

Einkaufstaschen auf den Rücksitz, Lise auf den Fahrersitz und weg von der Bordsteinkante, bevor die Wagentür ganz zu war. Nach kurzem Halt in einer Seitenstraße, um die neuen Sachen im Koffer zu verstauen, fuhr sie direkt zum Flughafen von Palm Springs. Sie ließ den Jag in einer Be- und Entladezone stehen und eilte, die Taschen in der Hand, wie eine Touristin, die sich für einen Flug verspätet hat, in die Abflughalle.

Am ersten Telefon blieb sie stehen.

«Du hast es überprüft, stimmt’s?«, sagte sie, als er sich meldete.

«Du hast deine Gorillas hingeschickt und nachschauen lassen. Du weißt, dass ich weg bin. Wir sind uns so vertraut, dass ich alles weiß, was du gemacht hast. Ich kann hören, wie mir deine Gedanken durch den Kopf gehen. Du denkst, ohne mich ist der Deal gestorben. Und ich bin in einer anderen Zeitzone.« «Du entkommst mir nicht.« «Ich glaube, du bist wütend. Wenn ich nicht da bin, um deine bösen Gedanken zu korrigieren, ruinierst du alles.« «Hör auf.« Sie betrachtete ihre Nägel, ihre Stimme blieb ausdruckslos.»Du bist alles für mich. Eher bringe ich dich um, als dass ich dich gehen lasse.« «Lise, bitte. «Seine Stimme schnappte über, es klang fast wie ein Schluchzen, als sie auflegte.

Sie verließ die Abflughalle durch eine andere Tür, kam am Taxistand heraus, wo ein einziges Taxi wartete. Der Fahrer sah aus wie ein Cousin der Indianer vom Bingo-Palast, und wegen des Charakters des für den Abend anberaumten Treffens zögerte sie zunächst. Schließlich

übergab sie dem Fahrer ihren Koffer und nannte ihm die Adresse eines Hotels im Zentrum von Palm Springs, eine Adresse, die sie sich vor langer Zeit gemerkt hatte.

«Ziemlich tote Ecke«, sagte der Fahrer, während er an den Ledergriffen ihres Gepäcks herumfingerte.»Ohne Auto kommt man da schlecht rum, wenn man so weit draußen ist. Ich kann Sie zu ein paar netteren Hotels hinfahren, viel zentraler. Haben außerhalb der Saison auch gute Preise.« «Nein, danke«, sagte sie.

Er redete die ganze Fahrt über. Weil er mehr Fragen stellte, als sie beantwortete, fühlte sie sich unbehaglich.

Wieso sollte ein Fremder so viel erfahren wollen? War der Fahrer etwa ein gekaufter Spitzel, der sie zurückbringen sollte? War diese Unterhaltung normales Geplauder?

Diese letzte Frage machte ihr zu schaffen. Sie war so lange isoliert gewesen, würde sie überhaupt erkennen, ob etwas normal war, wenn sie damit konfrontiert war?

Als der Fahrer sie vor einem etwas verschrobenen alten Etablissement einen Häuserblock hinter der Hauptstraße von Palm Springs absetzte, war sie immer noch argwöhnisch. Sie wartete, bis er weg war, ehe sie ihren Koffer nahm und hineinging.

Außerhalb der Saison wirkte das Hotel ziemlich verlassen. Die Geschäftsführerin war alt genug, um ihre Mutter zu sein — eine Wüstenbewohnerin mit Eidechsenhaut und winzigen schwarzen Augen.

«Ich brauche ein Zimmer für zwei Nächte«, teilte Lise ihr mit.

Die Geschäftsführerin reichte ihr eine Anmeldekarte.

«Zahlen Sie mit Kreditkarte oder bar im Voraus?« Lise bezahlte die beiden Nächte in bar und hinterlegte fünfzig Dollar für die Benutzung des Telefons.

«Schön ruhig hier«, sagte die Geschäftsführerin und händigte ihr einen Schlüssel aus.»Den meisten ist es zu der Jahreszeit zu heiß.« «Ruhig ist mir gerade recht«, sagte Lise.»Ich erwarte zwar keine Anrufe, aber wenn jemand nach mir fragt, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nie von mir gehört hätten.« Als die Geschäftsführerin lächelte, verschwanden ihre schwarzen Augen fast zwischen den trockenen Hautfalten.

«Ärger mit der Männerwelt, Schätzchen?« «Gibt’s denn einen anderen?« «Meiner Erfahrung nach geht es immer um einen Mann oder um Geld. Und so, wie Sie daherkommen«, sagte die Geschäftsführerin mit einem abschätzenden Blick auf den Koffer und die hübsche Tragetasche des Delikatessengeschäfts,»würde ich auf Ersteres tippen.

Keine Sorge, Schätzchen, ich habe Sie mir nicht genau angeschaut, und Ihren Namen habe ich schon vergessen.« Der Name, den Lise auf die Anmeldekarte schrieb, war der gleiche wie auf der Flasche Chardonnay in ihrer Tasche: Rutherford Hill.

Das Hotel war wie ein altes Ranchhaus im Adobe-Stil gebaut, mit dicken Mauern und abgerundeten Ecken, mexikanischen Bodenfliesen und dunklen, offen verlegten Balkendecken. Lises Zimmer war ein wenig verwohnt, aber größer, sauberer und hübscher, als sie bei dem Preis erwartet hatte. Die Klimaanlage funktionierte, und es gab eine Kochnische mit einem kleinen, stöhnenden Kühlschrank für ihren Wein. Zum ersten Mal seit fünf Jahren hatte sie einen eigenen Schlüssel und benutzte ihn, um die Tür von innen abzuschließen.

Von ihrem winzigen Balkon aus konnte Lise sowohl das Schwimmbad unten im Patio als auch die felsige Landschaft am Fuß des Mount San Jacinto sehen, der eine Viertelmeile entfernt lag. Die Sonne war bereits hinter den Bergkamm geschlüpft und hatte das Hotel in blauen Schatten gehüllt. Endlich konnte Lise die echte Wüste riechen, trockenen Salbei und blühenden Oleander, Luft ohne Auspuffgase.

Eine sanfte Brise wehte vom Berg herüber. Lise ließ das Fenster offen stehen und legte sich aufs Bett, um einen Augenblick auszuruhen. Als sie, auf dem Scheitelpunkt zwischen Schlaf und Wachzustand schwebend, wieder die Augen öffnete, war das Zimmer plötzlich von weichem lavendelfarbenem Licht durchflutet — es war heiß, duftete jedoch nach den Blumen im Patio drunten. Irgendwo konnte sie einen Springbrunnen plätschern hören, ab und zu auch entfernte Stimmen. Zum ersten Mal seit langem ging sie nicht sofort an die Tür, um zu horchen, ob auf der anderen Seite jemand atmete.

Lise schlüpfte in den neuen Badeanzug. Hinten ein wenig knapp — sie hatte sich nicht die Zeit genommen, ihn anzuprobieren, bevor sie ihn gekauft hatte. Den Eispickel, den sie am Spülbecken fand, brauchte sie, um das Eis aus den Würfelbehältern im Gefrierfach zu lösen und damit den Eiskübel aus Pappe zu füllen. Es gefiel ihr, wie schwer ihr das Ding in der Hand lag. Während sie eine Flasche Wein aufmachte und etwas Obst und Käse zurechtschnitt, tätigte sie einen Anruf.

«Sonnenuntergang ist um Punkt acht Uhr zweiunddreißig. Kein Mond heute. Klapperschlangen lieben die mondlose Nacht. Bleib besser drinnen, sonst wirst du noch gebissen.« «Was spielst du für ein Spiel?« «Dein Spiel. Ich lerne nämlich schnell. Erinnerst du dich, wann du das gesagt hast? Ich glaube, ich habe mir alle deine Schachzüge gemerkt. Mal sehen, wie sie sich ausspielen lassen.« «Du bist eine blutige Anfängerin, Lise. Du wirst in der großen Liga nicht landen können. Jedes Spiel, das ich spiele, Baby, ist nämlich das große. «Er hatte etwas Zeit gehabt, die anfängliche Überraschung und Wut zu überwinden, und war nun wieder in der Offensive. Er machte ihr Angst, aber weil er sie nicht berühren konnte, bewahrte sie sich ihre Entschlossenheit, während sie ihm zuhörte.»Du wirst schon wieder zurückkommen, Lise. Du wirst ganz gewaltig was aufs Dach kriegen und feststellen, wie kalt und grausam die Welt da draußen ist. Du wirst noch drum betteln, dass ich dich wieder aufnehme und auf dich aufpasse. Du kannst wütend auf mich sein, so viel du willst, aber es ist schließlich nicht meine Schuld, dass du so eine Prinzessin bist und nicht mal allein über die Straße findest. Bedank dich bei deinem Arsch von Vater dafür, dass er dich so verwöhnt hat. Wenn ich nicht gewesen wäre — « «Wenn du nicht gewesen wärst, wäre mein Vater noch am Leben«, würgte sie sein Schlusswort ab.»Den Beweis dafür habe ich hier bei mir.« Sein kurzes Schweigen sagte ihr, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Sie legte auf.

Lise schwamm in dem kleinen Schwimmbad, bis sie sich sauber fühlte, bis die Hitze und der Schweiß und die feine Sandschicht ganz weggespült waren und das warme Chlorwasser Henry Le-Beaus hitziges Getatsche abgewaschen hatte. Ein wenig von ihrer neuen Haarfarbe war ebenfalls ausgewaschen worden und hinterließ einen Schatten auf dem Handtuch, als sie herauskam und sich abtrocknete.

Lise schenkte sich etwas von dem strohgelben Wein in ein Zahnputzglas und streckte sich auf einem Liegestuhl neben dem Schwimmbad aus. Am Himmel war immer noch etwas Blau, als die Geschäftsführerin herauskam, um die Schwimmbadlichter einzuschalten.

«War ganz schön heiß heute. «Die Geschäftsführerin nippte bedächtig an ihrem Drink.»Bis Oktober sind ja eigentlich alle Tage heiß. Sagen Sie mir, wenn Sie mit dem Schwimmbad fertig sind. Die Sonne heizt es so auf, dass ich jeden Abend ein bisschen Wasser ablasse und kalt nachfülle. Sonst habe ich plötzlich vorgekochte Gäste am Hals.« «Wie viele Gäste sind denn im Hotel?«, wollte Lise wissen.

«Bloß Sie, Schätzchen. «Die Geschäftsführerin leerte ihr Glas in einem Schluck.»Ein Gast, das ist einer mehr, als ich die ganze letzte Woche hatte.« Lise bot ihr das Käsetablett an.»Können Sie sich ein Weilchen hersetzen? Auf eine kleine Happy Hour mit den eingeschriebenen Gästen.« «Gern. «Die Geschäftsführerin zog sich einen Liegestuhl heran und ließ sich von Lise das leere Glas mit Chardonnay füllen.»Ich muss schon sagen, außerhalb der Saison wird es hier manchmal ganz schön einsam. Wir hatten früher von Ende Mai bis Anfang September geschlossen — die ganze Stadt. Jetzt sind wir fast das ganze Jahr geöffnet. Ha, bald kriegen wir Spielcasinos, heißt es, und werden das neue Las Vegas.« «Vegas ist furchtbar laut.« «Vegas ist voller Gauner. «Die Geschäftsführerin knabberte etwas Käse.»Ich hätte nichts dagegen, wenn meine Zimmer wieder ausgebucht wären. Aber die Obermacker würden in den großen neuen Hotels wohnen, und ich bekäme bloß ihre Nutten und Dealer ab. Wer will die schon?« Lise nippte an ihrem Glas und schwieg. Die Geschäftsführerin seufzte, als sie in den dunkler werdenden Himmel hinaufblickte.

«Früher war es hier immer proppenvoll mit Leuten aus Hollywood, ein tolles Treiben. Liberace und ein paar von diesen Leuten hatten nämlich Häuser gleich hier weiter oben. Wir bekamen dann den Überschuss ab, na, das war vielleicht ein wildes Völkchen. Die fehlen mir. Die ganze Gesellschaft hat sich ostwärts verzogen, in schickere Orte wie Palm Desert. Ab und an kriege ich noch einen alten Knacker, aber der Großteil meiner Gäste sind kanadische Sonnenanbeter. Die tauchen so um Thanksgiving auf und bleiben den Winter über hier. Nettes Grüppchen, bloß furchtbar zahm.« Sie zwinkerte Lise zu.»Zahm, aber besser zu haben als irgendwelche Nutten à la Vegas.« «Glaube ich Ihnen gern«, sagte Lise.

Die Geschäftsführerin legte den Kopf nachdenklich etwas schief und musterte Lise erneut, diesmal etwas genauer.»Ich bin ziemlich weit ab vom Schuss. Wie haben Sie mich eigentlich gefunden?« «Ich bin an dem Hotel mal vorbeigefahren, als ich hier auf Besuch war. Es wirkte so …«Lise füllte beide Gläser neu auf.»Es wirkte so friedlich.« Lise fühlte die glänzenden schwarzen Augen der Geschäftsführerin auf sich ruhen.»Alles in Ordnung, Schätzchen?« Lise hielt die leere Flasche in die Höhe.»So allmählich schon.« «Die Art Medizin hält nur für eine gewisse Zeit vor. Es geht mich ja nichts an, aber wollen Sie darüber reden?« «Ich bin sicher, Sie haben es alles schon gehört.

Leidgeprüfte Ehefrau haut ihrem Arschloch von Ehemann ab.« «Ich habe es nicht nur gehört, ich habe es erlebt.

Zweimal. «Die Geschäftsführerin legte ihre ausgetrocknete Hand auf Lises nacktes Knie und lächelte sanft.»Sie werden es überstehen. Es braucht bloß etwas Zeit.« Der Wein, die Müdigkeit, die freundliche Besorgnis auf dem Gesicht der alten Frau, das alles führte dazu, dass Lise spürte, wie die Ritzen in ihr aufbrachen und etwas Licht hereinließen. Das letzte Mal, dass ihr jemand seine ehrlich gemeinte Besorgnis gezeigt hatte, war vor fünf Jahren gewesen, als ihr Vater noch lebte. Auf dem marmornen Grabstein ihres Vaters hatte sich in fünf Jahren Moos angesammelt. Lise begann leise zu weinen.

Die Geschäftsführerin zog ein Päckchen Papiertaschentücher aus der Tasche.»So ist es recht, Mädchen. Lass nur alles raus.« Da musste Lise doch lachen.

«Weiß er denn, wo Sie sind?« Lise schüttelte den Kopf.»Noch nicht.« «Noch nicht?« «Mit der Zeit wird er mich schon finden. Das tut er immer. Wie weit ich auch wegrenne, er findet mich. Er ist ein mächtiger Mann mit mächtigen Freunden.« «Was wollen Sie tun?« Lise zuckte die Achseln, obwohl sie es genau wusste.

Die Antwort lag in der Tasche oben im Wandschrank.

«Ach, nur keine Sorgen, Schätzchen. Niemand weiß was über den alten Laden hier. Und ich sagte ja schon, ich weiß nicht mehr, wie Sie aussehen, und an Ihren Namen kann ich mich auch nicht erinnern. «Als die Geschäftsführerin die leere Flasche in die Hand nahm und das Etikett mit der Aufschrift Rutherford Hill betrachtete, zeichnete sich verschmitzter Humor in den Ecken ihres zerknitterten Gesichts ab.»Obwohl einem der Name doch irgendwie bekannt vorkommt.« Die Sonne ging exakt um acht Uhr zweiunddreißig unter.

Lise duschte und zog lange Khakihosen und eine pfirsichfarbene Bluse an, beides in Wüstentönen. Sie holte ihre Tasche aus dem Wandschrank und behielt sie auf dem Schoß, während sie wartete, bis der letzte Widerschein des Tageslichts verblasst war.

In der groß aufgemachten Story im lokalen Nachrichtensender ging es um das, worüber die Geschäftsführerin gesprochen hatte, nämlich die wachsende Kontroverse über das Bauvorhaben eines Spielcasinos im Las-Vegas-Stil auf dem Territorium der Tahquitz-Indianer am südlichen Stadtrand von Palm Springs. Eine Kongressdelegation war in die Stadt gekommen, um die Lage zu sondieren. Beim Anblick der breit lächelnden Kongressabgeordneten, die in ihren nüchternen grauen Anzügen über die kahle Hügelfläche marschierten, lief Lise ein kalter Schauer über den Rücken. Ihr Mann, auch er mit breitem Lächeln, war Teil der Entourage. Sie wusste, weshalb er in der Stadt war und mit wem er sich treffen würde. Sie hatte jedoch nicht damit gerechnet, ihn schon vorher zu sehen …

Sie zog die Tasche fester an sich und warf einen Blick auf die Uhr neben dem Bett. Wenn sie richtig ging, blieb ihm nicht mehr viel Zeit.

Als Lise die Treppe hinunterging, konnte sie das Flimmern eines Fernsehers hinter dem Empfangstresen sehen, konnte die Geschäftsführerin herumhantieren und jemanden weitere Einzelheiten über die große Story quer durch das leere Foyer quasseln hören. Lautlos ging Lise durch den Patio nach draußen, die Tasche schwer über der Schulter hängend.

Vielleicht mögen Klapperschlangen mondlose Nächte ja tatsächlich, dachte sie. Doch sie hassen Menschen und gleiten ziemlich schnell davon. Während Lise über einen sandigen Fußweg schritt, der parallel zur Straße verlief, spürte sie, wie die gespeicherte Hitze des Erdbodens durch ihre Turnschuhe drang. Palmen raschelten über ihr wie das Klappern einer Schlange und versetzten sie in Alarmbereitschaft.

Lise streifte ein Paar Operationshandschuhe über und nahm, peinlichst darauf bedacht, die wunderschönen, fünf Jahre alten Fingerabdrücke nicht zu beschädigen, die.380er aus der Tasche, lud vorsorglich durch und setzte ihren Weg fort.

Das Haus, in dem das Treffen stattfinden sollte, hatte einmal ihrem Vater gehört. Vor ihrer Heirat war sie oft an Wochenenden und während der Schulferien hinausgefahren, um ihn zu besuchen. Nach ihrer Heirat, nach der Beerdigung ihres Vaters hatte ihr Mann das Anwesen dann übernommen und genutzt, wenn er in der Wüste Geschäfte abwickeln musste. Ab und zu, wenn er für sie nichts anderes arrangieren konnte, war Lise mitgekommen. Als sie neulich an einem Wochenende während einer geschäftlichen Besprechung ins Schlafzimmer verbannt worden war, hatte Lise sich eine Möglichkeit überlegt, wie sie von ihm freikommen konnte. Für immer.

Das Haus befand sich in einem flachen, engen Canon am Ende der Straße, an der auch das Hotel stand. Ihr Vater hatte es im spanischen Stil erbaut, eine lange Reihe von Räumen, die alle auf einen zentralen Patio hinausgingen.

Wie das Hotel besaß es dicke Mauern zum Schutz gegen die schlimmste Hitze. Und wie das Hotel, wie eine Festung, war es sehr ruhig.

Sämtliche Lichter brannten. Lise wusste, dass bei einem so sensiblen Treffen keine Entourage dabei sein würde. Im Inneren des Hauses würden sich bloß drei Leute aufhalten: die Haushälterin, die kein Englisch konnte, Lises Mann und der Kongressabgeordnete. Sie kannte den Ablauf genau. Der Kongressabgeordnete gehörte ebenso zu dem Erbe, das ihr Mann von ihrem Vater übernommen hatte, wie Lise und das Haus.

Draußen an der Haustür war ein Wachmann postiert, ein weiterer am hinteren Patio, etwas vom Fenster abgerückt, um den Kongressabgeordneten durch seine Anwesenheit nicht zu stören. Beide Wachmänner waren groß und hässlich, eine andere Art von Schlangen, und eher einschüchternd als hell im Kopf. Den Mann vor dem Haus im weiten Bogen umkreisend, gelangte Lise bis zum Rand des Patio, bevor sie gesehen wurde. Es war auch nicht der gedungene Muskelprotz, der sie zuerst erspähte.

Luther, der Rottweiler, der alte Wachhund ihres Vaters, kam über den Patio angetrottet, um Lise zu begrüßen. Sie schob seinen Kopf weg, als er sie im Schritt beschnüffeln wollte, und entschädigte ihn mit einem Kraulen am Kopf.

Der Wachmann Rollmeyer, die Hand an der Pistole im Halfter, richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf sie und lächelte, als er erkannte, wen er vor sich hatte. Weil es auch zu seiner Aufgabe gehörte, Störungen zu unterbinden, ging er ohne zu rufen zu ihr hinüber.

Lise war sich nicht sicher gewesen, was passieren würde, wenn sie erst einmal so weit gekommen war. Sie hatte nicht wissen können, wer Wache halten und wie derjenige auf sie reagieren würde. Wie viel er womöglich wusste. Sie hatte mehrere Möglichkeiten durchgespielt und beschlossen, sich vom Wachmann den Weg in diese Wildnis zeigen zu lassen.

«Wusste gar nicht, dass Sie hier sind, Madam.« Rollmeyer sprach leise, stand dicht neben ihr auf dem weichen Sandboden.

«Die werden wohl noch eine Weile brauchen. Soll ich Sie vorn reinlassen?« «Im Haus ist es so heiß. Ich warte lieber hier draußen, bis sie fertig sind. «Sie hatte die Hand in der Tasche, um die Automatik gegen etwas der Situation Angemesseneres auszutauschen.»Lange nicht gesehen, Rollmeyer. Lassen Sie mal hören. Wie geht’s denn so?« «Kann nicht klagen.« Die Hand noch in der Tasche, schloss sie die Finger um den hölzernen Griff des hoteleigenen Eispickels.»Wollen Sie eine alte Freundin nicht umarmen?« Rollmeyer, dessen Job es war, Befehle zu befolgen, der aber nie abgeneigt war, eine Frau zu betatschen, schien zunächst etwas verwirrt. Dann breitete er die Arme aus und machte einen Schritt auf sie zu. Sie nutzte die Vorwärtsbewegung seines Körpers, um ihm den Eispickel tief in die Brust zu treiben. Während sie den Griff weiter festhielt, spürte sie, wie sein Herz um die schmale Klinge pochte, klopf, klopf, klopf, bevor er merkte, dass etwas mit ihm geschehen war. Sie trat zurück, zog die Klinge heraus, begegnete seinem tumben Blick noch drei Sekunden, sah das dunkle Rinnsal, das aus dem winzigen Loch in seinem Hemd tröpfelte, bevor er mit dem Gesicht nach unten zu Boden fiel. Als sie ihn verließ, standen seine Augen noch offen, mit weißen Sandkörnchen wie mit Zucker bestäubt.

Luther hielt sich dicht bei ihr und bot ihr mit seinem massigen Körper Deckung, während sie sich am Pool auf den Boden legte und Rollmeyers Blut von ihrem Handschuh und dem Eispickel abwusch. Zusammen mit dem Hund duckte sie sich dann wieder in den Schatten der Oleanderhecke, um den Fortgang des Treffens dort drinnen zu beobachten.

Ihr Mann und der Kongressabgeordnete, beides Gewohn-heitstiere, hielten sich genau an den Zeitplan. Als Lise eintraf, hatten sie in dem eleganten Speisezimmer das Abendessen eingenommen, dann hatte die Haushälterin den Tisch abgeräumt und die beiden Männer bei Kaffee und Brandy allein gelassen. Nachdem die Präliminarien der feinen Lebensart abgehakt waren, ging Lises Mann zu dem Schrank mit dem Tafelsilber hinüber und holte einen großen Aktenkoffer hervor, den er auf den Tisch stellte. Er öffnete den Koffer und drehte ihn mit einem Weihnachts-mannlächeln so hin, dass der Kongressabgeordnete den Inhalt sehen konnte, zeigte ihn auch Lise im Spiegel über dem antiken Büfett: in Bankmanschetten gebündeltes Geld, eine Dreiviertelmillion Dollar, der gängige Preis für eine entscheidende Stimme auf Bundesebene — natürlich die fragliche Stimme, die mit den Baugenehmigungen für die Spielkasinos auf Stammesterritorium zu tun hatte.

Man stieß mit Brandy an, schüttelte sich die Hände, dann verabschiedete man sich. Sobald das Geschäftliche erledigt war, würde ihr Mann sofort gehen, während der Kongressabgeordnete noch für die Extravergünstigung blieb.

Lise duckte sich hinter die Hecke, als ihr Mann, immer noch lächelnd, den Patio überquerte und auf die Garage zusteuerte. Sie hatte die.380er im Anschlag für den Fall, dass er herüberkäme und nach Rollmeyer suchte. Tat er aber nicht. Er ging direkt zur Garage und ließ seinen Rolls an.

Sobald er außer Sichtweite war, musste sich Lise beeilen. Ihr Mann würde die Zufahrt hinunter bis zur Straße fahren und dem Callgirl, das dort im eigenen Wagen wartete, ein Zeichen machen, dem Callgirl, das immer zum Serviceangebot für den Kongressabgeordneten gehörte. Lise wusste, dass sie bis zu dem Zeitpunkt fertig sein musste, zu dem die Hure auf den freien Stellplatz in der Garage gefahren war, ihr Make-up aufgefrischt, etwas Parfüm aufgesprüht und ihr Dekollete zurechtgerückt hatte und zum Haus hinaufgegangen war.

Während Luther schwerfällig neben ihr einhertrottete, schlich Lise durch die Patiotür ins Speisezimmer, gerade als die Scheinwerfer ihres Mannes um die Hausecke kamen. Der Kongressabgeordnete hatte seinen Koffer mit der Beute bereits zugeklappt und auf dem Fußboden abgestellt und trank soeben seinen Brandy vollends aus, als sie auf den dicken Teppich trat.

«Lise, meine Liebe«, sagte er, überrascht, aber nicht unerfreut, sie zu sehen. Er stand auf und streckte ihr die Arme entgegen.»Mit Ihrer geschätzten Gesellschaft hatte ich eigentlich nicht gerechnet.« Lise sagte nichts, als sie bis auf einen knappen Meter an ihn herantrat. Ihre Fußspitze berührte den Koffer voller Geld, als sie die.380er hob, zielte, wie ihr Vater es ihr beigebracht hatte, und dem Kongressabgeordneten eine Kugel in den Brustkorb feuerte, gefolgt von einem Schuss in die Stirn, wie ihr Vater sie gelehrt hatte.

Vom Lärm aufgeschreckt, begann Luther zu bellen. Die Haushälterin in der Küche machte» Ah, ah «und ließ etwas zu Boden fallen. Lise steckte die Waffe unter den Brustkorb des Kongressabgeordneten, nahm den Aktenkoffer mit dem Geld und ging.

Nachdem sie sich wieder hinter die Hecke geduckt hatte, wartete Lise darauf, dass das Callgirl hereinkam und zusammen mit der Haushälterin die Entdeckung machte.

Das Timing war gut. Wenige Sekunden nach den Schüssen standen die beiden Frauen einander schreckensbleich an ihren jeweiligen Türen gegenüber.

Durch die stille, mondlose Nacht ging Lise auf dem gleichen sandigen Fußweg zum Hotel zurück. Den Aktenkoffer verstaute sie hinter einem Blumenkübel neben dem Schwimmbad und ging ein Stück weiter die Straße hinauf, um einen Anruf zu tätigen.

Rollmeyer könnte die Sache vielleicht komplizieren, doch den mochte sich die Polizei erklären, wie sie wollte.

Lise wählte die Notrufnummer.

«Es hat eine Schießerei gegeben«, sagte sie. Sie nannte die Adresse und gab den Kongressabgeordneten als Opfer und ihren Mann als den Todesschützen an. Dann ging sie ein Stück weiter zu einem anderen Telefon und tätigte ähnliche Anrufe bei der Presse und dem örtlichen Fernsehsender.

Als sie die erste Sirene die Straße zum Haus heraufkommen hörte, steckte sie gerade ein anonymes Schreiben an den Detektiv ein, der vor fünf Jahren beim Tod ihres Vaters ermittelt hatte, ein Schreiben, in dem genau erklärt wurde, wieso sich ihr Mann und der Kongressabgeordnete mitten im Sommer in der Wüste trafen und welche Motive ihr Mann für den Mord gehabt haben konnte — für zwei Morde. Und wieso die Kugeln, die man in dem Kongressabgeordneten finden würde, mit den beiden verglichen werden sollten, die man in ihrem Vater gefunden hatte. Und wo das Geld versteckt war.

Alles ganz genau und in allen Einzelheiten aufgeführt, ein passender Nachruf auf einen Mann, der vom blauen Himmel nicht mehr viel zu sehen bekäme, der bei jeder Bewegung überwacht würde an einem Ort, wo die Strafe auf dem Fuße folgte und wo er niemals wieder einen Schlüssel für seine eigene Tür haben würde oder die Spielregeln aufstellen dürfte. Eingesperrt für den Rest seines Lebens.

Als sie das Schreiben aus der Hand gegeben hatte, streifte Lise schließlich die Operationshandschuhe ab. Sie hob das Gesicht der Brise entgegen, die voll süßer, sauberer Wüstenluft war, blickte hinauf zu der Unzahl von Sternen am mondlosen Himmel und gähnte. Es war vorbei: alle Tagesordnungspunkte erfolgreich abgehandelt, Sitzung vertagt.

Auf ihrem Rückweg zum Hotel machte Lise in einem durchgehend geöffneten Drugstore Halt und kaufte sich von Henry Le-Beaus Geld ein Eis am Stiel, das sie unterwegs verspeiste.

Die Geschäftsführerin stand vor dem Hotel und sah den vorbeirasenden Polizeiautos und Sanitätern nach, als Lise herbeigeschlendert kam.

«Ein Riesenwirbel. «Lise blieb mit der Geschäftsführerin auf dem Gehweg stehen und aß ihr Eis zu Ende.»Sie sagten doch, um diese Jahreszeit ist hier alles ausgestorben.« «Gestorben, ja. «Die Geschäftsführerin ließ ihr trockenes Eidechsenlachen vernehmen.»Hier draußen hat’s viele alte Leute. Wetten, dass da gerade einer abgenibbelt ist.« Lise sah mit ihr zu, bis der Kombiwagen des Coroner vorbeigefahren war. Dann nahm sie die Geschäftsführerin beim Arm und ging mit ihr hinein.

Lise bemerkte, dass die dunklen Augen der Geschäftsführerin immer noch vor Aufregung blitzten. Sie selbst war viel zu aufgedreht, als dass sie an Schlaf hätte denken können. Also sagte sie:»Ich habe noch eine Flasche Wein im Zimmer. Was halten Sie von einem kleinen Schlaftrunk?

Reden wir über Gauner und die guten alten Zeiten.«