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Wenn in fünfzig oder hundert Jahren Listen der besten Schriftsteller und Schriftstellerinnen unserer Zeit erstellt werden, und zwar ungeachtet des Genres, in dem sie schreiben, könnte Ruth Rendell (*1930), obwohl sie sich im Laufe ihrer Karriere mit Kriminalliteratur identifiziert hat, darauf einen hohen Rang einnehmen. Sie wurde als Ruth Barbara Grasemann in London geboren, als Tochter eines Lehrerehepaars, das seinen schöpferischen Ausgleich in der Malerei fand. Nachdem sie die Schule mit achtzehn verlassen hatte, schlug sie statt eines Universitätsstudiums eine kurze Laufbahn als Zeitungsreporterin in Essex ein. Nach der Heirat mit ihrem Berufskollegen Donald Rendell und der Geburt eines Sohnes gab sie den Journalismus auf, um sich ganz der Mutterschaft und dem Selbststudium durch extensive Lektüre zu widmen.
Rendells erster Roman mit dem Titel From Doom with Death (1964; dt. Alles Liebe vom Tod), in dem sie mit Reg Wexford und Mike Burden ihr ungleiches Polizistenpaar einführte, ist solide und traditionell und beschwört mit dem fintenreichen Plot fast unausweichlich den Vergleich mit Agatha Christie herauf. Die Regeln des Fair Play behielt Rendell bei, während ihre Romane an psychologischer und thematischer Dichte gewannen. Ihr zweiter Roman, Tb Fear a Painted Devil (1965; dt. Der Tod fällt aus dem Rahmen), gehört nicht zur Wexford-Serie, und nun wechseln sich die bei der Leserschaft höchst beliebten Wexford-Burden-Bücher mit oft düster gefärbten Kriminalromanen ab, die bei der Kritik sogar noch größeres Lob ernteten. In Mystery and Suspense Writers, einer 1998 erschienen Publikation der Scribner Writers Series, beschreibt B.J.Rahn diese nicht zur Wexford-Reihe gehörenden Bücher als» im Bewusstsein der Hauptfigur, ob nun Schurke oder Opfer, verwurzelt, deren Gefühle von Entfremdung, Angst, Hass und Furcht der Leser unmittelbar miterlebt«. Rendell, die von ihrem Vater Ruth und von ihrer Mutter Barbara gerufen wurde, benutzt beide Namen und schreibt mittlerweile auch unter beiden, nachdem sie mit A Dark-Adapted Eye (1986; dt. Die im Dunkeln sieht man doch) das Pseudonym Barbara Vine angenommen hatte. Die Vine-Romane, schreibt Rahn,»ergründen die Tiefen der menschlichen Psyche eher in der Art von Henry James als von Patricia Highsmith oder Alfred Hitchcock … Diese Romane zeichnen sich durch die subtile Manipulation der Erzählperspektive und komplexe Muster aus, die oft verblüffende ironische Überraschungen hervorbringen«.
Abgesehen von ihrer erstaunlichen Produktivität, mit der sie jedes Jahr ein oder zwei Bücher herausbringt, ist Rendell auch als Autorin von Kurzgeschichten hervorgetreten. Der ersten Sammlung mit dem Titel The Fallen Curtain and Other Stories (1976; dt. Der gefallene Vorhang) folgten mindestens sechs weitere, darunter Piranha to Scurfy and Other Stories (2000; dt. Kein Ort für Fremde). In» Die Ironie des Hasses«, wo sich im allerersten Satz bereits offenbart, wer was getan hat, wird Rendells psychologisches Gespür sowie ihre Fähigkeit, den Leser zu überraschen, auf eindrucksvolle Weise vor Augen geführt.
Ich habe Brenda Goring aus dem wohl ungewöhnlichsten Motiv heraus ermordet: Sie stellte sich zwischen mich und meine Frau. Damit will ich nicht sagen, dass am Verhältnis der beiden zueinander irgendetwas Abnormes war. Sie waren lediglich eng befreundet, obwohl der Ausdruck» lediglich «in Bezug auf ein Verhältnis, das den vormals geliebten Ehemann wegschiebt und ausschließt, wohl eher nicht verwendet werden sollte. Ich ermordete sie, um meine Frau wieder für mich zu haben, und habe uns stattdessen vielleicht für immer getrennt. Nun sehe ich voller Grauen, in ohnmächtiger Panik und mit der schrecklichsten Hilflosigkeit, die ich je erlebt habe, dem bevorstehenden Prozess entgegen.
Wenn ich die Tatsachen niederschreibe — und die Ironie, die schreckliche Ironie, die diese wie ein scharfer, glitzernder Faden durchzieht —, gelingt es mir vielleicht, die Dinge klarer zu sehen. Vielleicht finde ich irgendeinen Weg, die unerbittliche Obrigkeit davon zu überzeugen, wie es wirklich war; dafür zu sorgen, dass der Verteidiger mir glaubt, statt die Brauen zu heben und den Kopf zu schütteln; wenigstens sicherzustellen, dass Laura, wenn wir nun schon getrennt werden müssen, doch wenigstens weiß — während sie zusieht, wie ich aus dem Gerichtssaal geführt werde, um meine langjährige Gefängnisstrafe anzutreten —, dass die Wahrheit bekannt ist und die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt.
Während ich hier ganz allein herumsitze und nichts anderes zu tun habe, als auf den Prozess zu warten, könnte ich über den Charakter, die äußere Erscheinung und die Neurosen von Brenda Goring ganze Bände schreiben. Ich könnte den ultimativen Hassroman schreiben. In diesem Kontext wäre vieles davon jedoch irrelevant, daher werde ich mich so kurz wie möglich fassen.
In einem Stück von Shakespeare sagt jemand über eine Frau:»Hätt ich sie nie gesehen!«Worauf ein anderer erwidert:»Dann hättet Ihr ein wundervolles Meisterwerk ungesehn gelassen. «Nun, hätte ich Brenda doch tatsächlich nie gesehen! Und was das wundervolle Meisterwerk betrifft, so würde ich dem wohl auch zustimmen. Sie hatte einmal einen Ehemann gehabt. Um sie endgültig los zu sein, hatte er ihr zweifellos jede Menge Unterhalt gezahlt und ihr einen Haufen Geld überlassen, von dem sie das Cottage an dem Dorfsträßchen oberhalb unseres Hauses erstand. Wie von einem derartigen Neuzugang zu erwarten, machte sie in unserem Dorf einen gewaltigen Eindruck. Sie war einfach wundervoll, bot mit ihren Kleidern, ihrem langen blonden Haar, ihrem Sportwagen, ihren Begabungen und ihrer mondänen Vergangenheit eine erfrischende Abwechslung zu all den pensionierten Ehepaaren und zurückhaltenden Wochenendgästen. Eine Zeit lang jedenfalls. Bis sie ihnen zu viel wurde.
Gleich von Anfang an belegte sie Laura mit Beschlag.
Irgendwie verständlich, da meine Frau im Ort das einzige weibliche Wesen in etwa ihrem Alter war, das ganze Jahr über dort wohnte und keiner Erwerbsarbeit nachging. Mit Sicherheit — dachte ich jedenfalls am Anfang — hätte sie sich Laura nicht ausgesucht, wenn sie eine größere Auswahl gehabt hätte. In meinen Augen ist meine Frau reizend, alles, was ich je wollte, die einzige Frau, für die ich je etwas empfunden habe, doch ich weiß, dass sie auf andere schüchtern und farblos wirkt, ein schlichtes, stilles Heimchen am Herd. Was konnte sie diesem extrovertierten, diesem grellen, mit Schmuck behangenen Schmetterling denn bieten? Den Ansatz einer Antwort gab sie mir selbst.
«Ist dir nicht aufgefallen, wie die Leute ihr inzwischen aus dem Weg gehen, Liebling? Die Goldsmiths haben sie letzte Woche nicht zu ihrer Party eingeladen, und Mary Williamson weigert sich, sie ins Festkomitee aufzunehmen.« «Ich muss sagen, das wundert mich nicht«, sagte ich.
«So wie sie redet und was sie für Sachen sagt.« «Du meinst ihre Liebesaffären und das alles? Aber, Liebling, in den Kreisen, in denen sie bisher gelebt hat, ist so was doch gang und gäbe. Für sie ist es ganz normal, so zu reden, sie ist ganz einfach offen und ehrlich.« «Jetzt lebt sie aber nicht mehr in diesen Kreisen«, erwiderte ich,»und wird sich anpassen müssen, wenn sie akzeptiert werden will. Hast du lsabel Goldsmiths Gesicht gesehen, als Brenda die Geschichte erzählt hat, wie sie mit einem Mann ins Wochenende gefahren ist, den sie in einer Bar aufgelesen hatte? Ich wollte verhindern, dass sie sämtliche Männer aufzählt, die ihr Mann in seinen Scheidungspapieren genannt hat, aber vergeblich.
Andauernd heißt es: ›Damals, als ich mit Soundso zusammenlebte‹, und ›Das war die Zeit, in der ich die Affäre mit Dingsbums hatte‹. Ältere Herrschaften finden das schon ein bisschen verstörend, weißt du.« «Na, wir sind aber keine älteren Herrschaften«, meinte Laura,»und denken hoffentlich ein bisschen großzügiger.
Du magst sie doch, oder?« Ich war immer sehr liebenswürdig zu meiner Frau. Als Tochter von sehr klugen, dominanten Eltern, die sie immer klein gemacht hatten, wuchs sie mit einem permanenten Minderwertigkeitsgefühl auf. Sie ist das typische Opfer, beschwört es geradezu herauf, dass man sie herumkommandiert, weshalb ich mich bemüht habe, sie nie herumzukommandieren, ja auch nie mit ihr über Kreuz zu geraten. Also sagte ich bloß, Brenda sei schon in Ordnung und ich sei froh, nachdem ich den ganzen Tag außer Haus war, dass sie eine gleichaltrige Freundin gefunden habe.
Wenn Brenda nur während des Tages mit ihr befreundet und ihre vertraute Gefährtin gewesen wäre, hätte ich ja auch überhaupt nichts dagegen gehabt. Ich hätte mich an die Tatsache gewöhnt, dass Laura tagaus, tagein Geschichten über eine ihr unbekannte Welt lauschte, dass sie sich anhörte, wie verbotener Sex und Doppelzüngigkeit verherrlicht wurden, und hätte mir sicher sein können, dass sie sich nicht verderben ließ. Doch musste ich Brenda selbst ertragen, wenn ich nach einem langen Arbeitstag abends nach Hause kam. In ihren Seidenhosen oder einem langen Rock mit hohen Stiefeln saß sie bequem auf unserem Sofa und rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Oder kam mit einer Flasche Wein daher, wenn wir uns gerade zum Abendessen hingesetzt hatten, und verwickelte uns in eine ihrer Lieblingsdebatten über Fragen wie» Ist die Ehe eine aussterbende Institution?« oder» Braucht man überhaupt Eltern?«. Und um eines ihrer fadenscheinigen Argumente zu untermauern, kam sie mit irgendeiner persönlichen Erfahrung daher, über die sich unsere betagteren Freunde so aufgeregt hatten.
Ich war natürlich nicht verpflichtet, dabei zu bleiben.
Unser Haus ist ziemlich groß, und ich konnte ja ins Esszimmer gehen oder in den Raum, den Laura mein Arbeitszimmer nennt. Ich wollte aber bloß das, was ich früher auch gehabt hatte, nämlich abends mit meiner Frau allein sein. Noch schlimmer war es, wenn wir von Brenda zum Kaffee oder auf einen Drink in ihr üppig eingerichtetes, verschwenderisch dekoriertes Cottage geladen wurden, um ihre neueste Kreation gezeigt zu bekommen — andauernd stickte und webte und töpferte sie etwas oder hantierte mit Wasserfarben herum —, wo sie uns auch die Geschenke vorführte, die sie irgendwann von Mark, Larry oder Paul und den zahllosen anderen Männern in ihrem Leben bekommen hatte. Wenn ich mich weigerte hinzugehen, reagierte Laura nervös und niedergeschlagen und war dann wieder himmelhoch jauchzend, wenn ich nach ein paar herrlichen brendalosen Abenden ihr zuliebe den Vorschlag machte, doch mal bei der guten alten Brenda vorbeizuschauen.
Was mich aufrecht hielt war die Gewissheit, dass sich eine beim anderen Geschlecht offensichtlich so beliebte Frau früher oder später einen Freund suchen würde und dann weniger oder gar keine Zeit für meine Frau mehr hätte. Ich wunderte mich, weshalb das nicht schon passiert war, und äußerte mich dementsprechend Laura gegenüber.
«Sie trifft sich schon mit ihren Freunden, wenn sie nach London fährt«, sagte meine Frau.
«Sie bringt aber nie einen hierher«, erwiderte ich, und als Brenda an dem Abend eine üppig ausgeschmückte Geschichte über einen mit ihr bekannten Kunstmaler namens Laszlo zum Besten gab, der schrecklich attraktiv war und sie anhimmelte, sagte ich, ich würde ihn gern mal kennen lernen, und wieso sie ihn übers Wochenende nicht mal einlud?
Brenda ließ ihre langen, grün bemalten Fingernägel aufblitzen und warf Laura einen verschwörerischen Blick von Frau zu Frau zu.»Was würden denn die ganzen alten Knacker sagen, möchte ich wissen?« «Davon wirst du dich doch nicht beirren lassen, Brenda«, sagte ich.
«Aber nein. Dann haben sie was zu quatschen. Mir ist doch klar, dass die nur neidisch sind. Ich würde Laszlo sofort einladen, aber er würde nicht kommen. Er hasst das Landleben, er würde sich zu Tode langweilen.« Anscheinend hassten Richard, Jonathan und Stephen das Landleben ebenfalls oder würden sich langweilen oder konnten die Zeit nicht erübrigen. Da war es doch viel besser, dass Brenda hinfuhr und sich in der Stadt mit ihnen traf. Mir fiel auf, dass Brenda nach meinen Fragen über Laszlo öfter nach London fuhr und die Geschichten über ihre Eskapaden nach diesen Besuchen immer ausgefallener wurden. Ich halte mich für einen recht genauen Beobachter, und bald begann eine Vorstellung in meinem Kopf Gestalt anzunehmen, die so abwegig war, dass ich sie mir eine Zeit lang nicht einmal selbst eingestehen wollte. Aber ich prüfte sie nach. Anstatt Brenda bloß zuzuhören und gelegentlich eine etwas säuerliche Bemerkung einzustreuen, begann ich ihr Fragen zu stellen. Ich hakte bei Namen und Daten nach.»Hattest du nicht gesagt, du hättest Mark in Amerika kennen gelernt?«, meinte ich dann, oder:»Aber du warst doch sicher erst nach deiner Scheidung mit Richard im Urlaub?«Ich verstrickte sie in Widersprüche, ohne dass sie es merkte, und auf einmal erschien mir meine Vorstellung gar nicht mehr so abwegig. Der ultimative Test kam an Weihnachten.
Ich hatte bemerkt, dass Brenda sich völlig anders verhielt, wenn sie mit mir allein war, als wenn Laura dabei war. Wenn Laura beispielsweise draußen in der Küche beim Kaffeekochen war oder, was an Wochenenden manchmal vorkam, Brenda unerwartet hereinschneite, wenn Laura ausgegangen war, benahm sie sich mir gegenüber ziemlich kühl und scheu. Dann war es vorbei mit den ausladenden Gesten und den provozierenden Bemerkungen, und Brenda redete genauso banal über Dorfgeschichten wie lsabel Goldsmith. Nicht gerade das Verhalten, das man von einer selbst ernannten Messalina erwarten würde, die mit einem jungen und einigermaßen sympathischen Mann allein ist. Mir kam plötzlich der Gedanke, dass Brenda damals, als sie noch zu Dorffesten eingeladen wurde, oder auch heute, wenn sie auf unseren Partys Nachbarn begegnete, niemals zu flirten versucht hatte. Waren ihr etwa alle Männer zu alt und nicht die Mühe wert? War ein schlanker, ansehnlicher Mann, der auf die Fünfzig zuging, etwa so alt, dass er von einer Frau, die die Dreißig auch schon hinter sich hatte, nicht länger als Freiwild betrachtet wurde? Zwar waren sie alle verheiratet, aber das waren ihr Paul und ihr Stephen auch gewesen, und wenn man ihr glauben konnte, hatte sie da auch keinerlei Gewissensbisse gehabt, sie ihren Frauen abspenstig zu machen.
Wenn man ihr Glauben schenken konnte! Das war nämlich der springende Punkt. Weihnachten wollte keiner mit ihr verbringen. Kein Londoner Liebhaber lud sie zu einer Party ein oder bot an, mit ihr irgendwohin zu fahren.
Also wäre sie natürlich bei uns zu Gast, zum Mittagessen am Weihnachtstag, und zwar den ganzen Tag lang, und auch am zweiten Weihnachtsfeiertag, den wir immer mit Verwandten und Freunden verbrachten. Ich hatte bei uns im Hauseingang einen Strauß Mistelzweige aufgehängt, und weil Laura in der Küche beschäftigt war, ließ ich Brenda am Weihnachtsmorgen selbst herein.
«Fröhliche Weihnachten«, sagte ich.»Wie wär’s mit einem KUSS, Brenda?«Dabei nahm ich sie unter dem Mistelzweig in die Arme und küsste sie auf den Mund. Sie erstarrte. Ich könnte schwören, dass sie ein Schauder überlief. Sie reagierte so unbeholfen, so verängstigt, so unangenehm berührt wie eine behütete Zwölfjährige. Da wusste ich es. Verheiratet mochte sie zwar gewesen sein – mittlerweile war es auch nicht schwer, den Scheidungsgrund zu erraten —, hatte jedoch nie einen Liebhaber gehabt, in einer Umarmung geschwelgt oder war je länger als unbedingt nötig mit einem Mann allein gewesen. Sie war frigide. Ein gut aussehendes, lebhaftes, gesundes Mädchen — und doch hatte sie dieses eine spezielle Handikap. Sie war kalt wie eine Betschwester.
Weil sie die Demütigung jedoch nicht ertragen konnte, es zugeben zu müssen, hatte sie sich eine Fantasiewelt geschaffen, eine Fantasievergangenheit, in der sie als Fantasienymphomanin die große Dame spielte.
Zunächst hielt ich das Ganze für einen Riesenwitz und konnte es kaum erwarten, Laura davon zu erzählen. Ich war aber erst um zwei Uhr morgens mit ihr allein, und als ich ins Bett kam, schlief sie bereits. Ich konnte nicht recht schlafen. Mein Hochgefühl schwand, als mir klar wurde, dass ich eigentlich keine echten Beweise in der Hand hatte und dass Laura, wenn ich ihr erzählte, was ich mit meinen Fragen und Sticheleien bezweckt hatte, nur bitter verletzt wäre und es mir nachtragen würde. Wie könnte ich ihr erzählen, dass ich ihre beste Freundin geküsst hatte und abgeblitzt war? Dass ich in ihrer Abwesenheit versucht hatte, mit ihrer besten Freundin zu flirten, und einen Korb bekommen hatte? Und dann, nachdem ich einige Zeit darüber nachgedacht hatte, wurde mir klar, was ich tatsächlich aufgedeckt hatte: nämlich dass Brenda Männer hasste, dass kein Mann kommen und sie mitnehmen oder heiraten oder hier mit ihr leben und ihre ganze Zeit in Anspruch nehmen würde. Sie würde für immer allein hier bleiben, einen Katzensprung von uns entfernt wohnen, tagtäglich bei uns ein und aus gehen, und sie und Laura würden gemeinsam alt werden.
Ich hätte natürlich umziehen können. Ich hätte Laura von hier fortbringen können. Von ihren Freundinnen und Freunden? Von unserem Haus und der Landschaft, die sie so liebte? Und wer hätte mir garantiert, dass Brenda nicht ebenfalls umgezogen wäre, um in unserer Nähe zu sein?
Denn inzwischen wusste ich, was Brenda in meiner Frau sah: ein naives, unschuldiges Geschöpf, eine vertrauensselige, immer während gutgläubige Zuhörerin, deren eigene Unerfahrenheit sie davon abhielt, die Lücken und Ungereimtheiten in diesem Mischmasch aus lauter Unsinn zu erkennen, und deren rührende Entschlossenheit, sich weltläufig zu geben, sie davon abhielt, mit Abscheu zu reagieren. Als der Morgen dämmerte und ich die neben mir schlafende Laura liebevoll und besorgt betrachtete, wurde mir klar, was ich zu tun hatte, was mir als Einziges zu tun übrig blieb. In einer Zeit, wo auf Erden Frieden und Wohlgefallen herrschten, beschloss ich, um meines eigenen und Lauras Wohles und Friedens willen Brenda Goring zu töten.
Das war leichter beschlossen als getan. Was mich beflügelte und bestärkte, war das Bewusstsein, dass ich in den Augen der anderen kein Motiv hätte. Unsere Nachbarn fanden es wunderbar menschenfreundlich und tolerant von uns, dass wir uns überhaupt mit Brenda abgaben. Ich beschloss, ausgesprochen nett zu ihr zu sein anstatt einfach bloß unverbindlich locker, und nach Neujahr machte ich es mir zur Gewohnheit, auf meinem Rückweg von der Post oder vom Dorflädchen bei Brenda vorbeizuschauen, und wenn ich von der Arbeit kam und Laura zu Hause allein antraf, fragte ich, wo denn Brenda sei, oder schlug vor, sie unverzüglich anzurufen und zum Abendessen oder auf einen Drink einzuladen. Laura war höchst zufrieden.
«Ich hatte immer das Gefühl, du könntest Brenda nicht recht leiden, Liebling«, sagte sie.»Ich habe mir deswegen ziemliche Vorwürfe gemacht. Es ist schön, dass du allmählich siehst, wie nett sie im Grunde ist.« Was ich jedoch eigentlich zu sehen begann, war eine Möglichkeit, sie umzubringen und ungestraft davonzukommen, denn es geschah etwas, was sie mir gewissermaßen in die Hände spielte. In einem abgelegenen Cottage am Dorfrand lebte eine ältere, unverheiratete Frau namens Peggy Daley, und in der letzten Januarwoche brach jemand in ihr Cottage ein und erstach Peggy mit ihrem eigenen Küchenmesser. Die Polizei hielt es anscheinend für das Werk eines Psychopathen, denn es war nichts gestohlen oder beschädigt worden. Als sich abzuzeichnen begann, dass man den Mörder wohl nicht finden würde, überlegte ich, wie ich Brenda auf die gleiche Weise umbringen könnte, damit es aussah, als wäre der Mord vom gleichen Täter ausgeführt worden. Während ich noch dabei war, diesen Plan auszuarbeiten, erkrankte Laura an einer Grippe, die sie sich bei Mary Williamson eingehandelt hatte.
Natürlich kam Brenda, um sie zu pflegen, kochte mir das Essen und machte das Haus sauber. Weil alle glaubten, Peggy Daleys Mörder treibe sich noch im Dorf herum, begleitete ich Brenda abends nach Hause, obwohl ihr Cottage bloß ein paar Meter weiter oben an der Dorfstraße oder dem schmalen Fußweg lag, der am unteren Ende unseres Gartens verlief. Dort war es stockfinster, da wir uns alle heftig gegen die Installation einer Straßenbeleuchtung gewehrt hatten. Belustigt und mit einer gewissen Ironie bemerkte ich, wie Brenda zusammenzuckte und zurückwich, wenn ich sie bei diesen Gelegenheiten zwang, meinen Arm zu nehmen. Ich legte immer Wert darauf, mit ihr ins Haus hineinzugehen und sämtliche Lichter einzuschalten. Als es Laura allmählich besser ging und sie abends bloß schlafen wollte, ging ich manchmal etwas früher zu Brenda, trank noch ein Gläschen mit ihr und gab ihr einmal beim Abschied einen freundschaftlichen KUSS auf der Türschwelle, um eventuell zusehenden Nachbarn zu zeigen, was für gute Freunde wir waren und wie sehr ich Brendas liebevolle Betreuung meiner kranken Frau zu schätzen wusste.
Dann bekam ich selbst Grippe. Dieser Umstand schien meine Pläne zunächst zu durchkreuzen, denn einen allzu langen Aufschub konnte ich mir nicht leisten. Die Leute fingen schon an, sich weniger vor unserem marodierenden Mörder zu hüten, und kehrten zu ihrer alten Gewohnheit zurück, ihre Hintertüren unverschlossen zu lassen. Doch dann kam mir eine Idee, wie ich meine Krankheit in einen Vorteil verwandeln konnte. An jenem Montag, als ich bereits seit drei Tagen ans Bett gefesselt war und Brenda, dieser Krankenpflegeengel, mich fast genauso bemutterte, wie meine eigene Frau es tat, meinte Laura, sie würde an dem Abend nicht wie ausgemacht zu den Goldsmiths hinübergehen. Lieber wolle sie am Mittwoch gehen, falls es mir bis dahin besser ginge, denn sie hatte vor, lsabel beim Zuschneiden eines Kleides zu helfen. Nun hätte Brenda natürlich anbieten können, an ihrer Stelle bei mir zu bleiben, und ich glaube, Laura war etwas überrascht, dass sie es nicht tat. Ich aber kannte den Grund und lachte mir ins Fäustchen. Einerseits fand Brenda nichts dabei, umherzustolzieren und uns Geschichten über all die Männer aufzutischen, die sie schon gepflegt hatte, etwas ganz anderes aber war es, sich mit einem nicht sonderlich kranken Mann in dessen Schlafzimmer aufzuhalten.
Um mir ein Alibi zu verschaffen, musste ich also ziemlich krank wirken, aber nicht so krank, dass Laura deswegen zu Hause blieb. Am Mittwochmorgen fühlte ich mich schon bedeutend besser. Dr. Lawson schaute auf dem Rückweg von seinen Hausbesuchen nachmittags vorbei und verkündete nach ausführlicher Untersuchung, dass ich immer noch Schleim auf der Brust habe. Während er sich im Badezimmer die Hände wusch und mit seinem Stethoskop hantierte, hielt ich das Fieberthermometer, das er mir in den Mund gesteckt hatte, an den Heizkörper am Kopfende des Bettes. Es funktionierte besser als erhofft, eigentlich fast zu gut. Das Quecksilber schnellte auf vierzig Grad hoch, und ich tat noch ein Übriges, indem ich mit schwacher Stimme behauptete, mir sei schwindlig und ich hätte abwechselnd Schweißausbrüche und Schüttelfrost.
«Behalten Sie ihn im Bett«, sagte Dr. Lawson,»und geben Sie ihm genügend Warmes zu trinken. Ich glaube nicht, dass er aufstehen könnte, selbst wenn er wollte.« Mit etwas betretener Miene gestand ich, dass ich es versucht hätte, aber vergeblich, und dass meine Beine sich wie Wackelpudding anfühlten. Sofort meinte Laura, dann würde sie abends nicht aus dem Haus gehen, und ich pries Lawson insgeheim für seine Erwiderung, sie solle doch keinen Unsinn reden. Ich brauchte einfach nur Ruhe, und man solle mich schlafen lassen. Nach einigem Hin und Her, Selbstvorwürfen und dem Versprechen, höchstens zwei Stunden wegzubleiben, ging sie um sieben schließlich aus dem Haus.
Sobald der Wagen davongefahren war, stand ich auf.
Man konnte Brendas Haus von meinem Schlafzimmerfenster aus sehen, und ich stellte fest, dass sie Licht anhatte, aber keine Lampe am Hauseingang brannte. Es war eine dunkle, mond- und sternenlose Nacht. Ich zog Hosen und Pullover über meinen Schlafanzug und ging die Treppe hinunter.
Auf halbem Wege etwa wurde mir klar, dass ich mein Kranksein nicht hätte vorschützen müssen und mir den Trick mit dem Thermometer hätte sparen können. Ich war wirklich krank. Ich zitterte und wankte, immer wieder überströmten mich Schwindelwellen, und ich musste mich Halt suchend am Treppengeländer festklammern. Und das war nicht das Einzige, was schief gegangen war. Ich hatte vorgehabt, nach vollbrachter Tat zu Hause gleich meinen Mantel und die Handschuhe mit Lauras elektrischer Schere zu zerschneiden und die Fetzen im Kaminfeuer in unserem Wohnzimmer zu verbrennen. Doch dann konnte ich die Schere nicht finden, und mir ging auf, dass Laura sie wohl zu ihrer Schneidersitzung mitgenommen hatte.
Schlimmer noch, im Kamin brannte gar kein Feuer.
Unsere Zentralheizung funktionierte sehr gut, und Kaminfeuer machten wir nur zum Vergnügen und weil es so behaglich war. Laura hatte sich nicht die Mühe gemacht, es anzuzünden, während ich oben krank lag. In dem Moment wollte ich fast schon aufgeben. Doch dann sagte ich mir, jetzt oder nie. Solche Umstände und so ein Alibi würden sich nie wieder bieten. Entweder ich bringe sie jetzt um, dachte ich, oder verbringe den Rest meines Lebens in einer verhassten ménage à trois.
Die Regenmäntel und Handschuhe, die wir zur Gartenarbeit benutzten, bewahrten wir in einem Küchenschrank neben der Hintertür auf. Laura hatte nur im Hausflur Licht brennen lassen, und ich hielt es für unklug, weitere Lampen einzuschalten. Im Halbdunkel kramte ich im Schrank nach meinem Regenmantel, fand ihn und zog ihn an. Er kam mir etwas eng vor, weil mein Körper so steif und verschwitzt war, doch gelang es mir, ihn zuzuknöpfen. Dann streifte ich die Handschuhe über, nahm eins unserer Küchenmesser mit und schlüpfte durch die Hintertür hinaus. Es war keine frostige Nacht, aber nasskalt, unwirtlich und feucht.
Ich ging durch den Garten, das Dorfsträßchen hinauf und in den Garten vor Brendas Cottage. Ich musste mich seitlich um das Haus herumtasten, weil nirgends Licht brannte. Doch das Küchenlicht war an und die hintere Tür nicht abgesperrt. Ich klopfte und trat einfach ein, ohne abzuwarten, dass mich jemand dazu aufforderte. In voller Abendmontur, mit Glitzerpulli, vergoldeter Halskette und langem Rock stand Brenda da und kochte sich ihr einsames Abendessen. Und plötzlich, zum allerersten Mal, als es schon nicht mehr darauf ankam, empfand ich Mitleid mit ihr. Da stand sie nun — eine attraktive, reiche, talentierte Frau mit dem Ruf einer Verführerin, und in Wirklichkeit hatte sie genauso wenig Menschen, die sie wirklich gern hatten, wie die alte Peggy Daley. Da stand sie, wie für eine Party herausgeputzt, in der Küche eines Cottage hinterm Mond und wärmte sich Spaghetti aus der Dose auf.
Sie drehte sich um und musterte mich furchtsam, aber wahrscheinlich nur, weil sie immer Angst hatte, wenn wir allein waren, ich würde ihr zu nahe kommen wollen.
«Du solltest doch im Bett bleiben!«, sagte sie, und dann:
«Wieso hast du denn diese Sachen an?« Ich gab ihr keine Antwort. Ich stach ihr wieder und wieder in die Brust. Sie ließ keinen Laut hören, nur ein leises ersticktes Stöhnen, brach zusammen und sank zu Boden. Obwohl ich schon gewusst hatte, wie es sich abspielen würde, es ja erhofft hatte, war der Schock doch groß, und da mir sowieso schon schummrig und komisch gewesen war, hätte ich mich am liebsten auch hingeworfen, die Augen zugemacht und geschlafen. Das war aber ausgeschlossen. Ich schaltete den Herd aus, vergewisserte mich, dass kein Blut auf meinen Hosen und Schuhen klebte, obwohl der Regenmantel voll damit war, und stolperte nach draußen, nicht ohne hinter mir das Licht auszuschalten.
Ich weiß nicht, wie ich den Weg zurück fand, so dunkel war es, und inzwischen war mir auch sehr schwindlig, und ich hatte heftiges Herzklopfen. Ich besaß noch genug Geistesgegenwart, den Regenmantel und die Handschuhe auszuziehen und beides in unseren Verbrennungsofen im Garten zu stecken. Am nächsten Morgen würde ich meine ganze Kraft zusammennehmen und die Sachen verbrennen müssen, bevor Brendas Leiche gefunden wurde. Das Messer wusch ich ab und legte es zurück in die Schublade.
Ich war gerade fünf Minuten im Bett, als Laura zurückkam. Sie war nicht einmal eine halbe Stunde weg gewesen. Ich drehte mich herum und schaffte es, mich aufzustützen und sie zu fragen, wieso sie schon so bald wieder da sei. Sie wirkte seltsam aufgeregt, fand ich.
«Was ist denn los?«, murmelte ich.»Hast du dir um mich Sorgen gemacht?« «Nein«, sagte sie,»nein. «Sie kam aber nicht näher oder legte mir die Hand auf die Stirn.»Es war bloß — lsabel Goldsmith sagte mir etwas — da habe ich mich aufgeregt – ich … Es hat keinen Zweck, jetzt darüber zu reden, wo du so krank bist. «In einem scharfen Tonfall, den ich bei ihr noch nie gehört hatte, sagte sie:»Kann ich dir irgendwas bringen?« «Ich will einfach bloß schlafen«, sagte ich.
«Ich schlafe dann im Gästezimmer. Gute Nacht.« Das war zwar recht vernünftig, doch hatten wir während unserer ganzen Ehe noch nie getrennt geschlafen, und sie konnte ja wohl kaum befürchten, dass sie sich bei mir ansteckte, schließlich hatte sie die Grippe gerade selbst überstanden. Ich war jedoch nicht imstande, mir darüber Gedanken zu machen, und verfiel in einen unruhigen Fieberschlaf voller Albträume. Einen dieser Träume weiß ich noch. Es ging darum, dass Laura selbst Brendas Leiche fand, eine nicht gerade abwegige Möglichkeit.
Sie fand sie allerdings nicht. Brendas Putzfrau fand sie.
Ich wusste, was passiert sein musste, weil ich von meinem Fenster aus das Polizeiauto heranfahren sah. Ungefähr eine Stunde später kam Laura herein, um mir zu sagen, was sie von Jack Williamson erfahren hatte.
«Es war bestimmt der gleiche Mann, der Peggy umgebracht hat«, sagte sie.
Es ging mir schon besser. Alles klappte gut.»Mein armer Liebling«, sagte ich,»dir muss schrecklich zumute sein, ihr wart ja so eng befreundet.« Sie sagte nichts. Sie zog mein Laken glatt und ging aus dem Zimmer. Ich wusste, dass ich aufstehen und den Inhalt des Ofens im Garten verbrennen musste, konnte aber nicht. Ich streckte meine Füße heraus und wollte den Boden berühren, doch mir war, als käme mir der Boden entgegen und würde mich zurückwerfen. Allzu große Sorgen machte ich mir allerdings nicht. Die Polizei würde denken, was Laura auch dachte, was bestimmt alle dachten.
Nachmittags kamen sie dann, ein Chief Inspector und ein Sergeant. Laura brachte sie in unser Schlafzimmer herauf, und sie sprachen mit uns beiden zusammen. Der Chief Inspector sagte, er habe gehört, wir seien mit der Toten eng befreundet gewesen, und wollte wissen, wann wir sie zum letzten Mal gesehen hatten und was wir am vorigen Abend gemacht hätten. Dann fragte er, ob wir eine Ahnung hätten, wer sie umgebracht haben könnte.
«Dieser Wahnsinnige natürlich, der die andere Frau ermordet hat«, sagte Laura.
«Ich sehe schon, Sie lesen keine Zeitung«, sagte er.
Normalerweise taten wir das. Ich las im Büro gewöhnlich eine Morgenzeitung und brachte eine Abendzeitung mit nach Hause. Doch ich war ja krank zu Hause gewesen. Wie sich herausstellte, war am Morgen des Vortags ein Mann wegen Mordes an Peggy Daley festgenommen worden. Vor Schreck zuckte ich zusammen, und sicher wurde ich auch blass. Den Polizisten schien es aber nicht aufzufallen. Sie dankten uns für unsere Mithilfe, entschuldigten sich für die Störung am Krankenbett und gingen. Als sie weg waren, fragte ich Laura, was lsabel denn zu ihr gesagt hatte, was sie am Abend zuvor so aufgeregt hatte. Sie kam zu mir herüber und legte die Arme um mich.
«Das ist jetzt egal«, sagte sie.»Die arme Brenda ist tot, auf eine schreckliche Art zu Tode gekommen, aber — hm, das klingt jetzt bestimmt sehr böse, aber — es tut mir nicht Leid. Schau mich nicht so an, Liebling. Ich liebe dich, und ich weiß, dass du mich liebst, und nun müssen wir sie vergessen und wieder so sein wie immer. Du weißt, was ich meine.« Das tat ich nicht, war jedoch froh, denn — was auch immer los gewesen war, es war vorbei. Ich hatte schon genug um die Ohren, auch ohne diese Kälte zwischen mir und meiner Frau. Obwohl Laura in jener Nacht neben mir lag, konnte ich wegen der Sachen im Verbrennungsofen kaum schlafen. Am nächsten Morgen bemühte ich mich nach Kräften, so zu tun, als ginge es mir schon viel besser.
Ich zog mich an und verkündete, Lauras Vorhaltungen zum Trotz, ich ginge in den Garten. Die Polizei war schon dort. Sie durchsuchte alle unsere Gärten und grub den von Brenda sogar um.
An dem Tag und auch an den darauf folgenden ließen sie mich in Ruhe, kamen aber einmal ins Haus, um Laura allein zu befragen. Als ich wissen wollte, was sie gesagt hätten, winkte sie bloß ab. Sie dachte vermutlich, es ginge mir noch nicht so gut, dass ich erfahren sollte, sie hätten sich nach meinen Aktivitäten und meinem Verhältnis zu Brenda erkundigt.
«Bloß eine Menge Routinefragen, Liebling«, sagte sie, doch ich war sicher, dass sie sich um mich ängstigte, und eine Barriere aus ihrer Angst um mich und meiner Angst um mich selbst erhob sich zwischen uns. Es scheint unglaublich, aber an jenem Sonntag sprachen wir kaum miteinander, und wenn wir es taten, wurde Brendas Name nicht erwähnt. Abends saßen wir schweigend da, ich hatte den Arm um Laura gelegt, ihr Kopf lag an meiner Schulter, und wir warteten, warteten …
Am Morgen kam die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl. Laura wurde ins Wohnzimmer gebeten, ich sollte im Arbeitszimmer warten. Da wusste ich, dass es nur noch eine Frage der Zeit war. Sie würden das Messer finden und natürlich Brendas Blut darauf entdecken. Ich hatte mich so krank gefühlt, als ich es sauber machte, dass ich mich nun nicht mehr erinnern konnte, ob ich es abgeschrubbt oder nur unter fließendem Wasser gespült hatte.
Nach langer Zeit kam der Chief Inspector allein herein.
«Sie sagten uns, Sie seien ein enger Freund von Miss Goring.« «Ich war locker mit ihr befreundet«, sagte ich und bemühte mich um eine feste Stimme.»Sie war die Freundin meiner Frau.« Er achtete nicht auf meine Bemerkung.»Sie haben uns nicht gesagt, dass Sie mit ihr auf vertrautem Fuße standen, ja dass Sie eine sexuelle Beziehung zu ihr unterhielten.« Nichts, was er hätte sagen können, hätte mich mehr überrascht.
«Das ist völliger Blödsinn!« «Ach ja? Wir haben es aus verlässlicher Quelle.« «Was für einer Quelle denn?«, wollte ich wissen.»Oder gehört das zu den Dingen, die Sie nicht sagen dürfen?« «Ich sehe kein Problem darin, es Ihnen zu sagen«, meinte er leichthin.»Miss Goring selbst hat zwei Freundinnen in London von dieser Tatsache unterrichtet.
Sie erzählte es auch einer Ihrer Nachbarinnen, die sie auf einer Party in Ihrem Hause kennen lernte. Man hat gesehen, dass Sie die Abende allein mit Miss Goring verbrachten, während Ihre Frau krank war, und eine unserer Zeuginnen hat Sie dabei beobachtet, wie sie ihr einen Gutenachtkuss gaben.« Da wusste ich, was lsabel Goldsmith zu Laura gesagt hatte und worüber sie sich so aufgeregt hatte. Welche Ironie, welche Ironie … Warum hatte ich, der ich Brendas Ruf und ihre Geschichten doch kannte, nicht geahnt, welche Schlüsse aus meiner vorgeblichen Freundschaft mit ihr gezogen werden würden? Hier war das Motiv, auf dessen Fehlen ich als letzte Ausflucht gebaut hatte. Es kommt ja vor, dass Männer ihre Liebhaberinnen umbringen, aus Eifersucht, aus Frustration, aus Angst vor Entdeckung.
Ich könnte Brendas Fantasien aber doch zu meinem eigenen Nutzen ummünzen!
«Sie hatte Dutzende von männlichen Freunden, Liebhaber, nennen Sie es, wie Sie wollen. Jeder von denen hätte sie umbringen können.« «Im Gegenteil«, versetzte der Chief Inspector, «abgesehen von ihrem Exmann, der sich in Australien aufhält, konnten wir keinen Mann in ihrem Leben ausfindig machen außer Ihnen.« «Ich habe sie nicht getötet!«, rief ich verzweifelt aus.
«Ich schwöre, ich hab’s nicht getan.« Er wirkte überrascht.»Ach, aber das wissen wir doch.« Zum ersten Mal nannte er mich Sir.»Das wissen wir, Sir.
Niemand klagt Sie wegen irgendetwas an. Wir haben Dr. Lawsons Aussage, dass Sie körperlich nicht in der Lage waren, in jener Nacht Ihr Bett zu verlassen, und der Regenmantel und die Handschuhe, die wir in Ihrem Verbrennungsofen fanden, gehören auch nicht Ihnen.« Das wankende Herumtasten im Dunkeln, die zu kurzen Ärmel des Regenmantels, das Spannen um die Schultern «Wieso hast du denn diese Sachen an?«, hatte sie gefragt, bevor ich sie erstochen hatte.
«Bitte versuchen Sie jetzt, ganz ruhig zu sein, Sir«, sagte er sehr sanft. Doch ich bin seither nie wieder ruhig gewesen. Ich habe immer wieder gestanden, habe schriftlich ausgesagt, Einspruch erhoben, habe getobt, bin mit ihnen in allen Einzelheiten durchgegangen, was ich in jener Nacht gemacht habe, habe geweint. Bei ihm sagte ich gar nichts, konnte ihn bloß fassungslos anstarren.
«Ich bin zu Ihnen gekommen, Sir«, sagte er,»um mir noch einen Sachverhalt bestätigen zu lassen, dessen wir uns schon sicher waren, und um Sie zu fragen, ob Sie Ihre Frau aufs Polizeirevier begleiten wollen, wo man sie des Mordes an Miss Brenda Goring anklagen wird.«