172632.fb2 Die bosen Geschichten der schwarzen Witwer - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 6

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Welche Miß?

Bei der allmonatlichen Zusammenkunft der Schwarzen Witwer herrschte eine gewisse Eiseskälte, die sich deutlich auf den von Mario Gonzalo mitgebrachten Gast konzentrierte. Er war ein beleibter Mann. Seine Wangen waren feist und glatt, sein Haar so gut wie nicht vorhanden, und er trug eine Jacke, wie man sie seit Menschengedenken bei den Schwarzen Witwern nicht gesehen hatte.

Er hieß Aloysius Gordon, und der Arger begann, als er sich mit Namen und Beruf vorstellte, indem er ganz zwanglos sagte, er gehöre dem 17. Polizeirevier an. Es war, als zöge man eine Jalousie gegen die Sonne herunter, denn sofort verlor das Bankett seinen Glanz.

Gordon hatte keine Möglichkeit, die nun herrschende Ruhe mit dem für die üblichen Mahlzeiten der Schwarzen Witwer charakteristischen Durcheinander zu vergleichen. Er konnte nicht wissen, wie ungewöhnlich es war, daß Emmanuel Rubin fast unnatürlich reserviert war und kein einziges Mal einem anderen widersprach; daß Geoffrey Avalon seinen zweiten Drink tatsächlich austrank; daß James Drake seine Zigarette ausdrückte, bevor er sie ganz zu Ende geraucht hatte.

Gordon schien sich jedoch nur für Henry zu interessieren. Er verfolgte den Kellner mit unverkennbar leuchtenden Augen. Henry, der gewöhnlich seine Arbeit untadelig besorgte, stieß zu aller Entsetzen ein Glas Wasser um. In seinem faltenlosen Gesicht schienen die Backenknochen hervorzutreten.

Trumbull erhob sich ziemlich ostentativ und begab sich in Richtung Herrentoilette. Seine Geste war unauffällig, aber deshalb nicht weniger dringlich, und bald darauf verließ auch Gonzalo die Tafel.

In der Toilette zischte Trumbull scharf: »Warum zum Teufel hast du diesen Kerl mitgebracht?«

»Er ist ein interessanter Bursche«, sagte Gonzalo zu seiner Verteidigung, »und es ist das Vorrecht des Gastgebers, mitzubringen, wen er will.«

»Er ist ein Polizeibeamter.«

»Ein Kriminalbeamter in Zivil.«

»Wo liegt da der Unterschied? Kennst du ihn, oder ist er beruflich hier?«

Gonzalo hob die Hände in einer Art hilflosem Arger. Seine dunklen Augen traten hervor, wie immer in leidenschaftlichen Momenten. »Ich kenne ihn persönlich. Ich traf ihn ... aber es geht dich nichts an, wie ich ihn kennengelernt habe, Tom. Ich kenne ihn. Er ist ein interessanter Mensch, und ich will ihn hier haben.«

»Ja? Was hast du ihm über Henry erzählt?«

»Was meinst du damit, was ich erzählt habe?«

»Ach, hör mal, spiel doch nicht den Ahnungslosen. Hast du nicht gesehen, wie der Mann jede Bewegung Henrys beobachtete? Weshalb sollte er einen Kellner studieren?«

»Ich erzählte ihm, daß Henry beim Rätsellösen eine Wucht ist.«

»Mit welchen Einzelheiten?«

»Gar keine Einzelheiten«, sagte Gonzalo hitzig. »Glaubst du denn, ich weiß nicht, daß nichts von dem, was im Bankettsaal vorgeht, draußen erwähnt werden darf? Ich sagte nur, Henry sei ein großartiger Rätsellöser.«

»Und das interessiert ihn, nehme ich an.«

»Nun, er sagte, er würde gern an einer unserer Zusammenkünfte teilnehmen, und ich ... «

»Bist du dir im klaren darüber, daß das für Henry sehr unangenehm sein könnte? Hast du ihn gefragt?«

Gonzalo spielte mit einem der Messingknöpfe an seiner Jacke. »Sollte ich sehen, daß Henry verlegen wird, nehme ich das Vorrecht des Gastgebers in Anspruch und breche die Sache ab.«

»Und wenn dieser Gordon nicht mitspielt?«

Gonzalo sah ihn unglücklich an und zog die Schultern hoch. Sie gingen zum Tisch zurück.

Als Henry den Kaffee eingoß und es Zeit wurde, den Gast zu befragen, hatte sich die Stimmung noch immer nicht gebessert. Gonzalo bot traditionsgemäß Trumbull die Rolle des Inquisitors an, und Trumbull schien nicht glücklich darüber.

Die traditionelle erste Frage wurde gestellt. »Mr. Gordon, wie rechtfertigen Sie Ihre Existenz?«

»Im Augenblick hoffentlich«, sagte Gordon mit ziemlich voller Baritonstimme, »indem ich zu dem Vergnügen dieser Zusammenkunft beitrage.«

»Auf welche Weise?« fragte Avalon mürrisch.

»Soviel ich verstehe«, sagte Gordon, »wird von Gästen erwartet, daß sie ein Problem aufwerfen, das die Klubmitglieder zu lösen versuchen.«

Trumbull warf Gonzalo einen wütenden Blick zu und sagte: »Nein, nein, das stimmt gar nicht. Manche Gäste haben Probleme gestellt, aber das war mehr oder minder nebensächlich. Es wird nur ein interessantes Gespräch mit ihnen erwartet.«

»Außerdem«, sagte Drake mit seiner trockenen Stimme, »ist es Henry, der für die Lösungen sorgt. Wir anderen reden nur albern um die Dinge herum.«

»Um Himmels willen, Jim«, begann Trumbull, aber Gordons Stimme übertönte ihn.

»Das ist genau das, was man mir zu verstehen gab«, sagte er. »Ich bin nun rein privat und nicht als Mitglied der Polizei hier. Dennoch kann ich nicht umhin, ein berufliches Interesse an der Sache zu haben. Ich bin wirklich verdammt neugierig, was Henry betrifft, und ich bin gekommen, ihn zu testen... das heißt, wenn ich darf«, fügte er in Beantwortung des eisigen Schweigens hinzu, in das sich die anderen hüllten.

Avalon runzelte die Stirn, und in seinem Gesicht mit dem gepflegten Schnurrbart, dem kurz gestutzten und schlichten Kinnbart und den sehr buschigen Brauen war ein Stirnrunzeln ein unheilverkündendes Phänomen.

Er sagte: »Mr. Gordon, wir sind hier in einem Privatklub, dessen Zusammenkünfte keinen anderen Zweck als gesellschaftliches Treffen haben. Henry ist unser Kellner, und wir schätzen ihn und wünschen nicht, daß er hier im Raum gestört wird. Wenn Ihre Anwesenheit, wie Sie sagen, rein privater und nicht beruflicher Art ist, halte ich es für das beste, wenn wir Henry sich selbst überlassen.«

Henry hatte soeben das Kaffeeritual beendet und mischte sich mit einer leisen Spur von Erregung in der Stimme ein; er sagte: »Danke, Mr. Avalon, ich bin Ihnen für Ihre Rücksicht verbunden. Es könnte jedoch vielleicht die Lage bessern, wenn ich Mr. Gordon etwas erkläre.«

Er wandte sich an den Gast und fuhr ernst fort: »Mr. Gordon, ich war in einem halben Dutzend Fällen imstande, bei Problemen, die sich bei den abendlichen Essen hier ergaben, den einen oder anderen augenfälligen Punkt zu erklären. Die Rätsel waren an sich unbedeutend und keineswegs von der Art, die einen Polizeibeamten interessieren würden. Ich weiß sehr wohl, daß für Kriminalisten bei der Lösung interessanter Fälle verbürgte Tatsachen, Gewährsleute, ziemlich umständliche Verfahrensarbeit, die Mitarbeit vieler verschiedener Menschen und Amter das Wichtigste sind. All das geht über meine Fähigkeiten hinaus.

Ich könnte tatsächlich nicht einmal das tun, was ich erreicht habe, wenn die anderen Klubmitglieder nicht wären. Die Schwarzen Witwer sind einfallsreiche Männer, die eine komplizierte Antwort auf jedes Problem finden können. Wenn sie alle damit fertig sind, und keine der komplizierten Antworten richtig ist, kann ich mich mitunter an den Komplikationen vorbei zu der einfachen Wahrheit schlängeln. Nur das tue ich, und ich versichere Ihnen, es ist nicht der Mühe wert, mich zu testen.«

Gordon nickte. »Mit anderen Worten, Henry, Sie könnten uns nicht helfen, wenn es sich um einen Mord im Gangstermilieu handelte, wenn wir ein halbes Dutzend Verbrecher ausfindig machen und deren Alibis prüfen oder Augenzeugen finden müßten, die keine Angst haben und uns erzählen, was sie gesehen haben?«

»Uberhaupt nicht, Sir.«

»Wenn ich aber ein Blatt Papier habe, auf dem einige Worte stehen, die einen Sinn haben können oder auch nicht und die etwas Nachdenken vorbei an den Komplikationen zu der einfachen Wahrheit erfordern, könnten Sie mir helfen.«

»Wahrscheinlich nicht, Sir.«

»Würden Sie sich aber das Papier ansehen und mir Ihre Ansicht darüber sagen?«

»Ist das ein Test, Sir?«

»Ich denke, wir können es so nennen«, sagte Gordon.

»Nun«, sagte Henry mit leisem Kopfschütteln, »Mr. Gonzalo ist der Gastgeber. Wenn er damit einverstanden ist, können Sie es den Klubregeln gemäß tun.«

Gonzalo wirkte verlegen. Dann sagte er trotzig: »Vorwärts, Lieutenant, zeigen Sie ihm das Blatt.«

»Einen Augenblick«, sagte Trumbull und wies auf Gonzalo.

»Hast du es gesehen, Mario?«

»Ja.«

»Kannst du dir daraus etwas zusammenreimen?«

»Nein«, sagte Gonzalo, »aber es ist etwas, mit dem Henry vielleicht fertig werden kann.«

Rubin sagte: »Ich finde, wir sollten Henry nicht in solche Verlegenheit bringen.«

Henry sagte jedoch: »Es ist das Vorrecht des Gastgebers. Ich bin bereit, es mir anzusehen.«

Gordon zog ein vierfach gefaltetes Blatt Papier aus seiner rechten oberen Jackentasche. Er hielt es über seine Schulter, und Henry nahm es. Er sah es einen Augenblick an, dann gab er es zurück.

»Tut mir leid, Sir«, sagte er, »aber ich kann darin nichts anderes sehen als das, was darauf steht.«

Drake streckte die Hand aus. »Wie wäre es, wenn wir es herumreichten? Sind Sie einverstanden, Mr. Gordon?«

»Ich bin damit einverstanden«, sagte Gordon. Er reichte das Blatt Halsted, der rechts von ihm saß. Halsted las es und gab es weiter. Es herrschte völlige Stille, bis das Blatt Papier die Runde gemacht hatte und wieder bei Gordon ankam. Gordon warf einen kurzen Blick darauf und steckte es wieder in die Tasche.

Die auf das Papier gekritzelte Nachricht lautete:

Weh euch, ihr Isebels.

Tod dir, Rahab.

»Das klingt biblisch«, sagte Gonzalo, »nicht wahr?« Er blickte automatisch auf Rubin, der Bibelfeste der Gruppe.

»Es klingt biblisch«, sagte Rubin, »und es mag von einem Bibelnarren geschrieben worden sein, aber es ist kein Bibelzitat. Darauf gebe ich mein Wort.«

»Niemand wird dein Wort über die Bibel in Frage stellen, Manny«, sagte Avalon freundlich.

Gordon sagte: »Diese Botschaft wurde einem Mädchen am Eingang zu einem Restaurant überreicht, in dem die Konkurrentinnen für den Titel der Miß Welt eine Pressekonferenz abhielten.«

»Wer hat sie übergeben?«

»Ein Vagabund. Man hatte ihm einen Dollar gegeben, damit er dem Mädchen die Botschaft aushändigte, und er konnte die Person, die sie ihm gegeben hatte, nicht beschreiben, außer daß es ein Mann war. Es gibt keinen Grund für die Annahme, daß der Vagabund mehr war als ein Mittelsmann. Wir haben ihn überprüft.«

»Irgendwelche Fingerabdrücke?« fragte Halsted.

»Jede Menge von übereinander geschmierten Abdrücken. Nichts Brauchbares.«

Avalon sagte mit ernstem Blick: »Ich nehme an, daß die in der Botschaft erwähnten Isebels sich auf die jungen Damen des Wettbewerbs Miß Welt beziehen.«

»Diese Annahme scheint mir richtig«, sagte Gordon. »Die Frage ist nur: welche?«

»Alle, würde ich sagen«, antwortete Avalon. »Die Botschaft verwendet die Mehrzahl, und wenn jemand die Bezeichnung in diesem Zusammenhang verwendet, macht er keine feinen Unterschiede. Jede, die sich vor den Blicken der Öffentlichkeit der Beurteilung darbietet, ist eine Isebel. Demnach sind alle Isebels.«

»Wie aber steht es mit der zweiten Zeile?« fragte Gordon.

Rubin sagte mit leiser Überheblichkeit: »Das will ich erklären. Angenommen, der Schreiber ist ein Bibelnarr, ich meine einer, der täglich die Bibel liest und Gott in sein Ohr flüstern hört, der ihm aufträgt, die Unmoral zu vernichten. So einer würde automatisch im biblischen Stil schreiben. Nun war zufällig der am meisten gebrauchte dichterische Kunstgriff in biblischer Zeit die Wiederholung desselben Satzes in leicht veränderter Form wie etwa ...« Er dachte ein wenig nach, dann sagte er: »Zum Beispiel >Wie stattlich sind deine Zelte, Jakob, und deine Hütten, Israel.< Eine andere ist >Hört, ihr Weisen, meine Rede, und ihr Verständigen, merkt auf mich!<«

Rubins schütterer Bart wurde noch schütterer, als seine Lippen sich zu einem breiten Lächeln öffneten und seine Augen durch die dicken Brillengläser leuchteten und er sagte: »Das zweite Zitat ist aus dem Buch Hiob.«

»Parallelismus«, murmelte Avalon.

Gordon sagte: »Sie meinen, er sagt bloß zweimal das Gleiche?«

»Genau«, sagte Rubin. »Zuerst sagt er Weh voraus und dann das äußerste Weh, den Tod. Zuerst nennt er sie Isebels, dann Rahabs.«

»Nicht ganz«, sagte Gordon. »>Isebel< steht in der Mehrzahl, >Rahab< nicht. Der Schreiber spricht von >Isebels<, Mehrzahl, wenn er >Weh< ruft, aber nur von >Rahab<, Einzahl, wenn er den >Tod< voraussagt.«

»Darf ich das Papier noch einmal sehen?« fragte Rubin. Man reichte es ihm, und er studierte es. Dann sagte er: »Nach der Art, wie der Mann schreibt, weiß ich nicht, ob wir eine richtige Orthographie voraussetzen dürfen. Vielleicht hatte er die Absicht, das >s< zu schreiben.«

»Das wäre möglich«, sagte Gordon, »aber darauf können wir uns nicht verlassen. Seine Orthographie und Interpunktion sind richtig, und ob gekritzelt oder nicht, das andere >s< ist klar und deutlich.«

»Mir scheint«, sagte Avalon, »es wäre eher anzunehmen, daß die Einzahl beabsichtigt war, es sei denn, wir hätten einen triftigen Grund dagegen.«

Drake versuchte einen Rauchring zu blasen — ein Versuch, dessen Erfolg noch nie jemand bei ihm beobachten konnte — und sagte: »Nehmen Sie diese Sache ernst, Gordon?«

»Meine Ansicht steht hier nicht zur Diskussion«, meinte Gordon. »Die Botschaft läßt auf etwas Psychotisches schließen, und ich bin ziemlich sicher, daß der Schreiber geisteskrank ist, außer er spielt einen albernen Streich. Und Geisteskranke muß man ernst nehmen. Angenommen, der Schreiber betrachtet sich als Sprecher für Gottes Zorn. Das verkündet er natürlich; er läßt Gottes Wort ertönen, denn das taten die biblischen Propheten.«

»Und er verkündet es in poetischer Form«, begann Halsted.

»Denn das taten die biblischen Propheten auch«, sagte Gordon und nickte. »Ein solcher Mann könnte vielleicht beschließen, außer Gottes Stimme auch Gottes Arm zu sein. Wir dürfen nichts riskieren. Sie begreifen, daß die Miß Welt-Konkurrenz eine heiklere Situation bietet als der Miß AmerikaWettbewerb.«

»Ich nehme an, weil es so viele ausländische Mädchen gibt«, sagte Rubin.

»Richtig. Insgesamt sind es etwa sechzig Konkurrentinnen, und genau eine — Miß USA — ist eine Einheimische. Wir möchten nicht, daß einer von ihnen etwas zustößt, auch nicht der kleinste Unfall. Ich will nicht sagen, daß es die Welt in eine Krise stürzen würde, wenn etwas passierte, aber das Außenministerium wäre sehr verärgert. Eine solche Botschaft bedeutet somit, daß die Polizei für alle sechzig Mädchen Schutz bieten muß, und wir haben heutzutage nicht so viel Personal zu vergeuden.«

»Erlauben Sie mal«, sagte Trumbull stirnrunzelnd. »Was zum Teufel erwarten Sie diesbezüglich von uns?«

»Es wäre möglich«, sagte Gordon, »daß er nicht beabsichtigt, alle Mädchen zu töten. Vielleicht hat er es nur auf eine abgesehen, deshalb verwendet er die Einzahl, wenn er von Tod spricht. Vielleicht hätte Henry einen Vorschlag, wie wir die Sache eingrenzen könnten. Wir würden uns lieber auf zehn Mädchen konzentrieren als auf sechzig. Am liebsten natürlich nur auf eines.«

»Auf diese Botschaft hin?« sagte Trumbull mit ganz offensichtlichem Ärger. »Sie wollen, daß Henry auf Grund dieser Botschaft eine bestimmte Konkurrentin für den Titel Miß Welt herausfindet?«

Er wandte seinen Blick zu Henry, der nun sagte: »Ich habe keine Ahnung, Mr. Trumbull.«

Gordon steckte das Papier wieder ein. »Ich dachte, Sie können mir vielleicht sagen, wer Rahab ist. Warum sollte er ein bestimmtes Mädchen Rahab nennen und drohen, es zu töten?«

Gonzalo sagte plötzlich: »Warum sollten wir annehmen, daß sich Rahab auf das Mädchen bezieht, auf das er es abgesehen hat? Vielleicht ist es seine Unterschrift. Vielleicht ist es ein Pseudonym, das er verwendet, weil Rahab ein bedeutender Prophet oder Scharfrichter in der Bibel war.«

Rubin schnaubte vernehmlich: »Junge, Junge! Mario, wie kann selbst ein Künstler so wenig wissen? >Rahab< gehört zu der Zeile. Wäre es eine Unterschrift, würde es darunter stehen. Wenn er der Mann ist, der Gottes Zorn in der Öffentlichkeit herabbeschwören will, würde er stolz und unmißverständlich unterschreiben — wenn er es überhaupt täte. Und wenn er es täte, würde er niemals das Pseudonym Rahab verwenden, wenn er eine Ahnung von der Bibel hätte. Rahab war... Nein, ich werde euch etwas sagen. Henry, bitte bringen Sie uns doch die Bibel vom Bücherbord!«

»Du meinst, du kannst die Bibel nicht auswendig?« fragte Trumbull.

»Dann und wann fehlt mir ein Wort, Tom«, sagte Rubin von oben herab.

Er nahm Henry die Bibel aus der Hand. »Danke, Henry. Nun, die einzige Person namens Rahab in der Bibel war eine Hure.«

»Wirklich?« sagte Gonzalo ungläubig.

»Genau. Hier steht es — der erste Vers des zweiten Kapitels im Buch Josua: >Josua aber, der Sohn Nuns, hatte heimlich zwei Kundschafter ausgesandt und ihnen gesagt: »Gehet hin, besehet das Land und Jericho.« Die gingen hin und kamen in das Haus einer Hure, die hieß Rahab, und sie kehrten bei ihr ein.<«

»Und das gehört zu dem Parallelismus«, sagte Avalon nachdenklich. »Meinst du das?«

»Natürlich. Und deshalb glaube ich, daß beide, >Isebel< und >Rahab<, sich auf alle Mädchen beziehen und in der Mehrzahl stehen sollten. Isebel und Rahab gelten stellvertretend für unmoralische Frauen, und meiner Ansicht nach betrachtet der Schreiber der Botschaft, wer immer er sein mag, alle Miß-Welt-Konkurrentinnen als genau das.«

»Sind sie es?« fragte Gonzalo. »Ich meine, unmoralisch.«

Gordon lächelte sanft. »Für ihr Privatleben kann ich nicht garantieren, ich glaube aber nicht, daß sie irgendwelche Rekorde in Unmoral aufstellen. Es sind junge Frauen, die dazu auserwählt sind, ihr Land zu vertreten. Ich bezweifle, daß irgend etwas wirklich Berüchtigtes von den Preisrichtern übersehen würde.«

Avalon sagte: »Wenn ein Fundamentalist, der ein wenig übergeschnappt ist, von Unmoral redet oder anfängt, jemanden Isebel zu nennen, so muß es sich meiner Meinung nach nicht um wirkliche Unmoral handeln. Es ist wahrscheinlich rein subjektiv. Jede Frau, die sexuelle Erregung in ihm hervorruft, wird ihm unmoralisch erscheinen, und jene, die es am stärksten tut, wird ihm als die unmoralischste erscheinen.«

»Sie meinen«, sagte Gordon, indem er seinen Blick auf Avalon richtete, »daß er es auf die Schönste abgesehen hat und sie töten will?«

Avalon zog die Schultern hoch. »Was ist Schönheit? Er kann es auf die abgesehen haben, die er für die Schönste hält, aber wonach beurteilt er das? Es könnte jene sein, die ihn an seine tote Mutter erinnert, an seine Jugendliebe oder an eine seiner Lehrerinnen. Wie können wir das wissen?«

»Schon gut«, sagte Gordon. »Sie mögen mit allem recht haben, was Sie sagen, aber es spielt keine Rolle. Sagen Sie mir, auf wen er es abgesehen hat, sagen Sie mir, wer Rahab ist; nachher können wir uns über Motive Gedanken machen.«

Avalon schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob wir das Motiv so leicht übergehen können. Jedenfalls werden wir nirgendwohin kommen, wenn wir den falschen Weg einschlagen. Trotz Mannys Erklärungen glaube ich nicht, daß es irgendeinen Parallelismus zwischen Isebel und Rahab gibt.«

»Doch, den gibt es sicher«, sagte Rubin sofort mit vorgestrecktem Kinn.

»Worin liegt er? Erstens war Isebel keine Hure. Sie war die Königin von Israel, und es gibt in der Bibel keinen Hinweis darauf, daß sie in irgendeiner Weise unmoralisch war. Sie war lediglich eine Götzenanbeterin und bekämpfte die Anhänger Jehovas, das heißt jene, die Jehova anbeteten.«

Rubin sagte: »Wenn du willst, werde ich es dir erklären. Isebel war die Tochter des Königs von Tyros, der auch Priester der Astarte war. Wahrscheinlich war sie selbst eine Priesterin. Was Rahab anlagt, sie war wahrscheinlich keine gewöhnliche Hure, sondern eine Priesterin, die an Fruchtbarkeitsriten teilnahm. Für die Israeliten galt das aber als Hure.«

Halsted sagte: »Nicht jeder hat sich so eingehend mit der Bibel beschäftigt wie du, Manny. Die Bibel nennt Isebel eine Königin und Rahab eine Hure, und der Durchschnittsleser läßt es dabei bewenden.«

»Das ist es aber nicht, worauf ich hinaus will«, sagte Avalon. »Isebel nahm, was immer sie war, ein schlechtes Ende. Sie starb bei einer Palastrevolution und wurde von den Hunden gefressen. Rahab dagegen hatte ein gutes Ende. Sie wurde nach dem Fall von Jericho gerettet, weil sie Spione versteckt und in Sicherheit gehalten hatte. Es ist anzunehmen, daß sie zur Verehrung des Gottes Israels bekehrt wurde und nicht länger eine Hure oder eine heidnische Priesterin war. Tatsächlich ... Manny, gib mir doch mal die Bibel!«

Avalon nahm sie und blätterte eilig darin. »Es steht am Beginn des Evangeliums von Matthäus. Da steht: >Und Sama zeugte Boas von der Rahab; Boas zeugte Obed von der Ruth; und Obed zeugte Jesse. Jesse zeugte den König David. < Das ist der fünfte und sechste Vers des ersten Kapitels des MatthäusEvangeliums. Demnach heiratete Rahab einen hervorragenden Israeliten und wurde die Urgroßmutter König Davids und damit eine entfernte Ahne von Jesus selbst. Nachdem Rahab den Israeliten zur Eroberung Jerichos verholfen, einen Israeliten geheiratet hatte und die Urahne von David und Jesus war, konnte sie unmöglich von irgendeinem Fundamentalisten als Symbol der Unmoral benutzt werden.«

Die Bibel ging von Hand zu Hand, und Halsted sagte: »Der Name ist nicht überall gleich geschrieben. Bei Matthäus heißt es >Rachab<.«

Avalon sagte: »Das Neue Testament wurde aus dem Griechischen, das Alte aus dem Hebräischen übersetzt. Die Transkriptionen stimmen nicht überein. In der eben vorgelesenen Stelle entspricht >Boos< dem >Boas< im Alten Testament, Buch Ruth.«

»Außerdem«, sagte Rubin, »ist in diesem Fall >Rachab< der korrekten Orthographie näher.«

»Wenn wir also Rahab mit einer der Konkurrentinnen für den Titel der Miß Welt in Verbindung bringen wollen«, sagte Avalon, »so müssen wir von dem Gedanken des Parallelismus mit Isebel abgehen und etwas anderes suchen.«

»Aber was?« fragte Drake.

»Keine Sorge.« Avalon hob mahnend den Finger. »Mir ist da etwas eingefallen. Manny, wird >Rahab< in der Bibel nicht als dichterischer Ausdruck für Ägypten verwendet?«

Rubin sagte erregt: »Ja, du hast recht. Es ist nicht dasselbe Wort auf Hebräisch. Der Mittelbuchstabe ist ein >h<. Dennoch ist es auf Englisch das gleiche Wort. Es wird gewöhnlich mit >Stolz< oder >Macht< übersetzt oder so etwas Ähnlichem, aber an einer Stelle bleibt es unübersetzt... ich glaube, irgendwo in den Psalmen.«

Er blätterte und murmelte: »Wenn ich nur ein Bibellexikon hätte. Das müßte der Klub noch kaufen und ins Bücherbord stellen.« Dann erhob sich seine Stimme zu einem Schrei, und er sagte: »Hier ist es, bei Gott! Der vierte Vers des 87. Psalms: >Ich will predigen lassen Rahab und Babel, daß sie mich kennen sollen: siehe die Philister und Tyrer samt den Mohren werden daselbst geboren.««

»Woher weißt du, daß >Rahab< dort Ägypten bedeutet?« fragte Gonzalo.

»Weil im ganzen Alten Testament die Mächte des Tigris-Euphrattales und des Nils die rivalisierenden Großmächte waren. Babel bedeutet klarerweise die erste, darum muß Rahab für die letztere stehen. Darüber gibt es keinen Zweifel. Die Bibelforscher sind sich einig, daß dort >Rahab< für Ägypten steht.«

»Nun, dann glaube ich nicht«, sagte Avalon, »daß wir auf Henry zurückgreifen müssen. Ich nehme an,  daß es die Miß Ägypten ist, auf die unser geheimnisvoller Freund es abgesehen hat. Und das ist auch plausibel. In unserer Stadt leben etwa zwei Millionen Juden, und angesichts der derzeitigen Lage zwischen Israel und Ägypten könnte sich einer, der geistig ein wenig verwirrt ist, berufen fühlen, Miß Ägypten zu bedrohen.«

»Ein interessanter Gedanke«, sagte Gordon. »Nur ist da ein Haken.«

»Welcher denn?«

»Daß keine Miß Ägypten hier ist. Sie verstehen, die Konkurrenz für den Titel einer Miß Welt ist nicht so festgelegt wie die Miß AmerikaKonkurrenz. Da nimmt aus jedem der Staaten eine Bewerberin teil, denn die Außenpolitik hat damit nichts zu schaffen. Länder, die den Vereinigten Staaten feindlich gesinnt sind oder Schönheitswettbewerbe als dekadent betrachten, nehmen an der Miß Welt-Konkurrenz nicht teil. In diesem Jahr ist kein arabisches Land hier vertreten. Andererseits sind manche Länder durch mehr als eine Bewerberin, unter verschiedenen Namen, vertreten. Soviel ich weiß, waren vor einigen Jahren zwei deutsche Schönheiten hier. Miß Deutschland gewann den ersten und Miß Bayern den zweiten Preis.«

Avalon sah entschieden verärgert aus. »Wenn • • keine Miß Ägypten hier ist, dann weiß ich nicht, was >Rahab< bedeuten soll.«

»Was bedeutet es in der Bibel?« fragte Gonzalo.

»Warum gibt man Ägypten diesen Namen? Es muß doch einen Grund haben.«

»Nun ja«, sagte Rubin, »Ägypten war ein Königreich mit einem großen Fluß, und Rahab war mit den Wassern verbunden. Tatsächlich war es ein mythologisches Überbleibsel eines vor-israelischen Schöpfungsmythos. Das Land wurde von den Sumerern als aus der See geschaffen betrachtet. Sie stellten sich die See als gewaltiges Ungeheuer vor, das sie Tiamat nannten; es mußte sich gespalten haben, so daß das Land zwischen den beiden Hälften zum Vorschein kam. In der babylonischen Mythologie war es Marduk, der Tiamat tötete.

Die priesterlichen Schreiber des Ersten Buchs der Genesis merzten die babylonischen Mythen aus und beseitigten die Vielgötterei, hinterließen aber Spuren. Vor dem ersten Schöpfungstag, am Anfang, laut Kapitel 1, Vers 2 der Genesis: >Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe. Und der Geist Gottes schwebte auf den Wassern. < Nun, das als »die Tiefe< übersetzte hebräische Wort ist >tehom<, und manche Kommentatoren halten es für eine Form von Tiamat und glauben, daß dieser Vers alles ist, was von dem kosmischen Kampf übriggeblieben ist.«

»Das ist ziemlich weit hergeholt«, sagte Drake.

»Ich weiß nicht. Es gibt gelegentlich Verse in der Bibel, die sich auf den früheren und weniger gekünstelten Schöpfungsmythos beziehen. Es steht irgendwo gegen Ende des Buchs Jesajah... Wenn ich es finde; früher habe ich all diese Stellen gekannt.«

Er blätterte fieberhaft vor und zurück, wobei er das Cognacglas übersah, das ihm Henry hingestellt hatte. Gordon trank von seinem Cognac und sah ruhig zu. Er machte keinen Versuch, Rubin aufzuhalten oder das Gespräch wieder auf die Sache zu bringen.

Dann sagte Trumbull: »Bringt uns das denn irgendwie weiter?«

Aber Rubin winkte aufgeregt: »Ich habe es. Hört zu: >Jesajah, Kapitel 51, Vers 9; Wohlauf, wohlauf, du Arm des Herrn! Wohlauf, wie vor Zeiten, von alters her! Bist du nicht, der Rahab ausgehauen und den Drachen verwundet hat?< Seht ihr, >Rahab ausgehauen< und >den Drachen verwundet< ist wieder ein Beispiel für Parallelismus. Rahab und der Drachen waren abwechselnde Bezeichnungen, welche den tobenden Ozean symbolisieren, der überwunden und gespalten werden muß, ehe trockenes Land geformt werden kann. Manche Kommentatoren bleiben dabei, daß sich dies auf Ägypten und die Teilung des Roten Meeres beziehe, aber meiner Ansicht nach ist es sicher eine Version des Kampfes mit Tiamat.«

Schweiß stand auf Rubins Stirn, er gebot mit der linken Hand Schweigen, während er mit der rechten weiterblätterte. »Es gibt auch in den Psalmen Hinweise darauf. Ich werde sie finden, wenn ihr mir ein wenig Zeit gebt. Ah, Psalm 89, die Verse 9 und 10: >Du herrschest über das ungestüme Meer, du stillest seine Wellen, wenn sie sich erheben. Du schlugest Rahab zu Tod.< Und dann noch einmal, Psalm 74, die Verse 13 und 14: >Du zertrennest das Meer durch deine Kraft und zerbrichst die Köpfe der Drachen im Wasser. Du zerschlägst die Köpfe des Leviathans.< Leviathan war ein anderer Name für den urzeitlichen Ozean.«

Trumbull rief: »Zum Teufel, Manny, du bist doch kein Erweckungsprediger mehr? Wo soll uns das alles hinführen?«

Rubin blickte empört hoch und schlug die Bibel zu. »Wenn du mich etwas sagen ließest, Tom«, sagte er mit übertriebener Würde, »und deinen Drang zu schreien etwas zügeltest, würde ich es dir verraten.«

Er blickte sich triumphierend um. »Ich halte es nun für wahrscheinlich, daß für den Schreiber dieser Botschaft Rahab die wütende Macht der See bedeutete. Was ist nun heute die wütende Macht der See? Wer gebietet über die See? Die Vereinigten Staaten. Mit unseren Flugzeugträgern, unseren Atom- und Unterseebooten, unseren Raketen besitzen wir die Macht Rahabs. Ich glaube, er hat es auf Miß USA abgesehen.«

»So?« sagte Halsted. »Die Vereinigten Staaten sind erst seit dem letzten Krieg die dominierende Seemacht. Sie hatten noch keine Zeit, in die Geschichte einzugehen. In Lied und Legende herrscht Großbritannien über die See. >Britannia rules the waves.< Ich stimme für Miß Großbritannien.«

»Es gibt keine Miß Großbritannien«, warf Gordon ein. »Wohl aber eine Miß England.«

Drake sagte: »Es ist unmöglich, sich in diesen Narren hinein zu versetzen. Vielleicht hat er den Namen bloß verwendet, um seine Vorgangsweise anzuzeigen. Rubin sagte »zerbrichst die Köpfe< und »schlägst zu Tod<, als er die Verse vorlas. Vielleicht meinte der Schreiber, er werde ein stumpfes Werkzeug verwenden.«

Rubin schüttelte den Kopf. »In einem der Verse heißt es »der Rahab ausgehauen<«.

Gonzalo sagte: »Wenn Rahab der Erzgegner Gottes ist, dann meint der Schreiber vielleicht die Nazis. Jeff sagte, der Schreiber könnte Jude sein und es auf Miß Ägypten abgesehen haben; warum nicht auf Miß Deutschland?«

Trumbull sagte: »Weshalb muß der Schreiber Jude sein? Die meisten Fundamentalisten sind Protestanten, und die hatten zu ihrer Zeit einige ganz nette Bezeichnungen für den Papst. Für manche von ihnen war er die »Babylonische Hure<, und Rahab war eine Hure. Ich glaube nicht, daß es eine Miß Vatikanstadt gibt, aber wie wäre es mit Miß Italien?«

Henry sagte: »Ich bitte um Entschuldigung, meine Herren.«

Gordon blickte hoch. »Ah, Henry, Sie haben einen Vorschlag?«

»Ja, Sir. Ich weiß nicht, ob er nützlich ist oder nicht. Mr. Gordon, Sie sagten, daß die Regeln für die Miß Welt-Konkurrenz ziemlich elastisch sind, was die vertretenen Länder betrifft. Einige Länder haben keine Vertreterinnen, manche haben deren zwei oder mehr unter verschiedenen Namen. Sie erwähnten zum Beispiel eine Miß Deutschland und eine Miß Bayern.«

»Das ist richtig«, sagte Gordon.

»Und Sie sagten, es gebe keine Miß Großbritannien, wohl aber eine Miß England.«

»Auch das ist richtig«, sagte Gordon.

»Bedeutet die Anwesenheit von Miß England, daß es auch eine Miß Wales hier gibt?«

»Ja, die gibt es.« Gordon kniff die Augen zusammen. »Und auch eine Miß Irland und eine Miß Nord-Irland.«

Gonzalo legte beide Hände vor sich auf den Tisch. »Ich wette, ich weiß, worauf Henry hinaus will. Wenn der Schreiber der Botschaft Ire ist, hat er es vermutlich auf Miß Nord-Irland abgesehen. Er würde sie als Vertreterin einer politischen Partei betrachten, die eine englische Marionette ist, und England herrscht über die Wasser und ist Rahab.«

Henry schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß es so kompliziert ist. Ich bin immer der Ansicht, daß, wenn alle Dinge gleichwertig sind, die einfachste Erklärung die beste ist. Ich muß zugeben, daß ich von Rahab noch nie gehört habe, aber Mr. Rubins Erklärung war sehr aufschlußreich. Wenn Rahab ein Ungeheuer ist, das die See bedeutet, und wenn das Ungeheuer auch Leviathan genannt wird, und wenn Leviathan manchmal als Name für ein wirkliches Seeungeheuer verwendet wird, für das größte, das es gibt, warum sollte sich der Schreiber nicht auf Miß Wales beziehen?«

»Ah«, sagte Gordon.

Henry wandte sich zu ihm. »War das die Antwort, Mr. Gordon?«

»Es ist eine Möglichkeit«, sagte Gordon ernst.

»Nein, Mr. Gordon«, sagte Henry, »Sie wissen es doch besser. Sie sind hierher gekommen, um mich zu testen. Wie können Sie mich mit einem Rätsel testen, dessen Lösung Sie nicht kennen?«

Gordon begann zu lachen. »Sie haben wieder gewonnen, Henry«, sagte er. »Tatsächlich war alles, was ich Ihnen erzählt habe, wahr, nur hat es sich im vorigen Jahr ereignet. Der fragliche Mann ist festgenommen worden. Er hatte ein Messer in der Hand, war aber nicht wirklich gefährlich. Er ergab sich ruhig und ist nun in einer Irrenanstalt. Er dachte völlig unlogisch. Wir konnten sein Motiv nie erfahren, außer daß er davon überzeugt war, daß sein Opfer besonders böse war.

Das Schlimme war«, fuhr Gordon fort, »daß wir sehr viele Beamte einsetzen mußten und nicht herausfanden, was Rahab bedeutete... Aber als wir ihn verhafteten, war er auf dem Weg zum Ankleideraum von Miß Wales. Wir hätten Sie im vorigen Jahr dabei haben sollen, Henry. Sie sind ein hervorragender Detektiv.«

»Die Schwarzen Witwer sind es; sie untersuchen das Problem; ich nehme nur auf, was übrig bleibt«, sagte Henry.

Anmerkung

Die Geschichte erschien zuerst in der Septemberausgabe 1973 von EQMM unter dem Titel >Eine Warnung für Miß Welt<, der mir einfach nicht gefällt. Zurück zu >Welche Miß?<.

Ich erinnere mich nicht immer genau an die Entstehung einer bestimmten Geschichte, aber an diese erinnere ich mich. Mrs. Anita Sommer, Mitarbeiterin des Feuilletons in der >New York Post< und Science Fiction-Autorin, lud mich zu einer Cocktail-Party ein, die für die Konkurrentinnen um den Titel einer Miß Universum gegeben wurde.

Ich habe mich natürlich gefreut, ging hin und wanderte geblendet und fröhlich von einer Konkurrentin zur anderen. Anita, der mein aufrichtiges Vergnügen gefiel, fragte mich: »Wirst du darüber eine Geschichte schreiben, Isaac?«

Ich sagte ja. Und schrieb sie. Deshalb ist diese Geschichte Anita Sommer gewidmet.