172632.fb2 Die bosen Geschichten der schwarzen Witwer - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

Die bosen Geschichten der schwarzen Witwer - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

Geh, Brieflein, geh!

»Meine Frau hat schon wieder einen Stier gekauft!« sagte Emmanuel Rubin, wobei sein spärlicher Kinnbart vor Empörung zitterte.

Gespräche über Frauen und insbesondere über Ehefrauen waren bei den betont männlichen monatlichen Zusammenkünften der absichtlich so genannten > Schwarzen Witwen< verpönt, aber Gewohnheiten sind zählebig. Mario Gonzalo, der eine Skizze des Gastes der Zusammenkunft anfertigte, sagte: »In deiner Mini-Wohnung?«

»Es ist eine tadellose Wohnung«, sagte Rubin empört, »sie wirkt nur klein. Und sie würde nicht so klein wirken, wenn Jane sie nicht mit Stieren aus Holz, Porzellan, Keramik, Bronze und Filz vollstopfte. Sie hat welche von zwei bis zu dreißig Zentimeter Länge, an der Wand, auf den Regalen, auf dem Fußboden und von der Decke hängend ...«

Avalon sagte, wobei er langsam seinen Drink im Glas drehte: »Ich nehme an, sie braucht Symbole von Männlichkeit.«

»Wenn sie mich hat?« sagte Rubin.

»Weil sie dich hat«, sagte Gonzalo und nahm den Drink, den ihm der unersetzliche Dauerkellner der Schwarzen Witwer, Henry, aufdrängte - dann eilte er zu seinem Platz, um Rubins explosiver Antwort auszuweichen.

Thomas Trumbull sagte mit böse gerunzelter Stirn: »Hoffentlich haben Sie bemerkt, Henry, daß ich heute frühzeitig kam, obwohl ich nicht Gastgeber bin.«

»Ich habe es bemerkt, Mr. Trumbull«, sagte Henry mit freundlichem Lächeln.

»Dann hätten Sie die Tatsache nach dem, was Sie das letztemal über mich sagten, zumindest öffentlich billigen können.«

»Ich billige sie, Sir, aber es wäre falsch, ein akutes Problem daraus zu machen. Es würde den Eindruck erwecken, als falle es Ihnen schwer, rechtzeitig zu kommen, und es würde keiner erwarten, daß Sie dieses Kunststück das nächstemal wiederholen. Wenn wir alle darüber hinweggehen, wird es scheinen, als hielten wir es für selbstverständlich, daß Sie es schaffen können, und dann können Sie es ohne Schwierigkeit wiederholen.«

»Geben Sie mir einen Scotch und Soda, Henry, und verschonen Sie mich mit der Dialektik.«

Tatsächlich war Rubin der Gastgeber, und sein Gast war einer seiner Verleger, ein glattrasierter Herr mit rundem Gesicht und gutmütigem Lächeln. Er hieß Roland Klein.

Wie den meisten Gästen fiel es ihm anfänglich schwer, in das Gesprächskarussell einzusteigen, und schließlich machte er einen Sprung in Richtung zu dem einzigen Mann an der Tafel, den er kannte.

»Sagtest du eben, Manny«, fragte er, »daß Jane wieder einen Stier gekauft hat?«

»Richtig«, sagte Rubin. »Eigentlich eine Kuh, denn sie sitzt auf einer Mondsichel, aber mit Sicherheit läßt es sich nicht sagen. Die Hersteller dieser Dinge achten selten auf anatomische Einzelheiten.«

Avalon, der sein Eßbesteck fachmännisch an dem gefüllten Kälberbraten handhabte, unterbrach seine Arbeit und sagte: »Sammlerwut ist etwas, das fast jeden Menschen mit Mußezeit befällt. Sie bringt viel Freude: die Erregung bei der Suche, das Entzücken bei der Erwerbung, Ergötzung bei späterer Betrachtung. Das kann man mit allem tun. Ich selbst sammle Briefmarken.«

»Das Schlimmste, was man sammeln kann«, sagte Rubin sofort. »Westentaschenländer bringen bewußt Ausgaben heraus, um hohe Preise zu erreichen. Irrtümer, Fehldrucke und dergleichen schaffen falsche Werte. Das Ganze liegt in den Händen von Unternehmern und Finanzleuten. Wenn einer schon sammeln muß, sollte er Dinge ohne Wert sammeln.«

Gonzalo sagte: »Einer meiner Freunde sammelt seine eigenen Bücher. Bisher hat er einhundertachtzehn veröffentlicht und beschafft sich sorgsam Exemplare von jeder Ausgabe in Amerika und im Ausland. Er hat ein ganzes Zimmer voll davon und sagt, er sei der einzige Mensch in der Welt mit einer vollständigen Sammlung seiner Werke, was später einmal eine Riesensumme wert sein wird.«

»Nach seinem Tod«, sagte Drake kurz.

»Ich glaube, er plant, seinen Tod vorzutäuschen, die Sammlung für eine Million Dollar zu verkaufen, dann wieder ins Leben zurückzukehren und unter einem Pseudonym weiterzuschreiben.«

An diesem Punkt mischte sich Klein wieder ins Gespräch. »Gestern lernte ich einen Mann kennen«, sagte er, »der Streichholzbriefchen sammelt.«

»Die habe ich auch als Kind gesammelt«, sagte Gonzalo. »Ich suchte überall an den Randsteinen und in den Gassen danach... «

Plötzlich erhob jedoch Trumbull, der ungewöhnlich schweigsam gegessen hatte, seine Stimme und rief: »Verdammt noch mal, ihr Haufen Dampfplauderer, unser Gast hat etwas gesagt. Mr.... äh ... Klein, wovon sprachen Sie?«

Klein antwortete erstaunt: »Ich sagte, gestern lernte ich einen Mann kennen, der Streichholzbriefe sammelt.«

»Das könnte interessant sein«, sagte Halsted freundlich, »wenn... «

»Sei still!« schrie Trumbull, »das möchte ich hören!« Sein faltiges, gebräuntes Gesicht wandte sich Klein zu. »Wie heißt der Mann? Der Sammler?«

»Ich erinnere mich nicht genau«, sagte Klein. »Ich traf ihn gestern beim Mittagessen, hatte ihn nie zuvor gesehen. Wir waren sechs bei Tisch, und er kam auf seine Streichholzbriefe zu sprechen. Wissen Sie, zuerst hielt ich ihn für verrückt, aber als er fertig war, beschloß ich, selbst eine Sammlung zu beginnen.«

»Hatte er einen angegrauten Backenbart mit rötlichem Einschlag?« fragte Trumbull.

»Ja, tatsächlich. Kennen Sie ihn?«

»Hmm«, sagte Trumbull. »Hör mal, Manny, du bist der Gastgeber, und ich möchte deine Vorrechte nicht schmälern... «

»Wirst es aber tun«, sagte Rubin. »Meinst du das?«

»Nein, verdammt, das werde ich nicht«, sagte Trumbull hitzig. »Ich ersuche dich um deine Einwilligung. Ich möchte, daß unser Gast uns alles über sein gestriges Mittagessen mit dem Streichholzsammler erzählt.«

»Du meinst, statt ihn ins Kreuzverhör zu nehmen? Derlei tun wir ja nicht mehr!«

»Es könnte wichtig sein.«

Rubin überlegte, dann sagte er mit enttäuschter Miene: »Gut, aber nach dem Dessert... Was gibt es heute zum Nachtisch, Henry?«

»Weinschaumcreme Zabaglione, Sir, wie es zu unserem heutigen italienischen Menü paßt.«

»Kalorien, Kalorien«, stöhnte Avalon leise.

Halsteds Löffel klirrte beim Umrühren des Zuckers in seinem Kaffee, da er bewußt Rubins entschiedene Aussage ignorierte, daß wer irgend etwas zu gutem Kaffee hinzufüge, ein Barbar sei. Er sagte: »Wollen wir nun Tom willfahren und unseren Gast bitten, uns von den Streichholzbrieflein zu erzählen?«

Klein sah über den Tisch hinüber und sagte leise lachend: »Mir ist es recht, ich weiß aber nicht, ob es interessant ist... »

»Ich sage, es tat interessant«, sagte Trumbull.

»Also gut, einverstanden. Ich begann das Ganze völlig zufällig. Wir waren im >Cock and Bull< in der 53. Straße ...«

»Jane wollte unbedingt einmal dort essen, wegen des Stiers im Namen«, sagte Rubin. »Es war nicht besonders.«

»Ich bring dich noch um, Manny«, sagte Trumbull. »Was soll das ewige Gerede heute über deine Frau? Wenn sie dir fehlt, geh heim!«

»Du bist der einzige Mann, den ich kenne, Tom, in dessen Anwesenheit einem die eigene Frau abgehen könnte.«

»Bitte, fahren Sie fort, Mr. Klein«, sagte Trumbull.

Klein setzte wieder an. »Gut. Ich begann es, wie gesagt, indem ich eine Zigarette anzündete, während wir auf die Speisekarte warteten, und dann wurde mir unbehaglich. Ich weiß nicht, wieso es kommt, aber es scheint heute viel weniger beim Essen geraucht zu werden. Hier am Tisch zum Beispiel ist Mr. Drake der einzige, der raucht. Ich nehme an, es macht ihm nichts aus ...«

»Richtig«, murmelte Drake.

»Mir schon, darum drückte ich die Zigarette nach einigen Zügen aus. Ich war aber verlegen und spielte mit dem Streichholzbrief, mit dem ich die Zigarette angezündet hatte, wissen Sie, so eines, wie es die Restaurants auf alle Tische legen.«

»Als Eigenreklame«, sagte Drake, »ja.«

»Und der Mann... jetzt fällt mir sein Name ein: Ottiwell. Den Vornamen kenne ich nicht.«

»Frederick«, knurrte Trumbull mürrisch befriedigt.

»Sie kennen ihn also doch.«

»Ja, ich kenne ihn. Nur weiter.«

»Ich hielt noch das Streichholzbriefchen in der Hand, da griff Ottiwell danach und fragte, ob er es ansehen dürfe. Ich reichte es ihm. Er sah es an und sagte so etwas wie >Nur mäßig interessant. Kein besonders fantasievoller Entwurf. Ich habe es<, oder dergleichen. An die genauen Worte erinnere ich mich nicht.«

Halsted sagte nachdenklich: »Interessant, Mr. Klein. Sie wissen wenigstens, daß Sie sich der genauen Worte nicht entsinnen. In allen derartigen Schilderungen in der Ich-Form erinnert sich der Erzähler an jedes Wort, das jeder sagte, und in der richtigen Folge. Das kann mich nie überzeugen.«

»Es ist nur eine Angewohnheit«, sagte Avalon ernst, indem er seinen Kaffee trank, »aber ich gebe zu, die dritte Person ist besser geeignet. Wenn man die erste Person benutzt, weiß jeder, daß der Erzähler alle tödlichen Gefahren überleben wird, in die er gerät.«

»Ich schrieb einmal eine Erzählung in der ersten Person«, sagte Rubin, »in welcher der Erzähler stirbt.«

»Das ist auch in dem Western >El Paso< der Fall«, sagte Gonzalo.

»In >Rogers Ermordung<...«, begann Avalon.

Da erhob sich Trumbull und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Gott steh mir bei, ihr Idiotenbande, den nächsten, der redet, bring ich um! Glaubt ihr mir denn nicht, wenn ich euch sage, die Angelegenheit ist wichtig? Weiter, Mr. Klein.«

Klein erschien die Sache ein wenig unangenehm. »Ich selbst kann nicht verstehen, was daran wichtig sein soll, Mr. Trumbull. Dieser Ottiwell erzählte uns also von Streichholzbriefen. Anscheinend ist für Leute, die sich damit befassen, viel daran. Es gibt allerhand Faktoren, welche den Wert erhöhen: nicht nur Schönheit und Seltenheit, sondern auch ob die Streichhölzer unangetastet sind und ob die Reibfläche unbenutzt ist. Er sprach über Unterschiede in Entwurf, in der Anordnung der Reibfläche, in der Art der Buchstaben, ob die Innenseite des Deckels leer ist oder nicht und so fort. Er redete und redete, und das ist ungefähr alles. Nur machte er es so interessant, daß es mich, wie gesagt, fesselte.«

»Lud er Sie zu sich ein, um seine Sammlung zu besichtigen?«

»Nein«, sagte Klein, »das tat er nicht.«

»Ich war dort«, sagte Trumbull und lehnte sich mit tief unzufriedener Miene in seinem Stuhl zurück.

Es herrschte Stille, und als Henry die kleinen Cognacgläser verteilte, sagte Avalon leicht verärgert: »Sollte die Morddrohung aufgehoben sein, darf ich vielleicht fragen, Tom, wie die Wohnung des Sammlers aussah?«

Trumbull schien aus einiger Entfernung zurückzukehren. »Wie? Ach... etwas merkwürdig. Er hat als Kind zu sammeln begonnen. Soviel ich weiß, holte er seine ersten Exemplare, wie Gonzalo, aus Rinnsteinen und Seitengassen, aber irgendwann wurde die Sache dann ernst.

Er ist Junggeselle, arbeitet nicht, hat es nicht nötig. Er hat einiges Kapital geerbt und es klug angelegt, lebt also nur für die dummen Streichholzbriefe.

An der Wand hängen gerahmte Schaustücke von preisgekrönten Exemplaren. Er bewahrt sie in Ordnern und Kisten auf, überall. Sein ganzer Keller ist angefüllt mit Ordnerschränken, in welchen sie nach Type und Alphabet katalogisiert sind. Man würde nicht glauben, wie viele Zehntausende verschiedene Streichholzbriefe in der ganzen Welt hergestellt wurden, mit wieviel verschiedenen Aufschriften, mit wieviel verschiedenen Eigenheiten, und ich glaube, er besitzt sie alle.

Er hat dünne Briefchen mit nur zwei Streichhölzern, armlange, die einhundertfünfzig Stück enthalten. Er hat Streichhölzer in Bierflaschenform, andere, die wie Baseballschläger oder wie Kegel gestaltet sind. Er hat blanke Briefe ohne jeden Aufdruck, er hat solche mit Kurzpartituren darauf. Er hat - zum Teufel - eine ganze Mappe mit pornographischen Streichholzbrieflein.«

»Die würde ich gern mal sehen«, sagte Gonzalo.

»Warum?« fragte Trumbull. »Es ist das gleiche Zeug, das du auch sonst überall sehen kannst, nur läßt es sich auf einem Streichholzbrief leichter verbrennen und loswerden.«

»Du hast die Seele eines Zensors«, sagte Gonzalo.

»Was willst du denn? Mit Worten Ping-pong spielen? Wir erörtern eine ernste Sache.«

»Was ist so ernst an einem Haufen Streichholzbriefen?« fragte Gonzalo.

»Ich will es dir sagen.« Trumbull blickte an der Tafel entlang. »Paßt auf, ihr Dummköpfe, was hier gesprochen wird, ist immer vertraulich.«

»Das wissen wir alle«, sagte Avalon trocken.

»Wenn es jemand vergessen hat, bist du es, sonst brauchtest du uns nicht zu erinnern.«

»Auch Mr. Klein muß ... »

Rubin unterbrach ihn sofort: »Mr. Klein versteht das genau. Er weiß, daß nichts, was hier im Raum vorgeht, jemals, unter welchen Umständen auch immer, draußen erwähnt werden darf. Ich bürge für ihn.«

»In Ordnung«, sagte Trumbull, »ich werde euch also so wenig wie möglich erzählen. Ich hätte euch wirklich gar nichts erzählt, wenn Klein nicht das gestrige Mittagessen erwähnt hätte. Das ärgerte mich einfach. Es nagt seit Monaten an mir, es löchert mich eigentlich schon über ein Jahr; und da es aufs Tapet kam ... «

»Hör mal«, sagte Drake entschieden, »entweder du sagst es uns oder du sagst es uns nicht!«

Trumbull rieb sich ärgerlich die Augen. Er sagte: »Irgendwo bei den Informationen gibt es eine undichte Stelle.«

»Welcher Art? Wo?« fragte Gonzalo.

»Kümmere dich nicht darum! Ich sage ausdrücklich nicht, daß es mit der Regierung zu tun hat oder daß fremde Agenten beteiligt sind, verstehst du? Vielleicht ist es Industriespionage, vielleicht wird bei einem Test gemogelt. Wir wollen es einfach eine Informationslücke nennen, einverstanden?«

»Schön«, sagte Rubin. »Und wer hat damit zu tun? Dieser Ottiwell?«

»Wir sind dessen ziemlich sicher.«

»Dann nehmt ihn euch vor.«

Trumbull sagte: »Wir haben keine Beweise. Wir können nur zu verhindern versuchen, daß ihn irgendwelche Informationen erreichen, und sogar das wollen wir nicht - lückenlos - durchführen.«

»Warum nicht?«

»Weil es nicht darauf ankommt, wer der Kerl ist, sondern darauf, wie er es macht. Wenn wir ihn schnappen und nicht wissen, wie er vorgeht, wird ein anderer seine Stelle einnehmen. Menschen sind billig. Wir wollen den modus operandi erfahren.«

»Habt ihr eine Ahnung darüber?« fragte Halsted langsam zwinkernd.

»Es sind die Streichholzbriefe. Was sonst? Sie müssen es sein. All unsere Beweise weisen auf Ottiwell als die undichte Stelle, und er ist ein Narr, der Streichholzbrieflein sammelt. Es muß da einen Zusammenhang geben.«

»Du meinst, er begann, Streichholzbriefe zu sammeln, deshalb könnte er... »

»Nein, die sammelt er schon sein Leben lang. Daran gibt es keinen Zweifel. Seine jetzige Sammlung hat dreißig Jahre des Aufbaus erfordert. Aber als er sie schon einmal hatte, wurde er irgendwann für das Geschäft der Nachrichtenübermittlung angeworben und arbeitete natürlich einen Plan aus, bei dem seine Streichholzbriefe beteiligt waren.«

»Welchen Plan?« warf Rubin ungeduldig ein.

»Das weiß ich eben nicht. Aber es gibt einen. Irgendwie eignen sich die Streichholzbriefe großartig dafür. Sie tragen bereits Botschaften, und wenn man sie richtig aussucht, braucht man an ihnen nicht herumzubasteln. Zum Beispiel, das Restaurant, in dem Sie gestern waren, Klein, das >Cock and Bull<. Gewiß stand >Cock and Bull< auf den Deckeln.«

»Anzunehmen. Ich habe nicht darauf geachtet.«

»Ich bin dessen sicher. Nun, wenn man eine frühere Botschaft rückgängig machen will, schickt man ein solches Ding mit der Post oder reißt den halben Deckel ab und sendet ihn. Sagt man damit nicht, daß die vorige Botschaft bloß eine >Cock-and-bull-story<, ein Ammenmärchen, war?«

Gonzalo sagte: »Aber hör zu, Tom, wenn einer einen Streichholzdeckel mit der Post schickt oder gar das ganze Heft, so ist das doch eine Herausforderung. Da merkt man doch sofort etwas Verdächtiges.«

»Nicht, wenn es einen plausiblen Grund für die Sendung gibt.«

»Als da wäre?«

»Streichholzbriefnarren tun es. Die korrespondieren und handeln damit. Vielleicht fehlt einem eine >Cock and Bull< in einer Tiersammlung, und er gibt dafür einem, der sich auf derlei Kunst verlegt, ein überzähliges Mädchenbild.«

»Und Ottiwell treibt Tauschhandel?« fragte Avalon.

»Gewiß.«

»Und es gelang euch nie, etwas in die Hand zu bekommen, das er abschickte?«

Trumbull blickte ihn verächtlich an. »Natürlich doch; mehrmals. Wir nahmen es, untersuchten es sehr gründlich, dann schickten wir es weiter.«

»Und damit«, sagte Rubin, den Blick in die Ferne gerichtet, »habt ihr das US-Briefgeheimnis verletzt. Eine leichte Sache, wenn es sich nur um das Mogeln bei einem Test handelte.«

»Um Gottes willen«, sagte Trumbull, »sei doch einmal fünfzehn Minuten lang vernünftig, Manny -zur Abwechslung! Du weißt, ich befasse mich mit Codes und Chiffren. Du weißt, daß mich die Regierung fragt und daß ich dort meine Verbindungen habe. Natürlich interessiert sie die Sache. Das wäre auch der Fall, wenn es sich bei der undichten Stelle nur um politischen Klatsch handelte, und ich sage nicht, daß es mehr ist als das.«

»Warum?« sagte Rubin. »Ist es bei uns schon so weit mit der Unselbständigkeit?«

»Es ist einfach, wenn du dir bloß die Zeit nimmst nachzudenken. Jedes System der Nachrichtenübermittlung, das nicht geknackt werden kann - um welche Informationen auch immer es sich handelt -ist überaus gefährlich. Wenn es funktioniert und für etwas völlig Unwichtiges verwendet wird, kann es später für etwas Lebenswichtiges benützt werden. Die Regierung duldet nicht, daß ein Übertragungssystem von Nachrichten ungeknackt bleibt, es sei denn, es untersteht ihrer Kontrolle. Das mußt du doch verstehen.«

»Also gut«, sagte Drake, »ihr habt also die Streichholzbrieflein untersucht, die dieser Ottiwell zur Post brachte. Was habt ihr gefunden?«

»Nichts«, knurrte Trumbull. »Wir konnten nichts daraus entnehmen. Wir studierten die einzelnen Reklamedeckel und fanden nichts heraus.«

»Sie meinen, Sie haben nachgesehen, ob die Anfangsbuchstaben ein Wort bildeten oder dergleichen?« fragte Klein interessiert.

»Das hätten wir versucht, wenn der Absender ein Sechsjähriger gewesen wäre. Nein, wir arbeiteten viel spitzfindiger - und brachten nichts zustande.«

»Wenn ihr also«, sagte Avalon gewichtig, »in dem Druck der abgeschickten Brieflein nichts finden konntet - vielleicht ist es eine falsche Spur.«

»Du meinst, vielleicht liegt es gar nicht an den Streichholzbriefen?«

»Richtig«, sagte Avalon. »Es könnte alles eine Irreführung sein. Der Mann hat die Sammlung greifbar und ist ein echter Sammler, daher macht er seine Sammlung möglichst auffallend, um alle Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen. Er zeigt sie allen, 53 die sie sehen wollen... Wie kam es, daß du sie besichtigt hast, Tom?«

»Er lud mich ein. Ich freundete mich mit ihm an.«

»Und er hat reagiert«, sagte Rubin. »Der Mann verdient, was er bekommt. Freunde dich bitte nicht mit mir an, Tom!«

»Hab' ich nie getan... Hör mal, Jeff, ich weiß, was du meinst. Gestern sprach er mit Klein über die Streichholzbriefe; er spricht mit jedem darüber. Er zeigt sie jedem, der bereit ist, deshalb nach Queens zu kommen. Deshalb fragte ich, ob er Klein zu sich eingeladen hat. Ich nehme an, es würde dich nicht überraschen, wenn er bei all diesem Reden, der Selbstauskunft, all diesem auffallenden Getue eine ganz andere Methode verwendete, die mit den Streichholzbriefen nichts zu tun hat. Stimmt es?«

»Richtig«, sagte Avalon.

»Falsch«, sagte Trumbull. »Ich glaube es einfach nicht. Er ist echt. Er ist wirklich ein Streichholzbriefnarr mit sonst nichts im Leben. Er hat keinen ideologischen Grund zur Übernahme des schrecklichen Risikos, das er eingeht. Er ist der Seite, für die er arbeitet, nicht verpflichtet, ob sie nun nationaler, industrieller oder lokaler Art ist - und ich sage nicht, welcher Art sie ist. Dafür interessiert er sich gar nicht. Es sind nur die Streichholzbriefe. Er hat eine Methode ausgearbeitet, um seine verdammten Brieflein auf eine neue Weise zu verwenden, und das ist, insoweit es ihn betrifft, das Schöne an der ganzen Sache.«

»Sag mal«, fragte Drake, plötzlich gleichsam erwachend, »wie viele Streichholzbriefe enthalten seine Postsendungen?«

»Wer weiß das? Die Fälle, die wir abfingen, enthielten nie mehr als acht. Und seine Sendungen sind gar nicht häufig, das muß ich zugeben.«

»Gut. Wieviel Information kann er in wenigen Streichholzbriefen unterbringen? Er kann die Botschaften nicht buchstäblich und direkt benutzen. Wenn er etwa mit dem >Cock and Bull< eine Botschaft annullieren will, könnte ihn mein kleiner Neffe durchschauen, von euch ganz zu schweigen. Es ist also etwas Spitzfindiges, vielleicht könnte in jedem Brieflein ein Wort oder auch nur ein Buchstabe enthalten sein. Was läßt sich damit anfangen?«

»Eine Menge«, sagte Trumbull ärgerlich. »Was meinst du denn, daß in diesen Fällen gebraucht wird? Eine Enzyklopädie? Wer eine Information sucht, du Einfaltspinsel, weiß schon vorher fast alles. Es fehlt ihm nur ein entscheidender Punkt, und der wird gebraucht.

Gehen wir zum Beispiel zurück in den 2. Weltkrieg. Deutschland hat Gerüchte gehört, daß in den Vereinigten Staaten etwas Großes vorgeht. Es trifft eine Botschaft mit nur einem Wort ein: > Atombomben Was braucht Deutschland noch mehr? Gewiß, damals gab es keine Atombombe, aber jeder Deutsche mit Mittelschulbildung würde begreifen, was dieses Wort bedeutet, und jeder deutsche Physiker würde es verdammt genau wissen. Dann kommt eine zweite Botschaft: >Oak Ridge, Tenn<. Das ergibt in beiden Botschaften zusammen einundzwanzig Buchstaben, welche die Weltgeschichte hätten verändern können.«

»Meinst du, daß dieser Ottiwell derartige Informationen übermittelt?« fragte Gonzalo beunruhigt.

»Nein! Ich sagte, das ist nicht der Fall«, erwiderte Trumbull verdrießlich. »Er ist keineswegs so wichtig. Glaubst du, ich würde euch allen davon erzählen, wenn er es wäre? Es ist nur der Umstand, daß der modus operandi auch für etwas anderes verwendet werden könnte, und deshalb müssen wir ihn knacken. Außerdem steht mein guter Ruf auf dem Spiel. Ich sage, er verwendet die Streichholzbriefe, kann aber nicht zeigen, wie. Glaubst du, mir ist das angenehm?«

Gonzalo sagte: »Vielleicht ist in der Innenseite der Hefte eine unsichtbare Schrift angebracht?«

»Das haben wir routinemäßig überprüft, aber es war vergeblich. Wenn es das wäre, wozu sollte er die Streichholzbriefe verwenden? Das ließe sich in gewöhnlichen Briefen bewerkstelligen und würde viel weniger Aufmerksamkeit erregen. Wenn Ottiwell Streichholzbriefe verwendet, so bedient er sich eines Systems, das nur bei Streichholzbriefen anwendbar ist, und das bedeutet, daß er nur die Botschaften benutzt, die schon irgendwie darauf sind.«

»Wenn man sich vorstellt«, warf Klein ein, »daß all dies nur begonnen hat, weil ich das gestrige Mittagessen erwähnte! Haben Sie vielleicht eine Liste der von ihm abgeschickten Briefe? Wenn Sie eine Lichtpause haben, könnten wir alle sie betrachten... «

»Und den Code finden, den ich nicht herausbrachte? Nicht wahr?« sagte Trumbull. »Wissen Sie, seit Conan Doyle Sherlock Holmes gegen die Stümper von Scotland Yard ausspielte, scheint die Ansicht zu herrschen, daß die Profis nichts fertigbringen. Ich versichere Ihnen, wenn ich's nicht schaffe... «

»Wie steht es nun mit Henry?« sagte Avalon.

Henry, der ernst, mit einem interessierten Ausdruck seines faltenlosen Gesichtes eines Sechzigjährigen zugehört hatte, schüttelte lächelnd den Kopf.

Trumbull sagte nachdenklich: »Henry, ja, ich habe Henry vergessen. Du hast recht, Jeff. Er ist der Klügste hier, was normalerweise ein Kompliment wäre, wenn ihr nicht alle ein Haufen Schwachköpfe wärt.

Henry«, sagte er, »Sie sind ein ehrlicher Mann. Sie können die Unehrlichkeit der Welt erkennen, ohne daß sie durch Ihr eigenes diebisches Verlangen entstellt wird. Sind Sie meiner Ansicht? Glauben Sie, daß dieser Ottiwell, wenn er sich mit einer solchen Arbeit befaßt, seine Streichholzbrieflein nur so verwendet, daß sie auf einzigartige Weise nützlich sind, oder nicht?«

»Das ist richtig, Mr. Trumbull«, sagte Henry, der die übrigen Teller vom Tisch räumte. »Ich bin Ihrer Ansicht.«

Trumbull lächelte. »Da haben wir das Wort eines Mannes, der weiß, wovon er spricht.«

»Weil er deiner Ansicht ist«, sagte Rubin.

»Ich bin, genau genommen, nicht ganz der gleichen Ansicht wie Mr. Trumbull«, sagte Henry.

»Aha«, sagte Rubin. »Was meinst du jetzt, Tom?«

»Was ich immer meine«, sagte Trumbull, »daß dein Schweigen dein bester Teil ist.«

»Darf ich - eine kleine Rede halten?« sagte Henry.

»Einen Augenblick«, sagte Rubin. »Ich bin noch immer der Gastgeber und nehme nun die Sache in die Hand. Ich entscheide über das Verfahren und bestimme, daß Henry eine kleine Rede hält und daß wir anderen uns still verhalten, es sei denn um Henrys Fragen zu beantworten, oder um selbst sachdienliche Fragen zu stellen. Dabei denke ich als Kandidaten für Ruhe besonders an Tom-Tom, den Trommler.«

»Danke, Mr. Rubin«, sagte Henry. »Ich höre Ihnen, meine Herren, bei Ihren monatlichen Zusammenkünften mit größtem Interesse zu. Es ist mir klar, daß Sie alle, auf harmlose Weise, enormes Vergnügen daran finden, aufeinander mit Worten loszuschlagen. Sie können aber nicht gut auf einen Gast losschlagen, daher neigen Sie alle dazu, den Gast nicht zu beachten und ihm nicht zuzuhören, wenn er spricht.«

»Taten wir das?« fragte Avalon.

»Ja, und es scheint mir, Mr. Avalon, daß Ihnen ein höchst wichtiger Punkt dadurch entgangen ist. Da es - gewöhnlich - nicht meine Rolle ist zu sprechen, höre ich Ihnen allen unparteiisch zu, auch dem Gast, und ich scheine etwas gehört zu haben, das den anderen entgangen ist. Gestatten Sie mir, Mr. Rubin, Mr. Klein einige Fragen zu stellen? Vielleicht erweisen sich die Antworten als unergiebig, aber es besteht eine kleine Chance... »

»Ja, gewiß«, antwortete Rubin. »Er sollte ohnedies ins Kreuzverhör genommen werden. Schießen Sie los.«

»Es wird kein Kreuzverhör werden«, widersprach Henry leise. »Mr. Klein?«

»Ja, Henry«, sagte Klein, der erfreut darüber errötete, daß er zweifellos im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand.

»Es ist nur folgendes, Mr. Klein. Als Sie kurz von dem gestrigen Mittagessen erzählten, sagten Sie etwas wie - auch ich kann die genauen Worte nicht wiederholen -, daß Sie dachten, er sei verrückt, aber er habe alles so interessant vorgebracht, daß Sie, als er zu Ende war, selbst beschlossen, eine Sammlung von Streichholzbrieflein zu beginnen.«

»Richtig«, sagte Klein nickend. »Wahrscheinlich ein bißchen albern. Ich würde bestimmt nicht so etwas tun wie er. Ich meine nicht das Spionieren, sondern so eine riesige Sammlung ... «

»Ja«, sagte Henry, »aber ich hatte den Eindruck, daß Sie den impulsiven Antrieb bekamen, gleich mit dem Sammeln zu beginnen. Haben Sie zufällig nach dem Essen ein >Cock-and-Bull< Briefchen mitgenommen?«

»Richtig«, sagte Klein. »Es ist ein wenig peinlich, wenn ich es jetzt bedenke, aber ich tat es.«

»Von welchem Tisch, Sir?«

»Von dem unseren.«

»Sie meinen, Sie nahmen das Brieflein, das Sie in der Hand gehabt und Ottiwell gereicht hatten? Es wurde schließlich wieder auf den Tisch gelegt, und von dort nahmen Sie es?«

»Ja«, sagte Klein, als wolle er sich plötzlich verteidigen. »Da ist doch nichts verkehrt daran? Sie sind für die Gäste dort, nicht wahr?«

»Durchaus, Sir. Wir haben solche Brieflein hier auf dem Tisch zu Ihrer Verfügung. Aber was taten Sie mit dem Brieflein, Mr. Klein, als Sie es nahmen?«

Klein überlegte einen Augenblick. »Ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern. Ich steckte es in die Jackentasche oder in die Manteltasche, nachdem wir die Mäntel vom Haken nahmen.«

»Taten Sie etwas damit, als Sie nach Hause kamen?«

»Nein, eigentlich nicht. Die ganze Sache mit dem Streichholzbrieflein war mir entfallen, bis Manny Rubin erwähnte, daß seine Frau Stiere sammelt.«

»Sie tragen heute nicht denselben Anzug, nicht wahr?«

»Nein, aber ich trage denselben Mantel.«

»Würden Sie in Ihrer Manteltasche nachsehen, ob das Brieflein dort ist?«

Klein verschwand in der Privatgarderobe, welche die Schwarzen Witwer bei ihren Zusammenkünften verwendeten.

»Worauf wollen Sie hinaus, Henry?« fragte Trumbull.

»Wahrscheinlich ist es nichts«, sagte Henry. »Ich setze auf eine geringe Chance, und wir hatten heute abend schon eine.«

»Welche denn?«

»Daß Mr. Klein mit einem Mann zu Mittag speiste, der sich als jemand herausstellt, den Sie verfolgen, und daß Sie es am nächsten Tag erfahren. Auf einen zweiten solchen Zufall zu hoffen, ist vielleicht ein wenig zu viel.«

»Hier ist es«, sagte Klein fröhlich, der mit dem kleinen Gegenstand in der Hand zurückkam. »Ich habe es.«

Er warf es auf den Tisch, und alle erhoben sich, um es anzusehen. Es stand Cock and Bull darauf, sowie ein kleines Bild von einem Stierkopf, auf dessen einem Horn ein Hahn saß. Gonzalo griff danach.

»Wenn Sie gestatten, Mr. Gonzalo«, sagte Henry. »Ich glaube, es sollte noch niemand das Brieflein berühren... Mr. Klein, das ist das Streichholzbrieflein, das auf Ihrem Tisch lag, mit dem Sie Ihre Zigarette angezündet hatten und das Mr. Ottiwell dann verwendete um zu zeigen, wo die Reibfläche angebracht ist und Ähnliches?«

»Ja.«

»Er legte es auf den Tisch, und Sie nahmen es dann später?«

»Ja.«

»Haben Sie zufällig bemerkt, wie viele Streichhölzer in dem Brieflein waren, als Sie Ihre Zigarette anzündeten?«

Klein war überrascht. »Ich weiß nicht. Ich achtete nicht darauf.«

»Aber Sie haben jedenfalls ein Streichholz abgerissen, um Ihre Zigarette anzuzünden?«

»Ja, gewiß.«

»So daß, selbst wenn es ursprünglich ein volles Streichholzbrieflein war, jetzt ein Streichholz fehlen muß. Da dies aussieht wie ein übliches Streichholzbrieflein mit dreißig Streichhölzern, können jetzt nicht mehr als neunundzwanzig - vielleicht sogar weniger - darin sein.«

»Das nehme ich an.«

»Und wie viele Streichhölzer sind jetzt in dem Briefchen? Würden Sie sie bitte zählen?«

Klein zögerte, dann öffnete er das Brieflein. Er starrte eine Weile darauf, dann sagte er: »Es ist unberührt. Es enthält dreißig Streichhölzer. Lassen Sie mich zählen... Ja, es sind dreißig.«

»Aber Sie nahmen es vom Tisch und glaubten, es sei das Brieflein, das Sie verwendet hatten? Sie nahmen es nicht von irgendeinem anderen Tisch?«

»Nein, nein, es war unser Streichholzbrief. Oder zumindest war ich davon überzeugt.«

»Gut. Würden die Herren das Briefchen ansehen, bitte. Sie werden feststellen, daß die Reibfläche unbenutzt ist, sie trägt keine Spur davon, daß ein Streichholz angezündet wurde.«

Trumbull sagte: »Sie meinen, daß Ottiwell dieses Brieflein an die Stelle dessen legte, das auf dem Tisch war?«

»So etwas hielt ich für möglich, sobald Sie sagten, er übermittle Informationen, Mr. Trumbull. Ich war auch Ihrer Ansicht, Mr. Trumbull, daß Mr. Ottiwell die Streichholzbriefe benutzt. Die Psychologie erschien mir richtig. Aber ich teilte auch Mr. Avalons Ansicht, daß vielleicht eine gewisse Irreführung verwendet wurde. Nur erkannte Mr. Avalon nicht, wie raffiniert die Irreführung war.«

»Da ich selbst zu unehrlich bin, um es zu merken«, sagte Avalon. »Ich weiß.«

»Indem er sich auf seine Sammlung beschränkte, Mr. Trumbull«, sagte Henry, »und auf sein Verschicken und Erhalten von Streichholzbriefen, zog er Ihre Aufmerksamkeit darauf. Mir scheint jedoch, daß Mr. Ottiwell mit Streichholzbriefen nicht nur im Zusammenhang mit seiner Sammlung befaßt war. Jedesmal wenn er in einem guten Restaurant speiste, und das konnte oft geschehen, konnte er leicht das bereits auf dem Tisch liegende durch ein anderes Streichholzbriefchen ersetzen. Sobald er und seine Tischgenossen fortgingen, konnte ein Mitverschworener es abholen.«

»Diesmal nicht«, sagte Rubin zynisch.

»Nein, diesmal nicht. Als die Gruppe fortging, lag kein Streichholzbrieflein auf dem Tisch. Das führt zu einigen unangenehmen Gedanken. Ist Ihnen jemand gefolgt, Mr. Klein?«

Klein sah ihn erschrocken an. »Nein! Zumindest -zumindest - ich weiß es nicht. Ich habe niemand bemerkt.«

»Kein Versuch eines Taschendiebstahls?«

»Nein! Nicht daß ich wüßte.«

»Dann weiß man vielleicht nicht sicher, wer es genommen hat - schließlich waren außer Ihnen und Ottiwell noch vier andere am Tisch; und es könnte auch ein Kellner weggeräumt haben. Oder man glaubt, daß ein verlorenes Briefchen beträchtlich weniger Ärger verursachen wird als ein eventueller Versuch, es wiederzubekommen. Oder aber ich habe von Anfang bis Ende unrecht.«

Trumbull sagte: »Keine Sorge, Mr. Klein. Ich werde Sie für eine Zeitlang überwachen lassen.« Dann fuhr er fort: »Ich sehe, was Sie meinen, Henry. Es gibt in jedem Restaurant Dutzende solcher Streichholzbriefe, die alle untereinander identisch sind. Ottiwell konnte leicht eines oder zwei bei einem früheren Besuch mitgenommen haben - oder ein Dutzend, wenn er wollte - und sie dann austauschen. Wer würde es bemerken? Wen sollte es kümmern? Wollen Sie nun darauf anspielen, daß dieses eine unterschobene Streichholzbrieflein die Information enthält?«

»Das würde mir allerdings als sehr wahrscheinlich erscheinen«, sagte Henry.

»Geh, Brieflein, geh! Aus meiner Einsamkeit / Über die Wasser schick ich dich - geh deines Wegs!« murmelte Halsted. »Das ist von Robert Southey!«

»Aber wie soll es funktionieren?« fragte Trumbull, ohne auf Halsteds geflüsterte Verse zu achten. Er drehte das Streichholzbriefchen zwischen den Fingern von einer Seite zur anderen. »Es ist ein Streichholzbrief, genau wie alle anderen. Darauf steht >Cock and Bull<, dazu die Adresse und Telefonnummer. Wo soll darin, im Gegensatz zu anderen, eine Botschaft stehen?«

»Wir müßten am richtigen Ort nachsehen«, sagte Henry.

»Und wo soll das sein?« sagte Trumbull.

»Ich richte mich nach Ihren Worten, Sir«, sagte Henry. »Sie sagten, Mr. Ottiwell würde das Streichholzbriefchen sicher in einer Weise benutzen, die dessen einzigartige Eigenschaften einbeziehen würde, und das ist auch meine Meinung. Was ist aber einzigartig an einer Botschaft, die durch Streichholzbriefe übermittelt wird? Sie bestehen fast immer aus Werbung, und so etwas findet man an ungezählten anderen Orten von Kartondeckeln für Haferflocken bis zu Innendeckeln von Magazinen.«

»Was denn also?«

»Wirklich einzigartig an einem Streichholzbrieflein sind die Streichhölzer, die es enthält. In der

Standardausführung sind dreißig Streichhölzer in anscheinend wenig komplizierter Weise angeordnet. Wenn man aber das Unterende der Streichhölzer ansieht, merkt man, daß es zwei Kartonstücke sind, aus denen je fünfzehn Streichhölzer nach oben stehen. Wenn man sie - aus der Richtung des geöffneten Deckels gesehen - von links nach rechts zählt, die Hinterreihe zuerst und dann die Vorderreihe, kann man jedem Streichholz eine bestimmte, eindeutige Nummer von 1 bis 30 geben.«

»Ja«, sagte Trumbull, »aber alle Streichhölzer sind untereinander und auch mit den Streichhölzern in anderen Briefchen der gleichen Art identisch.«

»Müssen aber die Streichhölzer identisch bleiben, Sir? Angenommen, Sie nehmen ein Streichholz heraus - irgendeines. Es gibt dreißig verschiedene Arten, ein Streichholz herauszunehmen. Wenn Sie zwei Streichhölzer oder drei herausnehmen, gäbe es noch viele weitere Möglichkeiten.«

»Es fehlt aber kein Streichholz.«

»Nur sozusagen. Das Herausreißen der Streichhölzer wäre eine viel zu grobe Art der Unterscheidung. Angenommen, bestimmte Streichhölzer hätten Nadellöcher oder kleine Kratzer oder ein Tröpfchen fluoreszierende Farbe an der Spitze, die in ultraviolettem Licht aufleuchtet. Wie viele verschiedene Möglichkeiten könnte man mit dreißig Streichhölzern erzielen, wenn man jede beliebige Anzahl von Null bis Dreißig markiert?«

»Das werde ich Ihnen sagen«, unterbrach Halsted. »Zwei zur dreißigsten Potenz - ach, etwas über eine Milliarde; ich sage Milliarde, nicht Million. Und je nachdem, ob man den Deckel hinter den Streichhölzern auch markiert oder nicht, würde das zwei Milliarden ergeben.«

»Wenn Sie also«, sagte Henry, »in einem bestimmten Streichholzbrieflein Nummern von Null bis zu zwei Milliarden angeben können, könnte man mit diesen Nummern beträchtliche Informationen verschlüsseln, oder?«

»Sechs Wörter mit Leichtigkeit«, sagte Trumbull nachdenklich. »Verdammt!« schrie er und sprang auf. »Gebt mir das Ding! Ich gehe jetzt.«

Er eilte schnell zur Garderobe, kam zurück und fuhr in seinen Mantel, dabei rief er: »Holen Sie Ihren Mantel, Klein, Sie kommen mit mir. Ich brauche Ihre Erklärung, und dann sind Sie auch sicherer.«

»Ich könnte durchaus unrecht haben, Sir«, sagte Henry.

»Unrecht, Unsinn! Sie haben recht, ich weiß es bestimmt. Das Ganze paßt zu einigen Umständen, die Sie nicht kennen ... Henry, wären Sie bereit, sich mit solchen Dingen zu befassen? Ich meine, beruflich?«

»Hör mal«, rief Rubin, »du kannst uns doch Henry nicht abspenstig machen!«

»Keine Sorge, Mr. Rubin«, sagte Henry leise. »Ich finde es hier viel aufregender.«

Anmerkung

Diese Geschichte erschien in leicht gekürzter Fassung in der Dezemberausgabe 1972 von EQMM unter dem Titel >Der Streichholzbriefsammler<. Ich betrachte auch diesen Titel als zu gewöhnlich.

Ich überlasse es Ihnen. Der Satz, >Geh, Brieflein, geh!< ist der Beginn eines Verses von Chaucer und eines Gedichtes von Robert Southey, das von Lord Byron sehr erfolgreich parodiert wurde, so daß es in der Englischen Literaturgeschichte eine Bedeutung besitzt. Außerdem drückt er die Pointe der Geschichte, in welcher (Streichholz) Brieflein auf Informationsaufträge ausgeschickt werden, vollendet aus.

Was meinen Sie also? Bin ich es nicht der ganzen Menschheit schuldig, aus dem Titel >Der Streichholzbriefsammler< wieder >Geh, Brieflein, geh!< zu machen?

Sicherlich.

Als ich übrigens die Geschichte schrieb, rechnete ich den Wert 230 (das heißt dreißig miteinander multiplizierte 2) aus reiner Angeberei im Kopf aus. Natürlich kam ich zu einem nicht ganz richtigen Resultat, und das geschieht mir recht. Eine junge

Dame namens Mildred I. Stover schrieb mir einen Brief, in dem der Wert sorgfältig mit allen Einzelmultiplikationen ausgerechnet war, und ich korrigierte meinen Fehler im Buch. Falls es Sie interessiert, 230 = 1 073 741 824. Danke, Miß Stover.