172631.fb2 Die Borowski-Herrschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 21

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Kapitel 21

Das Motorboot stampfte heftig in der Finsternis und dem orkanartigen Regen. Die aus zwei Matrosen bestehende Mannschaft war dauernd damit beschäftigt, das Wasser auszuschöpfen, das beständig über die Dollborde hereinschlug, während der ergraute chinesisch-portugiesische Kapitän durch die großen Kabinenfenster nach vorne spähte und sein kleines Boot langsam auf die schwarzen Umrisse der Insel zusteuerte. Borowski und d'Anjou standen zu beiden Seiten des Schiffes, jetzt sprach der Franzose und mußte dazu die Stimme erheben, um sich in dem Lärm Gehör zu verschaffen. »Wie weit ist es noch bis zum Strand, meinen Sie?«

»Zweihundert Meter plus oder minus zehn bis zwanzig«, sagte der Kapitän.

»Dann ist jetzt Zeit für das Licht. Wo ist es?«

»In dem Kasten unter ihnen. Rechts. Noch fünfundsiebzig Meter, und ich halte an. Noch näher dran können die Felsen bei diesem Wetter gefährlich werden.«

»Wir müssen ans Ufer!« schrie der Franzose. »Das muß sein, das habe ich Ihnen gesagt!«

»Stimmt, aber Sie haben vergessen, mir zu sagen, daß es so regnen und eine solche Dünung geben würde. Neunzig Meter, und Sie können das kleine Boot nehmen. Es hat einen starken Motor, Sie werden hinkommen.«

»Merde!« stieß d'Anjou hervor, öffnete den Kasten und zog eine starke Taschenlampe hervor. »Da bleiben ja noch mehr als hundert Meter!«

»Weniger als fünfzig wären es ohnehin nicht gewesen. Das habe ich Ihnen gesagt.«

»Und dazwischen ist tiefes Wasser?«

»Soll ich wieder umkehren und nach Macao zurückfahren?«

»Damit die Streifen uns in die Luft jagen? Sie halten sich an unsere Abmachung, oder Sie kommen nicht heil an! Das wissen Sie!«

»Hundert Meter, mehr sind es nicht.«

D'Anjou nickte verdrießlich und hielt sich die Taschenlampe vor die Brust. Er drückte auf einen Knopf, ließ ihn sofort wieder los, und dann erhellte einen kurzen Augenblick lang ein gespenstischer dunkelblauer Blitz das Fenster. Sekunden später konnte man durch das verspritzte Glas ein ähnliches blaues Signal von der Insel sehen. »Sie sehen, man capitaine, wenn wir unser Rendezvous nicht eingehalten hätten, wäre dieser armselige Kasten jetzt in die Luft gepustet worden.«

»Heute nachmittag hat Ihnen mein Schiff noch gefallen!« sagte der Schiffer und mühte sich am Rad ab.

»Das war gestern nachmittag. Jetzt ist es halb zwei Uhr früh am nächsten Morgen, und ich hab Sie und Ihre Geldgier inzwischen besser kennengelernt.« D'Anjou legte die Lampe in den Kasten zurück und warf Borowski, der ihn die ganze Zeit beobachtete, einen Blick zu. Jeder tat das, was er in den Tagen von Medusa so oft getan hatte - überprüfte Ausrüstung und Kleidung seines Partners. Die beiden Männer hatten ihre Kleidung in Segeltuchtaschen gestopft - Hosen, Pullover und dünne Gummimützen, alles schwarz. An Ausrüstung hatten sie außer Jasons Pistole und der kleinen 22er des Franzosen nur noch in Scheiden steckende Messer - alles unsichtbar. »Fahren Sie so dicht heran, wie es geht«, sagte d'Anjou zu dem Kapitän. »Und denken Sie daran, wenn Sie nicht da sind, wenn wir zurückkommen, bekommen Sie die Restzahlung nicht.«

»Und wenn die Ihnen Ihr Geld wegnehmen und Sie umbringen?« schrie der Kapitän. »Dann bin ich dmußen!«

»Ich bin tief gerührt«, sagte Borowski.

»Nur keine Angst«, antwortete der Franzose und warf dem Mischling einen strafenden Blick zu. »Ich kenne diesen Mann schon lange Zeit und habe oft mit ihm zu tun gehabt. Er hat wie Sie ein schnelles Boot und ist genauso ein Dieb wie Sie. Ich sorge dafür, daß er immer Geld in den Taschen hat und seine Freundinnen wie Konkubinen des Zentralkomitees leben können. Außerdem hat er mich im Verdacht, daß ich über ihn Buch führe. Wir sind in Gottes Hand, und vielleicht sogar noch besser.«

»Dann nehmen Sie die Lampe mit«, knurrte der Kapitän. »Es könnte sein, daß Sie sie brauchen, und wenn Sie stranden oder an den Felsen zerschellen, nützen Sie mir nichts.«

»Ihre Sorge überwältigt mich«, sagte d'Anjou, griff nach der Lampe und nickte Jason zu. »Dann wollen wir uns jetzt mit dem Boot und seinem Motor vertraut machen.«

»Der Motor ist mit einer dicken Segeltuchplane verhüllt. Lassen Sie ihn erst an, wenn Sie im Wasser sind!«

»Woher wissen wir denn, daß er anspringt?« fragte Borowski.

»Weil ich mein Geld haben will, Sie großer Schweiger.«

Die Fahrt zum Strand durchnäßte sie beide bis auf die Haut; Jason hielt sich an der Bordwand fest und d'Anjou am Ruder und dem Heck, um nicht über Bord geworfen zu werden. Einmal streiften sie ein Riff, und das Metall scharrte an dem Felsen entlang, während der Franzose das Ruder nach Steuerbord herumriß und Vollgas gab.

Jetzt kam wieder der seltsame dunkelblaue Blitz vom Ufer. Sie waren in der feuchten Schwärze vom Kurs abgekommen; d'Anjou lenkte das Boot auf das Signal zu, und wenige Minuten später traf der Bug auf Sand. Der Franzose drückte den Knüppel herunter und hob den Motor damit in die Höhe, während Borowski über Bord sprang, das Tau packte und das kleine Boot den Strand hinaufzog.

Dann holte er zischend Luft, als plötzlich vor ihm eine Männergestalt auftauchte und die Leine packte. »Vier Hände sind besser als zwei«, schrie der Fremde, ein Asiat, auf englisch, fließendem Englisch mit amerikanischem Akzent.

»Sie sind der Kontaktmann?« schrie Jason verblüfft und fragte sich, ob der Regen und die Wellen sein Hörvermögen beeinträchtigt hätten.

»Ich bin einfach ein Freund!« schrie der Mann zurück.

Fünf Minuten später, als sie das kleine Boot weit genug auf den Strand hinaufgezogen hatten, gingen die drei Männer durch das Dickicht am Ufer, das bald in niedriges Gestrüpp und Bäume überging. Der >Freund< hatte sich aus einer Schiffspersenning einen Unterstand errichtet; davor flackerte ein kleines Feuer, das man nur vom Wald aus sehen konnte, weil der Unterstand es zum Meer hin verdeckte. Die Wärme war angenehm; der Wind und der ständig niederpeitschende Regen hatten Borowski und d'Anjou ausgekühlt. Jetzt saßen sie mit übereinandergeschlagenen Beinen ums Feuer, und der Franzose sprach den uniformierten Chinesen an.

»Das war kaum notwendig, Gamma -«

«Gamma?« brach es aus Jason heraus.

»Ich habe gewisse Traditionen wieder aufleben lassen, Delta. Ich hätte natürlich auch Tango oder Foxtrott verwenden können ... schließlich war ja nicht alles griechisch. Die griechischen Codes waren den Führern vorbehalten.«

»Was soll das dumme Gerede? Ich will wissen, warum wir hier sind. Warum haben Sie ihn nicht bezahlt, und wir verschwinden wie der Teufel von hier?«

»Man ...!« sagte der Chinese und zog das Wort in die Länge, so daß es ganz amerikanisch klang. »Der Typ ist vielleicht sauer! Was juckt ihn denn?«

»Mich juckt, daß ich zu dem Boot zurück will. Ich hab jetzt wirklich keine Zeit zum Teetrinken!«

»Wie wäre es mit Scotch?« sagte der Offizier der Volksrepublik, griff hinter sich, und die Hand brachte eine Flasche höchst akzeptablen Whiskys zum Vorschein. »Wir müssen aus der Flasche trinken, aber ich glaube nicht, daß wir Chinesen ansteckende Krankheiten haben. Wir baden, putzen uns die Zähne und schlafen mit sauberen Huren - zumindest sorgt meine Regierung dafür, daß sie sauber sind.«

»Wer, zum Teufel, sind Sie?« fragte Jason Borowski.

»Gamma genügt, davon hat Echo mich überzeugt. Und was ich bin - das überlasse ich Ihrer Phantasie. USC wäre nicht schlecht geraten - das ist die Universität von Südkalifornien -mit anschließenden Studien in Berkeley -, während der Studentenunruhen in den sechziger Jahren, daran erinnern Sie sich sicher.«

»Zu diesem Klüngel haben Sie also gehört!«

»Im Gegenteil! Ich war ein aufrechter Konservativer, Mitglied der John-Birch-Gesellschaft, und wenn es nach uns gegangen wäre, hätte man die alle erschossen! Grölende Krawallmacher, denen die moralischen Ziele ihrer Nation scheißegal waren.«

»Wir reden hier wirklich Quatsch.«

»Mein Freund Gamma«, unterbrach d'Anjou, »ist der perfekte Mittelsmann. Er ist ein gebildeter Doppel- oder Dreifach- oder möglicherweise Vierfachagent, der für alle Seiten zum Nutzen seiner eigenen Interessen tätig ist. Er ist ein total amoralischer Mensch, und dafür respektiere ich ihn.«

»Sie sind nach China zurückgegangen? In die Volksrepublik?«

»Ja, weil dort das Geld war«, gab der Offizier zu. »Jede repressive Gesellschaft bietet den Leuten ungeheure Chancen, die bereit sind, für die Unterdrückten gewisse kleinere Risiken auf sich zu nehmen. Fragen Sie doch die Kommissare in Moskau und im Ostblock. Natürlich muß man Kontakte im Westen haben und gewisse Talente besitzen, die auch den eigenen Vorgesetzten nützlich sind. Zum Glück bin ich ein ausgezeichneter Segler, das habe ich Freunden in San Francisco zu verdanken, die Jachten und kleine Motorboote hatten. Eines Tages werde ich dorthin zurückkehren. Ich mag San Francisco wirklich.«

»Versuchen Sie gar nicht erst, sich über seine Schweizer Konten den Kopf zu zerbrechen«, sagte d'Anjou. »Wir wollen uns doch lieber darauf konzentrieren, warum Gamma uns in diesem Sturm eine so angenehme Behausung vorbereitet hat.« Der Franzose griff nach der Flasche und trank.

»Das wird Sie eine Stange Geld kosten, Echo«, sagte der Chinese.

»Was wäre bei Ihnen schon gratis? Also?« D'Anjou reichte Jason die Flasche weiter.

»Darf ich vor Ihrem Begleiter sprechen?«

»Alles, was Sie wollen.«

»Sie wollen die Information haben. Ich garantiere dafür. Der Preis beträgt eintausend amerikanische Dollar.«

»Und das ist alles?«

»Das sollte reichen«, sagte der chinesische Offizier und nahm Borowski die Flasche weg. »Sie sind zu zweit, und mein Streifenboot liegt eine halbe Meile von hier entfernt in einer kleinen Bucht. Meine Mannschaft ist der Meinung, ich treffe mich mit einem unserer Agenten in der Kronkolonie.«

»Ich will also die Information haben, Sie garantieren mir das. Und dafür soll ich tausend Dollar rausrücken, wo es doch durchaus möglich ist, daß Sie ein Dutzend Zhongguo ren im Gebüsch versteckt haben.«

»Vertrauen ist gut.«

»Kontrolle ist besser«, konterte der Franzose. »Keinen Sou bekommen Sie, bis ich weiß, was Sie verkaufen.«

»Typisch französisch«, sagte Gamma und schüttelte den Kopf. »Also gut. Es betrifft Ihren Jünger, den, der seinem Herrn und Meister nicht mehr folgt, sondern sich lieber seine dreißig Silberlinge und noch eine ganze Menge mehr auszahlen läßt.«

»Den Meuchelmörder?«

»Bezahlen Sie ihn!« befahl Borowski und starrte den chinesischen Offizier an.

D'Anjou sah zuerst Jason an und dann den Mann, der sich Gamma nannte, dann zog er den Pullover hoch und öffnete die Gürtelschnalle der triefend nassen Hose. Er griff darunter und holte einen Geldgurt aus Öltuch heraus, zog den Reißverschluß der mittleren Tasche auf und entnahm dem Gürtel Geldscheine, die er dem chinesischen Offizier hinhielt. »Dreitausend für heute nacht und tausend für diese neue Information. Der Rest ist Falschgeld. Ich habe immer zusätzliche Tausend für irgendwelche Notfälle bei mir, aber nur tausend -«

»Die Information«, unterbrach Jason Borowski.

»Er hat dafür bezahlt«, erwiderte Gamma, »also ist er mein Gesprächspartner.«

»Mir ist scheißegal, wer Ihr Gesprächspartner ist, Hauptsache, Sie reden.«

»Unser gemeinsamer Freund in Guangzhou«, begann der Offizier, zu d'Anjou gewandt. »Der Funker im Hauptquartier eins.«

»Wir haben schon Geschäfte miteinander gemacht«, sagte der Franzose vorsichtig.

»Da ich wußte, daß ich Sie hier treffen würde, habe ich kurz nach halb elf in Zhuhai Shi aufgetankt. Dort erwartete mich eine Nachricht, ich solle mit ihm Verbindung aufnehmen - wir haben einen Mittelsmann, auf den wir uns verlassen können. Er hat mir gesagt, er habe einen Anruf mit einem nicht identifizierten Prioritätscode des Jadeturms nach Beijing zurückverfolgt. Das Gespräch war für Soo Jiang -«

D'Anjou fuhr hoch, stützte sich mit beiden Händen auf den Boden, als wolle er aufspringen. »Das Schwein!«

»Wer ist das?« fragte Borowski schnell.

»Nach außen hin der Geheimdienstchef«, erwiderte der Franzose, »aber der würde seine eigene Mutter an ein Bordell verkaufen, wenn der Preis stimmte. Im Augenblick ist er der Verbindungsmann zu meinem ehemaligen Jünger. Mein ]udas!«

»Und er ist plötzlich nach Beijing abberufen worden«, unterbrach ihn der Mann namens Gamma.

»Und das wissen Sie sicher?« wollte Jason wissen.

»Unser gemeinsamer Freund ist sicher«, antwortete der Chinese, der immer noch d'Anjou ansah. »Einer von Soos Mitarbeitern kam ins Hauptquartier eins und hat alle morgigen Flüge von Kai-tak nach Beijing überprüft. Auf Anweisung seiner Abteilung hat er auf jedem Flug einen Platz - einen einzigen - reserviert. In einigen Fällen bedeutete das, daß für diesen Flug gebuchte Passagiere auf Wartelisten zurückgestuft wurden. Als ein Beamter im Hauptquartier eine persönliche Bestätigung von Soo verlangte, sagte sein Mitarbeiter, er sei in wichtigen Geschäften nach Macao gefahren. Wer hat aber um Mitternacht in Macao Geschäfte? Alles ist dann geschlossen.«

»Nur die Casinos nicht«, warf Borowski ein. »Tisch fünf. Das Kam-Pek. Eine völlig kontrollierte Umgebung.«

»Was in Anbetracht der Platzreservierungen bedeutet«, sagte der Franzose, »daß Soo nicht sicher ist, wann er den Meuchelmörder erreichen wird.«

»Aber er ist sicher, daß er ihn erreichen wird. Er überbringt ihm also einen Befehl.« Jason sah den Offizier an. »Bringen Sie uns nach Beijing«, sagte er. »Zum Flughafen, zum ersten Flug. Sie werden ein reicher Mann, das garantiere ich.«

»Delta, Sie sind verrückt!« schrie d'Anjou. »Peking kommt nicht in Frage!«

»Warum? Niemand sucht uns, und die ganze Stadt wimmelt von Franzosen, Engländern, Italienern, Amerikanern - weiß Gott, was sonst noch für Nationalitäten. Wir haben beide Pässe, damit kommen wir durch.«

»Seien Sie doch vernünftig!« bat Echo. »Wir gehen ihnen ins Netz. Bei all dem, was wir wissen, wird man uns sofort umbringen, wenn man uns auch nur in verdächtiger Umgebung entdeckt! Er wird wieder hier unten auftauchen, höchstwahrscheinlich in wenigen Tagen.«

»Ich habe nicht soviel Zeit«, sagte Borowski kalt. »Ich habe Ihre Kreatur schon zweimal verloren. Ein drittes Mal wird mir das nicht passieren.«

»Sie glauben, Sie können ihn in China fangen?«

»Wo sonst würde er denn am wenigsten mit einer Falle rechnen?«

»Wahnsinn! Sie sind wirklich verrückt!«

»Kümmern Sie sich um alles«, befahl Jason dem chinesischen Offizier. »Der erste Flug von Kai-tak. Wenn ich die Tickets habe, werde ich dem, der sie mir bringt, fünfzigtausend amerikanische Dollar geben. Schicken Sie jemanden, dem Sie vertrauen können.«

»Fünfzigtausend...?« Gamma starrte Borowski an.

Der Himmel über Peking war dunstig, und der Staub, den der Wind aus den nordchinesischen Ebenen hereintrug, flimmerte gelblich in der Sonne. Der Flughafen war, wie alle internationalen Flughäfen auf der Welt, riesig und die Landebahnen ein Flickenteppich aus schwarzen Straßen, von denen manche über zwei Meilen lang waren. Wenn es überhaupt einen Unterschied zwischen dem Flughafen Pekings und jenen in westlichen Städten gab, dann war dies der riesige kuppelförmige Bau mit dem Hotel daneben und den verschiedenen Schnellstraßen, die in den Komplex hineinführten. Borowski und d'Anjou passierten den Zoll mühelos, wobei ihr fließendes Chinesisch ihnen den Weg ebnete. Die Uniformierten waren ausgesprochen freundlich und warfen kaum einen Blick auf ihr Gepäck, sie interessierten sich mehr für ihre Sprachkenntnis. Sie gaben vor, zwei Orientalisten zu sein, die hier Urlaub machten, um später in ihren Vorträgen von ihren Erlebnissen erzählen zu können. Sie wechselten je tausend Dollar in ren-minbi um, wörtlich Volksgeld, und erhielten jeder beinahe zweitausend yuan dafür. Dann nahm Borowski die Brille ab, die er in Washington von seinem Freund Cactus gekauft hatte.

»Eines verblüfft mich«, sagte der Franzose, während sie vor einer elektronischen Tafel mit den Ankünften und Abflügen der nächsten drei Stunden standen. »Warum benutzt er wohl eine Linienmaschine? Die Leute, die ihn bezahlen, haben doch sicherlich Regierungs- oder Militärmaschinen zur Verfügung.«

»Das ist wie bei uns, solche Flugzeuge müssen registriert werden, und jemand muß sie anfordern«, antwortete Jason. »Und wer auch immer der Auftraggeber ist, er muß auf Distanz bleiben. Ihr Killer muß als Tourist oder Geschäftsmann hier ankommen, und der komplizierte Vorgang der Kontaktaufnahme beginnt erst anschließend. Zumindest hoffe ich, daß es so ist.«

»Wahnsinn! Sagen Sie, Delta, wenn Sie ihn wirklich erwischen - und dieses >Wenn< ist wesentlich, weil er ungemein geschickt ist -, haben Sie dann eine Ahnung, wie Sie ihn herausbringen wollen?«

»Ich habe Geld, amerikanisches Geld, große Scheine, mehr als Sie sich vorstellen können. Es steckt im Futter meiner Jacke.«

»Deshalb haben wir am Peninsula haltgemacht, nicht wahr? Deshalb durfte ich Sie gestern auch nicht abmelden. Ihr Geld ist dort.«

»Dort war es. Im Hotelsafe. Ich werde ihn herausbringen.«

»Auf den Schwingen des Pegasus?«

»Nein, wahrscheinlich mit einem PanAm-Flug, und wir beide werden einen schwerkranken Freund stützen. Im übrigen glaube ich sogar, daß Sie mich auf diese Idee gebracht haben.«

»Dann gehöre ich in eine Heilanstalt!«

»Bleiben Sie am Fenster«, sagte Borowski. »In zwölf Minuten landet die nächste Maschine aus Kai-tak, aber das könnte ebenso zwei Minuten wie zwölf Stunden bedeuten. Ich werde uns beiden ein Geschenk kaufen.«

»Wahnsinn«, murmelte der Franzose, zu müde, um mehr zu tun als den Kopf zu schütteln.

Jason kehrte zurück und dirigierte d'Anjou in eine Ecke, von der aus man die Türen zur Zollkontrolle sehen konnte, die geschlossen waren, wenn nicht gerade Passagiere herauskamen. Borowski griff in die Innentasche und holte eine lange, schmale, bunt lackierte Schachtel heraus. Er nahm den Deckel ab; auf imitiertem Filz lag ein schmaler Brieföffner aus Messing, mit chinesischen Schriftzeichen auf dem Griff. Die Spitze war scharf geschliffen. »Da, nehmen Sie«, sagte Jason. »Stecken Sie es sich in den Gürtel.«

»Wie ist die Klinge?« fragte Echo von Medusa, während er sich die Klinge in den Hosenbund schob.

»Nicht schlecht. Der Messinggriff ist schwer; es müßte sich gut werfen lassen.«

»Ja, ich erinnere mich«, sagte d'Anjou. »Eine der ersten Regeln war, nie ein Messer zu werfen, aber eines Abends haben Sie in der Dämmerung zugesehen, wie ein Gurkha einen Kundschafter aus drei Meter Entfernung erledigte, ohne einen

Schuß abzugeben oder sich auf ein Handgemenge einzulassen. Sein Bajonett wirbelte durch die Luft und bohrte sich dem Kundschafter in die Brust. Am nächsten Morgen haben Sie dem Gurkha befohlen, uns allen das Messerwerfen beizubringen -und einige haben das recht gut gekonnt.«

»Und Sie?«

»Gar nicht übel. Ich war älter als sie alle und hatte mich immer schon zu Kampfarten hingezogen gefühlt, die keinen großen körperlichen Einsatz erforderten. Und dann habe ich auch immer wieder geübt. Sie haben mir dabei zugesehen und gelegentlich sogar Bemerkungen darüber gemacht.«

Jason sah den Franzosen an. »Das ist komisch, aber daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern.«

»Ich habe natürlich gedacht ... Tut mir leid, Delta.«

»Vergessen Sie's. Ich fange an zu lernen, auch dann Vertrauen zu haben, wenn ich nichts begreife.«

Das Warten ging weiter und erinnerte Borowski daran, wie er in Li Wu gewartet hatte, wie ein Zug nach dem anderen die Grenze überquerte, bis am Ende ein kleiner, hinkender alter Mann sich in einen anderen verwandelt hatte. Die 11.30-Uhr-Maschine hatte über zwei Stunden Verspätung. Die Zollabfertigung würde weitere fünfzig Minuten in Anspruch nehmen.

»Der da?« rief d'Anjou und wies auf eine Gestalt, die gerade durch die Tür kam.

»Mit einem Stock?« fragte Jason. »Und hinkend?«

»Seine schäbigen Kleider können seine Schultern nicht verdecken!« rief Echo. »Das graue Haar ist zu neu, er hat es nicht genug gebürstet, und die dunkle Brille ist zu breit. Er ist müde wie wir. Sie hatten recht. Er mußte dem Ruf nach Beijing folgen und ist unvorsichtig.«

»Weil >Ruhe eine Waffe ist<? Und er die Regel nicht beachtet hat?«

»Ja. Die letzte Nacht in Kai-tak hat ihren Tribut von ihm gefordert. Aber was noch wichtiger ist, er mußte gehorchen.

Merde!«

»Er scheint zum Hotel zu gehen«, sagte Borowski. »Bleiben Sie hier, ich werde ihm folgen - mit einigem Abstand. Wenn er Sie entdeckt, läuft er weg, und dann verlieren wir ihn.«

»Er könnte Sie entdecken!«

»Unwahrscheinlich. Schließlich habe ich das Spiel erfunden. Außerdem werde ich hinter ihm bleiben. Sie bleiben hier, ich komme Sie dann holen.«

Jason griff nach seiner Flugtasche und reihte sich, ohne dabei den grauhaarigen Mann aus den Augen zu lassen, mit müden, schleppenden Schritten unter den Passagieren ein, die auf das Hotel zugingen. Zweimal blieb der ehemalige britische Kommandotruppführer stehen und drehte sich um, und zweimal, jedesmal wenn er die leichte Schulterbewegung bemerkte, drehte auch Borowski sich um und bückte sich, als wolle er ein Insekt vom Bein wedeln oder den Riemen seiner Flugtasche kürzen, und hielt sich dabei jedesmal so, daß der andere sein Gesicht nicht sehen konnte. Die Schlange an der Empfangstheke wuchs; Jason stand an achter Stelle hinter dem Killer, in der zweiten Reihe, darauf bedacht, so unauffällig wie möglich zu bleiben, wobei er sich immer wieder bückte, um seine Flugtasche vorzuschieben. Jetzt war der Killer an der Theke angelangt und zeigte der Angestellten seine Papiere, füllte die Meldekarte aus und hinkte dann auf die Aufzüge zu, die rechts von der Empfangstheke angeordnet waren. Sechs Minuten später stand Borowski vor derselben Angestellten. Er sprach sie auf Mandarin an. »Ni neng bang-zhu wo ma?« begann er, sie um Hilfe bittend. »Ich mußte die Reise plötzlich antreten und habe kein Zimmer. Nur für diese Nacht.«

»Sie sprechen unsere Sprache sehr gut«, sagte die junge Frau, deren mandelförmige Augen sich leicht geweitet hatten. »Sie erweisen uns Ehre«, fügte sie dann höflich hinzu.

»Ich hoffe, meine Sprachkenntnisse werden sich während meines Aufenthalts hier noch verbessern. Ich bin auf einer Studienreise.«

»Das ist die beste Art zu reisen. In Beijing gibt es viele Schätze, und anderswo natürlich auch, aber dies hier ist eine herrliche Stadt. Sie haben also nicht reserviert?«

»Leider nein. Alles auf den letzten Drücker, verstehen Sie?«

»Da ich beide Sprachen spreche, kann ich Ihnen sagen, daß Sie es in der unseren richtig formuliert haben. Alles geht immer husch-husch. Ich werde sehen, was ich tun kann. Es wird natürlich kein luxuriöses Zimmer sein.«

»Etwas Luxuriöses kann ich mir auch nicht leisten«, sagte Jason schüchtern. »Aber ich habe einen Begleiter - wir können uns ja das Bett teilen, wenn es nötig ist.«

»Ich fürchte, das wird nötig sein.« Die Angestellte blätterte in ihrer Kartei. »Hier«, sagte sie. »Ein Einzelzimmer, hinten im ersten Stock. Das paßt vielleicht -«

»Wir nehmen es«, nickte Borowski. »Übrigens, vor ein paar Minuten habe ich einen Mann hier in der Schlange gesehen, von dem ich sicher bin, daß ich ihn kenne. Ich glaube, ich habe bei ihm in England studiert. Grauhaarig, mit einem Stock ... Ich bin ganz sicher, daß er es ist. Ich würde ihn gerne anrufen.«

»O ja, ich erinnere mich.« Die Angestellte blätterte durch die Meldezettel, die sie vor sich liegen hatte. »Der Name ist Wadsworth, Joseph Wadsworth. Er hat Zimmer dreifünfundzwanzig. Aber es könnte sein, daß Sie sich irren. Er hat als Beruf Unternehmensberater angegeben. Aus Großbritannien.«

»Sie haben recht, das ist er nicht«, sagte Jason und schüttelte verlegen den Kopf. Dann nahm er seinen Schlüssel entgegen.

»Wir können ihn uns holen! Jetzt!« Borowski packte d'Anjous Arm und zerrte den Franzosen aus der Ecke des Flughafengebäudes.

»Jetzt? So einfach? So schnell? Das ist unglaublich!« »Im Gegenteil«, sagte Jason und führte d'Anjou auf die Reihe von Glastüren zu, die den Eingang zum Hotel bildeten. »Es ist alles andere als unglaublich. Ihr Mann hat jetzt ein Dutzend unterschiedliche Dinge im Kopf. Er muß außer Sichtweite bleiben. Er kann nicht über eine Telefon Vermittlung sprechen, also wird er in seinem Zimmer bleiben und auf einen Anruf warten, der ihm seine Instruktionen bringt.« Sie gingen durch eine Glastür, sahen sich um und schlenderten links an der langen Theke vorbei. Borowski redete die ganze Zeit schnell auf den anderen ein. »Die Operation in Kai-tak gestern nacht ist gescheitert, also muß er eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen. Nämlich die, daß er selbst eliminiert werden könnte, weil ihn derjenige, der den Sprengstoff unter dem Wagen entdeckt hat, gesehen und identifiziert haben könnte - was ja auch der Fall ist. Also muß er darauf bestehen, daß sein Klient allein an dem vereinbarten Treffpunkt erscheint, weil ihm nur das Schutz bietet.« Sie hatten die Treppe erreicht und stiegen hinauf. »Und seine Kleider«, fuhr Delta fort. »Er muß sich umziehen. Er kann nicht so auftreten, wie er war und auch nicht so, wie er ist. Er muß jemand anders sein.« Jetzt hatten sie den zweiten Stock erreicht, und Jason legte die Hand auf den Türknopf und drehte sich zu d'Anjou herum. »Glauben Sie mir, Echo, Ihr Freund ist beschäftigt.«

»Sagt das jetzt der Akademiker oder der Mann, den man einmal Jason Borowski genannt hat?«

»Boroswki«, sagte David Webb, und seine Augen blieben eiskalt, so eiskalt, wie seine Stimme klang. »Wenn es überhaupt einen Zeitpunkt gibt, an dem Jason Borowski gefordert ist, dann ist dieser Zeitpunkt jetzt.«

Die Flugtasche über die Schulter gehängt, öffnete Jason langsam die Flurtür und schob sich zentimeterweise nach vorne. Zwei Männer in schwarzen Nadelstreifenanzügen kamen den Korridor herauf und beklagten sich über den schlechten Zimmerservice; sie sprachen mit britischem Akzent. Sie schlössen ihr Zimmer auf und gingen hinein. Borowski zog die Flurtür zurück und schob d'Anjou durch; jetzt waren sie im Korridor. Die Zimmernummern waren chinesisch und arabisch angeschrieben.

341, 339, 337 - sie befanden sich im richtigen Korridor, das Zimmer mußte auf der linken Seite liegen. Drei indische Paare kamen plötzlich aus einem Aufzug, die Frauen in Saris, die Männer in eng anliegenden Hosen; sie gingen an Jason und d'Anjou vorbei, erregt aufeinander einredend auf der Suche nach ihren Zimmern. Die Männer waren sichtlich verärgert darüber, daß sie ihr Gepäck selbst tragen mußten.

335, 333, 331 »Jetzt reicht es mir aber!« kreischte eine Frauenstimme, und eine dicke Frau mit Lockenwicklern kam aus einer Tür zur Rechten. Sie war nur mit einem Bademantel bekleidet, unter dem das Nachthemd hervorsah. Jetzt hatte sie sich mit dem Fuß im Nachthemd verheddert, riß ihn zurück und ließ dabei ein Paar Beine sehen, die einem Rhinozeros Ehre gemacht hätten. »Die Toilette funktioniert nicht, und das Telefon kannst du vergessen!«

»Isabel, ich hab dir's doch gesagt!« rief ein mit einem roten Pyjama bekleideter Mann, der durch die offene Tür spähte. »Das ist der Jet-lag. Leg dich jetzt schlafen und denk daran, daß das hier nicht Short Hills ist! Hör auf zu meckern, du mußt dich hier anpassen!«

»Das Klo funktioniert nicht, da habe ich ja gar keine andere Wahl! Ich knöpfe mir schon irgendeinen von diesen schlitzäugigen Schweinehunden vor und brülle mir die Seele aus dem Leib! Wo sind die Treppen? Ich habe keine Lust, einen von diesen verdammten Aufzügen zu benutzen. Wenn die sich überhaupt bewegen, dann wahrscheinlich nur seitlich, und dann sitze ich plötzlich in einem Flugzeug!«

Die erboste Frau wogte an ihnen vorbei. Zwei von den drei indischen Ehepaaren hatten Schwierigkeiten mit ihren Schlüsseln, aber schließlich gelang es ihnen, die Türen mit ein paar Fußtritten aufzustoßen, und der Mann im roten Pyjama knallte die Tür zu, nachdem er seiner Frau noch nachgerufen hatte: »Das ist wie bei dem Klassentreffen im Club! Richtig schämen muß man sich mit dir, Isabel!«

329, 327, ... 325. Das Zimmer. Der Korridor war leer.

Hinter der Tür konnten sie asiatische Musik hören. Das Radio war eingeschaltet, recht laut, und würde beim ersten Klingeln des Telefons noch lauter gedreht werden. Jason zog d'Anjou zurück und sagte leise, gegen die Wand gepreßt, zu ihm: »Ich kann mich an keine Gurkhas erinnern und auch nicht an Kundschafter -«

»Etwas in Ihnen hat sich aber erinnert, Delta«, unterbrach ihn Echo.

»Vielleicht, aber das ist jetzt nicht wichtig. Jetzt beginnt der Endspurt. Wir lassen unsere Taschen hier draußen. Ich gehe auf die Tür zu, und Sie folgen dicht hinter mir. Halten Sie Ihre Klinge bereit. Aber ich möchte, daß Sie etwas verstehen und gar keinen Fehler machen - werfen Sie nicht, solange Sie nicht unbedingt müssen. Und wenn Sie werfen, dann auf seine Beine. Nicht oberhalb der Gürtellinie.«

»Sie haben mehr Vertrauen zur Treffsicherheit eines alten Mannes als ich selbst.«

»Ich hoffe, daß es nicht darauf ankommen wird. Diese Türen bestehen aus hohlem Sperrholz, und Ihr Junge da drinnen hat eine Menge im Kopf. Er denkt jetzt an Strategie, nicht an uns. Woher sollten wir auch wissen, daß er hier ist, und selbst wenn, wie sollten wir so schnell über die Grenze kommen. Und ich will ihn! Ich fange ihn! Fertig?«

»Ja«, sagte der Franzose, stellte den kleinen Koffer ab und zog den Brieföffner aus dem Gürtel. Er hielt die Klinge mit gespreizten Fingern in der Hand und suchte ihren Schwerpunkt.

Borowski ließ die Flugtasche zu Boden gleiten und bezog vor Zimmer 325 Position. Er sah zu d'Anjou hinüber. Echo nickte, und Jason sprang auf die Tür zu, den linken Fuß wie eine Ramme vorgestreckt. Die Tür flog nach innen, Holz splitterte, Angeln wurden aus ihren Verankerungen gerissen. Borowski stürzte sich hinein, rollte auf dem Boden aus, und seine Augen huschten gleichzeitig nach allen Richtungen.

»Arretez!« brüllte d'Anjou.

Eine Gestalt kam durch eine innere Tür - der grauhaarige Mann, der Killer! Jason sprang auf, stürzte sich auf seinen Feind, packte den Mann am Haar, riß ihn nach links, dann nach rechts, schmetterte ihn gegen den Türstock. Plötzlich schrie der Franzose auf, als die Messingklinge des Brieföffners durch die Luft blitzte uid sich mit zitterndem Griff in die Wand bohrte. Eine Warnung. »Delta! Nicht!«

Borowski erstarrte in der Bewegung, sein Opfer war völlig hilflos, von seinem eisernen Handgriff festgehalten.

»Schauen Sie doch!« rief d'Anjou.

Jason trat langsam zurück, die Arme so starr, daß sie den Mann wie ein Schraubstock umklammerten. Er starrte in das ausgemergelte, hagere Gesicht eines sehr alten Mannes mit schütterem grauem Haar.