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Es war etwas Künstliches an der Art und Weise, wie das Wochenende anfing; das spürte Ali. Vielleicht, weil die Stimmen lauter als gewöhnlich, das Lachen auffälliger war.
Gewöhnlich war das anders — wenn Bernie und Leila kamen, fingen sie alle ganz ruhig an und machten sich langsam mit dem vertraut, was die anderen in der Zwischenzeit getan hatten. Gespräche über dieses oder jenes Kind, diese oder jene berufliche Entscheidung — damit verstrichen immer die ersten paar Stunden. Ihr Mann nannte es das Osterman-Syndrom. Bernie und Leila brachten immer ihre besten Seiten zum Vorschein. Brachten sie zum Reden, dazu, wirklich miteinander zu reden.
Bis jetzt hatte keiner ein wirklich wichtiges persönliches Erlebnis beigetragen. Keiner hatte etwas Wesentliches aus seiner jüngsten Vergangenheit zum Vorschein gebracht — abgesehen natürlich von dem Schrecklichen, das sich am Mittwochnachmittag ereignet hatte.
Andererseits, überlegte Ali, machte sie sich natürlich immer noch Sorgen um ihren Mann — machte sich Sorgen darum, daß er nicht ins Büro gefahren war, daß er seit Mittwochnachmittag so gereizt war und sich so seltsam benahm. Vielleicht bildete sie sich auch in bezug auf die anderen etwas ein.
Die anderen Frauen waren wieder zu ihren Männern gegangen. Alice hatte abgedeckt. Die Kinder waren jetzt im Bett. Und sie konnte einfach nicht mehr zuhören, wenn Betty oder Ginny sich über ihre Mädchen unterhielten. Sie konnte sich auch ein Mädchen leisten! Aber sie wollte keines!
Ihr Vater hatte Mädchen gehabt. >Jüngerinnen<, hatte er sie genannt. >Jüngerinnen<, die sauber machten und putzten oder einkauften und…
Ihre Mutter hatte sie >Mädchen< genannt.
Ali hörte zu denken auf und fragte sich, ob sie vielleicht zuviel getrunken hatte. Sie drehte den Wasserhahn auf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Joe Cardone kam durch die Küchentür.
«Der große Boß hat gesagt, wenn ich einen Drink wollte, sollte ich mir selbst einen beschaffen. Du brauchst mir nicht zu sagen, wo die Flaschen stehen, ich bin schon mal hier gewesen.«
«Nur zu, Joe. Ist alles da, was du brauchst?«
«Na klar. Prima Gin; Tonic… Hey, was ist denn? Hast du geweint?«
«Warum denn? Ich hab' mir nur Wasser ins Gesicht gespritzt.«»Deine Wangen sind ganz naß.«
«So ist das eben, wenn man Wasser im Gesicht hat.«
Joe stellte die Tonicflasche weg und trat auf sie zu.»Habt ihr irgendwelche Probleme, du und Johnny… Dieser Mittwochnachmittag… Schon gut, es war ein verrückter Einbruch, Johnny hat mir alles erzählt. Aber wenn es etwas anderes war, dann würdet ihr mir das doch sagen, oder? Ich meine, wenn er sich mit irgendwelchen unangenehmen Typen eingelassen hat, dann würdet ihr das vor mir doch nicht geheimhalten, oder?«
«Unangenehme Typen?«
«Kredithaie. Ich habe Kunden bei der Standard Mutual. Ich hab' sogar ein paar Aktien von der Gesellschaft. Ich kenne die Firma… Du und Johnny, ihr lebt recht gut, aber sechzigtausend Dollar sind nach den Steuern auch nicht mehr viel.«
Alice Tanner hielt den Atem an.»John geht es sehr gut!«
«Das ist relativ. Nach meiner Ansicht steckt John so richtig mittendrin im Schlamassel. Er kann den Laden nicht übernehmen, und andererseits kann er auch sein kleines Reich nicht aufgeben, um sich etwas Besseres zu suchen. Aber das ist natürlich seine Sache und die deine. Aber ich möchte, daß du ihm das sagst. Ich bin sein Freund. Sein guter Freund. Und ich bin sauber. Absolut sauber. Wenn er etwas braucht, dann soll er mich anrufen. Sag ihm das, klar?«
«Joe, jetzt bin ich gerührt. Ehrlich. Aber ich glaube nicht, daß es notwendig ist. Wirklich nicht.«
«Aber du wirst es ihm sagen?«
«Sag es ihm selbst. John und ich haben da eine
stillschweigende Vereinbarung. Wir sprechen nicht mehr über sein Gehalt. Ehrlich gesagt, weil ich mit dir einer Meinung bin.«»Dann habt ihr Probleme.«
«Jetzt bist du nicht fair. Probleme, wie du sie siehst, sind für uns vielleicht gar keine.«
«Hoffentlich hast du recht. Sag ihm das auch. «Cardone ging schnell zur Bar und griff nach seinem Glas. Ehe Ali noch etwas sagen konnte, ging er wieder hinaus ins Wohnzimmer.
Joe hatte versucht, ihr etwas zu sagen, und sie begriff es nicht.
«Niemand hat dich oder sonst jemanden aus den
Nachrichtenmedien als unfehlbaren Hüter der Wahrheit aufgestellt! Ich kann das einfach nicht mehr hören! Ich muß jeden Tag damit leben. «Tremayne stand vor dem offenen Kamin, und alle spürten den Ärger, den er empfand.
«Nicht unfehlbar, natürlich nicht«, antwortete Tanner.»Aber niemand hat den Gerichten das Recht verliehen, uns daran zu hindern, uns — so objektiv wir das können — nach Informationen umzusehen.«
«Wenn diese Information für einen Klienten oder seinen Gegner präjudizierend ist, habt ihr nicht das Recht, sie zu veröffentlichen. Wenn es sich um Fakten handelt, wird man sie ja vor Gericht hören. Wartet doch, bis das Gericht seinen Spruch fällt.«
«Das ist unmöglich, und das weißt du auch ganz genau.«
Tremayne hielt inne, lächelte mit zusammengekniffenen Lippen und seufzte dann.»Das weiß ich. Wenn man es realistisch betrachtet, gibt es keine Lösung.«
«Bist du sicher, daß du eine finden willst?«fragte Tanner.
«Natürlich.«
«Warum denn? Der Vorteil liegt auf deiner Seite. Wenn du den Prozeß gewinnst, ist ja alles gut. Wenn du ihn verlierst, kannst du behaupten, das Gericht sei von einer voreingenommenen Presse korrumpiert worden. Dann kannst du in Revision gehen.«
«Eine Revision führt nur selten zum Erfolg«, sagte Bernard Osterman, der vor dem Sofa auf dem Boden saß.»Das weiß selbst ich. Wenn es einmal dazu kommt, gibt es eine Menge Publicity, nur ist das selten der Fall.«
«Revisionsverfahren kosten Geld«, fügte Tremayne hinzu und zuckte die Achseln.»Meistens für nichts und wieder nichts. Besonders in Wirtschaftsprozessen.«
«Dann braucht ihr doch bloß die Presse zu zwingen, sich zurückzuhalten, wenn es heiß her geht. Das ist doch ganz einfach. «Joe leerte sein Glas und musterte Tanner.
«Das ist nicht einfach«, sagte Leila, die in einem Sessel gegenüber dem Sofa Platz genommen hatte.»Das ist dann ja auch ein Urteil. Wer definiert denn, was Zurückhaltung bedeuten soll? Das ist es doch, was Dick meint. Es gibt keine klare Definition.«
«Auf die Gefahr hin, meinen Mann zu ärgern, was Gott verhüten möge«, sagte Virginia und lachte dabei,»ich glaube, daß eine informierte Öffentlichkeit ebenso wichtig ist wie ein unvoreingenommenes Gericht. Vielleicht besteht zwischen den beiden sogar eine Verbindung. Ich stehe auf deiner Seite, John.«
«Wieder eine persönliche Beurteilung«, sagte ihr Mann.»Das ist reine Ansichtssache. Was ist faktische Information und was ist interpretierte Information?«»Das eine ist die Wahrheit«, sagte Betty leichthin. Sie beobachtete ihren Mann. Er trank zu viel.
«Wessen Wahrheit? Welche Wahrheit? Wir wollen einmal eine hypothetische Situation herstellen. Zwischen John und mir. Gehen wir einmal davon aus, daß ich sechs Monate an einer komplizierten Fusion gearbeitet habe. Als Anwalt mit ethischen Grundsätzen habe ich mit Männern zu tun, an deren Anliegen ich glaube; indem wir eine Anzahl von Firmen zusammenführen, werden Tausende von Arbeitsplätzen gesichert, Firmen, die vor dem Bankrott stehen, werden plötzlich wieder lebensfähig gemacht. Und dann kommen da ein paar Leute, die davon einen Nachteil hätten — wegen ihrer eigenen Unfähigkeit —, und sie fangen an, nach einstweiligen Verfügungen zu schreien. Angenommen, die treten jetzt an John heran und fangen an, >Foul!< zu schreien. Weil sie den Anschein erwecken — den Anschein erwecken, wohlgemerkt —, sie würden benachteiligt, gibt John ihnen eine Minute, nur eine Minute Fernsehzeit im ganzen Lande. Sofort ist mein Fall präjudiziert. Und laß dir bloß von niemandem einreden, Gerichte wären nicht dem Druck der Medien ausgesetzt. Eine Minute im Gegensatz zu sechs Monaten.«
«Und du glaubst, ich würde das zulassen? Du glaubst, irgend jemand von uns würde das zulassen?«
«Ihr braucht doch Material. Das braucht ihr immer! Manchmal verstehst du einfach nicht!«Tremaynes Stimme wurde lauter.
Virginia stand auf.»Unser John würde so etwas nicht tun, Darling. - Ich möchte noch eine Tasse Kaffee.«
«Ich hole sie dir«, sagte Alice und erhob sich vom Sofa. Sie hatte Tremayne beobachtet und war von seiner plötzlichen Gereiztheit erschreckt.
«Sei doch nicht albern«, antwortete Ginny und ging in den Flur hinaus.
«Ich hätte gerne einen Drink. «Cardone hob sein Glas und erwartete, daß jemand es ihm abnähme.
«Gern, Joe. «Tanner nahm sein Glas.»Gin und Tonic?«»Das hatte ich bisher.«
«Und viel zu viel davon«, fügte seine Frau hinzu.
Tanner ging in die Küche und begann Cardones Drink zu machen. Ginny stand am Ofen.
«Ich mach' noch mal frischen; die Kerze ist ausgegangen.«»Danke.«
«Ich hab' immer das gleiche Problem. Die verdammten Kerzen gehen aus, und dann ist der Kaffee kalt.«
Tanner lachte leise und öffnete die Tonicflasche. Dann bemerkte er, daß Ginny etwas gesagt hatte, etwas sehr Unwichtiges eigentlich.»Ich habe Ali gesagt, sie sollte sich eine elektrische Kaffeemaschine besorgen, aber das will sie nicht.«
«John?«
«Ja?«
«Es ist so schön draußen. Warum gehen wir nicht in den Pool?«
«Aber sicher. Gute Idee. Ich werde das Filter rückspülen. Ich bring' das nur zuerst Joe. «Tanner ging ins Wohnzimmer zurück und hörte dort die ersten Takte von >Tangerine<. Ali hatte eine Langspielplatte mit dem Titel >Schlager von Gestern< aufgelegt.
Die Reaktion darauf war ganz normal. Einige lachten, als sie das Stück erkannten.
«Bitte sehr, Joe. Möchte sonst noch jemand etwas?«
Ein Chor von» nein, danke «antwortete ihm. Betty war aufgestanden und stand Dick Tremayne am Kamin gegenüber. Tanner fand, daß sie aussahen, als ob sie sich gestritten hätten. Ali stand an der Stereoanlage und zeigte Bernie die Rückseite des Plattenalbums; Leila Osterman saß Cardone gegenüber und sah ihm zu, wie er seinen Gin und Tonic trank, und war offenbar verstimmt, daß er so schnell trank.
«Ginny und ich spülen schnell die Filteranlage zurück. Wir gehen schwimmen, ja? Ihr habt sicher alle euere Badeanzüge hier; wenn nicht, dann liegen in der Garage mindestens ein Dutzend herum.«
Dick sah Tanner an. Ein seltsamer Blick, fand er.»Bring Ginny nicht zuviel von dem verdammten Filter bei. Ich laß mich nicht rumkriegen. Kein Pool!«
«Warum nicht?«fragte Cardone.
«Wegen der vielen Kinder.«
«Bau doch einen Zaun«, sagte Joe etwas verstimmt.
Tanner ging zur Küchentür hinaus. Er hörte ein plötzliches Lachen hinter sich, aber das war nicht das Lachen von Leuten, die Spaß hatten. Es war gezwungen, irgendwie unfreundlich. Hatte Fassett recht? Zeigte Omega schon die ersten Spuren? Drängten die Feindseligkeiten langsam an die Oberfläche?
Draußen ging er an den Beckenrand, zu der Filteranlage.»Ginny?«
«Ich bin hier drüben, bei Alis Tomatenpflanzen. Da ist eine Stange umgefallen, und ich kann das Band nicht wieder binden.«
«Okay. «Er drehte sich um und ging zu ihr hinüber.»Welche denn? Ich sehe nichts.«
«Hier«, sagte Ginny und deutete.
Tanner kniete nieder und sah die Stange jetzt. Sie war nicht umgefallen, sie war abgebrochen worden.»Eines der Kinder muß hier durchgerannt sein. «Er zog das dünne Stöckchen heraus und legte die Tomatenpflanze vorsichtig auf den Boden.»Das richte ich morgen.«
Er stand auf. Ginny stand ganz nahe bei ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. Er erkannte, daß man sie vom Haus aus nicht sehen konnte.
«Ich habe sie abgebrochen«, sagte Ginny.
«Warum?«
«Ich wollte mit dir reden. Alleine.«
Sie hatte ein paar Knöpfe ihrer Bluse geöffnet. Er konnte den Ansatz ihrer Brüste sehen. Tanner fragte sich, ob Ginny wohl betrunken sein mochte. Aber Ginny betrank sich nie, und wenn sie es tat, merkte das niemand.
«Worüber möchtest du denn reden?«
«Dick, zunächst einmal. Ich möchte mich für ihn entschuldigen. Er kann unangenehm werden — richtig brutal, wenn er sich ärgert.«
«War er unangenehm? Verärgert? Mir ist nichts aufgefallen.«»Natürlich ist es dir aufgefallen. Ich habe dich beobachtet.«
«Da hast du dich geirrt.«
«Das glaube ich nicht.«
«Kümmern wir uns jetzt um den Pool.«
«Augenblick. «Ginny lachte leise.»Ich mache dr doch nicht etwa Angst, oder?«
«Meine Freunde machen mir nicht Angst«, sagte Tanner und lächelte.
«Wir wissen eine ganze Menge voneinander.«
Tanner beobachtete Ginnys Gesicht aus der Nähe, ihre Augen, die leicht zusammengekniffenen Lippen. Er fragte sich, ob dies der Augenblick sein würde, in dem ihm das Unglaubliche eröffnet werden würde. Wenn ja, würde er ihr dabei helfen.»Ich denke, wir glauben immer, daß wir unsere Freunde kennen. Manchmal frage ich mich, ob das wirklich so ist.«
«Ich fühle mich von dir sehr angezogen — körperlich angezogen. Hast du das gewußt?«
«Nein, das habe ich nicht gewußt«, sagte Tanner überrascht.
«Es sollte dich nicht stören. Ich würde Ali um alles in der Welt nicht weh tun wollen. Ich glaube nicht, daß es einen zu etwas verpflichtet, wenn man sich körperlich angezogen fühlt, findest du nicht?«
«Jeder hat seine Träume.«
«Du weichst mir aus.«
«Das tu ich allerdings.«»Ich sagte dir doch, ich würde deine Verpflichtungen nicht stören.«
«Ich bin ein Mensch. Es würde sie schon stören.«
«Ich bin auch ein Mensch. Darf ich dich küssen? Einen Kuß verdiene ich doch wenigstens.«
Ginny legte dem verblüfften Tanner die Arme um den Hals und preßte ihre Lippen auf die seinen, öffnete den Mund dabei. Tanner merkte, daß sie sich redliche Mühe gab, ihn zu erregen. Er konnte das nicht begreifen. Wenn es ihr mit dem, was sie tat, wirklich ernst war, hatte sie hier keine Chance, es zu Ende zu bringen.
Dann begriff er. Das sollte ein Versprechen sein.
Das war ihre Absicht.
«Oh, Johnny! O Gott, Johnny!«
«Schon gut, Ginny. Schon gut. Du sollst nicht…«Vielleicht war sie wirklich betrunken, dachte Tanner. Morgen würde sie sich wie ein Narr vorkommen.»Wir reden später.«
Ginny wich ein wenig zurück.»Natürlich reden wir später. Johnny? — Wer ist Blackstone?«
«Blackstone?«
«Bitte! Ich muß es wissen! Nichts wird sich ändern, das verspreche ich dir! Wer ist Blackstone?«
Tanner hielt sie an den Schultern fest und drehte sie so herum, daß ihr Gesicht vor dem seinen war.
Sie weinte.
«Ich kenne keinen Blackstone.«
«Tu das nicht!«flüsterte sie.»Bitte, um Gottes willen, tu das nicht! Sag Blackstone, er soll aufhören!«
«Hat Dick dich herausgeschickt?«
«Er würde mich umbringen«, sagte sie leise.
«Wir wollen das einmal klarstellen. Du bietest mir an…«»Was du willst! Laß ihn bloß in Frieden. Mein Mann ist ein guter Mann. Ein sehr, sehr anständiger Mann. Er ist dir ein guter Freund gewesen! Bitte, tu ihm nicht weh!«
«Du liebst ihn.«
«Mehr als mein Leben. Und deshalb darfst du ihm bitte, bitte nicht weh tun. Und sag Blackstone, daß er aufhören soll!«
Sie rannte in die Garage.
Er wollte ihr nachgehen und sie beruhigen, aber der Schemen von Omega hinderte ihn daran. Und dabei fragte er sich die ganze Zeit, ob Ginny, die imstande war, sich als Hure anzubieten, auch zu viel gefährlicheren Dingen imstande war.
Aber Ginny war keine Hure. Leichtlebig vielleicht, selbst auf harmlose Art provozierend, aber weder Tanner noch irgend jemandem, den Tanner kannte, war es je in den Sinn gekommen, daß sie ihr Bett mit irgend jemand außer Dick teilen würde. Das war nicht ihre Art.
Wenn sie nicht Omegas Hure war.
Wieder drang gezwungenes Gelächter aus dem Hause. Tanner hörte die einleitenden Klarinettentöne von >Amapola<. Er kniete nieder und holte das Thermometer aus dem Wasser. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er nicht alleine war. Leila Osterman stand ein paar Schritte hinter ihm auf dem Rasen. Sie war lautlos herausgekommen, oder er war zu sehr in Gedanken versunken gewesen, um die Küchentür oder ihre Schritte zu hören.
«Oh, du bist's! Du hast mich erschreckt.«
«Ich dachte, Ginny würde dir helfen.«
«Sie — sie hat sich Kieselgur auf den Rock geschüttet. Schau nur, es hat achtundzwanzig Grad. Joe wird sagen, daß es zu warm ist.«
«Wenn er das noch bemerkt.«
«Ja, ich verstehe«, sagte Tanner und erhob sich lächelnd.»Joe ist kein Trinker.«
«Er gibt sich aber große Mühe.«»Leila, wie kommt es, daß du und Bernie schon vor zwei Tagen angekommen seid?«
«Hat er dir das nicht gesagt?«Leila zögerte und schien verärgert, daß ihr jetzt die Erklärung zugefallen war.
«Nein. Sonst würde ich nicht fragen.«
«Er sieht sich um. Er hatte Besprechungen und Verabredungen.«
«Wonach sieht er sich um?«
«Oh, alles mögliche. Du kennst ja Bernie; er macht da verschiedene Phasen durch. Er kann nie vergessen, daß die New York Times ihn einmal aufregend genannt hat — oder scharfsichtig, ich weiß das nicht mehr genau. Unglücklicherweise hat er sich einen teueren Geschmack zugelegt.«
«Jetzt komm' ich nicht mehr mit.«
«Er würde gerne eine Spitzenserie machen; du weißt schon, so einen richtigen Knüller. In den Agenturen wird viel von Qualitätsverbesserung geredet.«
«Wirklich? Davon hab' ich gar nichts gehört.«
«Du bist auch bei den Nachrichten und nicht bei der Unterhaltung.«
Tanner holte ein Päckchen Zigaretten heraus, bot Leila eine an. Als er sie anzündete, konnte er die Besorgnis, die Anspannung in ihren Augen erkennen.»Schließlich spricht doch eine ganze Menge für Bernie. Ihr beide habt den Agenturen eine Menge Geld verdient. Er wird keine Schwierigkeiten haben; außerdem kann er einen durchaus überzeugen.«
«Ich fürchte, da braucht es mehr als Überzeugungsgabe«, sagte Leila.»Sofern du nicht für Prozente an profitlosen kulturellen Serien arbeiten willst. Nein, dazu gehört Einfluß. Ungeheuerer Einfluß; so viel, daß die Geldleute es sich anders überlegen. «Leila zog an ihrer Zigarette und wich dabei Tanners Blick aus.
«Kann er das?«»Er könnte es schaffen. Wenn Bernie etwas sagt, dann hat das durchaus sein Gewicht, mehr als bei den meisten anderen Leuten an der Westküste. Er hat schon Einfluß — Einfluß, der bis nach New York reicht, das kannst du mir glauben.«
Tanner hätte das Gespräch am liebsten nicht fortgesetzt. Es tat weh. Leila hatte es ihm ja fast gesagt, dachte er. Sie hatte die Macht von Omega praktisch hinausposaunt. Natürlich würde Bernie tun, was er tun wollte. Bernie war durchaus imstande, die Leute dazu zu bringen, sich etwas anderes zu überlegen, Entscheidungen umzustoßen. Er oder Omega war dazu imstande, und er war ein Teil davon — ein Teil von ihnen.
«Ja«, sagte er leise.»Ich glaube es dir. Bernie ist ein großer Mann.«
Eine Weile standen sie da, ohne zu reden, dann fragte Leila mit scharfer Stimme.»Bist du zufrieden?«
«Was?«
«Ich habe dich gefragt, ob du zufrieden bist. Du hast mich gerade verhört wie ein Bulle. Ich kann dir sogar eine Liste seiner Verabredungen liefern, wenn du das möchtest. Und die Friseure, die Warenhäuser, die Geschäfte — ich bin sicher, daß sie dir bestätigen würden, daß ich dort gewesen bin.«
«Wovon zum Teufel redest du denn?«
«Das weißt du ganz genau! Das dort drinnen ist keine besonders nette Party, falls du das noch nicht bemerkt hast. Wir benehmen uns alle, als ob wir uns nie zuvor begegnet wären, als ob wir unsere neuen Bekannten nicht leiden könnten.«
«Das hat nichts mit mir zu tun. Vielleicht solltet ihr euch selbst bei der Nase nehmen.«
«Warum?«Leila trat einen Schritt zurück. Tanner fand, daß sie verwirrt wirkte, aber er vertraute nicht auf sein Urteil.»Warum sollten wir das? Was ist denn los, John?«
«Kannst du das nicht mir sagen?«
«Du lieber Gott, du bist tatsächlich hinter ihm her, wie? Hinter Berufe.«»Nein, das bin ich nicht. Ich bin hinter niemandem her.«
«Jetzt hör mir gut zu, John! Bernie würde sein Leben für dich geben! Weißt du das nicht?«
Leila Osterman warf ihre Zigarette ins Gras und ließ ihn stehen.
Als Tanner gerade den Eimer mit Chlortabletten in die Garage tragen wollte, kam Ali mit Bernie Osterman heraus. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob Leila wohl etwas gesagt hatte. Aber das war offenbar nicht der Fall. Seine Frau und Bernie wollten bloß wissen, wo er das Selterswasser aufbewahrte, und ihm sagen, daß alle dabei waren, sich umzuziehen.
Tremayne stand unter der Küchentür, das Glas in der Hand, und sah ihnen zu, wie sie sich unterhielten. Auf Tanner wirkte er nervös, verunsichert.
Tanner ging in die Garage und stellte den Plastikeimer in die Ecke, neben die Toilette, die er in die Garage hatte einbauen lassen. Das war der kühlste Ort. Die Küchentür ging auf, und Tremayne kam die Stufen herunter.
«Ich hätte dich gerne einen Augenblick gesprochen.«
«Gern.«
Tremayne drehte sich zur Seite und schob sich an dem Triumph vorbei.»Ich hab' dich diese Kiste nie fahren sehen.«
«Ich mag sie auch nicht. Es ist der reinste Mord, sich hineinzuzwängen und wieder auszusteigen.«
«Ja, bei deiner Größe.«
«Es ist ein kleiner Wagen.«
«Ich… Ich wollte nur sagen, daß mir der Quatsch leid tut, den ich zuerst dahergeredet habe. Ich will mich nicht mit dir streiten. Ein Reporter vom Wall Street Journal hat mich vor ein paar Wochen drangekriegt. Kannst du dir das vorstellen? Das Journal! Meine Firma hat den Fall sofort aufgegeben.«
«Freie Presse oder fairer Prozeß. Was du gesagt hast, hatte durchaus Hand und Fuß. Ich habe es nicht persönlich genommen.«
Tremayne lehnte sich gegen den Triumph. Er sprach ganz vorsichtig.»Vor ein paar Stunden hat Bernie dich gefragt — er redete vom vergangenen Mittwoch —, ob du mit irgend etwas wie dieser San-Diego-Geschichte beschäftigt wärest. Ich hab' nie besonders viel darüber erfahren, nur, daß man in den Zeitungen immer noch darauf Bezug nimmt.«
«Das wird mächtig übertrieben. Ein paar Bestechungsfälle im Hafen. Das ist in der Branche so üblich, denke ich.«
«Sei nicht so bescheiden.«
«Bin ich nicht. Es war eine klasse Story, und ich hätte beinahe den Pulitzerpreis bekommen. Meine ganze Karriere ist darauf aufgebaut.
«Also schön… Ich will jetzt aufhören, um den heißen Brei herumzureden. Schnüffelst du in etwas herum, das mich betrifft?«
«Nicht, daß ich wüßte. Es ist so, wie es Bernie gesagt hat; ich habe rund siebzig Leute, die direkt mit den Nachrichtenrecherchen befaßt sind. Ich verlange keine täglichen Berichte.«
«Willst du sagen, daß du nicht weißt, was die tun?«
«So ist es nun auch wieder nicht«, sagte Tanner und lachte kurz.»Ich zeichne ihre Quittungen ab; und es wird nichts gesendet, das ich nicht freigegeben habe.«
Tremayne stieß sich von dem Triumph ab.»All right, ich will die Karten auf den Tisch legen. Ginny ist vor einer Viertelstunde hereingekommen. Ich lebe jetzt mit diesem Mädchen seit sechzehn Jahren zusammen. Ich kenne sie — sie hat geweint. Sie war mit dir draußen und ist weinend wieder hereingekommen. Ich möchte wissen warum.«
«Die Frage kann ich nicht beantworten.«
«Du solltest es aber versuchen! — Dir paßt es nicht, wenn ich soviel Geld verdiene, wie?«
«Das stimmt nicht.«
«Natürlich ist es so! Du meinst wohl, ich hab' nicht bemerkt, wie Ali auf dir herumhackt! Und jetzt läßt du so ganz subtil und beiläufig fallen, daß nichts gesendet wird, ohne daß du es freigibst! Ist es das, was du meiner Frau gesagt hast? Soll ich mir von ihr Details geben lassen? Eine Frau kann nicht gegen den eigenen Mann aussagen; schützt du uns etwa? Was willst du?«
«Reiß dich doch zusammen! Hast du mit etwas so Schmutzigem zu tun, daß du anfängst, paranoid zu werden? Ist es das? Willst du mir davon erzählen?«
«Nein. Nein! Warum hat sie geweint?«
«Frag sie doch selbst!«
Tremayne wandte sich ab, und John Tanner sah, daß der Anwalt am ganzen Leibe zitterte, als er mit der Hand über die Motorhaube des kleinen Sportwagens strich.
«Wir kennen uns jetzt eine ganze Zeit; aber du hast mich nie verstanden… Du solltest kein Urteil abgeben, solange du die Menschen nicht verstehst, die du beurteilst.«
Das ist es also, dachte Tanner. Tremayne gab es zu. Er gehörte zu Omega.
Und dann sprach Tremayne weiter, und er zog seinen Schluß zurück. Er drehte sich um, und sein Gesichtsausdruck war bemitleidenswert.
«Mag sein, daß ich nicht ohne Fehl bin, das weiß ich, aber ich tue nichts Illegales. So ist das System eben. Mag sein, daß ich es nicht immer mag, aber es ist ein System, das ich respektiere!«
Tanner fragte sich, ob Fassetts Männer eines ihrer elektronischen Mikrofone in der Garage angebracht hatten. Ob sie die Worte gehört hatten, aus denen solche Sorge klang und die so aufrichtig wirkten. Er sah den gebrochenen Mann an, der vor ihm stand.
«Gehen wir in die Küche. Du brauchst einen Drink, und ich brauche auch einen.«