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Der Raum sah nicht danach aus, als habe ein Kampf stattgefunden. Herbert Duff, der liebe Junge, der heimlich Gedichte schrieb und Briefe an seine Mutter, die er nie abschickte, weil er sein Herz ausschüttete: Ich habe Angst, Mutter, Angst vor dem Meer, vor dem Boot, vor dem Dienst, vor dem Offiziersein. Ich hätte Gärtner werden sollen, ich liebe Blumen, aber auf dem Meer wachsen keine Blumen, und die Blumen hier im Boot sind aus Plastik. Doch ich halte durch, Mutter, weil Du es willst und weil Vater wollte, daß ich Offizier werde.
Dieser kleine, von allen wie ein Sohn geliebte Duff lag in seiner Koje auf dem Rücken, die Augen gläsern und starr, mit offenem Mund und in der Mundhöhle ein paar kleine, weiße Daunenfedern.
Jack Nicholson lehnte die MPi an die Tür von Duffs Kajüte und sah sich um. Hinter ihm stand Bernie Cornell mit einem entsetz-ten Gesicht. Seine Nerven waren wie bloßgelegt… gleich wird er schreien, dachte Nicholson, und keiner kann ihm das übelnehmen. Auch ein Offizier darf Nerven haben — und ein Herz.
Er beugte sich über den kleinen Duff und berührte ihn vorsichtig. Der Körper war noch warm.
«Ein frischer Mord!«sagte Nicholson heiser.»Cornell, der Mörder muß Ihnen fast die Klinke in die Hand gedrückt haben, als Sie hereinkamen.«
«Ich habe keinen gesehen, Sir«, stotterte Cornell.»Keinen.«
«Wie kommen Sie übrigens darauf, daß Duff mit einem Kissen — «
«Es lag auf seinem Gesicht. Ich habe es weggerissen und… dort liegt es, Sir.«
Cornell deutete unter den Klapptisch. Nicholson bückte sich, holte das kleine Kissen hervor und drehte es. An einer Seite war es aufgerissen. hier hatte Duff es mit den Zähnen aufgeschlitzt, als er, aus dem Schlaf gerissen, sich instinktiv gewehrt hatte, bevor er erstickte.
Vorsichtig, als sei es aus dünnstem Glas, legte Nicholson das Kissen auf den Klapptisch. Was hatte Porter gesagt? Der Mörder ist unter den Offizieren! Wir haben alle Würfelspieler durch die Mangel gedreht. Von den Mannschaften war es keiner.
Nicholson betrachtete den toten Duff lange. Hinter ihm stand Cornell, der heftig atmete.
«Was veranlaßte Sie, um diese Zeit Duffs Kabine zu betreten, Ber-nie?«fragte er, doch er vermied dabei, seiner Stimme einen mißtrauischen Ton zu geben.
«Ich kam aus der Zentrale, Sir. Ich hatte noch bei Curtis gesessen. Wir spielten Schach. Ich hatte ihn abgelöst. Wenn man Schach spielt, dann schaut man nicht auf die Uhr. Als ich zu meiner Kajüte ging, sah ich, daß Duffs Tür offenstand. >Heh<, hab ich gerufen. >Herbert! Ist dir der Zwiebelbraten nicht bekommen? Behalt deinen Gestank bei dir und verpeste uns nicht das Boot!<«Cornell wischte sich mit zitternder Hand den Schweiß vom Gesicht.»Das… das habe ich noch gesagt, Sir! Und weil Duff keine Antwort gab, bin ich in die
Kajüte. Das Licht brannte ja. Sehe ihn daliegen — mit dem Kissen auf dem Gesicht.«
«Das Licht brannte?«
«So wie jetzt, Sir.«
«Der Mörder hat bei vollem Licht gearbeitet… so sicher ist er sich! Ist Ihnen das klar, Cornell?«
«Es ist entsetzlich, Sir. Ungeheuerlich! Und warum Duff?«
«Das kann ich Ihnen erklären. «Nicholson griff zu dem Telefon, das in jeder Offizierskabine an der Wand hing. Nacheinander rief er die einzelnen Offiziere ab… zuerst Dr. Blandy.
«Komm zu Duff«, sagte Nicholson plötzlich sehr müde.»Und bring dein Stethoskop mit, auch wenn du nichts mehr hören wirst.«
«Was ist denn los, verdammt noch mal?«dröhnte Dr. Blandys Stimme durch das Telefon.»Was heißt hier Stethoskop! Hat einer der Torpedos einen Husten bekommen?«
«Ich bin bei Duff!«sagte Nicholson und hängte ein. Dann rief er die anderen Offiziere.»Hier ist der Kommandant. Kommen Sie bitte sofort zu Fähnrich Duff! Sofort heißt, so wie Sie sind!«
Dann setzte er sich auf die Kante von Duffs Bett und zog plötzlich ein Handtuch vom Haken, breitete es über Duffs Gesicht und zog die Bettdecke bis hinauf zum Kinn des Toten. Bernie Cornell lehnte an der Wand. Ihm war speiübel, er hatte das Gefühl, sein Magen befinde sich in Rotation. Woher nimmt Nicholson bloß die Ruhe? dachte er. Setzt sich auch noch aufs Bett! Ich an seiner Stelle würde brüllen, daß das ganze Boot zittert. Aber das unterscheidet ja den Commander von uns… ich werde wohl nie ein richtiger Commander werden.
Der erste Offizier, der bei Duff eintraf, war Chief McLaren. Natürlich kam er nicht so, wie er war… er knöpfte sich im Laufen noch die Uniformjacke zu. Ihm folgten in schneller Folge Chief Collins, Leutnant Curtis, Leutnant Hamshore, Leutnant Black, Oberfähnrich zur See Williams.
«Mein Gott, was ist mit Duff los?«stammelte McLaren. Er starrte auf das mit dem Handtuch bedeckte Gesicht. Er begriff, was er sah, und war doch plötzlich in allen seinen Gedanken wie gelähmt. Auch die anderen Offiziere, alle in Uniform trotz des Sofortbefehls, standen stumm und verlegen herum und schwiegen. Erst als Sechster kam Dr. Blandy schnaufend daher. Er war der einzige in Hemd und Hose. Vor seiner breiten Brust baumelten die Kunststoffschläuche eines Membranstethoskops. Kaum sah er die Offiziersansammlung, da brüllte er auch schon los. Sein dröhnender Baß klang in dieser Stille doppelt angriffslustig.
«Hat es sich auf diesem Scheißboot noch nicht herumgesprochen, daß ich Arzt bin und an Nachtübungen nicht teilnehme!«schrie er.»Mit einem Stethoskop! Soll ich die Atome abhören, ob sie einen Husten haben?«
Die Offiziere machten ihm Platz. Er stürmte in die Kajüte, sah Nicholson auf dem Bett sitzen, wollte etwas sagen, doch dann sah er den kleinen Duff mit dem Handtuch auf dem Gesicht und zog mit einem röchelnden Laut die Schulter hoch.
«Nein!«
«Doch. «Nicholson zog das Handtuch von Duffs Kopf. Der Anblick des jungen Gesichtes mit den starren Augen und dem offenen Mund traf den Doktor wie ein Faustschlag.»Er ist noch warm, Paul.«
«Und ihr steht hier alle herum und faltet die Hände!«brüllte Dr. Blandy.»Euren Psalm könnt ihr später beten. Los! Wozu haben wir Wiederbelebungsapparate an Bord? Ein Lazarett? Kreislaufspritzen? Los, ihr Vollidioten!«Er stürzte zum Telefon, um seine Sanitäter zu alarmieren, aber Nicholson hielt ihn an der Hose fest.
«Er ist tot, Paul! Man hat ihn mit seinem Kissen erstickt. Er hat noch ins Kissen hineingebissen, aber es reichte nicht mehr zur Gegenwehr. Der Mörder war zu schnell.«
Dr. Blandy machte sich aus Nicholsons Griff los und verzichtete darauf, im Lazarett Alarm zu geben.»Mit seinem Kissen?«sagte er dumpf.»Es war sein Eigentum. Er schleppte es immer mit sich herum. zu allen Lehrgängen, immer. auch wenn ihn alle auslachten. Es… es war von seiner Mutter. Wenn er auf dem Kissen schlief, war es wie ein Daheim für ihn.«
Seine Stimme brach entzwei. Im Hintergrund begann Leutnant Black zu weinen.»So ein Sauhund!«sagte er dabei.»Wenn ich den Mörder erwische — ich bring' ihn um!«
Nicholson schwieg. Jetzt waren alle Offiziere in Duffs Kabine versammelt, standen Schulter an Schulter und starrten fassungslos auf den toten Jungen. Dr. Blandy riß die Bettdecke weg, setzte das Stethoskop auf die schmale Brust des Toten und schloß dabei die Augen. Es war in dieser Situation sinnlos, was er tat, aber es gehörte zu den notwendigen Handgriffen, um einen Tod festzustellen.
Nicholson sah seine Offiziere der Reihe nach an. Einer von ihnen ist der Mörder, dachte er. Auch wenn ich mich dagegen wehre, was Porter in seiner billigen Wut gesagt hat — die logische Überlegung geht dahin, daß jetzt der Mörder hier im Raum steht und mit dem gleichen Entsetzen in den Augen auf sein Opfer blickt wie alle anderen auf ihren getöteten Kameraden. Er steht da und fühlt sich unheimlich sicher. So sicher, daß er sogar das Licht einschaltet, um besser sehen und damit perfekter morden zu können.
Meine Offiziere! Die Elite der Marine. Und einer von ihnen wird zu einem Untier, weil ihm zwei gespreizte Weiberschenkel plötzlich das Wichtigste auf der Welt werden. Etwas, für das es sich sogar lohnt, zu töten!
Wie kann man das noch begreifen?
Dr. Blandy richtete sich wieder auf und zog die Bettdecke hoch. Dann blickte er in den offenen Mund des Toten und wandte sich an Nicholson.»Ich bin dafür«, sagte er dumpf,»daß wir die Basis benachrichtigen und das Unternehmen sofort abbrechen! Auch der Admiral muß dafür Verständnis haben!«
«Er wird es nicht haben«, sagte Nicholson ruhig. Er nahm das Handtuch und breitete es wieder über das Gesicht des Toten.»Für den Admiral ist das Motiv der beiden Morde — nämlich die Mädchen — nicht mehr an Bord! Theoretisch. Sie kennen unsere Funksprüche, meine Herren. Ich müßte jetzt also der Basis melden, daß wir gelogen haben, daß wir laufend Falschmeldungen durchgegeben haben, daß Offiziere und Mannschaften durch fünf männertolle Weiber paralysiert worden sind!«
Er schwieg und wartete die Reaktion seiner Offiziere ab. Verzeih mir, Monika, dachte er dabei. Ich muß dich mit in diesen Topf werfen. ich kann nicht sagen, vier Weiber und ein vernünftiges Mädchen.
«Das wird man spätestens erfahren, wenn wir mit zwei Mann weniger jenseits des Nordpols ankommen!«brummte Dr. Blandy.»Das eine möchte ich hier feststellen: Ich werde als Todesursache keine Lungenentzündung eintragen!«Er blickte sich herausfordernd um.»Wenn ihr das etwa denkt oder von mir verlangt. natürlich, das wäre der einfachste Weg, warum sollen auf einer monatelangen Fahrt unter Wasser nicht zwei Männer eines natürlichen Todes sterben? Ich weigere mich als Arzt, falsche Todesscheine zu unterschreiben!«
«Das wäre wirklich die genialste Lösung unseres Problems«, sagte Chief Collins trocken.»Und ich bin sicher, daß auch die Mannschaften und Maate das Maul halten. Sie alle kennen ja die Konsequenzen.«
«Das ist das Letzte!«Dr. Blandy sprang auf.»Sind hier nur Gauner an Bord?«
«Vergessen Sie nicht, Doc, wem wir den Besuch an Bord verdanken!«Leutnant Curtis schob sich nach vorn. Nicholson sah ihn scharf an. War er es? dachte er. Warum macht er sich zum Wortführer der Offiziere? Er hatte Wache in der Kommandozentrale. Von dort bis zu Duff und zurück sind es sechs Minuten vielleicht, einschließlich Mord. Aber Curtis hat mit Cornell Schach gespielt. Oder war es Cornell, und Curtis gibt ihm nur das Alibi?
«Wer hat auf seine Kappe genommen, daß wir die Mädchen auffischten?«sagte Curtis laut.
«Ich habe nicht damit gerechnet, daß wir an Bord dreihundert Dauerständer haben!«brüllte Dr. Blandy zurück.
«Aber ich habe es dir gesagt, Paul!«Nicholson erhob sich von der Bettkante.»Unter uns lebt ein Doppelmörder. Ob wir ihn jetzt, nach Duffs Tod, noch entlarven, ist ungewiß. Duff kannte ihn, oder er ahnte zumindest, wer es sein könnte. Darum mußte er sterben. Dem Mörder war klar, daß Duff mit diesem Wissen nicht lange würde ruhig leben können. Gerade unser kleiner Duff nicht… ihn hätte sein Wissen innerlich zerfressen, und dann wäre er zu mir gekommen. Das hat der Mörder mit Erfolg verhindert. Und jetzt ist seine Sicherheit enorm. Nur sollte er eins nicht vergessen: Er befindet sich auf einem Boot, das ein Jack Nicholson führt. Und wir bleiben noch über zwölf Wochen unter Wasser! Es wird kein Tag, keine Stunde in diesen zwölf Wochen vergehen, in der ich ihn nicht jagen werde! Und ich bin sicher, daß ich ihn habe, bevor wir wieder in Norfolk einlaufen! Ich glaube, meine Herren, Sie alle kennen mich noch nicht gut genug! Sagen Sie das auch den Maaten und Mannschaften. Ich danke Ihnen, meine Herren!«
Die Offiziere strafften sich, grüßten und verließen dann schnell und wie geohrfeigt die enge Kabine. Nur Dr. Blandy blieb zurück und setzte sich ächzend auf einen der zwei Stühle in der Kajüte.
«Das war eine offene Kampfansage, Jack«, sagte er.
«Das sollte sie auch sein!«Nicholson zeigte auf den toten Duff.»Ich bin sicher: Er kannte den Mörder von Belucci, und er wäre auch zu mir gekommen! Ich hätte ihn weichgeknetet… die Sache mit dem Würfelspiel um die Weiber war der Anfang. Da mußte der Mörder noch einmal handeln… und zwar fix, das habe ich nicht überlegt. Insofern fühle ich mich mitschuldig an Duffs Tod!«
«Um Gottes willen, laß bloß nicht solche Komplexe aufkommen!«Dr. Blandy lehnte sich zurück und blickte zur Decke.»Du hast einen bestimmten Verdacht, Jack?«
«Wieso?«Nicholson ließ noch einmal alle Gesichter seiner Offiziere im Geist an sich vorbeiziehen. Überall nur Betroffenheit und Entsetzen. War der Mörder unter ihnen, war es ein Bursche mit ungeheuren Nerven.
«Du bist so sicher, daß du den Mörder bis zur Rückkehr gefunden haben wirst?«
«Er wird sich selbst verraten, Paul.«
«Jetzt? Wo Duff tot ist? Er hat keinen Grund mehr zur Panik.«»Du glaubst also auch, daß der kleine Duff mehr wußte, als er gestern gesagt hat.«
«Es scheint so«, sagte Dr. Blandy vorsichtig.»Sonst gäbe es wirklich keinen Grund, ihn umzubringen. «Er strich sich über das Gesicht und ließ seine breite schwere Hand auf der Stirn liegen.»Wie willst du aus diesem Scheißdreck bloß wieder herauskommen?«
«Überhaupt nicht. Das ist mir klar.«
«Was heißt das?«
«Das ist meine letzte Fahrt. Man wird mich in Norfolk vor ein Militärgericht stellen, und dann bin ich Zivilist. Unehrenhaft entlassen, hinausgeworfen aus der Navy, ein Arbeitsloser auf Stellensuche. Und jeder, der meine Papiere durchsieht, wird sagen: Was? Sie waren Commander und sind geflogen? Und da meinen Sie, bei uns könnten Sie unterkriechen? No, Mister Nicholson! Und dieses NO wird mich mein ganzes Leben begleiten.«
«Wir könnten uns zusammentun, Jack.«
«Wir? Du bist Marinearzt.«
«Ich werde genauso fliegen wie du! Und wenn sie beide Augen zudrücken, mach ich ihnen beide Augen auf und gehe von allein! Wir könnten in den Mittleren Westen gehen. Ich mach eine Praxis auf, und du bekommst eine Arzneimittelvertretung. Dafür kann ich sorgen. Und dann können sie uns alle kreuzweise.«
«Das hört sich gut an«, meinte Nicholson skeptisch.
«Sehr gut sogar! Wieviel abgehalfterte Offiziere lagen nach dem Krieg auf der Schnauze und rissen sich um einen Job? Jack, laß uns das alles beschleunigen. kehren wir einfach um!«
«Nein!«
«Für uns alle aber wäre das besser! Auch für die Mädchen!«
«Ich erfülle erst meine Pflicht, Paul! Vielleicht verzichten sie dann auf eine Gefängnisstrafe und schmeißen mich nur hinaus! Das ist meine einzige Chance.«
«Wie du willst. Du bist und bleibst eben ein sturer Sack!«Dr. Blandy erhob sich und schaute auf den zugedeckten Duff.»Wohin mit ihm?«»Welche Frage.«
«Willst du ihn konservieren und zurück nach Norfolk bringen?«
«So kann auch nur ein Mediziner reden!«
«Ich weiß, daß du uns Ärzte für rohe Burschen hältst. Aber man wird doch noch fragen dürfen, was du mit Duff machen willst! Durch die Taucherschleuse ins Meer befördern?«
«Taucherschleuse!«Nicholson fuhr mit der flachen Hand an die Stirn.»Daß ich das übersehen konnte! Natürlich, das ist es.«
«Was?«
«Durch die Taucherschleuse hat der Mörder auch Beluccis Leiche beseitigt!«
«Unmöglich. Dabei wäre er gesehen worden! Sie ist im untersten Deck.«
«Und durch dreifache Schotten gesichert. Wenn er einmal durch die erste hindurch ist, kümmert sich keiner mehr um ihn. Wer denkt denn daran, daß jemand heimlich in der Schleuse steht?«
«Man hätte im Boot den Luftdruckausgleich gehört. Auf jeden Fall hätte ihn McLaren auf seinen Kontrolluhren gesehen. «Dr. Blandy winkte ab.»Beluccis Verschwinden bleibt ein Rätsel.«
«Auf einem U-Boot gibt es keine Rätsel, Paul! Wir sind ein rundum geschlossener Stahlkörper, und was in ihm passiert, ist überschaubar.«
«Und trotzdem haben wir zwei Tote. Ermordete!«Dr. Blandy nickte zu dem toten Duff hinüber.»Das Problem bleibt. Was tun wir mit ihm?«
«Er bekommt morgen früh sein Seemannsbegräbnis.«
«Das heißt: auftauchen.«
«Ja. «Nicholson stand auf und reckte sich. Dann lehnte er sich an die Wand und schloß die Augen. Vor Müdigkeit fiel er fast um.
«Leg dich hin«, sagte Dr. Blandy.»Ich paß auf die Weiber auf und stelle eine Wache vor Duffs Kabine. Du mußt ein paar Stunden schlafen.«
«Schlafen! Jetzt schlafen?«
«Ein ärztlicher Befehl, Jack!«Dr. Blandy faßte Nicholson unter und schob ihn aus Duffs Kabine.»Wenn du erst liegst, fallen dir die Augen von allein zu! Nur das Boot ist aus Stahl, nicht du! Und selbst Stahl wird müde und bekommt Risse eines Tages.«
Nicholson schüttelte den Kopf, aber Dr. Blandy behielt recht. Kaum lag er auf seinem Bett, fielen ihm die Augen zu, und er schlief wie betäubt, noch bevor Dr. Blandy wieder den Commanderraum verließ.
Morgens gegen zehn Uhr tauchten sie auf. Nicholson ließ zunächst auf Sehrohrtiefe gehen und sah sich an der Oberfläche des Meeres um. Überall Treibeis und kleinere Eisberge… aber das hatte man schon im Radar gesehen und durch die Sonarpeilungen genau geortet. Sie befanden sich im Grönländischen Becken, östlich von ihnen lag Spitzbergen und vor ihnen, unter dem Ewigen Eis, das Nordpolarmeer, das eurasische Becken und der plötzlich aus dem Meer aufsteigende Lomonossow-Rücken. Ihr Operationsgebiet für die nächsten Wochen: Die Überquerung des Nordpols unter Wasser und die Rückkehr durch die Wassergräben des Queen-Elizabeth-Lands und des Baffin-Islands zur Basis in den USA. Ein Weg durch eine Hölle aus Eis.
Nicholson zog das Sehrohr ein. Er saß mit Curtis und Cornell im Turm und kam sich nach den wenigen Stunden Schlaf erfrischt und stark vor.»Boot fertig zum Auftauchen?«fragte er in die Sprechanlage hinein.
«Aye, aye, Sir. Boot fertig zum Auftauchen. «Die Stimme von Leutnant Hamshore.
«Anblasen!«
«Anblasen, Sir.«
Durch das Boot lief wieder ein Zittern. Aus den Tauchzellen wurde das Wasser gedrückt. Langsam stieg die POSEIDON I höher, durchbrach mit dem Turm die Wasserfläche und tauchte dann wie ein graues Ungeheuer auf. Curtis kurbelte den Verschluß der Turmluke auf und stieß die Stahlplatte weg. Eisige Luft flutete in den Turm und traf die drei Offiziere wie eine Lanzenspitze. Aber auch Licht und Sonne drang hinein, und nur der, der wochenlang im Neonlicht lebt, kann begreifen, wie herrlich der Anblick eines blauen Himmels und das Strahlen der Sonne ist.
Nicholson zog den Pelzkragen seiner lammfellgefütterten Lederjacke hoch, drückte die Mütze fest auf den Kopf und kletterte als erster auf die Plattform des Turmes. Ihm folgten Cornell und Curtis. Sie lehnten sich sofort an die Brüstung und holten tief Luft.
«Das ist gut, Sir«, sagte Cornell wie ein beschenktes Kind.»Das treibt den ganzen Mief aus den Lungen.«
Nicholson sah sich um. Das Meer war flach, kaum bewegt, die Eisschollen trieben träge dahin. Es war ein herrlicher Tag, sonnenklar und kalt, fast windstill — eine große Seltenheit in dieser Gegend. Es tat wirklich gut, kräftig durchzuatmen und die Lungen zu reinigen.
Nicholson blickte sich zu seinen Offizieren um.»Selbst das Meer trauert!«sagte er hart. Vergeßt nicht, warum wir aufgetaucht sind, sollte das heißen. Sie verstanden ihn, und ihre in der Sonne und der schönen Luft plötzlich jungenhaft-fröhlichen Gesichter alterten wieder.»Ist alles bereit, Bernie?«
«Alles, Sir.«
«Das Kommando kann raufkommen!«
«Aye, aye, Sir.«
Cornell kletterte die Turmleiter hinunter. Unten, im Hauptgang von Deck eins wartete das Begräbniskommando. Zwölf Mann in Paradeuniform unter Führung von Leutnant Black. Duffs beste Freunde waren darunter: Jimmy Porter, Dustin Hollyday, Bill Slingman, Tami Tamaroo, die beiden anderen Fähnriche auf dem Boot. Zwischen ihnen lag ein länglicher Gegenstand, mehrfach in eine Leinwand eingerollt und auf eine schmale Trage geschnallt. Am unteren Ende lagen auch die Gewichte, ebenfalls umwickelt und mit Tauen festgezurrt.
Der kleine Herbert Duff, der immer Angst gehabt hatte.
Vor einer halben Stunde, als man Duff auf die Trage legte, hatte Dr. Blandy gefragt:»Soll er nicht in eine Fahne gewickelt werden?«
«Nein!«hatte Nicholson geantwortet. Er wußte, daß ihn seine Offiziere jetzt fassungslos anstarrten. Und Dr. Blandy sprach es sogar aus.
«Er ist im Dienst gestorben, Commander«, sagte er steif.»Ob im Krieg getötet oder… oder so gestorben. Er war an Bord. Im Einsatz.«
«Das ist es nicht!«hatte Nicholson geantwortet.»Aber Duff könnte, wenn die Gewichte nicht halten, auftauchen. Dann fischt ihn einer auf, eingewickelt in die amerikanische Flagge! Was heißt das? Hier hat die amerikanische Navy heimlich operiert! Im Sinne der völligen Geheimhaltung müssen wir Duff als einen Unbekannten begraben.«
«Kommando an Deck!«sagte Cornell heiser, als er den wartenden Trupp sah. Dann warf er sich herum und rannte zum Turm zurück. Porter, Slingman, Hollyday und Tamaroo ergriffen die Holme und hoben die Trage an. Stumm, mit dem feierlichen Schreiten einer Trauerparade trugen sie Herbert Duff den Gang entlang zum Ausstieg. Alle Maschinen schwiegen. Das Boot dümpelte kaum in der Dünung. Überall, in allen Stationen, standen jetzt die Männer der POSEIDON I in Paradeuniformen an ihren Plätzen und warteten. Auf der Turmplattform die Offiziere. Slingman und Porter, die beiden bulligen Riesen, zogen die Trage an die Sonne und blinzelten in das strahlende Licht. Auch sie atmeten tief auf. Dann erschien einer nach dem anderen, zuletzt Leutnant Black. Sie stiegen die Treppe des Turms hinunter an Deck und formierten sich dort wieder. Vier Mann vorneweg, dann die vier, die Duff trugen, am Schluß noch einmal vier. Im Trauerschritt marschierten sie über die Stahlplatten bis zur Mitte des Oberdecks.
Nicholson sah Curtis und Cornell an. Wenn es einer von euch war, dann sagt es jetzt, dachte er. Ich gebe ihm meine Pistole. Soviel Zeit habe ich noch, zwei Tote dem Meer zu übergeben. Aber Curtis und Cornell schwiegen. Es schien sogar, als seien seine Augen plötzlich naß.
Nicholson zog den Kopf tiefer in die Schultern und stieg vom Turm. Langsam, die Hände in den Taschen der Lederjacke, ging er über das Oberdeck und blieb neben dem verschnürten Duff stehen. Slingman, der schwarze Riese mit den Muskelpaketen, Boxmeister der Navy und >Der schwarze Klotz< genannt, weinte. Tamaroos Lippen bewegten sich. Er betete still zu den uralten Göttern seiner Heimat. Sie alle, diese zwölf harten Männer, standen stramm und unbeweglich, und doch war es ihnen, als blute ihr Herz.
Nicholson grüßte zum Toten hinunter. Dann sagte er:»Herbert, es hat wenig Sinn, jetzt zu sagen: Wir werden dich nie vergessen! Ich werde dafür sorgen, daß man dich nicht vergißt, daß dein Mörder vor seinen Richter kommt. Mehr kann ich dir nicht versprechen. Alles, was man sagen müßte von Soldatenehre, von Treue und von Kameradschaft hat hier keinen Sinn. Auf diesem Boot gibt es keine Kameradschaft mehr!«
«Mein Gott, das sitzt!«flüsterte Cornell auf dem Turm.»Der Alte zieht uns die Haut über die Ohren.«
«Du bist auf ein Boot gekommen, welches der Stolz Amerikas sein sollte!«Nicholsons Stimme schallte über das Deck, zum Turm und weit über das Meer. Die Eisschollen trieben träge an ihnen vorüber, ein paarmal bumste es, wenn sie gegen den stählernen Leib der POSEIDON I stießen, aber sie waren gefahrlos.»Geblieben ist ein Stahlzylinder mit dreihundert Verrückten! Das hast du erkannt, und darum mußtest du sterben! Gott sei bei dir, Herbert Duff. «Nicholson hob den Kopf.»Wir wollen beten!«
«Du lieber Himmel!«sagte Dr. Blandy. Er war unbemerkt von den Offizieren auf der Turmplattform erschienen, Curtis und Cornell fuhren bei diesen Worten erschrocken herum, als hätte man sie in den Nacken geschlagen.»Er betet! Und dabei glaubt er gar nicht an Gott!«
Vom Oberdeck klang Nicholsons harte Stimme:»Vater unser, der Du bist im Himmel. «Es war wie in einer riesigen Kirche, und das Firmament selbst war ihr Gewölbe.
Nach dem Amen lag tiefes Schweigen über dem Boot. Die eisige Kälte fraß sich durch die Uniformen, die Sonne glitzerte über die Eisschollen und ließ sie bläulich schimmern.
«Herbert, ich weiß, du hast das Meer gehaßt«, sagte Nicholson heiser.»Und nun wird es deine Ewigkeit. Ich kann's nicht ändern.«
Nicholson winkte. Porter, Slingman, Hollyday und Tamaroo traten an den Rand des Oberdecks und kippten die Trage ein wenig. Dann ließen sie den Toten über die glatte gewölbte Wand ins Meer rutschen. Fast senkrecht tauchte Duff weg, hinuntergezogen von den schweren Gewichten an seinen Füßen. Im gleichen Augenblick drückte Cornell mit der linken Hand — mit der rechten grüßte er — auf einen Knopf in der Turmverkleidung. Unten, bei McLaren, flammte eine rote Lampe auf. Ganz kurz nur ertönte ein helles Klingeln. Auf den Stationen standen die Männer stramm und legten die Hand an die Mützen.
Jetzt versinkt er im Meer, dachten sie. Der gute Duff. Der liebe Junge mit den traurigen Augen. Wir hatten ihn alle gern. Alle.
Und sogar der Mörder dachte so. Auch er stand da und grüßte, bis ein neues kurzes Klingeln das Begräbnis beendete.
«Boot klar zum Tauchen!«sagte Nicholson, als er unten am Turm stand. Von oben starrten ihm die Gesichter seiner Offiziere entgegen, die zwölf Mann des Begräbniskommandos kletterten an ihm vorbei ins Boot zurück.
Er sieht fürchterlich aus, dachte Dr. Blandy. Eine Schönheit war er nie, soweit man das als Mann beurteilen kann, aber jetzt ist sein Gesicht nur noch eine kantige Landschaft. Für uns werden Wochen kommen, die wir nicht vergessen werden.
«Boot klar, Sir!«rief Curtis zurück, der sofort den Befehl an Zentrale, Maschinenraum, Navigationszentrum und Wachoffizier weitergegeben hatte. Von dort kamen jetzt die Rückmeldungen.
«Bitte die Brücke räumen!«rief Nicholson hinauf.»Nur der Doktor bleibt! Die dienstfreien Offiziere versammeln sich bitte in der Messe. Der Hauptgang wird geräumt. Cornell!«
«Sir?«Bernie Cornell beugte sich über den Brückenrand.
«Auch Sie gehen in die Messe. Ich bleibe allein im Turm!«
«Aye, aye, Sir.«
Nicholson wartete eine Weile, bis er selbst auf die Plattform stieg.
Dort war jetzt Dr. Blandy allein und schien zu frieren. Er schlug mit den Armen um sich.
«Einen Gefallen tust du mir nicht damit«, sagte er, als der Commander neben ihm stand.»So herrlich die frische Luft ist… sie ist verdammt kalt! Übrigens, du hast gebetet.«
«Ja.«
«Ich wußte nicht, daß du das kannst.«
«Ein Kommandant muß alles können. «Nicholson stieg nach unten, überzeugte sich, daß niemand im Turm und in der Kommandozentrale und daß der Hauptgang leer war. Als er zurückkam, traf er Dr. Blandy im Turm neben dem Sehrohrgestänge.
«Hier ist es direkt warm«, sagte Blandy und grinste.
«Hol die Mädchen, Paul.«
Blandy starrte Nicholson ungläubig an.»Was soll ich?«fragte er.
«Hol die Mädchen und führ sie an Deck. Sie sollen ein paar Züge frische Luft nehmen und sehen, daß noch die Sonne scheint.«
«Du bist wahrhaftig ein verrückter Bursche, Jack!«Dr. Blandy lächelte breit.»Das werden dir die Weiber nie vergessen.«
«Hoffentlich!«
Blandy, der sich schon abgewandt hatte, um zu seinem Lazarett zu gehen, blieb stehen und blickte zurück.»Da ist doch ein Trick bei, Jack, nicht wahr?«
«Nein! Sie sollen einmal kräftig durchatmen, das ist alles.«
Er sah dem Arzt nach, bis er hinter einer Schottür verschwand. Dann stieg er auf die Plattform des Turmes. Die unendliche Einsamkeit aus Himmel, Meer und Eisschollen, überglänzt von einem Sonnenlicht, das wie leuchtendes Messing war, tat ihm gut. Er lehnte sich an die Brüstung, drehte das Gesicht der Sonne zu, schloß die Augen und fragte sich, was für ihn besser war: Arzneimittelvertreter von Blan-dys Gnaden, oder eine Kugel in den Kopf. Ich habe versagt, dachte er. Ich werde das befohlene Programm noch herunterspulen. Aber dann? Meine Heimat ist die Navy, und aus ihr wird man mich vertreiben. Wie viele Heimatlose sind an ihrem Heimweh zugrunde gegangen!
Durch den Gang hörte man das Trippeln vieler Füße. Er straffte sich, trat zurück bis zum Radarmast und wartete. Zuerst tauchte Do-rette auf, das schwarzhaarige französische Teufelchen. Sie war eingewickelt in eine Decke, denn Dr. Blandy hatte vor der eisigen Luft gewarnt. Hinter Dorette kam Joan zum Vorschein, auch sie in einer Decke. Dann die langbeinige, blonde Lili, nach ihr das rothaarige Biest Evelyn, zuletzt Monika und Dr. Blandy. Sie standen auf der Plattform, zogen die Decken noch enger um ihre Körper und starrten auf das Meer und das Treibeis. Sie waren wie gebannt vom Anblick dieser stillen Größe, daß sie sich nicht umdrehten und deshalb nicht wußten, daß hinter ihrem Rücken der Commander stand.
«Wundervoll, Doc!«sagte Joan enthusiastisch.»Um so etwas zu sehen, lohnt sich ein Europatrip.«
«Der Anblick kostete bisher zwei Menschenleben!«sagte Nicholson grimmig.
Die Mädchen fuhren herum. Evelyn war die erste, die ihre Sprache wiederfand.
«Das hätten wir uns denken können«, sagte sie spitz.»Daß Sie dastehen und uns auch noch den Genuß von Luft und Sonne vermiesen.«
«Ich wollte Ihnen nur zeigen, wo wir Fähnrich Duff begraben haben. «Nicholson trat vor. Er ignorierte Blandys strafende Blicke und blieb ungerührt. Monika war die erste, die er erreichte. Vor ihr blieb er stehen.
«Es stimmt also.«, sagte sie leise.»Noch ein Toter.«
«Ja. «Nicholson zeigte auf die Brüstung.»Wenn die Damen mitkommen möchten. Ein Blick nach Backbord bitte: Dort hängt jetzt der kleine Fähnrich Herbert Duff in unbestimmter Tiefe im Meer. Auf Grund kann er nicht kommen. wir haben hier über dreitausendsechshundert Meter Tiefe. So schwer kann man keine Leiche machen.«
«Warum erzählen Sie uns das, Sir?«Joans Stimme war kühl. Sie schaute bewußt nach Steuerbord.»Wir haben ihn nicht umgebracht.«
«Aber Sie wissen genau, warum er umgebracht wurde. Und während
Sie jetzt ein paar Minuten frische Luft einatmen können, gebe ich Ihnen Gelegenheit, über Ihr weiteres Handeln an Bord meines Schiffes nachzudenken.«
«Sie haben uns eingeschlossen wie wilde Tiere. Was wollen Sie noch?«schrie Lili erregt.»Und wie ich Sie kenne, bleiben wir in diesem Mistzimmer bis zur Rückkehr! Drei Monate, sagt Monika. Sie sind verrückt!«
«Drei Monate ohne Mann, und ich werde verrückt!«sagte Evelyn und stieß den schmalen Kopf mit den feurroten Haaren vor.»So etwas können Sie nicht befehlen!«
«Sie wissen nicht, was ich alles kann, meine Damen!«Nicholson blickte auf seine Armbanduhr.»Ich gebe Ihnen noch fünf Minuten, sich die Sonne anzusehen. Dann tauchen wir wieder. Und wir kommen erst jenseits des Nordpols wieder hoch.«
«Und wenn wir uns weigern?«fragte Joan plötzlich.
«Weigern?«Nicholson sah sie verblüfft an.»Zum Beispiel?«
«Zum Beispiel, daß wir den Turm verlassen sollen!«Joans Lächeln war herausfordernd und voller Triumph.»Was wollen Sie tun, wenn wir uns weigern, wieder in Ihr Mistboot zu steigen? Wenn wir einfach hier oben bleiben. Dann können Sie gar nicht tauchen, Sie superschlauer Commander.«
«Warum kann ich nicht?«antwortete Nicholson ruhig.
«Wollen Sie uns ersäufen?«
«Wenn Sie mich dazu zwingen. «Nicholson steckte die Hände in die Taschen seiner Lederjacke. Die Kälte drang sogar durch das Lammfellfutter.»Sie haben noch immer nicht begriffen, daß es für mich nur das Boot gibt. Sonst nichts. «Er sah dabei Monika an. Sie erwiderte seinen Blick, und er erkannte, daß sie ihn verstand.»Ich tauche! Ob zwei Tote oder sieben, das spielt jetzt keine Rolle mehr!«Sie weiß genau, daß ich es nie tun werde, aber ich muß es sagen. Die anderen glauben es vielleicht. Er sah auf die Uhr und nickte.»Die fünf Minuten sind um. Verlassen Sie bitte den Turm.«
«Ich denke nicht daran!«sagte Lili Petersen laut. Sie ging weiter, lehnte sich gegen die Brüstung und blitzte Nicholson kampfesmu-tig an.»Ich bleibe hier! Tauchen Sie doch! Ein Killer als U-Boot-Kommandant. Ein Hey-hey-hey auf die US-Navy!«
«Ich lasse Sie mit Gewalt entfernen!«
«Oh, das wäre schön!«Dorette lächelte.»Ich möchte den Mann sehen, der mich mit Gewalt wieder einsperrt, wenn ich ihm richtig wohin packe.«
«Na los! Los! Schicken Sie ein paar von ihren kräftigen Jungs, Commander! Darauf warten wir ja!«Evelyn lachte laut. Ihr rotes Haar flatterte im Wind. Es war ein schneidender Wind, der vom ewigen Eis herkam. Auch die anderen Mädchen lachten, bis auf Monika, die Nicholson mit einem stummen Achselzucken ansah.»Wo sind sie denn, die harten Burschen? Wir werden ihnen zeigen, wo sie hingreifen müssen.«
«Wie Sie wollen!«Nicholson ging.»Das Boot ist tauchklar. Kommen Sie, Doc.«
Dr. Blandy zögerte. Er stand jetzt zwischen dem Commander und den Mädchen, die, eng zusammengedrängt, ein unförmiges etwas bildeten, aus dem fünf schöne, verführerische Köpfe wuchsen. Mit einem Fluch wandte er sich ab und stieg Nicholson nach in den Turm. Vor dem Kommandoraum hielt er ihn an der Lederjacke ist.
«Jack!«Sein schwerer Atem pfiff und keuchte. Der große, bullige, immer souveräne Mann, für den es nichts gab, was ihn erschüttern konnte, es sei denn eine sarkastische Bemerkung, war wie umgewandelt. Er krallte seine Finger in das Leder der Jacke und riß den Commander von der Tür zurück.»Du willst wirklich tauchen?«keuchte er.
«Natürlich. Ich habe es deutlich genug gesagt.«
«Das bringst du nicht fertig, Jack!«
«In drei Minuten wirst du's wissen. Ich mache sogar ein Alarmsuchen! Hast du das Luk zu?«
«Nein! Ich.«
«Paul, laß mich los!«Nicholson zerrte an Dr. Blandys Griff.»Ich mache jetzt das Luk zu und gebe Alarm.«
Blandy verstärkte seinen harten Griff und drückte Nicholson gegen die Tür des Kommandoraums.»Du willst sie ersaufen lassen?«sagte er entsetzt.»Du willst sie wirklich ersaufen lassen? Und Monika!«
«Was ist mit Monika?«
«Deine Monika. Von der du träumst, aber die du dir nicht gönnst, weil du ein Musterknabe von Kommandant bist!«
«Ich habe keine Monika!«Nicholson riß sich los.»Paul, laß mich. oder ich schlag zu!«
«Du bist ein Wahnsinniger, das sehe ich jetzt erst! Der Commander der CAINE war ein Engel gegen dich! Und Blint von der BOUNTY war ein Heiliger! Jack!«Er schüttelte Nicholson wie einen Mixbecher.»Du tust es nicht!«
Kalt, wortlos, mit halbgeschlossenen Augen schlug Nicholson zu. Es war ein einziger trockener Schlag. Er traf Dr. Blandy in die Magengrube, die krallenden Finger lockerten sich etwas, dann kam der zweite Schlag, genau auf den entscheidenden Punkt am Kinn, und Blandy verdrehte die Augen. Er ging nicht k.o., dazu gehörten andere Schläge, vielleicht solche, wie sie Slingman austeilen konnte, aber es reichte, um sich losreißen zu können.
Nicholson stieß Blandy weg, kletterte den Turm hinauf und warf das Luk zu. Auf der Plattform sahen die Mädchen genau, wie sich der Verschluß drehte. Erst da begriffen sie wirklich, was mit ihnen geschehen sollte. Joan schrie auf und klammerte sich an Monika fest.
«Er läßt tatsächlich tauchen!«schrie sie.»Er taucht! Er läßt uns ersaufen! Hilfe! Hilfe!«
«Er wird es nie tun«, sagte Lili merkwürdig ruhig.»Er blufft nur. Verdammt, reißt euch zusammen! Denkt doch mal nach! So etwas kriegt keiner fertig! Das fällt sogar Hollywood nicht ein, bei allen Frankensteins!«
«Und wenn sich das Boot gleich bewegt und untergeht?«schrie Joan.»Dann ist es zu spät.«
«Aber dann geht es schnell«, sagte Monika fest.»Das Eiswasser, der Strudel, der beim Untertauchen entsteht. es wird viel schneller ge-hen, als ihr denkt.«
«Ich will aber nicht sterben!«schrie jetzt Evelyn. Sie stürzte zum Luk, kniete nieder und trommelte mit beiden Fäusten auf die Stahlplatte.»Aufmachen! Aufmachen! Ich tu alles, was ihr wollt. Alles! Aufmachen!«
Erstarrt, unfähig, etwas zu sagen oder zu tun, lehnte Dorette an der Brüstung und weinte lautlos. Joan stürzte neben Evelyn auf das Luk und half ihr, mit beiden Fäusten zu trommeln. Ihre schrillen Stimmen vermischten sich zu einem einzigen verzweifelten Aufschrei. Es ist furchtbar, wenn man begreift, was Todesangst ist.
«Aufmachen! Aufmachen! Aufmachen!«
«Er wird es nie tun!«sagte Lili immer wieder.»Nie! Schon deinetwegen nicht, Monika.«
«Was soll das heißen, Lili?«Sie sah die Freundin groß an. Der Wind brachte Eiseskälte, und sie klammerten sich aneinander — fester und fester, denn dieser Wind brachte ihren Tod.
«Ich habe gesehen, wie er dich aus dem Zimmer geholt hat. Ihr habt gedacht, daß wir alle schlafen. Aber ich war gerade wach. Du warst lange bei ihm… lange genug jedenfalls.«
«Wir waren im Vorraum und haben miteinander gesprochen. Er hat mir seine Lage erklärt. Seitdem weiß ich, daß er jetzt tauchen wird. Tut mir leid, Lili. Aber diese Hoffnung war falsch.«
Sie sahen sich wieder an, jede forschte in den Augen der anderen, und dann begann auch Lili zu zittern.»Das bringt kein Mensch fertig, Monika«, stammelte sie.»Und auch Nicholson ist doch ein Mensch, nicht wahr?«
«Aufmachen!«schrien Evelyn und Joan und hämmerten noch immer mit den Fäusten auf das geschlossene Luk.»Aufmachen!«
Durch das Boot fuhr ein Zittern. Wie abgeschnitten hörte das Schreien der Mädchen auf. in der plötzlichen Stille war es ihnen, als hörten sie aus dem Innern des Schiffes ein Klingeln. Das Wasser um sie herum begann zu rauschen, am Heck bildeten sich breite, schaumgekrönte Wellen. Die Atommaschinen begannen zu arbeiten.
«Jetzt tauchen wir!«sagte Lili mit starren Augen.»Jetzt tauchen wir.«
Neben ihr rutschte die kleine Dorette an der Brückenwand herunter auf die Knie und begann zu beten. Das Schreien von Evelyn und Joan, das wieder einsetzte, war unerträglich. Monika drückte die Hände gegen ihre Ohren.
Er taucht wirklich, dachte sie völlig ruhig. Jack, soviel Härte hätte ich dir nicht zugetraut. Ich liebe dich. Aber ich begreife. Das Boot ist wichtiger. Mach schnell, Jack.
Sie drehte sich um und blickte über das Meer, über die treibenden Eisschollen, die Eisberge in der Ferne und zum Horizont, wo Wasser und Himmel nahtlos miteinander verschmolzen. Der Glanz der Sonne lag herrlich über dieser stillen Welt.
Ich werde nicht warten, bis das Meer über mir zusammenschlägt, dachte sie. Ich werde mich vom Turm auf das stählerne Oberdeck stürzen.
Ich will nicht sehen, wie der Tod langsam zu mir emporsteigt. Ich komme ihm entgegen.
Sie drehte das Gesicht zur Sonne und schloß die Augen. Die letzten Sekunden. Wie herrlich ist das Licht der Erde!
Hinter ihr schrien die Mädchen, und unter sich spürte sie das Zittern, das die Maschinen durch den stählernen Körper des Bootes trieben.