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»Wie geht es jetzt weiter?« erkundigte sich Irene. »Was wollen wir jetzt wegen Mr. Illinois unternehmen?«
»Gar nichts«, antwortete Devlin. »Es gibt nichts, was wir noch tun können. Wenn der Mississippi Jim verschluckt hat, liegt es ganz in seiner Gewalt, ob, wann und wo er ihn wieder freigibt. Vielleicht liegt seine Leiche eines Tages irgendwo in einem Fischernetz oder auf einem Flachskopf.«
»Ein Flachskopf, was ist das?« fragte Irene.
»So nennt man die neuen, von Gestrüpp überwucherten Inseln, die der Fluß immer mal wieder ausspuckt.« Devlin drückte den Rest seines Zigarillos in einem Aschenbecher aus grünem Marmor aus. »Wie auch immer, für mich wird es Zeit an die Arbeit zu gehen. Jim wird mir dabei fehlen.«
Irene starrte ihn an, als habe sie gerade in ihm den Mississippi-Geist erblickt. »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, daß Sie jetzt Poker spielen wollen?«
»Natürlich will ich das. Deshalb bin ich auf diesem Schiff.«
»Hegen Sie keine persönlichen Empfindungen für Mr. Illinois?«
»Doch. Er war mein Freund.«
»Und dann gehen Sie so einfach zur Tagesordnung über?«
»Ich muß es tun, ich habe meine Gründe.« Er stand ruckartig aus dem Korbsessel auf. »Mr. Adler, Sie sind ein kräftiger und kluger Mann. Sie natürlich auch, Mr. Bauer, aber durch Ihre Verletzung sind Sie stark eingeschränkt. Wollen Sie heute abend als mein Schatten fungieren, Mr. Adler? Sie erhalten zehn Prozent von meinem Gewinn. Jim hat mehr bekommen, aber er war in dem Job auch erfahren.«
»Einverstanden«, sagte Jacob nach kurzem Überlegen, da er und seine Freunde eine Aufstockung ihres Kapitals für die weite Reise, die vor ihnen lag, gut gebrauchen konnten.
»Das ist doch nicht dein Ernst, Jacob!« empörte sich Irene.
»Mr. Devlin wird heute abend Poker spielen, ganz gleich, ob ich ihm den Rücken freihalte oder nicht.«
»So ist es«, bestätigte der Spieler, und noch immer wirkte sein Gesicht wie aus Stein.
*
Jacob merkte sehr schnell und hatte es sich vorher schon gedacht, daß Devlin nicht Poker um des Spieles willen spielte. Jedenfalls nicht an diesem Abend. Er war darauf aus, sein gestriges Duell mit Simon LaGrange zu wiederholen.
Bei dem Plantagenbesitzer schien es nicht anders zu sein. Sobald Devlin mit Jacob den großen Spielsalon betrat, wo LaGrange bereits in einer Pokerrunde saß - hinter ihm der unvermeidliche Steve Prescott -, winkte er Devlin und rief: »Noch ist ein Platz frei. Kommen Sie nur und setzen Sie sich, Devlin. Vielleicht kann ich mir etwas von dem Geld zurückholen, das Sie mir gestern abgenommen haben.«
»Sie haben in Ihrem Leben doch schon genug gewonnen«, sagte Devlin und setzte sich auf den freien Stuhl, während Jacob für ihn beim Barmann Spielchips einwechselte. Und zwar in der beträchtlichen Höhe von fünftausend Dollar.
Jacob hatte das Gefühl, daß der irische Barmann besonders nervös war, und schob es auf die allgemeine Anspannung der Menschen im Spielsalon, die darauf warteten, wie das Duell am Pokertisch heute ausgehen würde. Aus aller Augen waren lauernde, neugierige Blicke auf Devlin und LaGrange gerichtet.
Auch Martin erschien in dem Salon, nachdem er Irene in ihre Kabine begleitet hatte. Sie weigerte sich, der Pokerpartie angesichts von Jim Illinois' möglichem Tod beizuwohnen.
Die Leute, die sich um den Pokertisch versammelten, staunten über die Anzahl der Perlmuttchips, die Jacob vor Devlin ablud. Allerdings lagen vor LaGrange kaum weniger Chips.
Jacob fiel auf, daß heute im linken Auge des Plantagenbesitzers ein Monokel saß. Irgendwie paßte das nicht zu dem etwas grobschlächtigen Mann mit der polternden Stimme.
Das erste Spiel begann, und es endete mit einem Sieg für den bulligen, stets schwitzenden Mr. Barslow, dessen drei Zehnen niemand etwas entgegenzusetzen hatte.
Jacob stand hinter Devlin, beobachtete die umstehenden Leute und achtete darauf, daß keiner seinem Bekannten in die Karten sehen konnte.
Als sich Runde um Runde hinzog, ohne einen klaren Vorteil für einen der Spieler oder auch nur ein herausragendes, an den gestrigen Abend erinnerndes Spiel aufzuweisen, zog sich ein Großteil der Kiebitze an die anderen Tische zurück, um ihren eigenen Spielen zu frönen.
Devlin, LaGrange und ihre Mitspieler ließen sich davon nicht beeindrucken. Sie spielten nicht für die Menge der Schaulustigen. Es ging ihnen um das Geld oder um den Nervenkitzel an sich.
Bei Devlin und LaGrange steckte noch etwas anderes dahinter, dessen war sich Jacob sicher. Bloß was? Doch alles Überlegen brachte ihm keine Antwort.
Allmählich zeichnete sich ab, daß LaGrange an diesem Abend den Siegeslorbeer ernten würde. Sein Perlmuttvorrat wuchs langsam, aber beständig an, während Devlins immer mehr schrumpfte. Nach gut zwei Stunden waren von Devlins fünftausend Dollar nur noch fünfhundert übrig.
Bei der nächsten Partie mußte LaGrange mit dem Setzen beginnen, und er stieg gleich mit dem Limit von hundert Dollar ein. Die Augen in den bis jetzt eher gelangweilten Gesichtern der Spieler und der wenigen übriggebliebenen Zuschauer leuchteten auf. Jetzt endlich schien sich etwas zu tun. Anscheinend wollte sich LaGrange für den gestrigen Abend bei Devlin revanchieren und ihm den Todesstoß versetzen.
Devlin ging mit. In jeder Runde erhöhte der Plantagenbesitzer um einen Hunderter, und Devlin ging mit, bis sein letzter Chip im Pool lag.
»Ihr Geld ist alle, Devlin«, bemerkte LaGrange und gab sich keine Mühe, seine Genugtuung zu verbergen. »Damit sind Sie draußen. Ich erhöhe nämlich um weitere hundert.«
Die letzten der anderen Spieler stiegen aus. Der Einsatz war ihnen zu hoch, ihre Blätter ihnen zu schlecht oder beides.
»Sie täuschen sich, LaGrange«, erwiderte Devlin. »Nicht das Geld ist mir ausgegangen, sondern nur meine Chips. Wenn Sie sich einen Augenblick gedulden wollen, werden Mr. Adler und ich an der Bar neue einwechseln.«.
»Nur zu«, meinte der Plantagenbesitzer mit einer generösen Geste. »Ich warte gern auf mein Geld.«
Devlin wandte sich an den neben Jacob stehenden Martin. »Würden Sie in der Zwischenzeit ein Auge auf meine Karten und auf die von Mr. LaGrange haben, Mr. Bauer?«
Martin nickte. »Gern.«
Devlin hatte laut genug gesprochen, daß LaGrange die Erwähnung seines Blattes hören konnte. Das war ein glatter Affront, da Devlin ihn indirekt als Betrüger darstellte. Nur das bereits bekannte Zucken in LaGranges Gesicht verriet, daß er sich getroffen fühlte. Äußerlich bewahrte er die Pose des unerschütterlichen Siegers.
Die Zuschauermenge war bei dieser Partie kräftig angeschwollen. Devlin und Jacob bahnten sich einen Weg hindurch.
»Weshalb wollen Sie mich sprechen?« fragte der Deutsche leise.
»Woher wissen Sie, daß ich mit Ihnen sprechen will?«
»Weil einer von uns beiden genügt hätte, um die Chips zu holen.«
»Das ist richtig«, bestätigte Devlin mit einem leichten Grinsen, wurde aber sofort wieder ernst. »Die Sache geht nicht mit rechten Dingen zu.«
»Sie meinen, LaGrange betrügt?«
»Ja, das tut er mit Sicherheit. So viel Pech wie heute habe ich noch nie in meinem Leben beim Spiel gehabt. Es gibt nur eine Erklärung: LaGrange kennt die Karten.«
»Aber wie? Ich bin mir ziemlich sicher, daß Ihnen keiner ins Blatt sieht außer Martin und mir. Und für meinen Freund lege ich meine Hand ins Feuer.«
»Zweifellos. Nein, ein Signalgeber ist es nicht. Ich vermute, daß die Karten irgendwie markiert sind, aber ich konnte nichts feststellen. Außerdem sind es stets frische, versiegelte Kartensätze des Schiffes.«
Das stimmte. Alle neuen Karten wurden an der Bar gekauft. Sie waren speziell für die QUEEN OF NEW ORLEANS hergestellt und zeigten auf der Rückseite das Schiff und seinen Namenszug.
»Was wollen Sie jetzt unternehmen?« fragte Jacob.
»Mit meinem letzten Geld weiterspielen und hoffen, daß ich LaGrange noch auf die Schliche komme, bevor ich pleite bin. Achten Sie auf alles, und benachrichtigen Sie mich sofort, wenn Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt. Tippen Sie mir leicht auf die Schulter, dann unterbreche ich das Spiel.«