129318.fb2 Vikonda - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

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Jill begriff, daß der Kurzvortrag auch ihre Stellungnahme zu seiner Flucht war und sie seine Handlung als konfus ansah. Sie forderte ihn damit gewissermaßen auf, mehr Vertrauen zu ihrer Beurteilung der Situation zu haben.

„Dann ist also eine Kontaktlerin nicht mehr und nicht weniger als eine Botschafterin der Erde“, sagte er. „Aber sich einen solchen Status zu geben, halte ich nun doch für verfrüht und übertrieben. Rickmar Iggensen hat mich zu einer Rettungs- und Hilfsaktion ausgeschickt und nicht zur Unterstützung einer diplomatischen Mission. Ich habe eine fest umrissene operative Aufgabe, die ihre zeitliche Begrenzung hat. Wenn diese Zeit überschritten wird, löst das Aktivitäten aus, bei denen er unmöglich berücksichtigen kann, welche Vorarbeit hier vielleicht schon von dir geleistet worden ist, weil er es nicht weiß. Laß uns ihn so schnell wie möglich verständigen!“

„Du erkennst also immerhin meine Vorarbeit an? Ich will ebenfalls nichts anderes als ihn möglichst schnell informieren“, sagte sie. „Du vergißt nur, bei den Krabbieren herrscht Aufruhr wegen des Vorfalls am Strand. Es heißt also, subtil vorzugehen und unsere Möglichkeiten zu subsumieren.“

Jill lachte kurz auf. „Subtil — subsumieren“, brummte er verdrossen. Für jemanden wie Vitree, die unter einer Art Priestergewand eine schmutzige, abgewetzte Bordkombination trug, wirkte eine solche intellektuelle Ausdrucksweise absurd, zumal hier, sechsundzwanzig Lichtjahre weit von der Erde entfernt. Er wünschte sich Vitree weniger bemüht und auch nicht so unnahbar.

Sie hatten inzwischen die Schleuse passiert, waren einen Gang entlang- und eine Treppe hinaufgegangen und betraten nun eine mit Fellen und Holzmöbeln rustikal ausgestattete Metallkammer. Irdischer Herkunft war diese Einrichtung nicht. Vitree hatte sie vermutlich nach und nach von den Krabbieren erworben oder selbst angefertigt, um die Nüchternheit der ursprünglichen Bordeinrichtung zu mildern. Aus einem Wandfach holte sie zwei Fleischkonserven hervor und warf sie ungeöffnet ihren beiden Tieren zu, die sich schon erwartungsvoll halb aufgerichtet hatten.

„Vorsicht! Es sind Ätzspeier“, sagte sie.

Im selben Moment stülpten die Tiere ihr Mundrohr aus. Speichel spritzte und traf zielsicher die Büchsen. Das Blech schäumte unter dem Einfluß der Säure auf und zerfiel. Genüßlich schlürften die Madenmöpse ihre Leckerbissen. Jills Geringschätzung für diese vermeintlichen Schoßtiere wandelte sich augenblicklich. Er zog es vor zurückzutreten, weil ein ungenau verspritzter Speicheltropfen womöglich ein Loch sogar in den Raumanzug fraß.

„Normalerweise jagen sie selbst“, erklärte Vitree. „Doch ab und zu spendierte ich ihnen etwas aus meinen Reserven, um mir ihre Anhänglichkeit zu sichern. Die Krabbieren benutzen die Ätzspeier als Waffe gegen die Buschwackerer. Aber um auf die Diplomatie zurückzukommen: Meine Aufgabe verlangt mehr.“

„Da kann ich wohl von Glück sprechen, dich getroffen zu haben, denn wer sonst als du könnte mich bei den Krabbieren auslösen? Ich bin sicherlich für sie ein Unhold.“ — „Ich befürchte, das trifft zu“, sagte sie.

„Aber die Zerstörung der Brutanlagen war ein Irrtum!“

„Du wiederholst dich. Den Begriff des Irrtums kennen die Krabbieren ebensowenig wie den der Schuldlosigkeit“, sagte sie. „Du hast den heulenden Himmelsfioßler mit dem Glitzerpanzer, wie sie den Raumgleiter nennen, geritten, und du bist auch für sein Treiben verantwortlich, selbst wenn es unbeabsichtigte Folgen hat. - Komm! Wir sollten uns nicht so lange hier drin aufhalten. Gehen wir wieder hinaus!“

Unterwegs schwiegen sie. Als sie dann wieder zwischen den Klippen standen, schickte er einen sehnsüchtigen Blick zur Kapsel zurück. Er hatte sie für, seine Aufgabe nicht nutzen können. Die Rostflecken an den Wänden innen waren nicht zu übersehen gewesen. Und eine Etage tiefer hatte er Wasser glucksen hören, das durch einen Riß im Rumpf eingedrungen sein mußte. Soweit Türen zu Kammern offen gewesen waren, ließen sich auch dort die Spuren der Evakuierung erkennen. Die Leute aus der Kapsel hatten, als sie sich auf die Reise zur zweiten Gruppe machten, soviel technische Ausrüstung wie nur möglich mitgenommen. Was Vitree behalten hatte, war nur das Notwendigste. Von hier aus mit der ABENDSTERN in Verbindung zu treten war aussichtlos. Er glaubte Vitree nun, daß im Modul kein Funkgerät existierte.

„Wenn sie sich als Teil der Natur sehen, sinnvoll in ihr eingebettet, und sie Irrtum und Schuld nicht kennen, sind keine guten Voraussetzungen für unsere Zusammenarbeit mit ihnen gegeben. Aus Irrtum lernt man; und wo es Irrtum gibt, ist auch Schuld unvermeidlich“, sagte er. „Ihnen muß der Gedanke der Beherrschung der Natur noch völlig fremd sein. Darin unterscheiden wir uns zu kraß von ihnen. Beherrschung einer Sache oder einer Person, das setzt schmerzliche Erfahrungen voraus, im großen wie im kleinen.“

Sie war nicht bereit, darüber zu sprechen. „Wir werden als Stützpunkt der Raumflotte eine Seeplattform benutzen müssen oder ein paar kleine Eilande“, sagte sie nur. „Land ist knapp auf diesem Planeten. Die Krabbieren bewohnen ihre Inseln nur und benutzen sie nicht zur Nahrungsproduktion. Sie betreiben keinen Ackerbau-. Du solltest mal ihre Wohnhöhlen in den Küstenfelsen und die Baumhäuser sehen. Sicherlich, wir werden hier wohl kaum eine Ära des Metalls haben: zuwenig Bodenschätze, vermute ich; also ein Hindernis für ihre zivilisatorische Entwicklung und Grund für ein geringeres Maß an Naturbeherrschung. Aber sie haben eine hervorragende Holz- und Handwerkskultur: Schnitzereien, Intarsien, Harzuren und Drechselarbeiten von exzellenter Formgebung.“

Vitree hatte den Ätzspeiern die Leinen abgenommen. Die Tiere walkten zwischen den Klippen herum, zielten hier und dort mit Speichel auf Beute, vermutlich auf kleinere Meeresbewohner, und bewegten sich schließlich langsam den Hang hinauf auf die vier unbeweglichen Gestalten der Krabbierenkrieger zu. Vitree und Jill hatten es nicht eilig, den Ätzspeiern zu folgen, und setzten sich auf einen Quader, den die anbrandenden Wellen nicht erreichten. Dabei ignorierten sie jenen einzelnen Krabbieren, der noch immer Jills leeren Kokon umklammerte und geduldig abseits am Steg wartete.

Das muß eine Bewandtnis haben, ebenso der Umstand, daß sie plötzlich diese priesterliche Robe trägt, überlegte Jill. Er würde Vitree danach fragen. Doch zuvor mußte er erst noch wissen, was er zu befürchten hatte. „Wie geht es weiter? Ich bin ausgerissen, weil ich zurück zum Gleiter wollte, um mit Rickmar zu sprechen. Statt dessen gerate ich an das Modulwrack“, beklagte er sein Mißgeschick. „Wenn du hier so gut Bescheid weißt, sollte dir möglichst schnell eine Lösung einfallen.“

„Die ist mir schon eingefallen. Der Visionär wird sich mit deinem Fall beschäftigen“, sagte sie.

„Der Visionär? Was, zum Teufel, ist denn das nun schon wieder für ein Kerl?“ Aber er ahnte, mit wem er es zu tun haben würde. „Ich kann mein Schicksal doch unmöglich der Entscheidung eines insektoiden Medizinmannes überlassen“, protestierte er. Was ihm hier widerfuhr, nahm allmählich haarsträubende Ausmaße an.

Vitree blieb sachlich. „Wer diesen sonnengelben Umhang trägt wie ich jetzt, ist der Bote des Visionärs und genießt überall Immunität. Ich bin beauftragt, dich zu ihm zu begleiten. Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang, daß mir diese Rolle zugefallen ist. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen, wenn du, wie die Dinge liegen, nicht von Schildträgern gespeert wirst. Der Visionär ist sehr besorgt, und er möchte allem Anschein nach die Angelegenheit zwischen dir und ihm schnell regeln.“

„Dazu braucht er mich nur den Strand betreten zu lassen.“

„Vielleicht hat er genau das vor, nur muß er das in einem zulässigen Rahmen tun, der den Gebräuchen der Krabbieren entspricht. Ich habe bei der Verhandlung vorhin versucht, ihn dazu zu bewegen, den Weg zur Fähre freizugeben. Er hat unter einer Bedingung zugestimmt.“

„Und die wäre?“ fragte Jill argwöhnisch.

„Du sollst dich heute nacht mit ihm auf einem Floß in der Bucht einer Sache stellen, die die Krabbieren als VIKONDA bezeichnen. In dieser Zeit “ wird er dich einschätzen, sozusagen die Lauterkeit deiner Seele prüfen. Krabbieren sind nämlich unglaublich sensibel. Ihr werdet in der Strömung der Bucht kreisen, bis bei Sonnenaufgang die Position des Floßes Auskunft darüber gibt, welche Bedeutung deine Tat beziehungsweise die des Him- melsfloßlers hat und was demzufolge zu geschehen hat. Der Visionär wird also die VIKONDA interpretieren.“

Jill blickte sie mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen an und murmelte: „Das kann doch alles nur ein Alptraum sein.“

„Dann wäre mein Leben in den letzten Jahren auch ein Alptraum gewesen“, sagte sie. „Aber ich habe das nie so empfunden, doch Entbehrungen, Einsamkeit, Ungewißheit hat es mir gebracht und Geduld erfordert. Von dir wird all das jetzt nicht verlangt, sondern nur etwas Entschlossenheit und Vertrauen. Kannst du nicht einmal das aufbringen?“

„Was meinst du mit Vertrauen? Soll ich mich auf dich oder auf den Medizinmann verlassen? Ist denn das, was dieser Visionär sagt, hier Gesetz? Vielleicht wünscht er dich und mich zum Teufel. In dem Fall wird sein Spruch über den Ausgang der VIKONDA für uns katastrophal sein.“

„Er ist alt und lebenserfahren und stellt das dar, was wir unter gütig verstehen würden“, erklärte sie. „Früher hatte er ein administratives Amt inne. Er. hat also auf jeden Fall auch eine Ahnung von den praktischen Seiten des Lebens. Jetzt, da er für die Ausgeglichenheit seiner Inselgemeinschaft zu sorgen hat, kommt ihm das zustatten. Er muß trotz dieser oder jener Ängste unter seinen Leuten alles aufspüren, was Zuversicht weckt oder was Auswege eröffnet. Mit anderen Worten: Er muß überzeuge.n und nicht reglementieren. Das erfordert Klugheit und Gelassenheit.“

Jill war noch immer besorgt, „Kann denn eine Wissenschaftlerin wie du soviel blindes Vertrauen in Rituale setzen?“ murrte er. „Willst du mich ernsthaft dazu veranlassen, einen einheimischen Hokuspokus um Mitternacht mitzumachen?“

„Zunächst will ich dir den Weg zum Strand öffnen, der, wie du weißt, tabu ist. Es war doch dein Vorschlag, mit Rickmar Iggensen in Verbindung zu treten, nicht wahr? Dazu mußt du mit mir zum Visionär gehen. Ich jedenfalls bin überzeugt davon, daß meine Mission einen Schritt weiterkommt, wenn du auf die VIKONDA eingehst und dich der mitternächtlichen Floßfahrt stellst. Was ist denn schon dabei, eine Nacht auf einem Floß zu verbringen, im Kokon zu liegen und abzuwarten? Wie der Spruch des Visionärs auch ausfallen mag, wir sind Raumfahrer und haben immer noch Mittel und Möglichkeiten, uns zu wehren.“

Er sah sie zweifelnd an. Die Sonnenscheibe der Wega stand nun hoch über der Insel. Auf der Grenze zwischen Wald und Klippen gerieten die vier Krieger in Bewegung. Sie schlugen um sich und hieben auf etwas ein, was plötzlich zwischen ihnen herumwieselte.

„Buschwackerer“, sagte Vitree. „Paß auf! Gleich bekommst du etwas zu sehen.“

Die beiden Ätzspeier schnellten sich über die- Geröllbrocken auf die Buschwackerer, als hätten sie nur auf eine solche Gelegenheit gewartet, um ihren Jagdeifer zu beweisen. Sie spien meterweit und zielsicher. Schon allein ihr Erscheinen jagte die Buschwackerer in die Flucht. Plötzlich begriff Jill, daß die Strandwachen, die ihn und Leo überwältigt hatten und die für gewöhnlich die Brutanlagen der Gierschnabler vor den Buschwackerera schützten, vermutlieh Ätzspeier in der Nähe gehabt hatten. Wenn sie sie nicht gegen ihn und Leo eingesetzt hatten, so verriet dies, wie überlegt sie handelten und wie sie bei allem Entsetzen, das sie empfunden haben mochten, doch Herr ihrer Panik geblieben waren.

Vitree zupfte ihm die Stacheln vom Raumanzug. „Das war ein guter Wurf gewesen“, sagte sie. „Ohne diese Stachelblase, die ein Krieger nach dir schleuderte, hätten dir die Buschwackerer, als du in ihr Revier eindrangst, gewiß mehr zu schaffen gemacht. Die Stacheln verbreiten nämlich ein Aroma, das sie nicht mögen.“ Sie stieß ihm in die Seite. „Na, komm schon“, sagte sie aufmunternd und stand auf, um ihn den Klippenpfad zum Wald hinauf zu begleiten. „Überhaupt war es ein glücklicher Umstand, daß du bei deiner Flucht ausgerechnet das Modul gefunden hast. So konnte ich die Sache wie einen selbstverständlichen Vorgang darstellen. Ich sagte, du holst dir eine Medizin, die dort lagert und die du dringend brauchst.“

Jill ging nicht darauf ein. Seine Gedanken kreisten um die Begegnung mit dem Visionär. Immer wieder murmelte er „Vikonda! Vikonda! Vikonda!“ vor sich hin. Dieses Wort besaß zwar einen unheimlichen, rituellen Klang, doch allmählich nahm diese Lautkombination für ihn auch eine träumerische Verheißung an. Mit der Zeit kam ihm das bevorstehende Abenteuer nicht mehr so gewagt vor. Er musterte den Krabbieren, der den leeren Kokon hinter ihm hertrug, nun weniger mißtrauisch.

Als die beiden oben angekommen waren, traten die vier Krieger zur Seite und sahen zu, wie Vitree ihre Ätzspeier wieder an die Leine nahm. Sie ließen auch den wenig später folgenden Krabbieren mit dem Kokon vorbei und schlössen sich der Gruppe erst mit Abstand an. Vitree führte sie alle um das Dickicht herum in den Wald der knorrigen Schirmbäume.

Allmählich wurde die Gruppe größer, denn aus allen Richtungen kamen Krabbieren hinzu und schlössen sich ihnen an wie auf einen geheimen Ruf hin. Eine Prozession entstand. Jill empfand das als bedrohlich. Auch voraus gab es zwischen den Stämmen eine Ansammlung wogender Körper, Glieder, Knubbelköpfe und Fühler. Widerstrebend folgte er seiner gelbgewandeten Führerin.

„Solange dein Kokon in der Nähe ist, bis du unantastbar“, flüsterte sie ihm zu. „Du bist jetzt eine Mystifikation. Für die Krabbieren stehst du auf der Schwelle zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Deshalb unternehmen sie nichts, sondern beobachten nur das Geschehen.“

Jill gelang es nicht, unbesorgt zu bleiben. Die vier Schildträger mußten ihre Position wechseln und einen Weg durch die Menge bahnen. Es roch inzwischen penetrant nach Firnis und Lack; ein Geruch, der vermutlich jenen Körperpartien der Krabbieren entströmte, die mit Chitin bedeckt waren.

Vitree versuchte Jill von unangenehmen Gedanken abzulenken und berichtete, der Visionär habe bei der Verhandlung gesagt, er fühle das Herannahen eines zweiten heulenden Himmelsfloßlers.

„Gar nicht so dumm, dieser Visionär“, sagte Jill. „Er denkt logisch und hat sich ausgerechnet, daß man Leo und mich vermissen wird. Was liegt näher als der Gedanke, ein weiterer Raumgleiter könnte den Versuch machen, die Lage zu klären. Dazu würde der womöglich auch noch auf dem Strand landen und den Rest der Brutanlagen zerstören. - Ha!“ fügte er triumphierend hinzu. „Wahrscheinlich soll ich deshalb schnell meine Siebensachen packen und schleunigst verschwinden.“

„Mach dir keine falschen Hoffnungen, denn eine festgesetzte VIKONDA wird nie wieder aufgehoben.“

Grimmig grinsend deutete Jill auf seinen Kokon: „Vielleicht kann ich diese leere Hülle als meinen Stellvertreter dafür abkommandieren.“

Vitree lachte etwas nervös zu diesem Scherz. „Na ja, wenn du sogar schon Humor entwickelst, wirst du alles, was noch kommt, auch gut überstehen.“

Auf einem breiten Weg wurden sie von einer Sänfte erwartet, in der Jill den alten Krabbieren vermutete, der das Amt des Visionäre ausübte. Das krabbierische Volk hielt respektvoll Abstand zu der Sänfte. Nun, da der Gang der Ereignisse für ihn seinen größten Schrecken verloren hatte und offenbar alles in geordnete Bahnen gelenkt worden war, richtete Jill seine Aufmerksamkeit auch auf Einzelheiten. Ihm fielen Schnitzereien auf, die zu beiden Seiten des Weges standen. Sein Blick war nicht geübt genug, um zu erkennen, was sie darstellten. Aber der kunstvolle Gebrauch des Werkstoffes Holz war unverkennbar. Auch der Boden des Prozessionsweges war mit Holz ausgelegt, doch waren nicht einfach Bohlen und Würfel verlegt worden. Er erkannte Mosaiken. Eine dicke Harzschicht, hart und trocken, versiegelte den Weg glasartig gegen Feuchtigkeit und Abnutzung.

Das Ende der Prözessionsstrecke zeichnete sich schon von weitem wie ein heller Tunnelausgang ab. Dort erwarteten Jill der Strand und der gleißende Tag. Die Menge blieb im Schutz des Waldes zurück. Die Sonne schüttete ihr Licht überreichlich auf Meer und Insel. Man trug die Sänfte in die Dünen. Jill und Vitree folgten ihr, ohne daß sie den Visionär zu sehen bekamen. Er blieb in seiner Sänfte. Die Wachen postierten sich im Schatten ihrer Schilde. Dort verharrten sie, als warteten sie auf ein bestimmtes Ereignis.

Jills Blicke hingen wie gebannt am Rumpf der Fähre. Jetzt wäre mit einem Spurt die Möglichkeit zur Flucht gegeben. Er machte impulsiv ein paar Schritte in Richtung auf den Flugkörper. Sofort bildeten die Schildträger eine Sperre.

Zum erstenmal betrachtete Jill diese Wesen aus der Nähe. Sie wirkten auch jetzt noch mit ihren Körperghederungen und Chitinflächen furchterregend auf ihn. Er versuchte, ihre Waffen einzuschätzen und zu erkennen, wie sie eingesetzt wurden. Es gelang ihm nicht. Nun, ich bin nicht wehrlos, dachte er. Zur Ausrüstung eines Erkunders gehörte nicht nur ein Nadler, sondern auch ein Lähmer. Weil ihn die Krabbieren mit allem Gerät in den Kokon versponnen hatten, fehlten ihm diese Waffen nicht. Sie waren am gewohnten Platz. Doch was nutzten sie ihm? Nach alldem, was Vitree ihm über ihre Mission erzählt hatte, würde sie nicht bereit sein, auszubrechen und mitzukommen. Das war auch der Hauptgrund, weshalb er zögerte, erneut zu flüchten und zur Fähre zu laufen: Ihr sollten keine- Nachteile durch ihn erwachsen. Sie rührte ihn. Er fühlte ihre Einsamkeit fast wie einen eigenen körperlichen Schmerz. Sie war schutzbedürftiger, als sie es selbst wahrhaben wollte. Dabei ignorierte er hartnäckig, daß sie hinreichend bewiesen hatte, sich selbst schützen zu können, und zwar mit der Waffe ihrer Sensibilität, mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen.

„Du bummelst doch bestimmt nicht nur den lieben langen Tag zwischen den Chitinern herum“, sagte Jill, um das Schweigen zu brechen. „Wenn du sie verstehen lernen willst, mußt du einen aktiven Platz in ihrer Gemeinschaft “ausfüllen.“

Er hörte sie mit leiser Erheiterung lachen. Das erleichterte ihn.