129289.fb2 Vergangene Zukunft. Elf der besten Stories des weltber?hmten SF-Autors - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

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Die Maschine, die den Krieg gewann

Ende der 50er Jahre fand eine unerwartete Veränderung in meinem Leben statt. Meine Karriere als Autor machte beständige Fortschritte. Sowohl von eigenen Intentionen als auch von den Wünschen meiner Herausgeber veranlaßt, übernahm ich mehr und mehr Aufgaben in immer größerer Vielfalt, und 1958 erkannte ich, daß ich nicht mehr schreiben konnte, was ich wollte, und gleichzeitig einen vollen akademischen Stundenplan auf dem College einzuhalten imstande war.

Deshalb traf ich mit der medizinischen Universität eine freundschaftliche Vereinbarung. Ich behielt meinen Titel bei (Ordentlicher Professor der Biochemie, falls es Sie interessiert) und ging auch weiterhin verschiedenen Pflichten nach. Ich hielt mehrere Vorlesungen pro Jahr, saß in einigen Komitees, und so weiter. Die Hauptsache aber war, daß ich ein vollbeschäftigter Schriftsteller wurde und die Universität von dem Ärgernis befreien konnte, mir ein Gehalt zahlen zu müssen.

Eine Zeitlang schien es mir, daß ich ohne wesentliche akademische Pflichten und mit einer Überfülle von freien Stunden beglückt alles schreiben konnte, was ich nur wollte, und daß mir noch eine ganze Menge Zeit für die Freuden des Lebens übrigbleiben würde.

Das Schlimmste war, daß gerade zu der Zeit, als ich zum vollbeschäftigten Schriftsteller avancierte, die Sowjets ihren Sputnik um die Erde schickten und die Vereinigten Staaten unruhig zu zittern begannen. Ich auch.

Ich wurde von dem brennenden Wunsch erfüllt, populärwissenschaftlich zu schreiben, und zwar für ein Amerika, das sich durch die Vernachlässigung der Wissenschaft in großer Gefahr befand. Auch einige Verleger verspürten ein ähnliches brennendes Verlangen, populärwissenschaftliche Werke zu veröffentlichen. Aus demselben Grund. Und als meine Wünsche sich mit den Wünschen der Verleger trafen, versank ich in einem endlosen Meer, in dem ich noch immer schwimme.

Die Schwierigkeit besteht darin, daß es sich hierbei nicht mehr um Science-Fiction handelt. In den letzten zehn Jahren habe ich mehrere Romane, einige Sammlungen und etwa ein Dutzend Erzählungen geschrieben. Aber das war alles nichts. Nach den bekümmerten Briefen zu schließen, die ich immer wieder erhalte, könnte man meinen, ich tue das absichtlich. Aber das stimmt nicht. Ich versuche verzweifelt, den Kontakt mit Science-Fiction nicht zu verlieren. Science-Fiction ist mein Lebensinhalt, in einem Maß, daß ich keinen Ersatz dafür finden kann. Natürlich habe ich noch meine monatlichen Artikel für F & SF. Aber das ist nicht dasselbe.

Und deshalb ist mir jedes winzige Stück Science-Fiction, das ich aus meiner Schreibmaschine herauspresse, in meinem trüben Heute wichtiger als die zwei Dutzend langer Erzählungen oder Romane, die ich in früheren Zeiten pro Jahr geschafft habe.

Auch »Die Maschine, die den Krieg gewann« gehört zu jenen Erzählungen, die meinen Fans beweisen sollen, daß ich noch lebe.

Die Feier würde lange dauern, und sogar in den schweigenden Tiefen von Multivacs unterirdischen Räumen lag etwas in der Luft.

Wenn es sonst nichts war, so spürte man doch eine ungewöhnliche Einsamkeit und Stille. Zum erstenmal seit zehn Jahren schwärmten die Techniker nicht um die edlen Teile des Riesencomputers herum, die sanften Lichter flimmerten nicht in launischen Mustern, und die Flut der Information, nach innen und außen war zum Stillstand gekommen.

Lamar Swift nahm die Militärkappe ab und blickte durch den langen leeren Hauptkorridor zu dem gigantischen Computer hin. Müde ließ er sich auf einem der Drehstühle der Techniker nieder, und seine Uniform, in der er sich nie besonders wohl gefühlt hatte, warf dicke Falten.

»Irgendwie vermisse ich das alles auf eine grauenhafte Weise. Ich kann mich kaum an die Zeiten erinnern, als wir noch nicht Krieg mit Deneb geführt haben, und es scheint unnatürlich, jetzt in Frieden zu leben und ohne Furcht zu den Sternen aufblicken zu müssen.«

Die beiden Männer, die neben dem Präsidenten der Solaren Föderation standen, waren jünger als Swift. Keiner hatte so graue Haare wie er, und keiner sah so müde aus.

Dem dünnlippigen John Henderson fiel es schwer, die namenlose Erleichterung zu verbergen, die er inmitten des Triumphs empfand.

»Sie sind vernichtet!« rief er aus. »Sie sind vernichtet! Genau das habe ich mir immer und immer wieder vorgesagt, und ich kann es noch immer nicht glauben. Wir haben soviel geredet, soviele Jahre lang, über die Drohung, die über der Erde und all ihren Welten schwebt, über jedem einzelnen Menschen, und während der ganzen Zeit war es wahr, jedes einzelne Wort. Und jetzt leben wir, und die Denebianer sind die Zerschmetterten. Sie werden nie mehr eine Bedrohung für uns bedeuten.«

»Dank Multivac«, sagte Swift und warf dem unerschütterlichen Jablonsky einen Blick zu. Jablonsky war während des ganzen Krieges der Chef-Interpret des wissenschaftlichen Orakels gewesen. »Habe ich recht, Max?«

Jablonsky zuckte mit den Schultern. Er griff nach einer Zigarette, entschloß sich aber dann, doch keine zu rauchen. Ihm allein von allen Tausenden, die in den Tunnels um Multivac gelebt hatten, war es erlaubt, dieses Privileg zu nutzen.

»Nun, das behaupten sie«, sagte er und wies mit seinem kräftigen Daumen über die rechte Schulter nach oben.

»Eifersüchtig, Max?«

»Weil sie nach Multivac schreien? Weil Multivac der große Held der Menschheit in diesem Krieg ist?« Jablonskys Gesicht verzerrte sich verächtlich. »Was kann mir das schon bedeuten? Soll doch Multivac die Maschine sein, die den Krieg gewonnen hat, wenn es ihnen Spaß macht.«

»Multivac hat mit dem Sieg gar nichts zu tun«, sagte Hender-son. »Er ist nur eine Maschine.«

»Eine sehr große Maschine«, sagte Swift.

»Dann eben eine große Maschine. Er ist nicht besser als die Daten, mit denen er gefüttert wurde.« Er schwieg. Plötzlich hatte er nicht mehr die Nerven, das zu sagen, was er sagen wollte.

Jablonsky starrte ihn an. Wieder tasteten seine dicken Finger nach einer Zigarette, und wieder zog er sie zurück.

»Sie müßten das doch wissen. Sie haben die Daten geliefert. Wollen Sie den Ruhm für sich beanspruchen?«

»Nein«, sagte Henderson verärgert. »Da gibt es keinen Ruhm. Was wissen Sie denn von den Daten, die Multivac braucht, von den Daten, die Hunderte von untergeordneten Computern auf der Erde, auf dem Mond, dem Mars, sogar auf Titan schon vorher ausgewertet haben, damit er mit ihnen richtig gefüttert werden konnte. Auf Titan haben sie uns immer hingehalten. Und da war immer das Gefühl, daß die Daten von dort in eine unerwartete Richtung weisen, ein Vorurteil mitein-beziehen würden.«

»Das muß ja jeden halbwahnsinnig machen«, sagte Swift mitfühlend.

Henderson schüttelte den Kopf.

»Es war nicht nur das. Ich gebe zu, daß ich vor acht Jahren, als ich Leponts Platz als Chef-Programmierer einnahm, ziemlich nervös war. Damals war die allgemeine Stimmung noch recht zuversichtlich. Der Krieg war noch weit entfernt. Ein Abenteuer ohne wirkliche Gefahr. Wir hatten noch nicht den Punkt erreicht, an dem bemannte Raumschiffe eingesetzt werden mußten und wo interstellare Verwindungsklappen einen Planeten total verschlucken konnten, wenn man nur genau ziel-te. Aber dann, als die ernsthaften Schwierigkeiten begannen ...« Zornig unterbrach er sich. Er konnte sich endlich erlauben, zornig zu sein. »Aber was wissen Sie schon davon.«

»Dann erzählen Sie es uns«, sagte Swift. »Der Krieg ist vorüber. Wir haben gewonnen.«

Diesmal entschied sich Jablonsky doch, eine Zigarette anzuzünden.

»Aber ich nehme doch an, daß Sie Multivac mit Daten versorgt haben. Sie haben uns nie etwas über die Unzuverlässigkeit der Daten gesagt.«

»Wie konnte ich denn? Und wenn ich es getan hätte, konnten Sie es sich leisten, mir zu glauben?« fragte Henderson wütend. »Unsere gesamten Kriegsbemühungen waren auf Multivac ausgerichtet. Er war die einzige große Waffe auf unserer Seite, denn die Denebianer hatten dem nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Was anderes konnte angesichts des drohenden Verderbens unsere Kampfmoral aufrechterhalten, wenn nicht die ständige Versicherung, daß Multivac jede Bewegung der Denebianer immer vorhersagen und verhindern würde? Und daß er immer unsere Bewegungen dirigieren und ihre Abwehr vereiteln würde? Seit unser Spionage-Schiff vernichtet wurde, fehlten uns zuverlässige denebianische Daten, mit denen wir Multivac hätten füttern können. Natürlich konnten wir nicht wagen, das zu veröffentlichen.«

»Sehr wahr«, sagte Swift.

»Und wenn ich Ihnen mitgeteilt hätte, daß die Daten unzuverlässig waren, was anderes hätten Sie tun können, als mich zu entlassen und es abzulehnen, mir Glauben zu schenken? Das konnte ich nicht in Betracht ziehen.«

»Was haben Sie getan?« fragte Jablonsky.

»Da der Krieg gewonnen ist, werde ich Ihnen sagen, was ich getan habe. Ich habe die Daten korrigiert.«

»Auf welche Weise?« fragte Swift.

»Intuition, nehme ich an. Ich vermischte sie so lange mitein-ander, bis sie richtig aussahen. Zuerst wagte ich es kaum. Ich fügte da eine kleine Änderung ein, dann dort, aber nur an Stellen, die ganz offensichtlich falsch waren. Und als dann der Himmel noch immer nicht über uns zusammenbrach, wurde ich mutiger. Und gegen Ende machte ich mir nur mehr wenig Gedanken. Ich setzte die Daten so ein, wie sie gebraucht wurden. Ich ließ sogar den Multivac-Annex für mich Daten präparieren, und zwar für private Programmier-Proben, die ich zu diesem Zweck entwickelte.«

»X-beliebige Zahlen?« fragte Jablonsky.

»Keineswegs. Ich berücksichtigte eine gewisse Anzahl von unvermeidlichen Einflüssen.«

Jablonsky lächelte, und völlig unerwartet begannen seine dunklen Augen hinter den faltigen Lidern zu funkeln.

»Mir wurde dreimal zugetragen, daß der Annex unbefugterweise benutzt worden war, und ich habe es jedesmal durchgehen lassen. Wenn es eine Rolle gespielt hätte, wäre ich der Sache wohl auf den Grund gegangen und hätte Sie in ziemliche Verlegenheit gebracht, John. Ich hätte nämlich herausgefunden, was Sie taten. Aber ich habe nichts unternommen, denn alles, was mit Multivac zusammenhing, war in jenen Tagen ohne jede Bedeutung. Und so ist es Ihnen nicht an den Kragen gegangen.«

»Was heißt das? Ohne Bedeutung?« fragte Henderson mißtrauisch.

»Es war eben ganz einfach bedeutungslos. Ich vermute, wenn ich Ihnen das damals gesagt hätte, wären Ihnen einige Sorgen erspart geblieben. Und wenn Sie mir erzählt hätten, was Sie taten, hätten Sie mir meine Sorgen erspart. Wie konnten Sie denn glauben, daß Multivac tatsächlich funktionierte, nachdem Sie ihn mit Ihren Daten gefüttert hatten?«

»Hat er denn nicht funktioniert?« fragte Swift.

»Nicht wirklich. Nicht verläßlich. Wo waren denn meine Techniker während der letzten Kriegsjahre? Ich will es Ihnen sagen. Sie fütterten Computer an Tausenden von Raumstationen. Sie waren verschwunden! Und ich mußte mich mit halben Kindern herumschlagen, auf die ich mich nicht verlassen konnte, oder auf Veteranen, die hinter der Zeit zurückgeblieben waren. Außerdem, glauben Sie, ich konnte mich auf eine solide Entwicklung verlassen, die die Kryogeniker in den letzten Jahren hervorgebracht hätten. Die Kryogeniker hatten auch kein besseres Personal als ich. Jedenfalls spielte es für mich keine Rolle, ob die Daten, mit denen Multivac gefüttert wurde, verläßlich waren oder nicht. Die Resultate waren unzuverläßlich. Darauf kam es an.«

»Was haben Sie getan?« fragte Henderson.

»So etwas Ähnliches wie Sie, John. Ich paßte die Resultate meiner Intuition an. Und auf diese Weise hat die Maschine den Krieg gewonnen.«

Swift lehnte sich in seinem Stuhl zurück und streckte die Beine aus.

»Was für Enthüllungen! Es stellt sich also heraus, daß das Material, das mir übergeben wurde, um mir bei meinen Entscheidungen als Leitfaden zu dienen, von Menschen gemacht worden war. Ein Mensch hat die Daten gemacht, und ein anderer die Interpretation dieser Daten. Stimmt das?«

»Es sieht so aus«, sagte Jablonsky.

»Dann war es also richtig, daß ich diesem Material nicht allzuviel Bedeutung beimaß.«

»Das taten Sie nicht?« Jablonsky schien allen Ernstes in seiner Berufsehre gekränkt zu sein, trotz seines Geständnisses.

»Ich fürchte, ich tat es nicht. Multivac mochte vielleicht sagen: >Schlagen Sie hier zu und nicht dort, tun Sie dies und nicht das, warten Sie, tun Sie gar nichtsc. Aber ich konnte nie ganz sicher sein, daß Multivac auch wirklich sagte, was er zu sagen schien. Oder daß er wirklich meinte, was er wirklich sagte. Nein, das konnte ich nie genau wissen.«

»Aber die Endberichte waren doch immer deutlich genug,

Sir«, sagte Jablonsky.

»Für Leute, die keine Entscheidung zu treffen haben, vielleicht. Die Angst, solche Entscheidungen verantworten zu müssen, war unerträglich. Und nicht einmal Multivac war fähig, mir diese Bürde abzunehmen.

Aber das Wesentliche ist, daß meine Zweifel berechtigt waren, und darin liegt eine ungeheure Erleichterung.«

Von der verschwörerischen Atmosphäre der gegenseitigen Geständnisse angesteckt, ließ Jablonsky die Titelanrede fallen.

»Und was haben Sie dann getan, Lamar? Sie haben doch trotz allem Entscheidungen gefällt. Auf welche Weise?«

»Nun, ich glaube, es ist an der Zeit, daß wir zu den anderen zurückgehen . Aber ich werde es Ihnen vorher noch sagen. Warum auch nicht? Ich benutzte einen Computer, Max, aber einen älteren als Multivac, einen viel älteren.«

Er suchte in seinen eigenen Taschen nach Zigaretten, förderte eine Packung zu Tage. Und gleichzeitig eine Handvoll Kleingeld. Alte Münzen aus der Zeit, bevor die Metallknappheit ein Kredit-System notwendig gemacht hatte.

Swift lächelte verlegen.

»Ich brauche das noch immer, damit Geld eine gewisse Substanz für mich behält. Es fällt einem alten Mann schwer, die Gewohnheiten aus seiner Jugendzeit aufzugeben.« Er steckte eine Zigarette zwischen die Lippen und ließ die Münzen eine nach der anderen zurück in seine Tasche gleiten. Die letzte behielt er zwischen den Fingern und starrte sie geistesabwesend an. »Multivac ist weder der erste Computer, meine Freunde, noch der bekannteste. Und er ist auch keineswegs der vertrauenswürdigste, wenn es darum geht, die Last der Entscheidung von den Schultern eines Präsidenten zu nehmen. Eine Maschine hat tatsächlich den Krieg gewonnen, John. Ein sehr simples Computer-System. Ich habe es jedesmal zu Rate gezogen, wenn ich eine besonders schwierige Entscheidung zu treffen hatte.«

Das Lächeln einer fernen Erinnerung glitt über sein Gesicht, als er die Münze hochwarf. Sie glitzerte in der Luft, als sie um die eigene Achse wirbelte, und landete in Swifts flacher Hand. Er schloß die Finger um die Münze, legte sie auf den Handrük-ken der Linken und verdeckte sie mit der Rechten.

»Kopf oder Zahl, Gentlemen?«