129289.fb2 Vergangene Zukunft. Elf der besten Stories des weltber?hmten SF-Autors - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

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Bis in die vierte Generation

Kurz nachdem »Der moderne Zauberer« erschienen war, zog sich Mr. Boucher als Herausgeber von F & SF zurück. Sein Nachfolger war Robert P. Mills.

Mr. Mills tat mir den größten Gefallen in meinem schriftstellerischen Leben, seit Mr. Campbell das Gespräch begonnen hatte, das zu »Und Finsternis wird kommen ...« geführt hatte. Mr. Mills ersuchte mich, jeden Monat eine wissenschaftliche Kolumne für F & SF zu schreiben, und ich erfüllte seine Bitte sofort. Seit der November-Ausgabe 1958, in der meine erste Kolumne erschienen war, wurde ich Monat für Monat meiner Aufgabe gerecht.

Von allen schriftstellerischen Arbeiten, die ich produziere, erfunden oder nicht erfunden, für Erwachsene oder für Jugendliche, bereiten mir diese Artikel für F & SF bei weitem die größte Freude, und während seiner ganzen Amtsdauer nannte ich Mr. Mills niemals anders als »meinen gütigen Herausgeber«.

Als wir eines Tages beim Lunch saßen, sagte Mr. Mills, er hätte am selben Tag den Namen Lefkowitz bei mehreren verschiedenen und unzusammenhängenden Gelegenheiten gelesen, und das erscheine ihm als ein sehr seltsames Zusammentreffen. Ob ich nicht daraus eine Geschichte machen könne? In meiner üblichen ungezwungenen Art sagte ich: »Sicher« und überlegte.

Das Ergebnis war eine Erzählung, die auch Mr. Boucher Tribut zollte. Er war gläubiger Katholik. (Ich muß sagen »er war«, denn er starb im April 1968, und alle, die ihn kannten, trauerten aufrichtig um ihn. Er war ein so liebenswerter, gütiger Mann, daß ihn sogar die Autoren liebten, die er abgelehnt hatte, und das bedeutet wohl den strengsten Test für wahre Zuneigung, den es gibt.) Und weil Mr. Boucher ein aufrichtiger

Katholik war, hatte auch F & FS unter seiner Leitung sehr oft eine schwache Aura von Katholizismus. Aber sie wirkte stets angenehm und liberal, denn auch das lag in seinem Wesen.

So beschloß ich, mich Mr. Boucher zu Ehren selbst in dieser Aura zu versuchen. Natürlich konnte ich nicht nach katholischer Art schreiben, denn ich bin kein Katholik. Also führte ich mein Vorhaben auf die einzige mir mögliche Art aus - ich schrieb eine jüdische Geschichte. Wie ich glaube, die einzige jüdische Geschichte, die ich jemals geschrieben habe.

Und aus Mr. Mills' Bemerkung über Lefkowitz wurde nachstehende Erzählung.

Um zehn Uhr vormittags rutschte Sam Marten aus dem Taxi. Wie stets versuchte er, mit der einen Hand die Wagentür zu öffnen, mit der anderen die Aktenmappe festzuhalten und mit einer dritten nach seiner Geldbörse zu greifen. Da er aber nur zwei Hände hatte, fiel ihm die Durchführung dieser Absicht etwas schwer. Also stemmte er sein Knie gegen die Wagentür, wie stets, und seine Rechte tastete noch immer vergeblich nach der Geldbörse, während sein Fuß bereits den Bürgersteig berührte.

Der Verkehr der Madison Avenue floß vorbei. Ein roter Lastwagen verlangsamte widerstrebend sein Tempo und setzte sich ratternd wieder in Bewegung, als die Ampel grünes Licht zeigte. Eine weiße Aufschrift an der Seite informierte eine desinteressierte Welt darüber, daß dieser Lastwagen das Eigentum von F. Lewkowitz und Söhne, Textiliengroßhandel, war.

Levkovich, dachte Marten widersinnigerweise und fischte endlich seine Geldbörse aus der Rocktasche. Er warf einen Blick auf den Zähler und klemmte die Aktenmappe unter den Arm. Ein Dollar, fünfundsechzig Cent, plus zwanzig Cent Trinkgeld. Wenn er zwei Zehn-Cent-Stücke opferte, hätte er kein Kleingeld mehr für dringende Fälle. Es war besser, wenn er sich einen Fünfer wechseln ließ.

»Okay«, sagte er, »nehmen Sie Eins-fünfundachtzig heraus, mein Freund.«

»Danke«, sagte der Fahrer mit mechanischer Unaufrichtigkeit und gab das Wechselgeld heraus. Marten stopfte die Münzen in die Geldbörse, steckte letztere ein, hob die Aktenmappe und kämpfte sich durch die Fußgängermasse bis zu der Glastür des Gebäudes vor.

Levkovich? dachte er angestrengt und blieb stehen. Ein Passant stieß an seinen Ellbogen.

»Sorry«, murmelte Marten und ging wieder auf die Tür zu.

Levkovich? Die Aufschrift auf dem Lastwagen hatte aber anders gelautet. Er hatte Lewkowitz gelesen. Warum dachte er dann an Levkovich. Wenn auch in seinem College-Deutsch sich die W's kürzlich in V's verwandelt hatten, wie kam er dann auf das »ich«?

Levkovich? Ungeduldig schob er die ganze Angelegenheit beiseite. Wenn er sich nicht gegen diese Gedanken wehrte, würden sie ihn bald wie ein Schlager aus der Hitparade verfolgen.

Konzentration auf das Geschäft! Er war mit diesem Menschen, diesem Naylor, zum Lunch verabredet. Er war hier, um über einen wichtigen Vertrag zu verhandeln, um mit dreiundzwanzig Jahren einen karriereträchtigen Posten zu übernehmen, der ihn in zwei Jahren in die Lage versetzen sollte, Elizabeth heiraten zu können, wie geplant. Und der ihn in zehn Jahren zu einem wohlbestallten Familienvater irgendwo in einem Vorort machen sollte.

Er betrat die Vorhalle mit grimmiger Entschlossenheit und wandte sich den Aufzügen zu. Im Vorbeigehen flog sein Blick über die weißen Lettern der Lifttafeln.

Es war eine dumme Angewohnheit von ihm, im Vorübergehen zu versuchen, Zahlen- oder Buchstabenreihen aufzuschnappen, ohne den Schritt zu verlangsamen oder sogar stehenzubleiben. Er sagte sich, daß er auf diese Weise üben konn-te, sich durch nichts ablenken zu lassen, stets zu wissen, was er wollte und welchen Weg er einzuschlagen hatte. Das war seiner Meinung nach sehr wichtig für einen Mann, dessen Job es war, mit Menschen umzugehen.

Kulinetten! Das war es, was er wollte. Das Wort amüsierte ihn. Eine ganz bestimmte Spezialisierung in der Produktion von Kleinküchen. In mannhafter Entschlossenheit und Ausdauer hatte man um diese Bezeichnung gerungen. Kulinetten - das klang einprägsam, feminin, keusch - alles zugleich.

Sein Blick hing an den M's und bewegte sich nach oben, während er weiterschritt. Mandel, Lusk, Lippert-Verlag (zwei ganze Etagen), Lafkowitz, Kulinetten - das war es. 1024, zehnter Stock.

Und dann blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen, drehte sich in widerstrebender Faszination um und kehrte zu der Lifttafel zurück. Er starrte sie an, als wäre er soeben vom Land in die Stadt gekommen.

Lafkowitz?

Wie wurde denn das buchstabiert?

Es war ganz deutlich. Lafkowitz, Henry J. 1701. Mit »a«. Das war nicht richtig. Das war sinnlos.

Sinnlos? Warum sinnlos? Er schüttelte heftig den Kopf, als wolle er den Nebel daraus vertreiben. Verdammt, was ging es ihn an, wie das buchstabiert wurde? Stirnrunzelnd wandte er sich ab und eilte zu einer Lifttür, die sich schloß, kurz bevor er sie erreichte. Verwirrt blieb er stehen.

Eine andere Tür öffnete sich, und rasch betrat er den Lift. Er klemmte die Aktenmappe unter den Arm und versuchte, strahlend und lebhaft auszusehen - wie ein junger, vielversprechender Direktor. Er mußte auf Alex Naylor Eindruck machen. Bisher war er nur telephonisch mit ihm in Verbindung getreten. Wenn er sich den Kopf über Lewkowitze und Lafkowitze zerbrach ...

Im siebten Stock blieb der Lift lautlos stehen. Ein junger

Mann in Hemdsärmeln stieg aus. Er balancierte etwas auf den Händen, das wie eine Schreibtischschublade aussah. Darauf befanden sich drei Kaffeetassen und drei Sandwiches.

Und dann, als sich die Lifttür wieder zu schließen begann, tauchte vor Martens Augen verschwommen ein Mattglas auf, mit schwarzen Lettern. 701 - Henry J. Lefkowitz - Import. Unerbittlich entzogen die beiden Flügel der Lifttür die Schrift seinen Blicken.

Marten beugte sich aufgeregt vor. Ich will in den siebenten Stock zurück .

Aber es befanden sich noch andere Fahrgäste im Lift. Und außerdem, was sollte er im siebten Stock?

Und doch, die Erregung wich nicht von ihm. Auf der Lifttafel war der Name falsch buchstabiert gewesen. Es war kein »a«, nein, es war ein »e«. Irgendein Analphabet hatte die Schrift mit dem linken Fuß eingesetzt.

Lefkowitz. Aber das stimmt ja immer noch nicht.

Wieder schüttelte er den Kopf. Wozu mußte es auch stimmen?

Der Lift hielt im zehnten Stockwerk, und Marten stieg aus.

Alex Naylor von »Kulinetten« entpuppte sich als untersetzter Mann in mittleren Jahren, mit weißer Haarmähne, rotem Gesicht und breitem Lächeln. Seine Handflächen waren trocken und rauh, sein Händedruck bemerkenswert fest, und seine Linke, die sich treuherzig auf Martens Schulter legte, schien eine wirklich ernst gemeinte freundschaftliche Gesinnung ausdrük-ken zu wollen.

»In zwei Minuten bin ich soweit. Wollen wir gleich hier im Haus essen? Exzellentes Restaurant! Außerdem haben sie einen Barkeeper, der einen guten Martini mixen kann. Einverstanden?«

»Großartig!« Marten pumpte genau die richtige Menge Enthusiasmus aus einem Reservoir irgendwo tief in seinem Innern hoch.

Aus den zwei Minuten wurden zehn, und Marten wartete mit dem Unbehagen, das einen Mann stets zu befallen pflegt, wenn er in einem fremden Büro wartet. Er starrte auf die Polstersessel, in den kleinen Nebenraum, in dem eine junge, offensichtlich gelangweilte Telefonistin saß, er starrte die Bilder an den Wänden an, und mit halbem Herzen durchblätterte er ein Handelsmagazin, das auf einem Tischchen neben ihm lag.

Aber er dachte nicht an Lev ...

Nein, er dachte nicht daran!

Das Restaurant war angenehm, oder es wäre angenehm gewesen, wenn Marten sich nicht so unbehaglich gefühlt hätte. Glücklicherweise sah er sich von der Bürde befreit, die Konversation zu führen. Naylor sprach rasch und laut, durchlas die Speisekarte mit geübten Augen, empfahl »Eigericht Benedikt« und gab seine Meinung über das Wetter und die miserable Situation des Straßenverkehrs zum besten.

Gelegentlich versuchte Marten, in die Gegenwart zurückzukehren, seine abwesenden Gedanken zu sammeln. Aber jedesmal befiel ihn diese unerklärliche Ruhelosigkeit von neuem. Irgend etwas stimmte nicht. Der Name stimmte nicht. Und er behinderte ihn in der Erfüllung seiner Pflichten.

Aber jetzt wollte er mit aller Gewalt diesen Unsinn beenden. Plötzlich brach ein Wortschwall aus ihm hervor, und er brachte das Gespräch auf das Installationswesen. Das war natürlich unhöflich. Vor allem bestand keinerlei Veranlassung dazu. Er hatte das Thema etwas zu abrupt gewechselt.

Trotzdem, der Lunch verlief recht zufriedenstellend, das Dessert wurde aufgetragen, und Naylor antwortete freundlich.

Er gab zu, daß er mit den bestehenden Einrichtungen unzufrieden war. Ja, er hätte sich Martens Vorschläge genau angesehen, ja, es schien ihm, da wäre eine Chance, eine gute Chance, er dachte auch, daß .

Eine Hand legte sich auf Naylors Schulter, und ein Mann ging hinter seinem Stuhl vorbei.

»Wie ist der Junge, Alex?«

Naylor blickte auf, mit bereitwilligem Grinsen und aufleuchtenden Augen.

»Hey, Lefk! Was macht das Geschäft?«

»Kann nicht klagen. Wir sehen uns ...« Der Mann entfernte sich.

Marten hörte nicht mehr zu. Er fühlte, wie seine Knie zitterten, als er sich halb von seinem Stuhl erhob.

»Wer war das?« fragte er aufgeregt.

»Wer? Lefk? Jerry Lefkovitz? Kennen Sie ihn?« Naylor blickte seinen Tischgefährten mit kühler Überraschung an.

»Nein. Wie wird sein Name buchstabiert?«

»L-E-F-K-O-V-I-T-Z, glaube ich. Warum?«

»Mit V.«

»Mit F ... Oh, das ist auch ein V.« Naylors Gesicht sah nicht mehr so gutgelaunt aus.

»Da ist ein Lefkowitz im Haus. Mit W. Sie wissen doch, Lef-K-O-W-itz.«

»Oh?«

»Zimmer 701. Ist das nicht derselbe?«

»Jerry arbeitet nicht in diesem Haus. Er hat sein Büro in dem Haus auf der anderen Straßenseite. Den anderen kenne ich nicht. Das ist hier ein ziemlich großes Gebäude, und ich kann nicht jeden beobachten, der hier aus- und eingeht. Aber was soll das überhaupt?«

Marten schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück. Er wußte ja selbst nicht, was das sollte. Oder wenn er es wußte, so wagte er nicht, es zu erklären. Konnte er denn sagen: Heute verfolgen mich alle Arten von Lefkowitz?

»Wir sprachen über die Installationen«, sagte er.

»Ja, nun, wie ich sagte, ich habe mir Ihre Vorschläge angesehen. Natürlich muß ich zuerst noch mit den Leuten von der Produktion sprechen. Das verstehen Sie sicher. Sie werden von mir hören.«

»Sicher«, sagte Marten unendlich deprimiert. Naylor würde nichts von sich hören lassen. Die ganze Angelegenheit war rettungslos verfahren.

Und doch, trotz seiner tiefen Niedergeschlagenheit war noch immer diese seltsame Unruhe in ihm.

Zur Hölle mit Naylor! Marten wollte nichts anderes als aufbrechen, vorankommen. (Womit vorankommen? Aber diese Frage war nur ein Flüstern. Was immer in seinem Innern diese Frage gestellt hatte, es verebbte, erstarb ...)

Qualvoll langsam näherte sich der Lunch seinem Ende. Sie hatten sich wie zwei Freunde nach langjähriger Trennung begrüßt, und jetzt gingen sie wie Fremde auseinander.

Marten fühlte einzig und allein Erleichterung.

Heftig schlug der Puls in seinen Schläfen, als er sich zwischen den Tischen hindurchzwängte, aus dem gespenstischen Haus eilte, hinaus auf die gespenstische Straße.

Gespenstisch? Madison Avenue um dreizehn Uhr zwanzig. Ein früher Nachmittag. Strahlend schien die Sonne, und Zehntausende Männer und Frauen belebten die Bürgersteige.

Aber Marten spürte, daß es spukte. Er klemmte die Aktenmappe unter den Arm und wandte sich verzweifelt nordwärts. Ein letzter Rest seines gesunden Verstands warnte ihn, daß er um fünfzehn Uhr eine Verabredung hatte. In der 36. Straße. Aber das war bedeutungslos. Er rannte die Straße hinauf. Nordwärts.

Bei der 54. Straße überquerte er die Madison Avenue und wandte sich in westliche Richtung. Abrupt blieb er stehen und blickte empor.

Ein Schild hing über dem Fenster im dritten Stockwerk. Er konnte es deutlich lesen: S. Levkowich, vereidigter Steuerprüfer.

Ein V und W. Aber das erste ICH-Ende, das er bisher gese-hen hatte. Das erste. Er kam der Sache näher. Wieder wandte er sich auf der Fifth Avenue nach Norden, rannte durch die unwirklichen Straßen einer unwirklichen Stadt, keuchte wie ein gejagtes Wild, während die Menschenmengen, die ihn umfluteten, sich in Nichts auflösten.

Ein Schild über einem ebenerdigen Fenster. M. R. Lefkowicz, praktischer Arzt.

Ein kleiner Halbkreis von goldenen Blättern über der Inschrift aus dem Schaufenster eines Süßwarenladens: Jacob Levkow.

»Ein halber Name, dachte er wütend. Warum führt er mich mit einem halben Namen in die Irre?«

Die Straßen waren leer. Nur eine mannigfaltige Sippschaft von Lefkowitz, Levkowitz, Lefkowicz stand im luftleeren Raum.

Dumpf nahm er den Park wahr, der sich in unbewegtem Grün vor ihm abzeichnete. Er wandte sich nach Westen. Aus den Augenwinkeln sah er ein Stück Zeitungspapier flattern, die einzige Bewegung in einer toten Welt. Er drehte sich um, bückte sich, hob das Papier auf, ohne seinen Schritt zu verlangsamen.

Jiddische Sprache, eine zerrissene halbe Seite.

Er konnte die Schrift nicht lesen. Er konnte die verblaßten hebräischen Buchstaben nicht entziffern. Er hätte sie auch nicht lesen können, wenn sie deutlich und klar gewesen wären. Aber ein Wort war deutlich. Aus der Mitte der Seite sprangen ihn die dunklen Lettern an, deutlich bis auf die kleinsten Abstriche an Kopf und Fuß der Buchstaben. Und das Wort hieß »Levko-witsch«, er wußte es, und er sagte es sich vor, indem er die zweite Silbe betonte. Lef-K-O-vitsch.

Er ließ das Papier zu Boden flattern und betrat den leeren Park. Die Bäume bewegten sich nicht, und die Blätter hingen merkwürdig herab. Gleich einer toten Last lag das Sonnenlicht drückend auf ihm und spendete keine Wärme.

Er rannte, aber seine Füße wirbelten keinen Staub auf, und ein Grasbüschel, auf das er trat, beugte sich nicht.

Und dort auf einer Bank saß ein alter Mann. Der einzige Mensch in dem verlassenen Park. Er trug eine dunkle Mütze, deren Schild seine Augen beschattete. Darunter quollen graue Haarsträhnen hervor. Der ergraute Bart reichte bis zum untersten Knopf seiner schäbigen Jacke. Die alte Hose war geflickt, und um jeden der zerrissenen, formlosen Schuhe war ein Streifen grober Leinwand gewickelt.

Marten blieb stehen. Er konnte kaum atmen. Er konnte nur ein Wort sagen, nur eine Frage stellen.

»Levkovich?«

Er stand da, während der alte Mann sich langsam erhob. Trübe braune Augen blickten aus dem faltigen Gesicht.

»Marten«, seufzte der Alte. »Samuel Marten. Du bist gekommen.« Die Worte sprachen zwei Sprachen, denn in dem Englisch hörte Marten den schwachen Klang eines ausländischen Akzents. Hinter »Samuel« schwang ein lautloser Schatten mit - »Schmuel«.

Die rauhen, geäderten Hände des alten Mannes streckten sich aus und zogen sich wieder zurück, als ob er sich vor einer Berührung fürchtete.

»Ich habe gesucht, aber da sind so viele Menschen in der Wildnis dieser aufstrebenden Stadt. So viele Martins und Mar-tiness und Mortons und Mertons. Endlich hielt ich an, als ich den grünen Park hier fand, aber nur für einen Augenblick -denn ich würde niemals die Sünde begehen, den Glauben zu verlieren. Und dann kamst du.«

»Ich bin es«, sagte Marten, und er wußte, wer der andere war. »Und du bist Phinehas Levkovich. Warum sind wir hier?«

»Ich bin Phinehas Ben Jehudah. Der Name Levkovich wurde mir durch den Ukas des Zaren zugeteilt, der die Familiennamen für alle festgesetzt hat. Und wir sind hier«, sagte der alte Mann leise, »weil ich gebetet habe. Als ich schon alt war, ging Leah, meine einzige Tochter, das Kind meiner alten Jahre, mit ihrem Gatten nach Amerika. Sie verließ die Knute des Alten in der Hoffnung auf das Neue. Und meine Söhne starben, und Sarah, die Gattin meines Herzens, war schon lange tot, und ich war allein. Und die Zeit kam, da auch ich sterben mußte. Aber ich hatte Leah nicht gesehen, seit sie in das ferne Land gegangen war, und nur selten kam ein Wort von ihr zu mir. Meine Seele sehnte sich danach, die Söhne zu sehen, die sie geboren hatte. Söhne von meinem Samen, Söhne, in denen meine Seele leben und niemals sterben mag.«

Seine Stimme klang fest, und der lautlose Schatten, der hinter seinen Worten schwebte, klang wie das ständige, unabänderliche Fließen einer altertümlichen Sprache.

»Und mein Gebet wurde erhört, und zwei Stunden wurden mir geschenkt, damit ich den ersten Sohn meines Stammes erblicken kann, der in einem neuen Land und in einer neuen Zeit geboren wurde. Sohn der Tochter der Tochter meiner Tochter, habe ich dich gefunden, mitten im gleißenden Licht dieser Stadt?«

»Aber warum hast du gesucht? Warum hast du nicht sofort zu mir gefunden?«

»Weil so viel Freude in der Hoffnung des Suchens liegt, mein Sohn«, sagte der alte Mann strahlend, »und im Entzücken des Findens. Zwei Stunden waren mir gegeben, um zu suchen, zwei Stunden, um zu finden ... Und siehe, du bist hier, und ich habe gefunden, was mir im Leben nicht zu sehen vergönnt war.« Zärtlich klang die alte Stimme. »Geht es dir gut, mein Sohn?«

»Es geht mir gut, mein Vater, nun, da ich dich gefunden habe«, sagte Marten, und er sank auf die Knie. »Gib mir deinen Segen, mein Vater, damit es mir gutgehen möge an allen Tagen meines Lebens, und auch dem Mädchen, das ich zur Gattin nehmen werde, und den Kindern, die aus meinem Samen wachsen werden und aus dem deinen.«

Er fühlte, wie die alte Hand leicht auf seiner Stirn ruhte, und nur ein lautloses Flüstern war um ihn.

Marten stand auf.

Die Augen des alten Mannes senkten sich sehnsüchtig in die seinen. Verloren sie den Fokus?

»Nun gehe ich in Frieden zu meinen Vätern, mein Sohn«, sagte der alte Mann, und Marten blieb allein im leeren Park zurück.

Bewegung flutete erneut heran, die Sonne setzte ihren unterbrochenen Weg fort, der Wind lebte auf, und im selben Augenblick kehrte alles wieder .

Um zehn Uhr vormittags rutschte Sam Marten aus dem Taxi und suchte auch nach seiner Geldbörse, während der Verkehr an ihm vorbeifloß.

Ein roter Lastwagen verlangsamte die Geschwindigkeit und fuhr dann weiter. Eine weiße Aufschrift an seiner Seite lautete: F. Lewkowitz und Söhne, Textiliengroßhandel.

Marten sah es nicht. Irgendwie wußte er, daß alles gut sein würde. Irgendwie war er sich dessen so sicher wie nie zuvor ...