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In meinem Vorwort zu »Und Finsternis wird kommen ...«, erklärte ich, daß der Erfolg einer Arbeit oft völlig unerwartet eintreffen kann. Im Fall »Streikbrecher« dachte ich, etwas ganz Besonderes geschaffen zu haben. Die Erzählung schien mir frisch und originell. Ich fühlte, daß ich ein aufregendes soziologisches Thema behandelt hatte, das viele Bedeutungen impliziert und eine ganze Menge Pathos enthält. Aber die Erzählung ging ziemlich unbemerkt in der Flut der Neuerscheinungen unter.
Aber in dieser Beziehung kann ich sehr hartnäckig sein. Wenn ich eine Geschichte mag, dann mag ich sie, und deshalb will ich ihr in diesem Sammelband eine zweite Chance geben.
Das ist eine meiner Erzählungen, deren Ursprung mir noch genau in Erinnerung ist. Das Thema hängt mit einem meiner Trips nach New York zusammen, die mehr und mehr zu Höhepunkten meines Lebens werden. Diese Trips bedeuten nämlich für mich die einzigen Gelegenheiten, für mehr als drei oder vier Tage meine schriftstellerische Arbeit zu unterbrechen, ohne ein schlechtes Gewissen zu verspüren.
Natürlich muß jedes unangenehme Ereignis, das einen dieser Trips in Frage stellt, meine normalerweise so unerschütterliche Kaltblütigkeit zum Erliegen bringen. Tatsächlich, ich würde sogar einen Wutanfall kriegen. Es ist natürlich schon schlimm genug, wenn sich mir Naturgewalten in den Weg stellen würden, ein Hurrikan oder ein Blizzard zum Beispiel. Aber ein Streik der Untergrundbahn-Bediensteten? Dabei müßten nicht einmal alle Angestellten der U-Bahn streiken, nur ein paar Männer, etwa fünfunddreißig. Aber sie würden das ganze U-Bahn-System und damit die ganze Stadt zusammenbrechen lassen. Und wenn ein solcher Streik tatsächlich stattfinden sollte, konnte ich mich kaum in das heillose Durcheinander der
Stadt wagen.
»Wo wird dies alles enden«, fragte ich den Himmel in bester tragischer Manier, hob die eine Faust und krallte die Finger der anderen Hand in mein Haar. »Eine Handvoll Männer kann eine ganze Metropolis in Schrecken versetzen. Wo wird dies enden?«
Meine ausdrucksvolle Gestik fror ein, als ich in Gedanken diese Situation zu ihrem logischen Extrem weiterverfolgte. Vorsichtig zog ich meine Fäuste wieder ein und ging in mein Arbeitszimmer, um »Streikbrecher« zu schreiben.
Das Happy-End an der ganzen Sache war, daß der drohende Streik nicht eintrat und ich nach New York fahren konnte.
Noch eine Besonderheit dieser Erzählung: Sie stellt meinen persönlichen Rekord von idiotischen Titeländerungen dar. Der Herausgeber des Magazins, in dem sie zuerst erschien, war Robert W. Lowndes, der mir stets als netter, belesener Mann erschienen war. Er hatte nichts damit zu tun. Irgendein Idiot in der Redaktion benannte meine Geschichte in »Die männlichen Streikbrecher« um.
Warum »männlich«? Welcher zusätzliche Sinn wird dem Titel durch dieses Adjektiv verliehen? Welche Illustration? Welche Verbesserung? Ich kann natürlich verstehen (wenn auch nicht billigen), daß ein Herausgeber aus Gründen der Reklame eine lächerliche Titeländerung vornimmt, aber in diesem Fall wird der geänderte Titel bestimmt nicht den Umsatz steigern.
Nun ja, ich nenne meine Erzählung wieder so, wie sie ursprünglich hieß.
Elvis Blei rieb seine plumpen Hände und sagte: »Selbsthilfe, darauf kommt es an.« Er lächelte unbehaglich, während er Steven Lamorak von der Erde Feuer gab. Sein glattes Gesicht mit den kleinen, weit auseinanderstehenden Augen zeigte nichts als Unbehagen.
Lamorak blies genüßlich den Rauch aus und schlug seine dünnen Beine übereinander. Sein Haar war mit grauen Strähnen durchzogen, und er hatte stark ausgeprägte Kieferbacken.
»Eigenbau?« fragte er und starrte kritisch auf die Zigarette. Er suchte zu verbergen, daß ihn die offensichtliche Verwirrung des anderen störte.
»Sicher«, sagte Blei.
»Ich wundere mich«, sagte Lamorak, »daß Sie auf Ihrem kleinen Planeten Raum für solche Luxusgüter haben.«
(Lamorak dachte daran, wie er aus dem Sichtfenster seines Raumschiffs den ersten Blick auf den Planeten Elsevere geworfen hatte. Ein gekerbter, luftloser Planetoid von einigen hundert Meilen Durchmesser, ein staubiggrauer, zerklüfteter Steinklumpen, der im Licht seiner Sonne trüb schimmerte, 200 000 000 Meilen entfernt. Er war das einzige Objekt, das diese Sonne umkreiste und mehr als eine Meile im Durchmesser maß. Und jetzt waren die Menschen in diese Miniaturwelt eingedrungen und hatten eine Gesellschaft etabliert. Und er selbst, der Soziologe Lamorak, war gekommen, um diesen Planeten zu studieren und zu beobachten, wie die Menschheit ihr Leben in dieser merkwürdigen Nische des Weltraums eingerichtet hatte.)
Bleis höfliches, einstudiertes Lächeln wurde um eine Nuance breiter. Er erwiderte: »Das ist keine kleine Welt, Dr. Lamorak. Sie beurteilen uns nach dem zweidimensionalen Blickwinkel. Die Oberfläche von Elsevere ist zwar nur drei Viertel so groß wie die des Staates New York, aber das ist irrelevant. Denken Sie daran, daß wir das ganze Innere des Planeten nutzen können, wenn wir wollen. Eine Sphäre von fünfzig Meilen Radius hat ein Volumen von über einer halben Million Kubikmeilen. Wenn ganz Elsevere auf Flächen im Abstand von fünfzig Fuß bebaut beziehungsweise genutzt wäre, so hätte der Planetoid eine Oberfläche von etwa 56 000 000 Quadratmeilen. Das ist ungefähr so viel wie die Landfläche der Erde. Und keine dieser Quadratmeilen wäre unproduktiv, Doktor.«
»Großer Gott«, sagte Lamorak und starrte sein Gegenüber sekundenlang erstaunt an. »Ja, natürlich haben Sie recht. Daß ich daran nicht gedacht habe! Dann wäre Elsevere ja die einzige vollgenutzte planetoide Welt in der Galaxis. Aber die Menschen denken eben meist nur an zweidimensionale Oberflächen, wie Sie ganz richtig festgestellt haben. Nun, ich freue mich um so mehr, daß Ihre Regierung so entgegenkommend war, mir bei meinen Untersuchungen freie Hand zu lassen.«
Blei nickte krampfhaft.
Lamorak runzelte leicht die Stirn und dachte: Er benimmt sich, wie wenn er sich wünschte, ich wäre nicht gekommen. Irgend etwas stimmt da nicht.
»Natürlich wissen Sie, daß wir viel größer sein könnten, als wir tatsächlich sind. Nur kleine Teile von Elsevere sind bis jetzt ausgehöhlt und besetzt worden. Wir sind auch gar nicht besonders daran interessiert, uns auszudehnen, höchstens in einem ganz langsamen Prozeß. Bis zu einem gewissen Grad wird unser Expansionsdrang von der Kapazität unserer PseudoSchwerkraft-Maschinen und Sonnenenergie-Konverter begrenzt.«
»Ich verstehe. Aber sagen Sie mir, Regierungsrat Blei ... Es ist nur rein persönliche Neugier und hat nichts mit meinem Projekt zu tun - könnte ich einige Ihrer Ackerbau- und Viehzuchtflächen besichtigen? Der Gedanke an Weizenfelder und Rinderherden im Innern eines Planetoiden fasziniert mich geradezu.«
»Sie werden sehen, daß die Rinder an Ihrem Maßstab gemessen verhältnismäßig klein sind, und wir haben nicht viel Weizen. In viel größerem Umfang bauen wir Hefe an. Aber ein bißchen Weizen kann ich Ihnen schon zeigen. Auch Baumwolle und Tabak. Sogar Obstbäume.«
»Wunderbar! Wie Sie sagen, Selbsthilfe ist das einzig Wahre. Sie führen alle Materie wieder auf die Ursubstanz zurück, nehme ich an.«
Lamoraks scharfen Augen konnte es nicht entgehen, daß Blei bei dieser letzten Bemerkung kaum merklich zusammenzuckte. Die Augen des Elseveraners zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, um seine Empfindungen nicht zu verraten.
»Ja, das ist richtig. Luft, Wasser, Nahrungsmittel, Minerale -alles muß wieder auf die Grundsubstanz zurückgeführt werden, wenn es verbraucht ist. Eine enorme Anzahl von Produkten wird wieder in Rohmaterial verwandelt. Dazu brauchen wir nichts als Energie, und davon haben wir genug. Wir können natürlich nicht mit hundertprozentiger Effizienz arbeiten. Irgend etwas wird immer nutzlos verpufft. Eine geringe Menge von Wasser müssen wir jährlich importieren. Und wenn unsere Bedürfnisse wachsen, werden wir auch Kohlenstoff und Sauerstoff einführen müssen.«
»Wann können wir mit unserer Tour beginnen, Regierungsrat Blei?« fragte Lamorak.
Bleis Lächeln wurde noch frostiger, als es ohnehin schon war.
»Sobald wir können, Doktor. Es müssen nur noch einige Formalitäten erledigt werden.«
Lamorak nickte, und als er seine Zigarette zu Ende geraucht hatte, drückte er sie aus.
Formalitäten? Von dieser Verzögerungstaktik war in der vorangegangenen Korrespondenz nichts zu spüren gewesen. Im Gegenteil, Elsevere schien sogar stolz darauf zu sein, daß seine einzigartige planetoide Existenz die Aufmerksamkeit der Galaxis auf sich gezogen hatte.
»Ich nehme an, ich könnte diese engmaschig gestrickte Gesellschaft störend beeinflussen«, sagte Lamorak und hörte grimmig zu, wie Blei diese Erklärung überging und seine eigene zum Besten gab.
»Nun ja«, sagte Blei, »wir fühlen uns von der übrigen Galaxis etwas abgesondert. Wir haben unsere eigenen Sitten. Jeder einzelne Elseveraner hat seinen eigenen, bequemen Platz in unserer Gesellschaft. Wenn ein Fremder ohne genau bestimmbaren gesellschaftlichen Stand auftaucht, so wirkt das auf unsere Leute natürlich verwirrend.«
»Dieses Kastensystem bringt aber eine gewisse Starre mit sich.«
»Sicher«, sagte Blei rasch, »aber ebenso eine gewisse Selbstsicherheit. Wir haben strenge Heiratsgesetze, und auch die Erbfolge jedes einzelnen besetzten Platzes ist genau geregelt. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind - alle wissen, wohin sie gehören, sie akzeptieren ihren Platz in der Gesellschaft und werden auch von ihr akzeptiert. Wir kennen keine Neurosen oder Geisteskrankheiten.«
»Und es gibt keine Außenseiter?«
Blei öffnete den Mund zu einem raschen »Nein«, schloß ihn aber sofort wieder fest, noch bevor das Wort über seine Lippen gekommen war. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. Nach einer kleinen Pause sagte er: »Ich werde die Tour für Sie arrangieren, Doktor. In der Zwischenzeit werden Sie sich vielleicht etwas frischmachen und schlafen wollen.«
Sie erhoben sich und verließen gemeinsam den Raum, wobei Blei dem Erdenmann höflich den Vortritt ließ.
Es bedrückte Lamorak, daß sein Gespräch mit Blei eine so unangenehme Wendung genommen hatte. Die Zeitung verstärkte dieses beklemmende Gefühl noch. Er las sie sorgfältig, bevor er zu Bett ging. Zuerst brachte er ihr nur ein rein wissenschaftliches Interesse entgegen. Es war eine achtseitige kleinformatige Zeitung aus synthetischem Papier. Ein Viertel ihres Umfangs war den sogenannten »Personellen Nachrichten« gewidmet. Darin las man von Geburtstagen, Hochzeiten, Todesfällen, Beförderungen, von neuem bewohnbaren Volumen (nicht Fläche! Man betrachtete es dreidimensional!). Der übrige Teil der Zeitung beinhaltete wissenschaftliche Essays, Erziehungsmaterial und Prosa. Einen Nachrichtenteil, der Neuigkeiten umfaßte, wie Lamorak sie von der Erde her gewohnt war, gab es nicht.
Nur ein Artikel entsprach in etwa einer Zeitungsnachricht, wie man sie auf der Erde kannte. Er war in seiner Unvollständigkeit erschreckend.
Unter der kleinen Schlagzeile FORDERUNGEN NICHT GEÄNDERT las Lamorak: Seine gestrige Haltung hat sich nicht geändert. Nach einem zweiten Gespräch verkündete der oberste Regierungsrat, daß seine Forderungen völlig unvernünftig geblieben sind und unter keinen Umständen gebilligt werden können.
Darunter stand in Parenthese und in einem anderen Schriftgrad zu lesen: Der Herausgeber dieser Zeitung ist ebenfalls der Meinung, daß Elsevere nicht nach seiner Pfeife tanzen kann und will, komme, was da wolle.
Lamorak las den Artikel noch dreimal. Seine Haltung. Seine Forderungen. Seine Pfeife.
Wessen?
Er schlief in dieser Nacht sehr schlecht.
In den folgenden Tagen hatte er keine Zeit, noch irgendwelche Zeitungen zu lesen. Aber in Gedanken beschäftigte er sich doch immer wieder mit jenem sonderbaren Artikel.
Blei, der während der Tour als sein Führer und Begleiter war, benahm sich immer zurückhaltender.
Am dritten Tag (genau nach dem Muster des vierundzwan-zigstündigen Erdentages festgesetzt) blieb Blei stehen und sagte: »Diese Ebene ist zur Gänze der chemischen Industrie gewidmet. Diese Abteilung ist nicht wichtig ...«
Aber er wandte sich eine Spur zu schnell ab, und Lamorak hielt ihn am Arm zurück.
»Was wird in dieser Abteilung produziert?«
»Kunstdünger. Gewisse Organismen«, sagte Blei steif.
Lamorak blickte sich um. Aus welchem Grund war Blei so eifrig darauf bedacht, möglichst schnell von hier zu verschwin-den? Seine Augen glitten über die dicht beieinander stehenden Steinbauten, die sich zwischen die einzelnen Ebenen quetschten.
»Sind das nicht Privatwohnungen?«
Blei blickte nicht in die Richtung, in die Lamorak deutete. »Das ist das größte Wohngebiet, das ich bis jetzt gesehen habe«, sagte Lamorak. »Warum befindet es sich auf Industrieboden?« Das allein war bemerkenswert. Er hatte bereits festgestellt, daß die einzelnen Ebenen in Elsevere streng in Wohngebiete, Ackerland und Industriegebiete geteilt waren.
Er drehte sich um und rief: »Regierungsrat Blei!«
Der Regierungsrat ging davon, und Lamorak folgte ihm mit hastigen Schritten.
»Ist hier irgend etwas nicht in Ordnung?«
»Ich bin unhöflich, ich weiß«, murmelte Blei. »Es tut mir leid. Gewisse Angelegenheiten, die mir Sorge bereiten ...« Er ging immer schneller.
»Geht es um seine Forderungen?«
Blei blieb abrupt stehen.
»Was wissen Sie denn davon?«
»Nicht mehr, als ich gesagt habe. Ich habe davon in der Zeitung gelesen.«
Blei murmelte etwas vor sich hin.
»Ragusnik?« fragte Lamorak. »Was ist das?«
Blei stieß einen schweren Seufzer aus.
»Ich glaube, Sie müssen es erfahren. Es ist erniedrigend und äußerst peinlich. Die Regierung dachte, daß die Angelegenheit in kurzer Zeit bereinigt werden könnte, daß Sie es nicht wissen und nicht damit belastet werden müßten. Aber es dauert jetzt schon fast eine Woche. Ich weiß nicht, was passieren wird. Und wenn der äußere Anschein auch harmlos wirkt, so wäre es doch das beste für Sie, uns zu verlassen. Es besteht kein Grund für einen Fremden, sein Leben zu riskieren.«
Der Erdenmann lächelte ungläubig.
»Das Leben riskieren? In dieser kleinen, friedlichen, geschäftigen Welt? Das kann ich nicht glauben.«
Der elseveranische Regierungsrat sagte: »Ich kann es Ihnen erklären. Ich denke, das wird am besten sein.« Er wandte sich ab. »Wie Sie wissen, muß alles auf Elsevere auf die Grundsubstanz zurückgeführt werden. Sie verstehen das.«
»Ja.«
»Das schließt auch - hm - menschliche Exkremente mit ein.«
»Das ist mir klar.«
»Das Wasser wird durch Destillation und Absorption entzogen. Was übrigbleibt, wird in Kunstdünger für die Hefekulturen verwandelt. Manches wird auch für Organismen oder Nebenprodukte verwendet. Die Fabriken, die Sie hier sehen, wurden für diese Zwecke errichtet.«
»Ach ja?« Lamorak hatte sich bei seiner ersten Landung auf Elsevere überwinden müssen, Wasser zu trinken, denn er war realistisch genug, um sich darüber klar zu sein, woraus dieses Wasser gewonnen wurde. Aber er hatte dieses Ekelgefühl bald überwunden. Auch auf der Erde wurde das Wasser in natürlichen Prozessen aus allen möglichen widerlichen Substanzen gewonnen.
Blei fuhr mit wachsendem Unbehagen fort.
»Ignor Ragusnik ist für die industrielle Verarbeitung der Exkremente verantwortlich. Diese Industrie ist im Besitz seiner Familie, seit Elsevere kolonisiert wurde. Einer der ersten Siedler war Mikhail Ragusnik, und er - er ...«
»Er übernahm die Nutzbarmachung der menschlichen Exkremente.«
»Ja. Diese Wohnsiedlung, die Sie soeben gesehen haben, gehört Ragusnik. Sie ist die schönste auf dem ganzen Planetoiden. Ragusnik hat viele Privilegien, die wir anderen nicht haben. Aber, trotz allem .« Die Stimme des Regierungsrats zitterte plötzlich vor verhaltener Leidenschaft. »Wir können nicht mit ihm sprechen.«
»Was?«
»Er verlangt völlige gesellschaftliche Gleichstellung. Er will, daß seine Kinder mit den unseren spielen, daß unsere Ehefrauen die weiblichen Mitglieder seiner Familie besuchen ... Oh!« Er stöhnte angewidert auf.
Lamorak dachte an den Zeitungsartikel. Der verantwortliche Redakteur hatte es nicht einmal über sich gebracht, Ragusniks Namen drucken zu lassen, geschweige denn dessen Forderungen genau zu definieren.
»Ich nehme an, man betrachtet ihn wegen seines Jobs als Außenseiter«, sagte Lamorak.
»Natürlich. Menschliche Exkremente und ...« Blei fehlten die Worte. Nach einer Pause sagte er etwas ruhiger: »Als Erdenmann können Sie das vielleicht nicht verstehen.«
»Als Soziologe schon, glaube ich.« Lamorak dachte an die Unberührbaren im alten Indien, an die Menschen, die mit Leichen in Berührung gekommen waren. Er dachte an die Schweinehirten im alten Judäa.
»Ich nehme an, daß Elsevere Ragusniks Forderungen nicht erfüllen werden«, sagte Lamorak.
»Niemals«, erwiderte Blei energisch. »Niemals!«
»Und?«
»Ragusnik hat gedroht, seine Betriebe nicht mehr voll arbeiten zu lassen.«
»Mit anderen Worten, er will streiken.«
»Ja.«
»Würde sich daraus eine ernste Situation ergeben?«
»Für eine Weile haben wir noch genug Nahrungsmittel und Wasser. In dieser Beziehung ist die Nutzbarmachung also nicht so wichtig. Aber die Exkremente häufen sich an. Sie werden den Planetoiden vergiften. Nachdem die Krankheiten seit Generationen sorgfältig kontrolliert wurden, können wir den Krankheitserregern natürlicherweise nur eine geringe Widerstandskraft entgegensetzen. Wenn eine Epidemie ausbricht, und das wird mit Sicherheit der Fall sein, werden wir zu Hunderten dahingerafft werden.«
»Ist sich Ragusnik dessen bewußt?«
»Ja, natürlich.«
»Glauben Sie wirklich, daß er dann seine Drohung wahrmachen wird?«
»Er ist verrückt. Er hat bereits die Arbeit teilweise gestoppt. Seit dem Tag vor Ihrer Landung sind keine Exkremente mehr nutzbar gemacht worden.« Bleis Knollennase schnüffelte angewidert.
Auch Lamorak schnüffelte ganz automatisch, aber er roch nichts.
»Jetzt verstehen Sie sicher, warum es für Sie das beste wäre, Elsevere zu verlassen. Es demütigt uns zutiefst, Ihnen diesen Vorschlag machen zu müssen.«
»Warten Sie. Noch will ich Ihrem Planetoiden nicht den Rücken kehren. Großer Gott, diese Angelegenheit ist von größtem beruflichen Interesse für mich. Könnte ich mit Ragusnik sprechen?«
»Auf keinen Fall«, sagte Blei erschrocken.
»Aber es wäre sehr wichtig für mich, diese Situation genau verstehen zu lernen. Die gesellschaftlichen Bedingungen hier sind einzigartig und treten in dieser Form sonst nirgendwo in der Galaxis auf. Im Namen der Wissenschaft .«
»Würde es Ihnen genügen, das Gespräch mittels Bildempfang zu führen?«
»Ja.«
»Ich werde die Regierung fragen«, murmelte Blei.
Sie saßen unbehaglich neben Lamorak. Ihre sonst so strengen, würdigen Gesichter waren angstvoll verzerrt. Blei, der in ihrer Mitte saß, mied sorgfältig den Blick des Erdenmanns.
Der oberste Regierungsrat, ein grauhaariger Mann mit faltigem Gesicht und magerem Hals, sagte leise: »Wenn Sie ihn irgendwie aus Ihrer eigenen innersten Überzeugung heraus überreden könnten, Sir, so würden wir das sehr begrüßen. Aber Sie dürfen keinesfalls andeuten, daß wir auch nur in der geringsten Beziehung gewillt sind, seinen Forderungen nachzugeben.«
Ein gazeartiger Vorhang senkte sich zwischen Blei und die Mitglieder des Regierungsrats. Er konnte die einzelnen Regierungsräte noch erkennen. Jetzt wandte er sich mit einer entschlossenen Bewegung dem Empfangsgerät zu, das zu leuchten begann.
Ein Kopf erschien in natürlichen Farben und sehr realistisch. Es war ein großer, dunkler Kopf mit einem massiven, stoppelbärtigen Kinn. Dicke rote Lippen bildeten eine feste, horizontale Linie.
Das Bild fragte mißtrauisch: »Wer sind Sie?«
»Ich heiße Steven Lamorak. Ich komme von der Erde.« »Ein Fremder?«
»Ganz recht. Ich bin zu Besuch auf Elsevere. Sind Sie Ra-gusnik?«
»Igor Ragusnik, zu Diensten«, sagte das Bild spöttisch. »Aber ich werde niemandem zu Diensten sein, solange meine Familie und ich nicht wie Menschen behandelt werden.«
»Erkennen Sie nicht die Gefahr, in der sich Elsevere befindet? Es ist möglich, daß eine Epidemie ausbricht.«
»Die Situation kann sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden normalisieren, wenn sie mir erlauben, wie jeder andere Mensch zu leben. Es liegt in ihrer Hand.«
»Sie scheinen ein gebildeter Mann zu sein, Ragusnik.«
»So?«
»Es wurde mir gesagt, daß Ihnen jeder materielle Komfort zur Verfügung steht. Sie wohnen, essen und kleiden sich besser als jeder andere Mensch auf Elsevere. Ihre Kinder genießen die beste Erziehung.«
»Sicher. Das habe ich aber nur einem gut funktionierenden
Mechanismus zu verdanken. Mutterlose weibliche Babys werden zu uns gesandt. Sie wachsen bei uns auf, und dann heiraten sie die männlichen Mitglieder meiner Familie. Aber die Mädchen sterben jung. Aus Einsamkeit. Warum?« Plötzliche Leidenschaft schwang in seiner Stimme mit. »Wir müssen isoliert leben, als wären wir Ungeheuer. Warum? Warum darf kein Mensch in unsere Nähe? Sind wir nicht genauso Menschen wie die anderen? Haben wir nicht dieselben Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle? Haben wir nicht eine ehrenhafte und nützliche Funktion innerhalb der Gesellschaft?«
Gequälte Seufzer ertönten hinter Lamorak. Ragusnik hörte sie und erhob seine Stimme.
»Ich sehe die Mitglieder des Regierungsrats hinter Ihnen sitzen. Antworten Sie mir! Haben wir nicht eine ehrenhafte und nützliche Funktion? Es sind Ihre Exkremente, die wir zu Nahrungsmitteln für Sie verwandeln. Ist der Mann, der den Schmutz veredelt, schlechter als der, der ihn produziert? Hört, meine Herren Regierungsräte, ich werde nicht nachgeben. Soll ganz Elsevere an Krankheit zugrunde gehen, samt mir und meinem Sohn, wenn es notwendig sein sollte - aber ich werde nicht nachgeben. Es ist für meine Familie besser, an Krankheit zu sterben, als ihr jetziges Leben weiterzuführen.«
»Sie führen dieses Leben doch seit Ihrer Geburt, nicht wahr?« unterbrach ihn Lamorak.
»Und wenn das so wäre?«
»Da haben Sie sich doch sicher daran gewöhnt.«
»Niemals. Vielleicht habe ich resigniert. Mein Vater hat resigniert, und ich auch, eine Zeitlang. Aber dann habe ich meinen Sohn heranwachsen sehen, meinen einzigen Sohn. Nie hatte er einen Spielgefährten. Mein Bruder und ich, wir konnten wenigstens miteinander spielen. Aber mein Sohn wird niemals einen Freund haben, und deshalb bin ich nicht gewillt, noch länger zu resignieren. Ich bin fertig mit Elsevere, und ich habe nichts mehr zu sagen.«
Das Empfangsgerät verdunkelte sich.
Das Gesicht des obersten Regierungsrats war leichenblaß geworden. Von der Schar der Regierungsräte waren nur er und Blei hinter Lamorak sitzen geblieben.
»Der Mann ist geistesgestört«, sagte der oberste Regierungsrat. »Ich weiß nicht, wie ich ihn zwingen kann, Vernunft anzunehmen.«
Ein Glas Wein stand auf einem Tisch neben ihm. Als er es an die Lippen führte, zeichneten ein paar Tropfen rote Flecken auf seine weiße Hose.
»Sind seine Forderungen wirklich so unvernünftig?« fragte Lamorak. »Warum kann er nicht von der Gesellschaft akzeptiert werden?«
Bleis Augen flammten zornig auf.
»Ein Mann, der sich mit Exkrementen beschäftigt!« Dann zuckte er mit den Schultern. »Sie kommen eben von der Erde.«
»Kommt Ragusnik denn tatsächlich mit den Exkrementen in Berührung? Ich stelle mir vor, daß all die nötigen Arbeitsgänge doch von automatisierten Maschinen abgewickelt werden.«
»Natürlich«, sagte der oberste Regierungsrat.
»Und womit beschäftigt sich Ragusnik?«
»Er kontrolliert das Funktionieren der Maschinerie. Er schaltet die Anlagen aus, die repariert werden müssen. Er ändert die Arbeitskapazität je nach der Tageszeit. Er bestimmt die Menge der Endprodukte nach den jeweiligen Bedürfnissen.« Traurig fügte er hinzu: »Wenn wir genug Raum hätten, um die technischen Anlagen auf das Zehnfache vergrößern zu können, wäre es möglich, auch diese Funktionen alle maschinell durchzuführen. Aber das wäre sinnlose Vergeudung.«
»Jedenfalls tut Ragusnik nichts anderes als simple Knöpfe drücken und verschiedene maschinelle Kontakte herstellen.«
»Ja.«
»Dann unterscheidet sich seine Arbeit also nicht von der Arbeit jedes anderen Elseveraners.«
»Das verstehen Sie nicht«, sagte Blei steif.
»Und deshalb wollen Sie das Leben Ihrer Kinder aufs Spiel setzen?«
»Wir haben keine andere Wahl«, sagte Blei. Seine Stimme klang schmerzlich genug, um Lamorak davon zu überzeugen, daß die Situation ihm zwar schreckliche Qualen bereite, er aber tatsächlich keinen Ausweg sehe.
Lamorak zuckte angewidert mit den Schultern. »Dann brechen Sie den Streik! Zwingen Sie ihn!«
»Wie?« fragte der oberste Regierungsrat. »Wer will schon mit ihm in Verbindung treten, in seine Nähe gehen? Und wenn wir seine Wohnungen aus gehöriger Distanz in die Luft sprengen - was würde uns das helfen?«
»Wissen Sie, wie man seine Maschinerie in Gang bringt?« fragte Lamorak nachdenklich.
Der oberste Regierungsrat erhob sich.
»Ich?« kreischte er.
»Ich meine nicht Sie!« schrie Lamorak in plötzlicher Wut. »Ich meine, kann irgend jemand lernen, mit Ragusniks Maschinen umzugehen?«
Langsam fand der oberste Regierungsrat seine Beherrschung wieder.
»Es steht alles in den Handbüchern, ich bin sicher - obwohl ich mich natürlich nie damit befaßt habe.«
»Dann könnte doch jemand die Prozedur erlernen und Ra-gusnik ersetzen, bis der Mann bereit ist nachzugeben.«
»Wer würde sich schon dafür hergeben?« fragte Blei. »Ich nicht, unter keinen Umständen.«
Lamorak dachte flüchtig an die Tabus auf der Erde, die ebenso mächtig sind. Er dachte an Kannibalismus, Inzest, Blasphemie.
»Aber Sie müssen doch Vorsorge getroffen haben, daß jemand Ragusniks Funktion übernehmen kann. Was geschieht denn, wenn er stirbt?« »Dann wird sein Sohn automatisch sein Nachfolger. Oder sein nächster Verwandter.«
»Und wenn alle Verwandten noch nicht erwachsen sind? Wenn die Familie plötzlich ausstirbt?«
»Das war noch nie der Fall. Und es wird auch nie geschehen.«
Der oberste Regierungsrat fügte hinzu: »Und sollte diese Gefahr wirklich einmal drohen, würden wir ein oder zwei Babys bei den Ragusniks aufwachsen lassen, damit sie den Beruf erlernen.«
»Ah! Und nach welchen Gesichtspunkten würden Sie die Babys aussuchen?«
»Wir würden eines oder zwei der Kinder wählen, deren Mütter bei der Geburt gestorben sind. Genauso, wie wir die künftigen Bräute der Ragusniks bestimmen.«
»Dann wählen Sie schleunigst einen Ersatzmann für Ragusnik«, sagte Lamorak.
»Nein! Das ist unmöglich! Wie können Sie einen solchen Vorschlag machen? Wenn wir ein Baby zu diesem Zweck aussuchen, dann hat dieses Baby nie im Leben andere Menschen als die Ragusniks gekannt. Aber in diesem Fall müßten wir einen Erwachsenen bestimmen und ihn Ragusnik ausliefern. Nein, Dr. Lamorak. Wir sind keine Monstren oder Rohlinge.«
Es hat keinen Sinn, dachte Lamorak hilflos. Es hat keinen Sinn, außer ...
Aber er konnte es noch nicht über sich bringen, dieser Möglichkeit ins Gesicht zu sehen.
In der Nacht konnte Lamorak nicht schlafen. Ragusnik wollte nichts anderes als ein normales menschliches Leben führen. Aber auf der anderen Seite schwebten dreißigtausend Elseve-raner in Todesgefahr.
Das Wohl von dreißigtausend auf der einen Seite, die Forderungen einer einzelnen Familie auf der anderen. Konnte man sagen, daß dreißigtausend Menschen, die eine solche Ungerechtigkeit unterstützen, den Tod verdienen? Konnte man überhaupt von Ungerechtigkeit sprechen? Nach welchen Gesichtspunkten sollte man das beurteilen? Nach elseveranischen Gesichtspunkten? Oder nach den auf der Erde herrschenden Gesichtspunkten? Und wer war Lamorak, um sich hier ein Urteil anzumaßen?
Und Ragusnik? Er war gewillt, dreißigtausend Menschen sterben zu lassen, inklusive der Männer und Frauen, die nur ganz einfach eine Situation akzeptierten, die man sie zu akzeptieren gelehrt hatte, eine Situation, die sie nicht ändern konnten, selbst wenn sie es wollten. Und all die Kinder, die nichts mit der ganzen Angelegenheit zu tun hatten!
Dreißigtausend Menschen auf der einen Seite, eine einzelne Familie auf der anderen.
Fast verzweifelt rang sich Lamorak zu einer Entscheidung durch. Am Morgen rief er den obersten Regierungsrat an.
»Sir, wenn Sie einen Ersatzmann finden, wird Ragusnik einsehen, daß er alle Chancen verloren hat, seine Forderungen durchzusetzen. Er wird wieder seine Arbeit aufnehmen.«
»Wir haben keinen Ersatzmann«, erwiderte der oberste Regierungsrat. »Das habe ich Ihnen doch bereits erklärt.«
»Unter den Elseveranern werden Sie keinen Ersatzmann finden. Aber ich bin kein Elseveraner. Mir macht es nichts aus. Ich werde diese Aufgabe übernehmen.«
Sie waren aufgeregt. Viel aufgeregter als Lamorak selbst. Mehrmals fragten sie ihn, ob er es auch wirklich ernst meine.
Lamorak hatte sich nicht rasiert. Er fühlte sich ziemlich übel.
»Sicher, ich meine es ernst. Und wenn Ragusnik in Zukunft wieder einmal streiken sollte, können Sie jederzeit einen Ersatzmann importieren. Auf keiner anderen Welt herrscht ein solches Tabu wie auf der Ihren, und Sie werden genug Ersatzleute finden, die zeitweise zur Verfügung stehen werden. Falls
Sie genug bezahlen.«
(Er wußte, daß er einen Mann verriet, den man schamlos ausbeutete. Aber immer wieder sagte er sich verzweifelt: Er wird zwar gesellschaftlich geächtet. Aber sonst geht es ihm gut. Sehr gut!)
Sie gaben ihm die Lehrbücher, und er studierte sie sechs Stunden lang. Es hatte keinen Sinn, zusätzliche Fragen zu stellen, denn kein einziger Elseveraner wußte über den Job mehr, als in den Büchern stand. Und es war ihnen äußerst unangenehm, als Lamorak ein paar Details erwähnte.
»Der Galvanometer A-3 muß auf Null stehen, solange das rote Signal auf dem Fehlermesser aufleuchtet«, las Lamorak. »Und was ist ein Fehlermesser?«
»Das wird schon irgendwie bezeichnet sein«, murmelte Blei. Die Elseveraner blickten sich verlegen an, senkten die Köpfe und starrten auf ihre Fingerspitzen.
Sie hatten ihn schon lange verlassen, als er endlich die kleinen Räume des Ragusnik-Hauptquartiers erreichte, diese Räume, in denen Generationen von Ragusniks der Welt Elsevere gedient hatten. Lamorak war genau instruiert worden, welche Richtung er einschlagen müsse, auf welche Ebene er sich begeben müsse, aber sie hatten ihn seinen Weg allein gehen lassen.
Er ging durch die Räume und studierte gewissenhaft alle Instrumente und Kontrollgeräte, deren Funktion und Gestalt er sich mit Hilfe der Lehrbücher genau eingeprägt hatte.
Da ist ein Fehlermesser, dachte er mit grimmiger Befriedigung. Das Gerät war tatsächlich bezeichnet. Es hatte die Form einer Halbkugel, in der sich mehrere Löcher befanden. Diese Löcher waren offensichtlich dazu bestimmt, in verschiedenen Farben aufzuleuchten. Warum? Er wußte es nicht.
Irgendwo, dachte Lamorak, irgendwo häufen sich die Exkremente, drängen sich durch Triebwerke, Röhren und Destillierapparate, warten darauf, hunderterlei verschiedene Gestal-ten anzunehmen. Aber jetzt geschieht nichts dergleichen. Jetzt wachsen sie nur an, türmen sich aufeinander, höher und höher.
Zitternd betätigte er den ersten Schalter, von dem das Lehrbuch behauptet hatte, er würde die ganze Maschinerie in Bewegung setzen. Ein sanftes Gemurmel drang durch Böden und Wände. Lamorak zog an einem Hebel, und die Lichter gingen an.
Bei jedem Schritt zog er die Lehrbücher zu Rate, obwohl er sie auswendig gelernt hatte. Und mit jedem Schritt wurden die Räume heller, bewegten sich die Skalenzeiger auf den Schalttafeln emsiger, schwoll das Summen der Maschinen lauter an.
Und irgendwo tief unten wurden die angesammelten Exkremente in die richtigen Kanäle geleitet.
Ein schrilles Signal ertönte und riß Lamorak aus seiner tiefen Konzentration. Das Signal bedeutete, daß jemand mit ihm in Verbindung treten wollte, und Lamorak schaltete mit umständlichen Bewegungen das Empfangsgerät ein.
Ragusniks aufgeregtes Gesicht erschien. Nur langsam schwand das ungläubige Entsetzen aus seinen Augen.
»So ist das also.«
»Ich bin kein Elseveraner, Ragusnik. Mir macht es nichts aus, das zu tun.«
»Und was geht das Sie an? Warum mischen Sie sich ein?«
»Ich stehe auf Ihrer Seite, Ragusnik. Aber ich kann nicht anders handeln.«
»Und warum nicht? Sie sagten doch, sie stünden auf meiner Seite. Werden auch auf Ihrer Welt Menschen so behandelt, wie die Elseveraner mich behandeln?«
»Jetzt nicht mehr. Aber wenn Sie auch recht haben, ich muß das Leben von dreißigtausend Elseveranern retten.«
»Sie hätten nachgegeben. Und jetzt haben Sie meine einzige Chance zunichte gemacht.«
»Sie hätten nicht nachgegeben. Und in gewisser Weise haben Sie gewonnen, Ragusnik. Die Elseveraner wissen jetzt, daß Sie unzufrieden sind. Bis jetzt haben sie sich nie träumen lassen, daß ein Ragusnik unglücklich sein könnte, daß er jemals Schwierigkeiten machen würde.«
»Und was habe ich davon, daß sie es jetzt wissen? Jetzt können Sie jederzeit einen Fremden von irgendeiner anderen Welt engagieren, um an meine Stelle zu treten.«
Lamorak schüttelte heftig den Kopf. Auch diese Möglichkeit hatte er in diesen letzten bitteren Stunden durchdacht.
»Die Tatsache, daß die Elseveraner nun Ihre Wünsche kennen, bedeutet auch, daß sie über Sie nachdenken werden. Manche werden sich zu fragen beginnen, ob es richtig ist, einen Menschen so zu behandeln. Und wenn Fremde eingestellt werden, um Ihren Platz einzunehmen, werden sie sehen, was auf Elsevere vor sich geht, und sie werden es in der ganzen Galaxis verbreiten. Die öffentliche Meinung der Galaxis wird Ihre Partei ergreifen.«
»Und?«
»Ihre Situation wird sich bessern. Ihr Sohn wird viel bessere Zeiten erleben.«
»Mein Sohn ...« Ragusniks Kinn sank herab. »Und dabei hätte ich jetzt schon ein besseres Leben führen können. Nun, ich habe verloren. Ich werde wieder an die Arbeit gehen.«
Lamorak fühlte, wie ihn eine beinahe überwältigende Erleichterung durchströmte.
»Kommen Sie, Sir«, sagte er, »und übernehmen Sie die Arbeit. Und es wird mir eine Ehre sein, wenn ich Ihre Hand schütteln darf.«
Ragusnik warf den Kopf zurück, und seine Augen glühten in düsterem Stolz.
»Sie nennen mich >Sir<, und Sie wollen mir die Hand schütteln ... Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten, Erdenmann, und lassen Sie mich meine Arbeit tun. Denn ich werde Ihre Hand nicht schütteln.«
Lamorak ging den Weg zurück, den er gekommen war. Erleichtert atmete er auf, weil die kritische Situation bereinigt war, und doch fühlte er sich gleichzeitig tief deprimiert.
Erstaunt blieb er stehen, als er einen Teil des Korridors versperrt fand. Er blickte sich um und suchte nach einem anderen Ausgang. Erschrocken fuhr er auf, als über seinem Kopf eine laute Stimme ertönte.
»Können Sie mich hören, Dr. Lamorak? Hier ist Regierungsrat Blei.«
Lamorak blickte auf. Die Stimme mußte aus einem Lautsprecher kommen. Nirgends war eine Öffnung zu sehen.
»Ist etwas schiefgegangen? Können Sie mich hören?«
»Ich höre Sie.«
»Ist etwas nicht in Ordnung?« schrie Lamorak. »Hier ist der Weg versperrt! Gibt es Komplikationen mit Ragusnik?«
»Ragusnik hat seine Arbeit wieder aufgenommen«, sagte Bleis Stimme. »Die Krisensituation ist vorüber, und Sie müssen uns jetzt verlassen.«
»Verlassen?«
»Sie müssen Elsevere verlassen. Ein Schiff wird für Sie bereitgestellt.«
»Aber so warten Sie doch .« Lamorak runzelte verwirrt die Stirn. »Ich habe meine Forschungen doch noch nicht beendet.«
»Das spielt keine Rolle. Sie werden in das Schiff geführt, und Ihr Eigentum wird Ihnen durch unseren Servo-Mechanismus nachgesandt werden. Wir hoffen - wir hoffen ...«
Lamorak begann zu begreifen.
»Was hoffen Sie?«
»Wir hoffen, daß Sie keinen Versuch unternehmen werden, direkt mit einem Elseveraner in Verbindung zu treten oder mit ihm zu sprechen. Und natürlich hoffen wir, daß Sie nie mehr nach Elsevere zurückkehren werden. Selbstverständlich wird uns jeder Ihrer Kollegen willkommen sein, falls auf der Erde noch weitere Forschungsberichte über unseren Planetoiden benötigt werden.«
»Ich verstehe«, sagte Lamorak tonlos. Offensichtlich war er selbst ein Ragusnik geworden. Er hatte die Knöpfe und Hebel berührt, die die Exkremente in Bewegung setzten. Er war geächtet, er war ein Unberührbarer.
»Leben Sie wohl«, sagte er.
»Bevor wir Sie auf das Schiff bringen lassen ...«, ertönte Bleis Stimme, »... möchte ich Ihnen im Namen der Regierung von Elsevere für Ihre Hilfe in dieser kritischen Lage danken.«
»Keine Ursache«, sagte Lamorak bitter.