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Ein Nebeneffekt des wachsenden Ansehens von Science-Fiction ist unter anderem die Tatsache, daß diese Literaturgattung in Verlagen zu erscheinen begann, die wenige Jahre zuvor noch die Behörde für Umweltschutz zu Hilfe gerufen hätten, wenn ein solches Manuskript versehentlich auf ihre Schreibtische geflattert wäre.
Ich werde niemals die Schockwelle vergessen, die durch die gesamte Welt der Science-Fiction-Fans rollte, als nach dem Zweiten Weltkrieg Robert A. Heinlein diese Barriere durchbrach und eine seiner Science-Fiction-Erzählungen in The Sa-turday Evening Post unterbrachte.
Heute gehört es schon zum Alltag, daß Science-FictionAutoren und ihre Werke in so weitverbreiteten Zeitschriften wie Playboy zu finden sind. Die Konkurrenz der Massenblätter ist sogar so groß, daß es für die kleinen Spezialmagazine für Science-Fiction immer schwieriger wird, die routinierten Autoren zu halten. Und sie partizipieren keineswegs am neu gewonnenen Ansehen der Branche. Das ist ungerecht.
Aber der meiner Meinung nach merkwürdigste Ort, wo Science-Fiction jemals erschien, war der Anzeigenteil der exzellenten Zeitschrift Scientific American. Es scheint, daß eine Firma namens Hoffman Electronics Corporation auf die Idee verfiel, eine Serie von Anzeigen herauszubringen, die eine zwei Seiten lange (minus einer Spalte) illustrierte Science-FictionErzählung beinhalteten - wirkliche Science-Fiction-Erzählungen von anerkannten Autoren. Die letzte Spalte sollte dann das Produkt der Firma in würdiger Form anpreisen. Es gab keinen direkten Zusammenhang zwischen Erzählungen und Werbeanzeige, und der Autor hatte freie Hand - außer er war vielleicht so nett, in seine Erzählung die eine oder andere Mitteilung einzuflechten, zum Beispiel über Kommunikation (denn Hoff-man verkaufte Kommunikationstechnik).
Die Sache war interessant, die künstlerische Integrität blieb gewahrt, und als ich ersucht wurde, eine Erzählung für dieses Programm zu verfassen, stimmte ich zu und schrieb »Mein Sohn, der Physiker«. Wie sie sehen werden, geht es darin um Kommunikation, aber keineswegs im »kommerziellen« Sinn. Hoffman akzeptierte die Geschichte, ohne ein Wort oder ein Komma zu ändern, und sie erschien nicht nur im Anzeigenteil von Scientific American, sondern auch in Fortune.
Ihr Haar war von lichter apfelgrüner Farbe, sehr zurückhaltend frisiert und sehr altmodisch. Man konnte sehen, daß sie sehr gut mit Färbemitteln umgehen konnte, in der Art, wie man es vor dreißig Jahren gemacht hatte.
Ein süßes Lächeln lag auf ihrem Gesicht und eine milde Ruhe, die die Heiterkeit des Alters in vollendeter Form auszudrücken schien.
Und dieses Lächeln und diese Ruhe ließen das Gewirr noch schlimmer erscheinen, das sie in dem großen Regierungsgebäude umfloß.
Ein Mädchen lief an ihr vorbei, blieb stehen, wandte sich um und starrte sie in blankem Erstaunen an.
»Wie sind Sie denn hier hereingekommen?«
Die Frau lächelte.
»Ich will zu meinem Sohn, dem Physiker.«
»Zu Ihrem Sohn, dem ...«
»Er ist Kommunikations-Ingenieur, wirklich. Gerard Cremo-na.«
»Dr. Cremona. Nun, er ist ... Wo ist Ihr Ausweis?«
»Hier. Ich bin seine Mutter.«
»Also, Mrs. Cremona, ich weiß nicht ... Ich muß jetzt gehen ... Sein Büro ist hier unten. Vielleicht fragen Sie jemanden.« Sie eilte davon.
Mrs. Cremona schüttelte langsam den Kopf. War da irgend etwas passiert? Sie wollte doch hoffen, daß mit Gerard alles in Ordnung war. Sie hörte Stimmen weiter unten im Korridor und lächelte glücklich. Gerards Stimme.
Sie betrat das Büro und sagte: »Hallo, Gerard!«
Gerard war ein großer Mann. Er hatte noch immer dichtes, volles Haar, das allerdings schon einen leichten Grauschimmer zu zeigen begann, weil er kein Haarfärbemittel benutzte. Er sagte, er hätte keine Zeit für so etwas. Sie war sehr stolz auf ihn und sein Aussehen.
Gerade unterhielt er sich lebhaft mit einem uniformierten Mann. Sie konnte nicht sagen, um welchen militärischen Rang es sich handelte, aber sie war sicher, daß Gerard gut mit dem Mann umgehen konnte.
Gerard blickte auf.
»Mutter! Was tust denn du hier?«
»Ich will dich besuchen.«
»Ist denn heute Donnerstag? O Gott, das habe ich ganz vergessen. Setz dich, Mutter. Ich kann jetzt nicht reden. Setz dich auf irgendeinen Stuhl ... Also, General ...«
General Reiner blickte über die Schulter. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt.
»Ihre Mutter?«
»Ja.«
»Sollte Sie denn jetzt hier sein?«
»In diesem Augenblick natürlich nicht. Aber ich kann Sie beruhigen. Sie kann nicht einmal ein Thermometer lesen, und unsere Angelegenheiten haben keinerlei Bedeutung für sie . Hier auf Pluto. Sehen Sie? Da sind sie. Die Radiosignale können keinen natürlichen Ursprung haben, also müssen sie von Menschen stammen. Von unseren Männern. Dieser Tatsache müssen Sie ins Gesicht sehen. Von allen Expeditionen, die wir hinter den Asteroidengürtel schickten, hat diese eine es geschafft. Sie haben Pluto erreicht.«
»Ja, ich verstehe, was Sie sagen, aber ist das denn nicht ganz unmöglich? Die Männer sind vor Jahren aufgebrochen, mit einer Ausrüstung, die sie höchstens ein Jahr lang am Leben erhalten konnte. Ihr Ziel war Ganymed, und sie scheinen noch achtmal so weit geflogen zu sein.«
»Genau. Und wir wissen auch, wie und warum. Sie müssen unbedingt Hilfe haben.«
»Welche Art von Hilfe?«
Cremona schlang einen Augenblick die Finger ineinander, als würde er ein stummes Gebet sprechen.
»General«, sagte er, »ich weiß, daß ich mich vielleicht lächerlich mache, aber es ist durchaus möglich, daß nichtmenschliche Wesen ihre Hand im Spiel haben. Extraterrestrische Wesen. Wir müssen das herausfinden. Wir wissen nicht, wie lange der Kontakt aufrechterhalten werden kann.«
»Sie meinen ...« Das ernste Gesicht des Generals zuckte leicht. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln flog über seine Züge. »Sie meinen, daß sie aus der Gefangenschaft entflohen sind und jederzeit wieder eingefangen werden können.«
»Vielleicht. Die ganze Zukunft der menschlichen Rasse kann davon abhängen, daß wir ganz genau wissen, was auf Pluto vor sich geht. Und zwar müssen wir es sofort wissen.«
»Also gut. Was schlagen Sie vor?«
»Wir brauchen sofort den Armee-Computer Multivac. Er soll alle Probleme, an denen er gerade arbeitet, ausspucken und mit unserem allgemeinen semantischen Programm beginnen. Jeder Kommunikationsingenieur, über den Sie verfügen können, muß sofort alles liegen und stehen lassen, womit er sich gerade beschäftigt, und muß mit unseren Ingenieuren zusammenarbeiten.«
»Aber warum? Ich sehe leider den Zusammenhang nicht.«
Eine sanfte Stimme unterbrach das Gespräch.
»General, hätten Sie vielleicht Lust auf ein Stückchen Frucht? Ich habe ein paar Orangen mitgebracht.«
»Mutter, bitte!« sagte Cremona. »Später! General, die Sache ist ganz einfach. Gegenwärtig ist Pluto etwa vier Milliarden
Meilen von uns entfernt. Die Radiowellen brauchen sechs Stunden, um uns in Lichtgeschwindigkeit zu erreichen. Wenn wir etwas fragen, müssen wir zwölf Stunden auf die Antwort warten. Wenn sie etwas sagen, und wir verstehen es nicht und fragen: >Wie bitte?< und sie wiederholen, was sie gesagt haben - dann ist ein ganzer Tag verloren!«
»Kann man die Sache nicht beschleunigen?« fragte der General.
»Natürlich nicht. Das ist ein Grundgesetz der Kommunikation. Keine Information kann schneller als in Lichtgeschwindigkeit übertragen werden. Es würde Monate dauern, um dieselbe Konversation mit Pluto zu führen, die wir beide jetzt in wenigen Stunden abwickeln können.«
»Ja, ich verstehe. Und Sie glauben wirklich, daß extraterrestrische Wesen in die Angelegenheit verwickelt sind?«
»Ich glaube es. Um ehrlich zu sein, nicht jeder in diesem Gebäude ist einer Meinung mit mir. Trotzdem setzt jeder seine ganze Kraft und Fähigkeit ein, um eine Methode von konzentrierter Kommunikation zu entwickeln. Wir müssen so viele Sekunden wie nur möglich herausschlagen und beten, daß uns das Vorhaben gelingt, bevor wir den Kontakt verlieren. Und darum brauche ich Multivac und Ihre Männer. Es muß eine Kommunikations-Strategie erstellt werden, die die Anzahl der Signale, die wir aussenden, reduziert. Sogar eine Reduzierung von zehn Prozent kann bedeuten, daß wir eine Woche einsparen.«
Wieder mischte sich eine sanfte Stimme ein.
»Großer Gott, Gerard, was redest du denn da so lange herum?«
»Mutter! Bitte!«
»Aber du faßt die Sache ganz verkehrt an, wirklich.«
»Mutter!« Seine Stimme schwang am Rand der Hysterie.
»Hör mal, wenn du irgend etwas sagst und dann zwölf Stunden auf die Antwort wartest, bist du wirklich dumm. Das soll-test du nicht tun.«
»Cremona, haben Sie im Ernst vor, Ihre Mutter zu Rate zu ziehen?« schnarrte der General.
»Einen Augenblick, General«, sagte Cremona. »Worauf willst du hinaus, Mutter?«
»Während du auf die Antwort wartest«, sagte Mrs. Cremona ernst, »kannst du weiterhin Signale aussenden und ihnen sagen, sie sollen dasselbe tun. Du redest die ganze Zeit, und sie reden auch die ganze Zeit. Irgend jemand hört ihnen die ganze Zeit zu, und sie haben auch einen, der dir die ganze Zeit zuhört. Wenn einer etwas sagt, das eine Antwort erfordert, so kann man sie einbauen. Aber da ist eine Chance, daß man alles erfährt, was man wissen will, ohne fragen zu müssen.«
Die beiden Männer starrten sie an.
»Natürlich«, flüsterte Cremona. »Kontinuierliche Konversation. Eine Phase von zwölf Stunden, das ist alles. Großer Gott, wir müssen uns beeilen!«
Mit großen Schritten eilte er aus dem Zimmer und zerrte den General hinter sich her. Dann kam er noch einmal zurück.
»Mutter, entschuldige mich, bitte. Ich glaube, das wird jetzt ein paar Stunden dauern. Ich schicke dir ein paar Mädchen herein, damit du dich unterhalten kannst. Oder halt ein kleines Schläfchen, wenn du magst.«
»Schon gut, Gerard«, sagte Mrs. Cremona.
»Nur noch eins, Mutter . Wie bist du denn darauf gekommen?«
»Aber Gerard, das wissen doch alle Frauen. Wenn zwei Frauen sich per Visiphon oder Stratofunk unterhalten oder ganz einfach von Angesicht zu Angesicht, so wissen sie, daß das ganze Geheimnis, wie man Neuigkeiten möglichst rasch verbreiten kann, egal, worum es sich handelt, darin besteht, daß man ganz einfach ununterbrochen redet.«
Cremona versuchte zu lächeln. Seine Unterlippe zitterte. Dann wandte er sich um und ging.