121928.fb2 Das Urteil der Fremden - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 1

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Am Abend zuvor war die Sonne blutrot untergegangen, ein Grund für Colonel John Devall, schlecht zu schlafen. Blutrote Sonnenuntergänge waren Seltenheiten auf Markin, und die Marks, ihre Bewohner sahen in ihnen Vorboten kommenden Unheils. Colonel Devall, Leiter der kulturellen und militärischen Mission auf Markin, war im Grunde seines Wesens mehr Zivilist als Soldat und darum geneigt, sich der Eingeborenenmeinung über blutrote Sonnenuntergänge anzuschließen.

Er war ein gut gewachsener, großer Mann, der sich sehr aufrecht hielt, mit scharfen hellen Augen und kurzen bestimmten Bewegungen. Seinen akademischen Grad hatte er auf dem Gebiet der Anthropologie erworben, erst dann hatte sich die militärische Ausbildung angeschlossen, der er seinen Posten auf Markin zu verdanken hatte.

Das Ministerium für Extraterrestrische Angelegenheiten bestand darauf, daß alle Missionen auf verhältnismäßig primitiven fremden Welten mit Militärs besetzt wurden. Solange ich den mir gestellten Anforderungen genüge, wird niemand dahinterkommen, daß ich mehr Zivilist als Soldat bin, dachte Colonel Devall. Markin war eine ziemlich friedfertige Welt. Die Eingeborenen waren intelligent und hatten eine ziemlich hoch entwickelte Kultur, wenn sie auch auf technischem Gebiet nachhinkten. Es war nicht schwer, mit ihnen auf der Basis einer vernünftigen Gleichberechtigung auszukommen.

Dies erklärt, warum Devall in der Nacht der roten Sonne schlecht schlief. Hinter seiner aufrechten Haltung verbarg sich innere Unsicherheit. Er war nicht davon überzeugt, daß er sich im Falle unvorhergesehener Ereignisse bewähren würde und fürchtete, kläglich zu versagen, wenn es galt, seinem militärischen Dienstgrad gerecht zu werden.

Gegen Morgen schlief er endlich ein, und obwohl die Nächte auf Markin im allgemeinen warm waren, fröstelte er leicht.

Er erwachte spät und kleidete sich schnell an, um nicht zu spät zum Frühstück ins Kasino zu kommen. Als kommandierender Offizier hatte er natürlich das Privileg, zu schlafen, solange er mochte, aber er hatte es sich zur Regel gemacht, mit den andern aufzustehen. Er schlüpfte in die leichte Sommeruniform, entfernte seine Bartstoppeln mit Enthaarungskrem, schnallte sich den Blaster um und gab seiner Ordonnanz das Zeichen, daß er fertig sei.

Die terranische Enklave umfaßte ein Gebiet von zehn Morgen und war eine halbe Fahrstunde von einer der größten Städte auf Markin entfernt. Ein summender Jeep wartete vor dem kleinen Kuppelbau. Devall nickte der Ordonnanz zu und stieg ein.

»Morgen, Harris.«

»Guten Morgen, Sir. Gut geschlafen?«

Es war die übliche Begrüßung. »Sehr gut«, antwortete Devall automatisch, als die Turbinen des Jeeps aufheulten und der kleine Wagen Kurs auf die Meßhalle nahm.

Das Blatt mit dem täglichen Dienstplan war mit einer Klammer an dem Sitz neben Devall befestigt. Heute trug es die Unterschrift Major Dudleys, eines außerordentlich tüchtigen Stabsoffiziers, der auf eine lange Dienstzeit im Weltraum zurückblicken konnte. Devall überflog die Einteilung, die Dudley für den Tag getroffen hatte:

Kelly, Dorfman, Mellors, Steber — Sprachforschung.

Haskell — ärztliche Betreuung.

Matsuoko — Instandsetzungsaufgaben (bis Mittwoch).

Jolli — Zoogruppe.

Leonards, Meyer, Rodriguez — botanische Erkundung, zwei Tage. Extrajeep steht für Sammlung von Mustern zur Verfügung.

Devall überflog den Rest der Aufstellung und fand nichts auszusetzen. Dudley hatte die Männer nach ihrem Können und ihren Neigungen eingesetzt. Devalls Gedanken wanderten für einen Augenblick zu Leonards, der auf botanische Erkundung geschickt war. Ein Erkundungszug von zwei Tagen mochte ihn bis zu dem gefährlichen Regenwald im Süden bringen. Devall fühlte leichte Besorgnis. Der Junge war sein Neffe, der Sohn seiner Schwester — ein junger Leutnant im ersten Einsatz. Der Zufall hatte ihn als neuen Mann zu Devalls Einheit gebracht. Devall hatte den anderen Männern gegenüber die Verwandtschaft verschwiegen, um nicht in den Verdacht zu kommen, seinem Neffen bevorzugte Behandlung angedeihen zu lassen. Trotzdem fühlte er sich für seine Sicherheit verantwortlich.

Zum Teufel, der Junge kann auf sich selbst achtgeben, dachte Devall. Er setzte seine Initialen in die unterste Ecke des Blattes und befestigte es wieder am Nebensitz. Es würde am Schwarzen Brett angeschlagen werden, während die Offiziere frühstückten und die Mannschaften die Quartiere säuberten. Um 9 Uhr würde jeder mit dem vorgesehenen Dienst beginnen. Soviel ist zu tun, und wir haben so wenig Zeit, es zu tun, dachte Devall. Es gibt so viele Welten…

Er verließ den Jeep und betrat die Messe. Sieben Offiziere warteten bereits auf ihn, unter ihnen der junge Leutnant Leonards. Sie standen kerzengerade aufgerichtet.

»Guten Morgen, Gentlemen«, sagte Devall kurz und nahm seinen Platz am Kopf der Tafel ein.

* * *

Zuerst sah es aus, als sollte es ein ruhiger, schöner Tag werden. Die Sonne stieg an einem wolkenlosen Himmel empor, und das am Flaggenmast der Enklave angebrachte Thermometer registrierte 40 Grad. Wenn es auf Markin heiß wurde, so wurde es wirklich heiß. Gegen Mittag, das konnte Devall schon jetzt voraussagen, würde die Temperatur auf 50 Grad steigen.

Die Botanikergruppe trat ihren Dienst zur vorgeschriebenen Zeit an. Zwei Jeeps rumpelten aus der Enklave. Devall, der auf den Stufen zur Messe stand, sah ihnen nach. Er beobachtete, wie die andern Männer ihren Posten zustrebten. Sergeant Jolli, mit stoppeligem Kinn, weil er wieder zu spät aus dem Bett gefunden hatte, grüßte zackig, als er den Platz überquerte. Ihm unterstand heute der kleine Zoo mit Musterexemplaren des auf Markin existierenden Tierbestandes, den die Expedition bei ihrer Rückkehr zur Erde mitnehmen würde. Der drahtige kleine Matsuoko ging, gebückt unter der Last des Tischlerwerkzeugs, auf die Instandsetzungshalle zu. Die Fremdsprachengruppe bestieg ihre Jeeps und nahm Richtung auf die Stadt, wo sie ihr Studium der Markinsprache fortsetzen würde. Devall ging in sein Büro.

Alle waren beschäftigt. Die Expedition befand sich jetzt seit vier Monaten auf Markin, weitere acht Monate lagen vor ihr; dann würden die Männer, sofern keine Verlängerung der Dienstzeit ausgesprochen wurde, für sechs Monate auf die Erde zurückkehren, um danach wieder ein Jahr Dienst auf einer andern Welt zu tun.

Devall hatte keine Sehnsucht, Markin zu verlassen. Es war eine angenehme Welt, wenn man von der Hitze absah. Niemand wußte vorher, wie die nächste Welt aussehen würde. Vielleicht eine eiskalte Kugel aus gefrorenem Methan, auf der sie ein ganzes Jahr in Schutzanzügen würden verbringen müssen. Aber Devall wußte, daß es ihm nicht erspart werden würde, Markin wieder zu verlassen. Dieses war seine elfte Welt, weitere würden folgen. Die Erde hatte kaum genug ausgebildete Gruppen, um Zehntausende von Welten einigermaßen zu erforschen und zu überwachen. Devall war entschlossen, die Männer seines Teams, die sich bewährten, in seiner Gruppe zu behalten und nur die offensichtlichen Versager auszuwechseln.

Er setzte den Ventilator in Gang und griff nach dem Logbuch. Dann schob er das erste Blatt in den Autoschreiber und begann, als das rote Licht sanft aufglühte, mit seinem täglichen Bericht:

»4. April 2705. Bericht Colonel John F. Devalls. 109. Tag unseres Aufenthaltes auf Markin, Welt 7 des Systems 1106-a.

Temperatur um 09.00 Uhr 40 Grad, leichter Wind aus südlicher Richtung…«

Der Autoschreiber ratterte munter, und eine Maschine irgendwo im Keller des hoch aufragenden ET-Gebäudes in Rio de Janeiro nahm seine durch Funk ausgestrahlte Worte auf, um sie an die Zentralstelle weiterzuleiten.

Es war eine langweilige Tätigkeit, und Devall fragte sich oft, ob er nicht glücklicher gewesen war, als er seine Forschungen auf anthropologischem Gebiet betrieb, während er jetzt die ganze Bürde der verwaltungstechnischen Arbeit trug.

Aber jemand muß diese Bürde tragen, dachte er. Die Bürde der Erdenbewohner. Wir sind die am weitesten entwickelte Rasse — wir helfen den andern. Niemand wird dazu gezwungen, wenn er nicht die innere Berufung fühlt.

Er hatte die Absicht, bis zum Mittag zu arbeiten; am Nachmittag wollte ein Hoherpriester von Markin kommen, um ihn zu sprechen. Die Unterredung würde bis zum Sonnenuntergang dauern. Aber um 11.00 Uhr wurde er durch das Brummen von Jeeps unterbrochen, die unerwartet auf den Platz einkurvten. Er hörte den Lärm von Stimmen, fremde Stimmen wie auch menschliche Stimmen.

Ein heftiger Streit schien im Gange zu sein, aber die Gruppe war zu weit entfernt und Devalls Kenntnisse der Markinsprache waren zu begrenzt, um erfassen zu können, worum es ging. Unwillig schaltete er den Autoschreiber ab, stand auf und trat ans Fenster, um hinauszuschauen.

Zwei Jeeps parkten in einiger Entfernung — die botanische Erkundungsgruppe, vor knapp zwei Stunden gestartet, war bereits wieder da. Vier Eingeborene umstanden die drei Erdenbewohner. Zwei der Eingeborenen trugen scharfe Speere, der dritte war eine Frau, der vierte ein alter Mann.

Devall legte die Stirn in Falten. Aus den bleichen, unglücklichen Gesichtern der drei Männer im Jeep war klar zu ersehen, daß etwas nicht stimmte. Der blutrote Sonnenuntergang hatte also die Wahrheit gesprochen, dachte Devall, als er auf die kleine Gruppe zuging.

Sieben Augenpaare waren auf ihn gerichtet.

»Was geht hier vor?« fragte er.

Die Eingeborenen begannen in schnatternden Stimmen zu sprechen. Sie redeten alle durcheinander und fuchtelten aufgeregt mit den Armen. Devall hatte sie nie so erregt gesehen.

»Ruhe!« befahl er mit lauter Stimme.

In die Stille, die folgte, sagte er leise: »Leutnant Leonards, sind Sie in der Lage, mir zu erklären, was geschehen ist?«

Der junge Leutnant hob ängstlich den Blick. Seine Lippen schienen blutleer. »Ja, Sir«, sagte er leise. »Ich scheine einen Eingeborenen getötet zu haben.«

* * *

In der relativen Abgeschiedenheit seines Dienstzimmers sah Devall die Beteiligten wieder vor sich. Leonards saß still auf seinem Stuhl und blickte auf seine Schuhe herab; Meyer und Rodriguez, die beiden anderen Teilnehmer an der botanischen Expedition, hatten neben ihm Platz genommen. Die Eingeborenen — inzwischen hatte sich ein fünfter eingefunden — warteten draußen. Sie zu beruhigen, würde sich später Zeit finden.

»Also, Leonards«, sagte Devall, »machen Sie Ihre Meldung noch einmal. Ich werde sie mit dem Autoschreiber aufnehmen. Beginnen Sie, wenn ich Ihnen zunicke.«

Er schaltete das Gerät ein und sprach die einleitenden Worte: »Aussage von Leutnant Paul Leonards, Botaniker, gemacht im Beisein des kommandierenden Offiziers am 4. April 2705.«Er nickte dem jungen Leutnant zu. »Fangen Sie an!«

Das Gesicht Leonards’ war bleich wie Wachs. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, das Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Mit verzerrten Lippen versuchte er ein zaghaftes Lächeln und begann zu sprechen: »Wir verließen die Enklave um neun Uhr morgens. Unser Ziel war das Gebiet in der südwestlichen Region, das wir auf der Suche nach unbekannten botanischen Exemplaren durchstreifen sollten. Ich führte die Gruppe, der noch die Sergeanten Meyer und Rodriguez angehörten.«

Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. »In der ersten halben Stunde arbeiteten wir ohne Erfolg, da wir schon früher bis in dieses Gebiet vorgedrungen waren. Gegen 09.45 Uhr machte mich Meyer auf eine dicht bewaldete Region links von der Hauptstraße aufmerksam. Wir änderten darauf die Richtung und stellten, am Ziel angekommen, fest, daß ein Eindringen auf Jeeps unmöglich war. Wie ließen die Jeeps also stehen und machten uns zu Fuß auf den Weg. Rodriguez blieb zurück, um unsere Ausrüstung zu bewachen. Im ersten Teil des Waldes stießen wir nur auf Laubbäume und Farnkräuter, die uns schon bekannt waren, aber dann kamen wir in ein Gebiet, in dem verschiedene von uns noch nicht katalogisierte Pflanzen wuchsen. Eine davon schien uns besonders reizvoll. Sie bestand nur aus einem einzigen fleischigen Stiel von etwa eineinhalb Meter Höhe und wurde von grünen Blättern und einer goldfarbenen Blüte gekrönt. Wir filmten die Pflanze, nahmen Geruchsproben und Blütenstaubmuster und entfernten mehrere Blätter.«

Devall schaltete sich ein: »Die Pflanze selbst haben Sie nicht mitgenommen? Zwischenfrage von Devall.«

»Natürlich nicht. Es war das einzige Exemplar dieser Art, das wir in der Umgebung entdeckten, und wir sammeln prinzipiell keine Pflanzen, die nur einmal vorhanden sind. Ich entnahm ihr jedoch mehrere Blätter. Im gleichen Augenblick sprang ein Eingeborener, der sich hinter einem Gewirr von Farnkräutern verborgen hatte, auf mich zu. Er war mit einem jener spitzen Speere bewaffnet. Meyer sah ihn zuerst und warnte mich durch seinen Ruf; gerade als der Fremde mit dem Speer auf mich zujagte, sprang ich zurück. Es gelang mir, den Speer mit dem Arm abzulenken, so daß ich keine Verwundung davontrug. Der Eingeborene wurde von seinem eigenen Schwung mehrere Schritte weitergetragen. Er rief mir etwas in seiner Sprache zu, die ich noch nicht genügend verstehe. Dann hob er den Speer und bedrohte mich. Ich trug als Waffe einen Blaster. Ich zog die Waffe und befahl dem Fremden in seiner eigenen Sprache, den Speer zu senken, wobei ich betonte, daß wir nichts gegen ihn im Schilde führten. Er beachtete meine Worte nicht, sondern griff an. Ich schoß in Selbstverteidigung und zielt auf den Speer, so daß der Fremde wahrscheinlich mit einer leichten Armwunde davongekommen wäre. Der Angreifer aber wirbelte herum, so daß der Schuß ihn voll traf. Der Fremde war auf der Stelle tot.«Leonards zuckte die Achseln. »Das ist alles, Sir. Wir kehrten auf dem schnellsten Wege hierher zurück.«

»Hm. Devall spricht. Sergeant Meyer, können Sie bestätigen, daß dieser Bericht im wesentlichen den Tatsachen entspricht?«

Meyer war ein hagerer, dunkelhaariger Mann, auf dessen Miene gewöhnlich ein Lächeln lag. Jetzt war sein Gesicht ernst und gespannt. »Sergeant Meyer spricht«, sagte er. »Ich kann bestätigen, daß der Bericht Leutnant Leonards’ im wesentlichen den Tatsachen entspricht. Allerdings hatte ich den Eindruck, daß der Eingeborene es mit seiner Drohung nicht recht ernst meinte. Ich hielt seine beiden Angriffe für Bluff und war ein wenig überrascht, als Leutnant Leonards auf ihn schoß. Das ist alles, Sir.«