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Azzie drängelte sich weiter vor, wobei er eine Kielwelle des Chaos hinter sich herzog.
Schließlich erhob sich Asmodeus. Er war dick, seine weiße Haut hatte einen Stich ins Grünliche. Seine Unterlippe ragte so weit vor, daß ein Unterteller bequem darauf Platz gefunden hätte. Er trug ein flaschengrünes Smokingjackett, und als er sich umdrehte, konnte man seinen gekringelten Schweineschwanz erkennen.
»Hallo, Freunde«, begann er. »Ich denke, wir alle wissen, warum wir hier sind, nicht wahr?«
»Um uns zu besaufen!« rief ein häßlicher Geist.
»Sicher, deswegen natürlich auch«, erwiderte Asmodeus. »Aber heute abend betrinken wir uns aus einem ganz bestimmten Anlaß, und zwar, um den Vorabend der Jahrtausendwende zu feiern und den Gewinner des Wettkampfs bekannt zugeben. Ich weiß, Sie alle warten bereits ungeduldig darauf, zu erfahren, wer es ist, aber Sie werden sich noch etwas gedulden müssen. Vorher wollen wir noch einige besondere Ehrengäste begrüßen.«
Azzie arbeitete sich in den vorderen Bereich des Saales vor.
Asmodeus begann, Namen aufzurufen, worauf sich verschiedene Geister erhoben und verbeugten. Sie lächelten und grinsten, vollführten Kratzfüße und verneigten sich vor dem begeisterten Publikum. Der Rote Tod wurde vorgestellt und stand auf. Er war hochgewachsen und von Kopf bis Fuß in einen blutroten Umhang gehüllt. Über der Schulter trug er eine Sense.
»Wer ist das Pärchen dort drüben?« erkundigte sich Mondtau. »Der große blonde Engel und die kleine dunkle Hexe.«
»Der Engel heißt Babriel«, antwortete Agrippa. »Die Hexe ist Ylith, eine gute Freundin von Azzie, einem unserer interessanteren und aktiveren Dämonen. Ich glaube, er ist gerade vorbeigegangen.«
»Ich habe von ihm gehört«, sagte Mondtau. »Er hat irgend etwas Besonderes für die diesjährigen Feierlichkeiten vorbereitet, nicht wahr?«
»So heißt es. Da ist er gerade, dort vorne. Sieht so aus, als hätte er einen ziemlich großen Vorsprung vor uns. Ich frage mich, was er vorhat.«
Azzie kletterte auf einen Tisch, sehr zum Befremden der Gäste, die dort saßen. Er schwankte, atmete Rauchwolken aus, und unter seinen Füßen sprühten Funken hervor.
Er setzte mehrfach an, etwas zu sagen, brachte jedoch keinen Laut hervor. Schließlich riß er einem Gast eine Flasche aus den Klauen, hob sie an die Lippen und leerte sie.
»Trottel! Schweine! Bastarde!« brüllte er dann. »Ihr mehr als nur hirnloses Pack! Ich wende mich besonders an meine sogenannten Brüder der Finsternis, deren Vertreter in diesem Wettstreit ich gewesen bin und die mich durch ihre Gleichgültigkeit schändlichst verraten haben. Wir hätten gewinnen können, Jungs und Mädels! Wir hatten die Chance. Mein Konzept war glorreich und einzigartig, und es hätte funktionieren können!«
Er legte eine kurze Pause ein und hustete. Irgend jemand reichte ihm eine weitere Flasche, und er trank einen Schluck. Im Saal war es mittlerweile ruhig geworden.
»Aber habe ich Unterstützung erhalten?« fuhr Azzie fort. »Kein bißchen! Die Idioten in der Abteilung für Ausrüstung und Zubehör haben sich so verhalten, als würde ich das alles nur zur Förderung meiner eigenen Karriere tun und nicht im Interesse und zur weitaus größeren Ehre von uns allen. Ach, verdammt! Ich habe mehr Hilfe von diesem Trottel Babriel erhalten, dem Beobachter mit dem dämlichen Gesichtsausdruck von den Mächten des Lichtes, als von irgend jemandem von euch. Und ihr wagt es, euch übel zu nennen! Ihr seid der lebende Beweis für die Banalität des Bösen, jeder einzelne von euch! Und jetzt sitzt ihr hier, feiert und wartet auf die Bekanntgabe des Siegers. Ich sage euch, Freunde, das Böse ist in letzter Zeit langweilig und dumm geworden. Wir von den Mächten der Finsternis haben die Möglichkeit verspielt, die Geschicke der Menschheit zu lenken.«
Azzie blickte sich um. Alle warteten schweigend darauf, daß er fortfuhr. Er stolzierte über den Tisch, trank noch einen tiefen Zug und schwankte erneut, bevor er das Gleichgewicht wiederfand.
»Darum rufe ich euch zu, zur Hölle mit euch allen! Ich werde mich jetzt zurückziehen, um mich auszuruhen und nachzudenken. Diese ganze Veranstaltung war äußerst ermüdend. Aber ich möchte euch allen versichern, daß das noch nicht mein Ende ist. Ganz und gar nicht. Ich habe immer noch ein paar Tricks auf Lager, Herrschaften! Wartet ab und seht selbst, was ich als nächstes zu eurer Belustigung veranstalte!«
Er schleuderte einen doppelten Reisezauber hervor und verschwand mit einem Donnerschlag. Die versammelten Dämonen und Engel warfen einander besorgte Blicke zu. »Was hat er wohl damit gemeint?« murmelten einige leise.
Sie mußten nicht lange auf die Antwort warten.
Bevor irgend jemand etwas tun konnte, fegte ein Tornado aus der äußeren Realität in den Saal. Er brüllte, riß und zerrte an der Festhalle, begleitet von einem schweren Regenguß. Den älteren Dämonen und Engeln wurden die mit viel Mühe verfaßten Redemanuskripte aus den Händen gerissen und in alle Richtungen zerstreut. Als nächstes regneten Tausende und Millionen von Fröschen herab. Die Wände begannen Blut zu schwitzen, und unangenehme Lichterscheinungen machten sich breit. Und über allem schwebte ein leises dämonisches Gelächter – Azzies Gelächter –, während er den Festsaal mit Gefahren, Scheußlichkeiten und Schrecken heimsuchte.
Alles in allem war es ein höchst denkwürdiger Nachtisch.
KAPITEL 7
Brigitte spielte gerade mit ihrem Puppenhaus, als sie ein Geräusch hinter sich hörte. Sie drehte sich langsam um und wollte schon eine Frage stellen, die aber sofort einem freudigen Quietschen Platz machte, als sie sah, wer dort stand, groß, mit rotem Pelz und einem grausamen Lächeln auf den Lippen.
»Oh, hallo, Azzie! Wie geht es dir?«
»Sehr gut, Brigitte, danke«, erwiderte Azzie. »Und du siehst auch gut aus. Ich kann das Kratzen eines Stifts in einem der oberen Zimmer hören. Deshalb schätze ich, daß Thomas Scrivener seinem Namen gerecht wird und etwas von den Ereignissen aufschreibt, die ihm in letzter Zeit widerfahren sind.«
»Das macht er tatsächlich«, bestätigte Brigitte. »Aber er hat mir auch gesagt, daß er das Ende der Geschichte noch nicht kennt.«
»Es könnte ihn durchaus überraschen«, sagte Azzie. »Ich glaube sogar, daß das Ende uns alle überraschen könnte. Ha, ha, ha.«
»Du kicherst aber finster, Azzie«, stellte Brigitte fest. »Warum bist du gekommen?«
»Um dir ein Geschenk zu bringen, Kind«, antwortete Azzie.
»Ohhh! Zeig es mir!«
»Da ist es.« Azzie zog eine Schachtel aus wertvoller Pappe hervor, öffnete sie und zeigte dem Mädchen die kleine Guillotine.
»Oh, wie schön!« rief Brigitte freudig aus. »Es sieht wie das richtige Gerät aus, um meinen Puppen die Köpfe abzuhacken.«
»Das ist es auch«, versicherte Azzie. »Aber das solltest du wirklich nicht tun, weil du deine Puppen doch liebst und bestimmt furchtbar traurig wärst, wenn sie keine Köpfe mehr hätten.«
»Du hast recht«, sagte Brigitte und begann, über die Vorstellung dieses Verlusts zu schniefen. »Aber wie soll ich denn mit meiner neue Guillotine spielen, wenn ich meinen Puppen nicht die Köpfe abschneiden kann?« Sie sah sich um. »Vielleicht könnte ich einen der frischgeborenen Welpen nehmen…«
»Nein, Brigitte«, fiel ihr Azzie ins Wort. »Ich bin böse, aber ich bin nicht grausam zu Tieren. Für Tierquäler ist eine ganz besondere Hölle reserviert. Siehst du, mein Schatz, diese Spielzeuge müssen sehr vorsichtig und mit dem nötigen Ernst behandelt werden.«
»Es macht aber keinen Spaß, wenn ich niemandem damit den Kopf abhacken kann«, beschwerte sich Brigitte.
Bisher entwickelte sich sein Plan perfekt, der auf der Spielart des Bösen beruhte, die man als niederträchtig bezeichnet.
»Hör auf zu plärren«, sagte Azzie. »Ich werde dir etwas ganz Besonderes bringen.«
»Was denn?«
»Etwas, dem du den Kopf abhacken kannst.«
»Oh, Onkel Azzie!« Brigitte rannte zu ihm und umarmte ihn stürmisch. »Wann bekomme ich das?«
»Bald, mein Liebes, schon sehr bald. Und jetzt sei ein braves Mädchen und spiel weiter. Es wird nicht lange dauern, dann bringt dir Onkel Azzie dein neues Geschenk.«
AUSZEICHNUNGEN
KAPITEL 1
Der Märchenprinz und Prinzessin Rosenrot richteten sich in einem bescheidenen Schloß ein, das Aschenbrödel ihnen empfohlen hatte. Es lag in einer Gegend von großer Naturschönheit am Rhein. Wilde Rosen rankten sich um die Mauern. Der Märchenprinz verwandelte seinen Schild in eine Blumenschale für duftende Kräuter. Geister des Guten tanzten um ihren Herd. Erotische Geister wohnten in ihrem Schlafzimmer.
»Liebling?« klang Rosenrots Stimme auf. »Könntest du mal kurz kommen?«
Der Prinz blickte von seinem Garten auf, in dem er sich um das biologisch gezogene Gemüse kümmerte.