121327.fb2 Bringt mir den Kopf des M?rchenprinzen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 48

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»Alle Bergsteiger benutzen sie.«

»Nein danke. Ihr werdet mich nicht dazu bringen, mir diese Dinger anzuschnallen.«

»Aber ohne sie werdet Ihr es nie bis zum Gipfel schaffen. Der Berg besteht vollständig aus Glas und ist sehr rutschig.«

Wie so viele junge Männer seiner Zeit hatte auch der Märchenprinz Vorurteile sowohl gegen Ziegen als auch gegen Steigeisen. Seufzend entschied er sich schließlich für das, wie ihm schien, kleinere Übel.

»Also gut«, sagte er. »Sattelt mir eine Ziege.«

Nicht jede Ziege schafft es, den Glasberg zu bezwingen. Das sollten sich diejenigen vor Augen führen, die der irrigen Annahme sind, man brauchte nicht mehr als eine Ziege, um eine Prinzessin zu erringen. Eine Ziege ist lediglich ein Hilfsmittel, um überhaupt an dem Rennen teilnehmen zu können. Hat man sein Ziel schließlich erreicht, kann man seine Ziege wieder gegen ein Pferd eintauschen, um sich darauf porträtieren zu lassen, denn natürlich macht ein Pferd mehr als eine Ziege her.

Und so jagte der Märchenprinz auf einem Ziegenrücken den Glasberg empor, bis er den Zufahrtsweg eines großen Schlosses erreicht hatte, dessen Wehrtürme hoch in den Himmel ragten. Vor ihm lag eine Treppe. Daß er am Ziel war, erkannte er an einer Papptafel, die an einem Eisenpfosten befestigt war. Sie trug folgende Aufschrift: HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH. SIE HABEN DAS VERWUNSCHENE SCHLOSS ERREICHT. DIE SCHLAFENDE PRINZESSIN BEFINDET SICH IM ERSTEN GEMACH RECHTS AM ENDE DER TREPPE.

Mit zitternden Händen kletterte der Märchenprinz über die Außenmauer, schwamm durch den eiskalten Burggraben, durchquerte, vor Nässe tropfend, den Vorhof, ging zwischen den Wehrtürmen hindurch, betrat die Eingangshalle, in der verzauberte Diener dösten, stieg die Wendeltreppe hinauf, die sich in steilen Windungen in die Höhe schraubte, und erreichte das geflieste Vorzimmer.

Er öffnete die Tür und ging zwei Schritte weit in das Gemach hinein. In der Mitte des Raumes stand ein großes Bett, in dem die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte, mit geschlossenen Augen lag. Es war die gleiche Frau, in deren Miniaturporträt er sich verliebt hatte, aber als er ihr jetzt gegenüberstand, fand er, daß sie unvergleichlich viel schöner als ihr Gemälde war.

KAPITEL 8

Es hätte keiner besonderen Augen bedurft, um ihre Schönheit zu erkennen, aber die Drachenaugen des Märchenprinzen sahen noch mehr. Sie durchschauten Azzies Plan und entdeckten die Falle, die der Dämon aufgebaut hatte. Sie erkannten, daß der Märchenprinz das verhaßte Gesicht von Rosenrots Verführer besaß. Was würde sie tun, wenn sie es erblickte? Die Drachenaugen konnten den Schatten des drohenden Unheils wahrnehmen, aber der Märchenprinz ignorierte die Warnung und beugte sich tief über die Prinzessin.

Das war der Augenblick, auf den Azzie von Anfang an hingearbeitet hatte.

Der Kuß! Der tödliche Kuß!

Er hatte bereits den vergifteten Dolch griffbereit auf das kleine Nachtschränkchen gelegt, und diesen würde Rosenrot benutzen, wenn sie die Augen öffnete und erkannte, wer sie geküßt hatte – der verabscheuungswürdige Verführer!

Azzie stand hinter einem Vorhang und richtete sich an sein großes unsichtbares Publikum, das zusah, wie das Drama seinen Lauf nahm.

»Meine Damen und Herren, hochverehrte Geschöpfe des Lichtes und der Finsternis, Dämonenkollegen und Engelrivalen! Ich präsentiere Ihnen jetzt das Finale des uralten und höchst erbaulichen Dramas vom Märchenprinzen und Prinzessin Rosenrot. Achten Sie auf den Erweckungskuß und sein Ergebnis!«

Während seine Worte noch nachklangen, erkannte der Märchenprinz durch die Drachenaugen den weiteren Verlauf von Azzies Plan und begann mit folgendem Monolog:

»Aha, nun ist mir klar, daß ich ein Nichts bin, ein bloßes Flickwerk aus einzelnen Körperteilen, und daß mein sogenannter Onkel Azzie, der trotz seines freundlichen Gehabes in Wahrheit ein Dämon ist, mir das Gesicht von Rosenrots Verführer gegeben hat, damit sie mich umbringt, sobald ich sie aufgeweckt habe. Nun denn, wenn dem so ist, dann soll es so geschehen. Töte mich, meine schöne Prinzessin, wenn es das ist, was dich zufriedenstellt. Doch wenn ich auch ein Niemand bin, zusammengesetzt aus Einzelteilen und Körperresten und von einem Feind zum Leben erweckt, so schlägt doch ein echtes Herz in meiner Brust, und alles, was ich sagen kann, ist: ›Ich gehöre dir, Prinzessin, verfahr mit mir, wie es dir gefällt.‹«

Rosenrot fühlte die Lippen eines Mannes auf den ihren. Sie öffnete die Augen, konnte aber zuerst nichts erkennen, da der junge Mann, der sie küßte, ihrem Gesicht so nahe war. Wie herrlich ist es, so geweckt zu werden, war ihr erster Gedanke.

Und dann sah sie sein Gesicht. Dieses Gesicht! O ihr Götter! Sie erkannte es sofort. Es war das Gesicht des Mannes, der sie verführt und dann verlassen hatte.

Ihre Augen weiteten sich. Eine weiße Hand flatterte wie eine von Heras verlorenen Tauben auf ihre Brust. Er! Er war es! Ihre andere Hand tastete hinter ihr herum und berührte den Griff eines Dolchs, der auf dem kleinen Nachtschränkchen lag. Sie hob ihn hoch…

Diese Szene hatte Azzie akribisch ausgearbeitet. Er wußte, daß der Dolch wie von selbst in Rosenrots Hand gleiten würde. Die Zuschauer, unsichtbar aber trotzdem anwesend, würden sich jetzt gespannt vorbeugen. Die Mitglieder des Preiskomitees würden sehen, wie Rosenrot ausholte und dann den Dolch in den Rücken des Märchenprinzen stieß und ihn durch sein Herz bohrte! Und wenn der Prinz dann seinen letzten Atemzug auf dem Boden ihres Gemachs aushauchte, würde Azzie aus seinem Versteck hervortreten. »O weh, kleine Prinzessin«, würde er sagen (er hatte die Rede oft geübt), »du hast den einzigen Mann getötet, den du jemals hättest lieben können, den Mann, der dich hätte erlösen können!« Und danach, fand Azzie, wäre es ein hübsches Finale, wenn Rosenrot den Dolch gegen sich selbst richten und sich so zu ewigen Qualen in den Gruben der tiefsten Hölle verdammen würde. Er hatte sogar erwogen, den Märchenprinzen noch einmal gerade lange genug ins Leben zurückzurufen, um ihm die Möglichkeit zu geben, Rosenrots Tod zu verfolgen und derartige Blasphemien auszustoßen, daß er sich ebenfalls die ewige Verdammnis verdiente. Das wäre ein schönes Ende für jemanden, der es mochte, keine ungelösten Fragen offenzulassen.

Azzie war sich dieses Ablaufs so sicher, daß er jetzt hinter dem Vorhang hervortrat, zu Rosenrot ging und mit triefender Ironie sagte: »Der Himmel findet Mittel und Wege, deine Leidenschaft durch Liebe zu töten; doch die Welt ist dir nicht freundlich gesonnen, noch sind es deine weltlichen Gesetze.«

Man stritt sich noch lange Zeit später darüber, warum dem Plan kein Erfolg beschieden gewesen war. Nach Azzies Ansicht, was die Wechselwirkung zwischen seinen Protagonisten betraf, hätte Rosenrot zwangsläufig den Dolch ergreifen und in den ungeschützten Rücken des jungen Prinzen rammen müssen. Doch die wunderbare Unberechenbarkeit des Lebens machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Was Azzie nicht einkalkuliert hatte, war die Auswirkung, die Rosenrots Augen mit sich brachten. Wenn sie auch nicht wie die Augen des Märchenprinzen die Fähigkeit besaßen, die Wahrheit zu erkennen, konnten sie doch Trivialität und Künstlichkeit sehen. Und die erkannte Prinzessin Rosenrot, als sie sich vorstellte, was für ein Bild sie, der Märchenprinz und der vergiftete Dolch abgaben. Ihre Künstleraugen sahen die Künstlichkeit der Komposition. Das war keine gute Szene für einen Maler, der seine Bilder dem wirklichen Leben entlehnt. Sie rebellierte aus künstlerischen Gründen dagegen, den Dolch in das vorgesehene Ziel zu stoßen, und danach folgten ihre Gefühle ihrem ästhetischen Empfinden.

»Wovon sprichst du?« fragte sie.

»Du hättest ihn nicht töten dürfen«, erwiderte Azzie. »Du hast dich gerade selbst zu ewigen Höllenqualen verdammt, junge Dame.«

Rosenrot brach in Gelächter aus.

»Du wagst es, mich auszulachen? Ich werde dir zeigen…«

Eine zweite Stimme fiel in das Gelächter ein. Sie gehörte dem Märchenprinzen, der neben der Prinzessin stand und einen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte.

Der Märchenprinz war nicht tot! Der Dolch hatte seine verderbliche Aufgabe nicht erfüllt! Azzie wich verwirrt zurück.

Die beiden lebten, und irgendwie hatte die Liebe über Azzies Fluch triumphiert. Als das aus Engeln und Dämonen bestehende Publikum diese beiden schönen jungen Menschen so vereint sah, war es gerührt, und kein Auge blieb tränenleer.

»Das ist es nicht, was ich vorgesehen habe!« schrie Azzie unbeherrscht. »Das ist überhaupt nicht so, wie ich es gewollt habe!«

Aber genau das war es, was er geschaffen hatte: eine fröhliche kleine Geschichte über Liebe und Erlösung, die überall Gefallen fand und so dafür sorgte, daß das Gute und nicht das Böse den Sieg davontrug und damit das Recht errang, für die nächsten tausend Jahre über das Schicksal der menschlichen Seelen zu bestimmen.

FEIERN

KAPITEL 1

Yliths schlanke Finger klopften an die Tür zu Azzies alchemistischem Labor.

»Azzie? Ich weiß, daß du da drinnen bist.«

Keine Antwort. Babriel, der neben ihr stand, sagte: »Ich denke, wir sollten es lieber noch einmal probieren.«

Ylith war der gleichen Meinung. »Azzie, komm schon! Laß mich rein! Babriel und ich sind hier. Wir wissen, daß du eine schwere Enttäuschung erlebt hast. Wir sind deine Freunde und wollen bei dir sein.«

Es folgte ein rauhes schabendes Geräusch, als das Stahlrohr, das als Türriegel diente, zurückgezogen wurde. Die verstärkte Holztür öffnete sich einen schmalen Spalt weit, und Frikes langnasiges Gesicht lugte hervor.

»Ist dein Gebieter da, Frike?« fragte Ylith.

»O ja. Er ist hier. Aber ich würde an Eurer Stelle lieber nicht in seine Nähe kommen. Er ist ziemlich übler Laune. In diesem Zustand wäre es nicht undenkbar, daß er jemandem etwas antut.«

»Unsinn!« entgegnete Babriel energisch. »Ich möchte mit ihm sprechen!« Er schob sich gewaltsam durch die Tür.

Azzie saß auf einem kleinen Thron, den er in einer Ecke des Labors aufgestellt hatte. Er trug seinen purpurfarbenen Umhang und eine orangenfarbene Baskenmütze, die er über ein Auge herabgezogen hatte. Das andere Auge war blutunterlaufen. Er sah furchtbar aus. Jauchekannen und Flaschen lagen überall auf dem Boden verstreut herum. In bequemer Reichweite standen noch etliche volle Flaschen auf einem Regal.

»Kommen Sie, Azzie«, sagte Babriel. »Sie haben einen sehr guten Wettkampf bestritten. Denken Sie daran, es zählt nicht, ob man gewinnt oder verliert. Es kommt nur darauf an, wie man das Spiel spielt.«

»Das haben Sie völlig falsch verstanden«, gab Azzie zurück. »Was zählt, ist der Sieg. Wie man das Spiel spielt, ist absolut bedeutungslos.«

Babriel zuckte die Achseln. »Tja, andere Regeln, andere übernatürliche Schwerpunkte, nehme ich an. Aber Sie sollten jetzt wirklich mit dem Trinken aufhören, Alter. Lassen Sie mich Ihnen helfen.« Er streckte Azzie die Hand entgegen.

Azzie ergriff sie mit einer Hand und versuchte, sie mit der anderen zu zerkratzen. Babriel wehrte ihn geschickt ab und zog ihn hoch.