121327.fb2 Bringt mir den Kopf des M?rchenprinzen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 38

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Azzie rieb sich nachdenklich das Kinn. »Und in welche Richtung sind sie geflogen?«

»Genau nach Osten, Exzellenz.«

»Wißt Ihr, wer dieser Mann ist?« wandte sich Azzie an Aschenbrödel.

»Er ist ein Edelmann vom Hof des Großen Herrscher über ganz Turkistan.«

»Ist das alles, was Ihr über ihn wißt?«

»Wißt Ihr denn irgend etwas al contrario?«

»Hat er Euch gesagt, welche Stellung er am Hof bekleidet?«

»Nein, nicht direkt.«

»Er ist der Oberste Beschaffer für das Serail des Großen Herrschers über alle Türken.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, solche Dinge zu wissen«, sagte Azzie.

»Ein Kuppler! Ihr meint doch bestimmt nicht…«

»Ich meine«, fiel ihr Azzie ins Wort, »daß Prinzessin Rosenrot genau in diesem Augenblick zum Zweck des Mädchenhandels und der hochherrschaftlichen Prostitution über internationale Grenzen verschleppt wird.«

»Ich hatte ja keine Ahnung!« rief Prinzessin Aschenbrödel. »Wo ist mein Großwesir? Streicht Achmed Ali von der Gästeliste! Tilgt seinen Namen mit einem doppelten Strich aus! Mein lieber Dämon, ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr es mir leid…«

Aber da sprach sie schon mit sich selbst. Azzie war bereits auf den Balkon gesprungen, hielt nur einen kurzen Moment inne, um den Antrieb der Besen zu aktivieren, schwang sich in die Luft und flog genau nach Osten.

Fliegende Teppiche sind schnell, denn sie werden von den stärksten Zaubersprüchen mächtiger Dschinne angetrieben. Ihre aerodynamischen Flugeigenschaften aber lassen zu wünschen übrig, und sie neigen zu einer gewissen Instabilität. Die Vorderkante stellte sich während des Fluges unweigerlich wie bei einem Rodelschlitten auf, was für den nötigen Auftrieb sorgt und gleichzeitig die Geschwindigkeit reduziert.

Trotzdem lag Achmed gut in der Zeit. Rosenrot dagegen hatte begonnen, über ihre Situation nachzudenken, und fand sie längst nicht mehr so aufregend wie zu Beginn der Reise. Als sie Achmed betrachtete, der im Schneidersitz vor den Bedienungsinstrumenten des Teppichs saß, bemerkte sie die grausamen Züge, die sich in sein Gesicht gegraben hatten und ihr vorher irgendwie entgangen waren, sowie die brutale Form seines schwarzen Schnurrbarts, der sich zuerst nach unten, an den Enden wieder nach oben bog und in nadeldünnen gewachsten Spitzen auslief. Ihr kam der Gedanke, daß es vielleicht ein wenig voreilig von ihr gewesen war, seine Einladung anzunehmen. Und in diesem Moment fiel ihr auch wieder der Märchenprinz ein, ihr zukünftiger Gemahl. Vielleicht würde er das verwunschene Schloß gerade jetzt betreten. Was, wenn er sie nicht vorfand, wieder verschwand und sich eine andere Prinzessin suchte? Wäre sie dann dazu verdammt, bis zu ihrem Tod allein zu bleiben, ohne jemals aus ihrem Schlummerbann erlöst zu werden? Gab es irgendeine Rettung für Schlummernde Schönheiten, die das Pech gehabt hatten, nicht von ihren Märchenprinzen gefunden zu werden? Und überhaupt, auf was hatte sie sich nur eingelassen, und war dieser Achmed wirklich vertrauenswürdig?

»Achmed«, sagte sie, »ich habe es mir anders überlegt.«

»Tatsächlich?« fragte Achmed beiläufig.

»Ich möchte jetzt gleich auf Aschenbrödels Fest zurückkehren.«

»Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum Hof des Großen Herrschers über alle Türken«, erwiderte Achmed.

»Das ist mir egal! Ich möchte sofort umkehren!«

Achmed drehte sich zu ihr um, und jetzt ließen Frauenfeindlichkeit, Verachtung, Selbstgefälligkeit und Heimtücke gepaart mit Kleinmütigkeit sein Gesicht häßlich aussehen. »Kleine Prinzessin, du hast dich für dieses Abenteuer entschieden, und jetzt gibt es kein Zurück mehr.«

»Warum tut Ihr das?« wollte sie wissen. Irgendwann kommt für jeden einmal der Zeitpunkt, an dem nur noch die Wahrheit helfen kann.

»Weil es mein Job ist«, erklärte er, »und weil mein Herr der Große Herrscher über alle Türken, mich reich dafür belohnen wird, sein Serail durch dich zu vergrößern. Muß ich mich noch klarer ausdrücken?«

»Ich werde in kein Serail gehen!« schrie Rosenrot. »Lieber sterbe ich!« Sie schob sich zum Rand des Teppichs vor und lugte hinunter. Tief unter ihr erblickte sie die griechischen Inseln, dunkle Flecken in einer milchigweißen See. Sie kam zu dem Schluß, daß es nicht so schlimm um sie stand, um einen Selbstmord zu rechtfertigen. Zumindest jetzt noch nicht.

Prinzessin Rosenrot kroch in die Mitte des Teppichs zurück und trauerte dem stattlichen jungen Prinzen nach, dem sie jetzt wohl nie begegnen würde. Sie strich sich das lange Haar zurück, das allmählich durch den Wind verfilzte, und als sie den Kopf zur Seite drehte, um eine Verkrampfung in ihrem Hals zu lockern, entdeckte sie einen winzigen Punkt am Himmel, der direkt auf sie zuhielt. Der Punkt wurde größer, und in ihrem Herzen keimte ein Hoffnungsfunke auf. Schnell drehte sie sich um, damit ihr Gesicht Achmed nicht ihre Gefühle und ihre Entdeckung verraten konnte.

Azzie, der die Besenstiele mit Vollgas flog, sah den Fliegenden Teppich als phantastische Silhouette vor dem Vollmond. Er schloß auf, die Augen gegen den Fahrtwind zusammengekniffen. Seine Wut schien die Geschwindigkeit der Besenstiele noch zu steigern. Die Entfernung schrumpfte schnell zusammen, und als er den Teppich eingeholt hatte und über ihm schwebte, drückte er die Besenstiele nach unten und schoß im rasenden Sturzflug hinab.

Achmed merkte erst, wie ihm geschah, als er das laute Geräusch hörte, das sogar das Dröhnen des Luftstroms übertönte. Er fuhr herum und erblickte einen fuchsgesichtigen Dämon auf zwei Besenstielen, der von oben auf ihn herabstieß. Achmed Ali riß den Teppich in eine Schrägkurve und hielt Rosenrot mit einer Hand fest, während das Fluggefährt durch den Himmel stürzte. Rosenrot kreischte auf, denn ein Absturz schien unvermeidlich, aber Achmed fing den Teppich nur wenige Meter über der glitzernden See wieder ab. Dann wendete er ihn, um die zaubergetriebenen Blitzstrahler ins Spiel zu bringen. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, über die neuen Superblitze zu verfügen, aber der Große Herrscher, der ziemlich verschwenderisch war, wenn es um sein Serail ging, zeigte sich knausrig, was die Modernisierung der Bewaffnung seiner Fliegenden Teppiche betraf.

Bevor Achmed Ali seine Waffen in serienmäßiger Standardausführung einsetzen konnte, wurde er bereits von Azzie mit gezackten Blitzstrahlen der kleinen, explosiven und schmerzhaften Version beschossen. Er tauchte ab und scherte seitlich aus, aber die Lichtblitze kamen immer näher, versengten die Ränder des Teppichs und beeinträchtigten seine ohnehin dürftigen aerodynamischen Werte noch mehr. Wie kräftig er auch an den Längs- und Querseilen riß, er konnte sein Fluggerät nicht mehr unter Kontrolle bringen. Der Teppich neigte sich bedrohlich, und Achmed mußte sich mit beiden Händen an einem Rand festklammern. Als er seinen Griff von Prinzessin Rosenrots Handgelenk löste, rutschte sie auf die Kante des Teppichs zu, der jetzt beinahe senkrecht stand, rutschte über sie hinweg – und wirbelte haltlos durch die Luft.

Ihr Entsetzen war so groß, daß nicht einmal ein Schrei über ihre gelähmten Lippen kam. Das Meer näherte sich ihr mit rasender Geschwindigkeit, und direkt unter ihr lag eine kleine steile Insel, die unglaublich schnell zu ihr emporschoß.

Der Tod schien unausweichlich, doch im letztmöglichen Moment, als die nadelspitzen Felsklippen bereits mit ihren harten Granitfingern nach ihr griffen, schoß Azzie unter ihr hindurch, fing sie auf und legte sie wie einen nassen Mehlsack über die Besenstiele. Rosenrot spürte den heftigen Beschleunigungsdruck, als Azzie eine Schleife um die schroffe Erhebung zog und gleichzeitig darum kämpfte, den Sturzflug abzufangen, der sie direkt in die weiß schäumende See zu führen drohte. Und dann hatte er es geschafft, und sie gewannen wieder an Höhe. Gerettet!

»Oh, Onkel Azzie!« stieß Rosenrot hervor. »Ich bin ja so froh, dich zu sehen! Ich hatte solche Angst!«

»Du warst sehr ungezogen«, knurrte Azzie. »Wäre das Spiel nicht schon so weit vorangeschritten, hätte ich dich in das Serail des Großen Herrschers über alle Türken gehen lassen und mir eine neue Prinzessin Rosenrot gemacht. Mein junger Prinz verdient ein treues Herz!«

»Ich werde nie wieder davonlaufen«, plapperte Rosenrot, »das verspreche ich. Ich werde ruhig in meinem Zimmer schlummern und warten, bis er kommt.«

»Wenigstens hat diese ganze Angelegenheit zu einer Moral und einer Lektion in Sachen Gehorsam geführt«, sagte Azzie und nahm Kurs auf das verzauberte Schloß.

KAPITEL 9

Nachdem er sich seine Kreditkarte zurückgeholt und Prinzessin Rosenrot wieder dort abgeliefert hatte, wo sie hingehörte, flog Azzie weiter nach Paris, das schon immer eine seiner Lieblingsstädte gewesen war. Er hatte beschlossen, sich ein paar Tage lang von Augsburg fernzuhalten, um dem Märchenprinzen Zeit zu geben, über dem Miniaturgemälde von Prinzessin Rosenrot zu schmachten, das zu berühren ihm verboten worden war, und sich so gemäß den Gesetzen der Psychologie in sie zu verlieben.

Wo konnte man sich die Zeit besser vertreiben als in einem der zügellosen satanischen Clubs, für die Paris schon damals berühmt war?

Der Club Heliogabulus, für den sich Azzie entschied, lag in einer Höhle unterhalb von Paris. Nachdem er eine endlos lange Steintreppe hinabgestiegen war, kam er in einer mit Totenköpfen und Skeletten ausgestatteten Grotte heraus. An den Wänden brannten Fackeln in eisernen Fackelhaltern und warfen hier und da düstere Schatten. Die Tische bestanden aus Sarkophagen, die ein einfallsreicher Unternehmer aus Ägypten importiert hatte, wo es sie in unermeßlichen Mengen gab. Särge gewöhnlicherer Bauart dienten als Stühle. Die Getränke wurden von Hilfsteufeln serviert, die Priestersoutanen und Nonnengewänder trugen. Darüber hinaus fungierten sie als willfährige Partner bei den Orgien, in denen die meisten Abende gipfelten. Sex und Tod, es war eine der ersten Themenbars Europas.

»Ihr wünscht?« fragte ein untersetzter Mann im Gewand eines Priesters.

»Bring mir ein teures Importbier«, verlangte Azzie. »Und gibt es etwas zu essen?«

»Nachos«, erwiderte der Kellner.

»Was ist das?«

»Etwas, das Franqois der Entdecker aus der Neuen Welt mitgebracht hat.«

Also bestellte Azzie Nachos, die sich als mit stinkendem Camenbert und Tomatensoße bestrichene Plätzchen aus Hafermehl entpuppten. Er spülte sie mit einem Krug dunklem Bier aus England hinunter und fühlte sich sogleich besser.

Während er aß, kam es ihm so vor, als würde er beobachtet. Er blickte sich um. Am anderen Ende des Raumes stand ein Tisch, der in völliger Dunkelheit lag und nicht einmal von einer Kerzenflamme erhellt wurde. Azzie konnte eine Bewegung in der Finsternis ausmachen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, schien von dort auszugehen.

Azzie beschloß, es vorerst zu ignorieren. Er bestellte eine weitere Portion Nachos und wechselte zu Wein über. Nach einer Weile wurde er beschwipst und im Verlauf des Abends schließlich betrunken. Nicht einfach sturzbetrunken, sondern dämonisch besoffen, und das will wirklich etwas heißen. Er begann, ein kleines Lied anzustimmen, das Dämonen aus Kanaan singen, wenn sie sich amüsieren. Der Text lautete:

Oh, ich fühle keine Pein und kein Name fällt mir ein für die ururalte Freud’ die sich einstellt heut, ihr Leut’ wenn ich saufe viel, viel Wein und ich fühle keine Pein.

Das Lied hatte noch eine Menge Strophen mehr, aber es bereitete Azzie Schwierigkeiten, sich daran zu erinnern. Es fiel ihm sogar schwer, sich überhaupt an irgend etwas zu erinnern. Es war sehr spät. Er hatte das Gefühl, schon ziemlich lange hier zu sein. Als er sich umsah, bemerkte er, daß die anderen Gäste bereits verschwunden waren. Was hatte man ihm in den Wein getan? Ihm war schwindlig, er war nicht nur betrunken, sondern stinkbesoffen. Sein Magen fühlte sich seltsam an, und er war sich nicht sicher, ob er aufstehen konnte. Schließlich kämpfte er sich unter großen Anstrengungen auf die Beine.