121327.fb2 Bringt mir den Kopf des M?rchenprinzen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 28

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Er landete am Rand des verzauberten Waldes. In diesen Teil seines Plans hatte er viel Zeit und Mühe investiert, und die Versorgungsabteilung hatte seine Vorstellungen einigermaßen befriedigend umgesetzt.

Azzie spähte von draußen in den Wald hinein, der grün und voller Unterholz war, so wie ein Wald eben auszusehen hat. Kaum hatte er ihn betreten, begannen die Bäume sich zu bewegen. Ihre Äste sanken langsam herab, um ihn zu packen und festzuhalten. Es fiel ihm nicht schwer, ihnen zu entgehen. Eigentlich enthielt der Wald nicht die angemessene Ausstattung mit Fabeltieren und anderen seltsamen Kreaturen, und die Äste bewegten sich so langsam, daß ihnen selbst ein Einfaltspinsel wie der Märchenprinz problemlos würde ausweichen können. Verdammt noch mal, dachte Azzie. Warum machte ihm die Abteilung nur solche Schwierigkeiten?

Voller Wut flog er nach Augsburg zurück, um nachzusehen, welche Fortschritte Frike mit der Ausbildung machte.

Er fand seinen Diener auf der Treppe zum Vordereingang, wo der Bucklige einen Apfel aß.

»Was ist los?« erkundigte sich Azzie. »Warum übst du nicht mit ihm?«

Frike zuckte die Achseln. »Er hat gesagt, er hätte die Nase voll, und er hätte geschworen, kein Lebewesen zu töten. Wenn man seinen Worten Glauben schenken darf, ist er Vegetarier geworden und trägt sich mit dem Gedanken, einem Mönchsorden beizutreten.«

»Das ist jetzt endgültig zuviel«, stöhnte Azzie.

»Ganz Eurer Meinung«, stimmte Frike ihm zu. »Aber was könnt Ihr dagegen tun?«

»Ich brauche sofort den Rat eines Experten«, sagte Azzie. »Lauf und hol mir mein Zauberpulver und mein Reiseamulett. Es wird Zeit, daß ich eine Beschwörung durchführe.«

KAPITEL 5

Am Anfang funktionierten Azzies Zauber Sprüche nicht. Was er auch versuchte, Hermes wollte einfach nicht erscheinen. Dann probierte er es mit Hilfe der großen Kerzen, die aus dem Talg von Toten bestanden und die er sich für wirklich schwierige Situationen aufbewahrt hatte. Und diesmal spürte er, daß seine Beschwörung funktionierte. Er verstärkte sie. Die Kraft jagte durch den Äther, wirbelte durch den Riß zwischen den Welten und schnüffelte herum wie ein Spürhund. Schließlich hörte Azzie eine brummende Stimme sagen: »Schon gut, ich bin ja schon wach«, und kurz darauf tauchte die heroische marmorweiße Gestalt von Hermes vor ihm auf. Der Gott kämmte noch immer sein langes braunes Haar und wirkte mehr als nur ein bißchen ungehalten.

»Mein lieber Azzie, du solltest es eigentlich besser wissen, als einen solchen Dringlichkeitszauber zu benutzen, um mich herbeizurufen. Wie du weißt, haben auch wir Geistberater unser privates Leben. Es ist nicht angenehm, alles fallen und liegen lassen zu müssen, um dem Ruf eines jungen Dämons wie dir zu folgen.«

»Es tut mir leid«, versicherte Azzie. »Aber du hast dich in der Vergangenheit mir gegenüber immer so großzügig gezeigt… und jetzt stehe ich vor einem sehr schwierigen Problem.«

»Na schön, dann laß mal hören«, sagte Hermes. »Ich nehme nicht an, daß du zufällig irgendwo ein Glas Jauche auf treiben kannst.«

»Aber sicher«, erwiderte Azzie. Er schenkte einen Pokal voll, der aus einem kompakten Amethyst herausgeschnitzt war, und berichtete über seine Probleme mit dem Märchenprinzen, während Hermes an seiner Jauche nippte.

»Mal sehen…«, murmelte der Gott. »Ja, ich erinnere mich an einige alte Schriften zu diesem Thema. Was dein Märchenprinz tut, wird als das klassische ›Held-verweigert-Heldentat-Syndrom‹ bezeichnet.«

»Ich wußte gar nicht, daß Helden so etwas tun können«, bekannte Azzie.

»Oh, doch. Dieses Verhalten ist sogar recht weit verbreitet. Weißt du irgend etwas über die Familie deines Helden?«

»Er hat keine Familie!« protestierte Azzie. »Ich habe ihn ganz allein erschaffen.«

»Ja, das weiß ich«, entgegnete Hermes. »Aber erinnere dich, was wir über seine Beine in Erfahrung gebracht haben. In allen Körperteilen schlummern Erinnerungen, besonders in Herzen.«

»Er hat das Herz eines Feiglings«, räumte Azzie ein. »Den Rest der Familie habe ich mir nie genauer angesehen.«

»Ich werde das für dich erledigen«, sagte Hermes. Er verschwand, nicht etwa in einer Rauchwolke, wie es gewöhnliche Dämonen taten, sondern in einem hellen Auflodern von Flammen. Azzie bewunderte seinen Abgang. Da war etwas, das er wirklich gern lernen würde.

Kurz darauf kehrte Hermes auch schon wieder zurück. »Es ist, wie ich vermutet habe. Dein Kadaver mit dem Herzen eines Feiglings war der mittlere von drei Söhnen.«

»Und? Was hat das zu bedeuten?«

»Gemäß den Alten Lehren ist der mittlere Sohn gewöhnlich der wertloseste. Der älteste Sohn erbt das Königreich. Wenn alles seinen geregelten Gang geht, zieht der jüngste Sohn in ein gefahrvolles Abenteuer und erringt dabei ein anderes Königreich. Der mittlere Sohn ist einfach nur faul und unternimmt kaum etwas. So sorgt die Natur dafür, das alles im Gleichgewicht bleibt.«

»Beim Höllenfeuer!« rief Azzie aus. »Ich habe es mit einem mittleren Sohn zu tun, der auch noch ein Feigling ist! Was soll ich machen?«

»Da er noch unfertig ist, besteht Hoffnung, seine Einstellung zu verändern. Vielleicht könntest du ihn davon überzeugen, daß er ein jüngerer Sohn ist. Dann wäre er für seine Aufgabe besser geeignet.«

»Wird ihn das davon abhalten, ein Feigling zu sein?«

»Ich fürchte, nein«, bekannte Hermes. »Natürlich wäre es hilfreich, wenn du ihm Geschichten über die Kühnheit seiner Vorfahren erzählst. Aber seine Feigheit ist ein ihm innewohnender Charakterzug, den man nicht durch Ermahnungen beseitigen kann.«

»Was schlägst du also vor?« fragte Azzie.

»Das einzige bekannte Heilmittel gegen Feigheit«, sagte Hermes, »ist ein Kraut, das Mutia sempervirens genannt wird.«

»Wo wächst es?« wollte Azzie wissen. »Und wirkt es wirklich?«

»Seine Wirkung steht außer Frage. Mutia, oder Nervenkraut, wie man es auch nennt, erfüllt einen Mann mit Draufgängertum und Zielstrebigkeit. Aber man muß es in kleinen Dosen verabreichen, sonst verwandelt es Tapferkeit in Tollkühnheit, und der Held wird getötet, noch bevor er richtig losgelegt hat.«

»Es fällt mir schwer, mir den Prinzen als tollkühn vorzustellen.«

»Verabreiche ihm eine Dosis von der Größe eines kleinen Fingernagels, und du wirst ein überraschendes Ergebnis erzielen. Aber denk auch daran, es ist immer ratsam, es mit einem Gegenmittel wie zum Beispiel Ruhium zu kombinieren, dem Kraut für vorausschauende Aufmerksamkeit.«

»Ich werde daran denken«, versicherte Azzie. »Wo kann ich dieses Mutia finden?«

»Das ist das eigentliche Problem«, gestand Hermes. »Im Goldenen Zeitalter gab es eine ganze Menge davon, und niemand machte sich die Mühe, es zu essen, denn damals war kein Mut erforderlich, sondern nur die Fähigkeit, sich zu vergnügen. Dann kam das Bronzene Zeitalter, in dem die Menschen einander bekämpften, gefolgt vom Eisernen Zeitalter, in dem sie nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen alles andere kämpften. Damals nahmen sie das Kraut in großen Mengen zu sich, was einer der Gründe dafür ist, warum die Menschen dieser Zeit so draufgängerisch waren. Allerdings hätten diese viel zu wild geführten Kriege die Menschheit beinahe ausgelöscht. Mit dem Klimawechsel, den das neue Zeitalter mit sich brachte, starb die Mutiapflanze aus. Und heute findet man sie nur noch an einem Ort.«

»Sag mir, wo der ist«, bat Azzie.

»In einem verstaubten Regal der Abteilung für Ausrüstung und Zubehör«, sagte Hermes. »Die letzten Pflanzen wurden getrocknet und dann zur ewigen Aufbewahrung in eine Jauchetinktur eingelegt.«

»Aber ich habe mich bereits nach so etwas bei der Abteilung erkundigt! Dort hat man mir gesagt, daß man noch nie von so etwas gehört hätte!«

»Das sieht ihnen ähnlich«, erwiderte Hermes. »Du mußt sie irgendwie dazu bringen, eine gründliche Suche in die Wege zu leiten. Es tut mir leid, Azzie, aber das ist das einzige, das dir weiterhelfen kann.«

Das war ein Problem, denn die Abteilung für Ausrüstung und Zubehör verhielt sich zunehmend unkooperativ. Azzie hegte sogar den Verdacht, daß die Leute dort sein Projekt schon längst abgeschrieben hatten, vor sich hin dösten und darauf warteten, daß jemand mit einer neuen Idee kam. Er wußte, daß er in Schwierigkeiten steckte. Azzie redete mit dem Prinzen, berichtete ihm von den heroischen Taten erfundener Ahnen und drängte ihn, es ihnen in jeder Beziehung gleichzutun. Aber der Prinz zeigte keinerlei Interesse. Selbst als er ihm kleine Porträts von Rosenrot brachte, angefertigt von Dämonenkünstlern, die garantiert jeden körperlichen Reiz der Prinzessin festgehalten hatten, zeigte sich der junge Mann völlig gleichgültig und sprach statt dessen davon, eine Modeboutique zu eröffnen, sobald er etwas älter geworden wäre.

KAPITEL 6

Es war früh am Abend. Die Augustsonne hatte den ganzen Tag lang auf das Anwesen in Augsburg herabgebrannt. Azzie saß in seinem grobgezimmerten bequemen Sessel und las in einem der Rundschreiben, die hin und wieder vom Amt für Interne Angelegenheiten verschickt wurden. Es enthielt das übliche Zeug: einen allgemeinen Aufruf an sämtliche Mitarbeiter, im öffentlichen Interesse Böses zu tun, und eine Auflistung der laufenden höllischen Aktivitäten. Unter anderem war ein Kalender mit den Geburtstagen der Wechselbälger abgedruckt, die in die Wiegen der Menschen gelegt worden waren, während man die echten Kinder entfernt und verändert hatte, um sie den Azteken in der Neuen Welt zu schicken und ihre Bevölkerung zu vergrößern, deren Blutopfer allgemeine Bewunderung erregt hatten. Es gab Berichte über Feierlichkeiten angesichts von Feuersbrünsten und Verkaufsveranstaltungen in Höllengruben, eben das übliche Zeug, hier und da mit Kurznachrichten aufgelockert. Azzie las das Rundschreiben, obwohl es ihn nicht sonderlich interessierte. Manchmal entdeckte man etwas Nützliches in den lieblos verfaßten Artikeln, meistens jedoch nicht.

Doch dann, als ihm die Augen zuzufallen drohten und er vor dem Kamin zu dösen begann, ertönte ein gewaltiges Klopfen an der hohen Haupteingangstür des Anwesens. Es dröhnte so laut, daß Azzie beinahe aus seinem Sessel aufsprang. Der Märchenprinz, der gerade das Schnittmuster eines griechischen Gewandes von einer Tontafel auf ein Stück Pergament übertrug, verschwand wie der Blitz, noch bevor das Echo des letzten Klopfens verklungen war. Nur der alte Frike war reglos sitzen geblieben, was allerdings nicht an seinem Mut lag; der plötzliche Lärm hatte ihn vor Angst erstarren lassen, so wie angeblich ein Kaninchen beim Anblick eines Falken erstarrt, der mit drohend gespreizten Schwingen und ausgestreckten Krallen auf es herabstößt.

»Ziemlich spät für einen Besucher«, murmelte Azzie nachdenklich.

»Aye, Sire, und außerdem ziemlich laut«, sagte Frike, der sich weit genug aus seiner Erstarrung gelöst hatte, um am ganzen Leib zittern zu können.

»Reiß dich zusammen, Mann!« befahl Azzie. »Wahrscheinlich ist es nur ein Reisender, der sich verirrt hat. Setz einen großen Kessel Wasser auf, während ich nachsehe, wer es ist.«

Er ging zur Tür und schob die schweren Riegel zurück, die aus vulkanischem Stahl geschmiedet worden waren.

Vor ihm stand eine hochgewachsene weißgekleidete Gestalt. Der Mann trug einen schlichten Goldhelm mit Taubenflügeln auf beiden Seiten, eine schneeweiße Rüstung und einen weißen Umhang aus Hermelinpelz um die Schultern. Er war auf eine seltsam langweilige Art attraktiv, hatte ein kräftiges ebenmäßiges Gesicht und große blaue Augen.