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»Das kannst du wohl glauben«, versicherte Azzie. »Du wirst sie wachküssen, sie wird die Augen öffnen und dich ansehen. Dann wird sie die Arme sanft um deinen Hals schlingen, ihr Gesicht dem deinen nähern, und dann wirst du Wonnen erleben, wie sie kaum ein Sterblicher jemals erfahren hat.«
»Es wird Spaß machen, was?« fragte der Prinz. »Ist es das, was du meinst, Onkel?«
»Für das, was du empfinden wirst, ist die Bezeichnung Spaß noch viel zu harmlos.«
»Hört sich großartig an«, stellte der Märchenprinz fest. Er stand auf und machte ein paar vorsichtige Schritte. »Dann laß uns das gleich erledigen, einverstanden? Ich werde sie küssen, und dann können wir beide anfangen, uns miteinander zu amüsieren.«
»Ganz so schnell geht das nicht«, bremste ihn Azzie.
»Warum nicht?«
»Es ist nicht so einfach, die Prinzessin zu erreichen. Du mußt dir vorher deinen Weg durch allerlei Hindernisse freikämpfen.«
»Was für Hindernisse? Gefährliche?«
»So ist es, fürchte ich«, bestätigte Azzie. »Aber mach dir deswegen keine Sorgen. Du wirst sie alle überwinden, nachdem Frike und ich dich im Waffenkampf geschult haben.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, ich könne bereits gut mit Waffen umgehen.«
»Nun, eine kleine Auffrischung kann nicht schaden«, meinte Azzie.
»Offengestanden, die ganze Angelegenheit hört sich ziemlich gefährlich an«, sagte der Märchenprinz.
»Natürlich ist es gefährlich«, erwiderte Azzie. »Das haben riskante Unternehmungen nun mal so an sich. Aber das macht nichts, du wirst alle Herausforderungen bestehen. Frike und ich werden dir zeigen, wie man mit Waffen umgeht, und dann wirst du losziehen.«
»Waffen sind gefährlich. Man kann durch sie getötet werden. Daran erinnere ich mich noch.«
Das liegt daran, daß das Herz eines Feiglings in deiner Brust schlägt, dachte Azzie. Laut sagte er: »Du wirst überlegene Waffen besitzen, gegen die niemand bestehen kann. Und Schutzzauber. Und, das Wichtigste überhaupt, ein magisches Schwert.«
»Schwerter!« rief der Märchenprinz aus und verzog das Gesicht voller Abscheu. »Jetzt erinnere ich mich an Schwerter! Furchtbar scharfe Dinger, die die Leute benutzen, um sich gegenseitig tiefe Schnittwunden zuzufügen!«
»Aber denk an das Ziel deiner Mission«, sagte Azzie. »Denk an die Prinzessin! Natürlich wirst du kämpfen müssen, aber ich verspreche dir, daß du siegen wirst.«
»Das könnte ich nicht«, behauptete der Prinz. »Nein, tut mir leid, aber das könnte ich einfach nicht.«
»Warum nicht?« wollte Azzie wissen.
»Weil ich mich erinnere, daß ich Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen bin«, erklärte der Märchenprinz.
»So ein Quatsch! Du bist gerade erst wiedergeboren worden! Das heißt, aus dem tiefen Schlaf erwacht, in den du durch deine Verletzungen gesunken bist. Wie kannst du da plötzlich Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen sein?«
»Weil ich ganz genau weiß«, antwortete der Märchenprinz, »daß ich in einer Situation, in der Gewalttätigkeiten drohen, auf der Stelle ohnmächtig werden würde.«
Azzie warf einen Blick zu Frike hinüber, der mit regloser Miene auf einen imaginären Punkt an der Wand starrte. Aber selbst sein scheinbar unschuldiger Gesichtsausdruck verriet Azzie, daß sein Diener sich heimlich über die Anstrengungen seines Gebieters lustig machte, der keine Mühe gescheut hatte, einen Märchenprinzen zu erschaffen, und der trotzdem so kurzsichtig gewesen war, ihm das Herz eines Feiglings einzupflanzen.
»Um das ein für allemal klarzustellen«, sagte Azzie zu seinem Geschöpf, »du wirst üben. Danach werde ich dir ein Zauberschwert besorgen, mit dem du jeden Gegner schlagen kannst. Und dann wirst du dich auf dieses Unternehmen begeben.«
»Und was, wenn ich dabei verletzt werde?«
»Prinz, du solltest deine Angst besser in den Griff bekommen«, erwiderte Azzie streng. »Ich versichere dir, daß du mit einem magischen Schwert von hier aufbrechen und herausfinden wirst, was du damit alles anstellen kannst, oder aber ich knöpfe mir dich persönlich vor. Und da unter meinen Freunden einige Dämonen sind, wäre das schmerzhafter als alles, was du dir vorstellen kannst. Geh jetzt auf dein Zimmer und wasch dich. Es ist gleich Zeit für das Abendessen.«
»Was gibt es denn?« erkundigte sich der Märchenprinz. »Hoffentlich doch etwas Französisches mit viel Soße.«
»Rinderbraten mit Kartoffeln«, sagte Azzie. »Wir ziehen hier Kämpfer und keine Tänzer heran.«
»Ja, Onkel«, murmelte der Märchenprinz und schlich mit hängenden Schultern aus dem Zimmer. Azzie warnte Frike mit einem finsteren Blick davor, eine bissige Bemerkung zu machen. Sein Diener schlurfte kommentarlos davon.
Azzie setzte sich in einen Sessel vor den Kamin und starrte nachdenklich ins Feuer. Er mußte sich irgend etwas einfallen lassen. Der Märchenprinz würde garantiert bei der ersten gefährlichen Situation stiften gehen. Und das würde Azzie zum Gespött in allen drei Welten machen. Aber er hatte nicht vor, es dazu kommen zu lassen.
KAPITEL 4
Am nächsten Morgen begann Azzie mit der Ausbildung des Märchenprinzen. Zuerst stand die Unterweisung im Schwertkampf auf dem Programm. Für einen jungen Mann, der im Begriff steht, gefährlichem Zauberwerk gegenüberzutreten, ist das Schwert eine bewährte Allzweckwaffe. Bei ordentlicher Handhabung kann man mit einem Schwert praktisch alles töten.
Der Märchenprinz zeigte ein beachtliches Talent im Umgang mit der Klinge. Sein Rumpf und der rechte Arm hatten einem äußerst begabten Schwertkämpfer gehört. Diese Begabung wurde deutlich, wenn der Prinz attackierte und parierte oder sich mit wirbelnder und blitzender Klinge zurückzog. Selbst Azzie, der beileibe kein schlechter Fechter war, geriet durch die ungestümen Angriffe und die klugen Finten seines Schützlings manchmal in arge Bedrängnis.
Aber der Prinz schien von seinem Wesen her einfach nicht fähig zu sein, einen einmal errungenen Vorteil auszunutzen und nachzusetzen. Azzie, der eine alte Übungstunika trug und lediglich seinen Oberköper durch einen schwachen Schwertabwehrzauber geschützt hatte, ging immer wieder die grundlegenden Manöver mit dem Märchenprinzen durch.
»Komm schon!« keuchte er, während sie sich auf dem schattigen Übungsplatz hinter dem Anwesen gegenüberstanden. »Ein bißchen mehr Eifer! Greif mich an!«
»Ich möchte dich nicht verletzen, Onkel«, sagte der Prinz.
»Du wirst mich nicht erwischen, glaub mir. Los jetzt, greif mich an!«
Der Prinz versuchte es, aber seine angeborene Feigheit stand ihm dabei im Weg. Jedesmal, wenn er nahe genug an Azzie herangerückt war, um einen tödlichen Hieb anbringen zu können, zögerte er, und der gewandte Dämon konnte die Deckung seines Gegners durchbrechen und einen Treffer landen.
Noch schlimmer aber war, daß die Geschicklichkeit des Märchenprinzen sich jedesmal in Luft auflöste, wenn Azzie mit wildem Geschrei und stampfenden Füßen angriff. Dann wirbelte der Prinz herum und floh.
Frike schüttelte den Kopf, während er die Übungen verfolgte. Wer hätte gedacht, daß ein einziges kleines Körperteil, das Herz eines Feiglings, den gesamten Körper des Märchenprinzen würde beherrschen können?
Azzie probierte die verschiedensten ihm zur Verfügung stehenden Zaubersprüche aus, um den Prinzen mit Mut zu erfüllen, aber irgend etwas Hartnäckiges in dem Jüngling schien sowohl gegen Ermahnungen als auch gegen Zaubersprüche immun zu sein.
Wenn sie nicht gerade kämpften oder Sport trieben, zog sich der Märchenprinz in ein Erkertürmchen am äußersten Ende von Azzies Anwesen zurück. Trotz seines vielversprechenden männlichen Aussehens spielte er liebend gern mit Puppen, die er ankleidete und an einer kostbar gedeckten Tafel Tee trinken ließ. Azzie dachte daran, ihm die Puppen wegzunehmen, aber Frike riet ihm davon ab.
»Junge Männer zerbrechen oftmals daran, wenn man ihnen ihr kindliches Vergnügen verwehrt«, warnte er. »Der Prinz ist jetzt schon unsicher genug, ohne daß Ihr ihm seine Puppen fortnehmt.«
Azzie sah sich gezwungen, dem zuzustimmen. Ihm war klar, daß hier etwas geschehen mußte. Vorher aber brauchte er unbedingt ein Zauberschwert.
Die Abteilung für Ausrüstung und Zubehör hatte vor scheinbar einer Ewigkeit versprochen, eins zu besorgen, die richtige Waffe bisher aber nicht auftreiben können. Natürlich verfügte sie über eine Menge Schwerter mit gewissen positiven Eigenschaften, aber keins davon besaß ausreichende Zauberkräfte, um jeden Wächter durchbohren, einen Drachenpanzer durchdringen und den Weg tief ins Herz des Feindes finden zu können. Alle bekannten Zauberschwerter befanden sich bereits im Besitz anderer Helden, da Azzies Inszenierung nicht die einzige war, die zur Zeit stattfand. Er wies in diesem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung seines Falls hin, dessen Ausgang über nicht weniger als das Schicksal des Bösen während der nächsten tausend Jahre entscheiden würde.
»Na klar«, lautete die Antwort aus der Abteilung, »das sagen sie alle. ›Schrecklich wichtig, äußerster Vorrang, glauben Sie mir‹, das haben wir alles schon tausendmal gehört.«
»Aber in diesem Fall ist es wirklich die Wahrheit!«
Der Angestellte der Abteilung lächelte freudlos. »Natürlich ist es die Wahrheit, genau wie bei allen anderen auch.«
Azzie beschloß, die Ausbildung an Frike zu übergeben, vor dem der Märchenprinz etwas weniger Angst zu haben schien. In der Zwischenzeit würde er dem Schloß der Prinzessin Rosenrot einen Besuch abstatten und sich vom Stand der Vorbereitungen überzeugen.